Offener Kalkulationsirrtum

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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Seb
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Offener Kalkulationsirrtum

Beitrag von Seb »

Im Zuge der Examensvorbereitung wiederhole ich gerade bgb at und bin bei den Willensmängeln angelangt.
Nun, lang ists her und ich stehe irgendwie auf dem Schlauch, weswegen ein offener Kalkulationsirrtum nicht nach 199 I 2. Alt angefochten werden kann, also kein anfechtbarer Erklärungfsirrtum darstellt ? Wieso kann ich nicht sagen, er habe sich schlicht verschrieben/vertippt=verrechnet? Wieso ist ein verrechnen, ein Motivirrtum? Kann dem gerade nicht so folgen ...

Bestimmt pippi einfach, vielleicht brauch ich nur eine Pause :crazy:
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Justitian
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Re: Offener Kalkulationsirrtum

Beitrag von Justitian »

Weil die Umstände, die zur Abgabe der Willenserklärung führen, auch dann noch bloße Motive bleiben, wenn man sie dem Geschäftspartner mitteilt. Für die Willenserklärung "Ich verkaufe B mein Auto für 5000€" spielt der Zusatz "weil es schon 150.000km gefahren wurde" schlicht keine Rolle. Er wird nicht Bestandteil der Willenserklärung, weil er keine rechtliche Funktion erfüllt.
"[...] führt das ja nicht dazu, dass eine Feststellungsklage mit dem Inhalt "Wie wird das Wetter morgen?" zulässig wird" - Swann, 01.03.17
boogienat0r
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Re: Offener Kalkulationsirrtum

Beitrag von boogienat0r »

Nach dem § 119 I Alt. 2 kommt es darauf an, dass der Erklärende eine Erklärung "dieses Inhalts" nicht abgeben wollte.

Wenn sich jemand in seiner Erklärung nun verschrieben oder vertippt hat, kommt es also darauf an, ob der betroffene Bestandteil auch Inhalt der Willenserklärung geworden ist oder nicht. Was Inhalt der Willenserklärung wird, richtet sich nach den §§ 133, 157.

Ergibt die Auslegung, dass der Erklärende ungeachtet der fehlerhaft aufgeschriebenen Berechnung (er hat sich verschrieben) aber nur nach dem (falsch) berechneten Endpreis kontrahieren will und die Berechnung ohnehin keine Rolle spielt (nur sein Motiv), kommt ein Erklärungsirrtum nicht in Betracht. Denn die fehlerhaft aufgeschriebene Rechnung ist gar nicht Inhalt der WE geworden. Und bzgl. des Endpreises hat er sich ja nicht verschrieben. Insofern kann man nicht sagen, dass er eine Erklärung dieses Inhalts nicht abgeben wollte.

Wenn indes umgekehrt die Auslegung ergeben würde, dass er nach der aufgeschriebenen Berechnung kontrahieren will und somit der genannte Endpreis für den objektiven Empfängerhorizont irrelevant wird, dann ist die fehlerhaft aufgeschriebene Berechnung Inhalt der WE geworden (zur Bestimmbarkeit des Kaufpreises als essentialia negotii) und eine solche Erklärung wollte er nicht abgeben - denn hat er sich verschrieben -> Anfechtung wegen Erklärungsirrtums möglich.

Die gleichen Grundsätze gelten natürlich auch dann, wenn sich jemand nicht verschreibt oder vertippt, sondern genau das aufschreibt, was er will, also z.B. die falsche Rechnung nicht deshalb aufschreibt, weil er sich vertippt oder verschrieben hat, sondern weil er davon ausgeht, diese ist richtig (z.B. einfach nicht richtig rechnen kann). Dann wollte er eine Erklärung genau mit diesem Inhalt abgeben und man kann nur noch den Inhaltsirrtum diskutieren, d.h. ob er sich über die Bedeutung des Inhalts der WE geirrt hat. Hier gelangt man dann wieder zur Ausgangslage, dass man den Inhalt der WE bestimmen muss (§§ 133, 157). Geirrt hat er sich aber nur über ein Motiv, nämlich dass die Rechnung korrekt wird. Motive werden aber grundsätzlich nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157) nicht Inhalt der WE, auch wenn man sie dem anderen mitteilt, wie beim offenen Kalkulationsirrtum.
"Ob dagegen aus einer Kreuzung von Mensch und Tier gezeugte Wesen (Chimären) Träger der Menschenwürde sein können , wird man mit Erleichterung als derzeit inaktuell bezeichnen können"
boogienat0r
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Re: Offener Kalkulationsirrtum

Beitrag von boogienat0r »

boogienat0r hat geschrieben:Wenn indes umgekehrt die Auslegung ergeben würde, dass er nach der aufgeschriebenen Berechnung kontrahieren will und somit der genannte Endpreis für den objektiven Empfängerhorizont irrelevant wird, dann ist die fehlerhaft aufgeschriebene Berechnung Inhalt der WE geworden (zur Bestimmbarkeit des Kaufpreises als essentialia negotii) und eine solche Erklärung wollte er nicht abgeben - denn hat er sich verschrieben -> Anfechtung wegen Erklärungsirrtums möglich.
Ich glaube mittlerweile, dass diese Variante doch nicht möglich ist. Denn zum Auslegungsergebnis, das nach der Kalkulation (z.B. tagesaktuellem Börsenkurs) und nicht dem genannten Endpreis kontrahiert werden soll, kann man nach allg. Auslegungsgrundsätzen (Auslegung nach Treu und Glauben) eigtl. nur kommen, wenn die Kalkulation nach dem objektiven Empfängerhorizont gerade fehlerfrei mitgeteilt worden ist, er sich also nicht verschrieben hat. Jedenfalls ist es Auslegungssache und vill. kann es daher doch den einen oder anderen Einzelfall geben, wo trotz eines Verschreibens bei der Kalkulation nach dem objektiven Empfängerhorizont die Berechnung des Kaufpreises nach dieser erfolgen sollte. Dann hätte man ein Erklärungsirrtum.
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Seb
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Re: Offener Kalkulationsirrtum

Beitrag von Seb »

Danke für die Beispiele, mit paar Tagen Abstand fällt es mir doch leichter nachzuvollziehen, aber da liegt echt der Teufel im Detail beim Thema Rund um Vertragsabschluss. ::evil:
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