[enigma] hat geschrieben:
Ok, dein Appell an die nüchterne Sachlichkeit gilt aber nur für die etablierten Parteien und die Presse? Die dürfen sich als Lügner, Volksverräter etc. beschimpfen lassen, wenn offen rassistische Thesen der Rechtspopulisten aber kritisiert werden, ist das einseitig und voreingenommen? Das ist genau der Opfermythos, den ich meine. Austeilen, aber nicht einstecken können.
Lass doch einfach die Polemik weg. "Volksverräter", "Opfermythos" -- den Quatsch braucht keiner. Natürlich sind auch die AfD et al. nicht vor Dummheit gefeit. Auch sind gewisse "rechtsorientierte" Medien (z.B. RT) keineswegs neutral.
Allerdings gibt es zwei ganz entscheidende Aspekte, die du einfach unter den Tisch fallen lässt: Erstens ist es von vornherein albern, eigene Fehler durch den Verweis auf Dritte zu relativieren ("tu quoque"). Zweitens und vor allem kann es doch nicht der Anspruch sein, einem russischen Propaganda-Sender mit gleicher Münze Paroli zu bieten.
Ich schaue kein RT o.Ä. Ich kritisiere sie auch, wenn sie Unsinn verbreiten. Das heißt aber nicht, dass unsere Medien perfekt oder gegen Kritik immun wären.
Ich halte es wie gesagt für eine fatale Untertreibung, AfD, Wilders etc. einfach nur als illiberale Demokraten darzustellen. Wer die Homoehe oder Zuwanderung ablehnt, mag Illiberal sein, muss aber kein Rassist sein. Höcke, Wilders, LePen etc. sind Rassisten. Eine wehrhafte Demokratie muss und darf Rassisten eben nicht tolerieren. Dass Demokraten erleichtert sind, wenn diese vermeintlich an Zuspruch verlieren, ist kein Wunder und darüber darf man natürlich berichten.
Was meinst du denn mit "tolerieren"? Hier geht wieder einiges wild durcheinander:
1. Natürlich muss man auch Rassisten bis zu einem gewissen Grad tolerieren. Was willst du machen, sie ausweisen? Einsperren für ihre Gedanken?
2. Sicherlich besteht die Möglichkeit, Rassisten im Falle einer Straftat (z.B. § 130 StGB) zu sanktionieren, das ändert aber nichts daran, dass ihr Verhalten davon u.U. auch hinzunehmen ist.
3. Du begehst den gleichen Fehler, den viele Medien begehen: du findest eine oder einige rassistische Äußerungen, etwa von Wilders. So weit bin ich bei dir: diese Äußerungen dürfen und sollen natürlich kritisiert werden. Dann wird es aber gefährlich, denn es wird alles einfach in einen Topf geworfen:
Wilders sagt etwas Rassistisches --> Wilders ist Rassist --> Wilders wird zum Freiwild erklärt --> jede negative, unsachliche Berichterstattung über ihn wird gerechtfertigt
Das ist einer liberalen Demokratie unwürdig. Du gehst darüber aber noch weit hinaus:
Wilders, Le Pen und Höcke haben etwas gemeinsam; alle sind irgendwie mit der AfD verbunden --> gut, dann werden eben alle, die irgendwie hiermit zusammenhängen (d.h. die gesamte AfD, u.U. auch ihre Wähler) alle ebenfalls zu Rassisten ("guilt by association") --> Freiwild --> jede negative, unsachliche Berichterstattung über sie wird gerechtfertigt
Dieser illiberale Gedankengang ist für unsere Demokratie weitaus gefährlicher als es ein einzelner, niemals mehrheitsfähiger Höcke jemals sein könnte.
Ich habe zum Beispiel noch nicht gehört, dass Sinn, Fleischhauer oder die Welt in den Mainstreammedien als Rassisten bezeichnet worden wären. Der Ton macht die Musik und selbstverständlich kann man auch die Flüchtlingspolitik innerhalb des demokratischen Spektrums kritisieren. Darauf beschränkt sich die AfD aber eben nicht. Sie nutzt bewusst Nazirhetorik, duldet offen rechtsradikale Mitglieder in ihren Reihen und gibt ihnen eine Plattform. Ich stimme zu, dass man sich mit denen auseinandersetzen muss, indem man deren Rhetorik Fakten entgegen setzt. Das wird auch durchaus gemacht.
Du wirfst alles in einen Topfen (einer böse --> alle böse) und erklärst alle durch die Blume zu Freiwild für eine negative Berichterstattung. Das ist äußerst bedenklich.
Ich finde es nur unglaubwürdig, sich über unfaire Berichterstattung zu beklagen, wenn diese Politiker dann als Rechtspopulisten bezeichnet werden.
Was ist daran "unglaubwürdig", eine einseitige Berichterstattung zu kritisieren.
Aus der jüngeren Vergangenheit fällt mir unter anderem die Behauptung ein, es gebe eine Reisewarnung des auswärtigen Amtes für Schweden (ja, Schweden!). Die Lüge vom "Asylantenbonus" vor deutschen Strafgerichten, falsche Informationen zur Höhe der Sozialleistung für Asylbewerber, die von RT erlogene Geschichte des deutschrussischen Mädchens, das angeblich von Flüchtlingen massenvergewaltigt wurde, wurde bereitwillig ohne jede Prüfung aufgegriffen und weiter verbreitet, es wird ständig pauschal behauptet, deutsche Journalisten seien korrupt und würden irgendwelche politischen Anweisungen befolgen, falsche Fakten zum Klimawandel, Höckes wissenschaftlich abstruse Thesen zum afrikanischen Reproduktionsverhalten, die Behauptung, Clinton wolle einen Krieg mit Russland provozieren und ihre Kampagne sei vom US-Umweltministerium und der Bundesregierung finanziert worden, falsche Daten und Behauptungen zur Ausländerkriminalität etc. pp. Und mit den historischen Fakten rund um die Bombardierung Dresdens und den Holocaust nimmt man es in der AfD bekanntlich auch nicht so genau. Ich könnte die Aufzählung noch ewig fortsetzen, ich habe dafür noch nicht mal Google bemühen müssen.
Du begehst den gleichen Fehler wie oben. Alles wird miteinander vermengt, unzählige Themen und Geschichten, die möglicherweise vage einem schwammigen, unbestimmten "rechten Spektrum" zuzuordnen sind, werden genutzt, um (etwa) die AfD insgesamt von vornherein zu disqualifizieren. Das ist kaum rationaler als die "Fake News", von denen du berichtest.
Natürlich vertritt (etwa) die AfD viele dumme Positionen. Sicherlich ist Höcke untragbar.
Nichts davon rechtfertigt es allerdings, eine gesamte Partei (und damit auch ihre immerhin potentiell, sagen wir 8-15%) und ihre Wähler durch die Bank als Rassisten zu diffamieren. Nichts davon rechtfertigt eine voreingenommene Berichterstattung.
Denkst du wirklich, unserer Demokratie sei geholfen, wenn viele Medien einen großen Teil ihrer Glaubwürdigkeit im (vermeintlichen) "Kampf gegen Rechts" opfern, um eine Partei aufzuhalten, deren Vertreter sich nur zu einem kleinen Prozentsatz in rassistischer (oft noch nicht einmal strafbarer) Weise äußern? Zumal wenn diese Partei viele Versäumnisse der anderen Parteien zu Recht thematisiert (hat)?