Abgrenzung Tun/Unterlassen

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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cptkoons
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Abgrenzung Tun/Unterlassen

Beitrag von cptkoons »

Folgender Ausgangsfall:
A leiht sich eine Säge, die unbedingt angeschraubt sein muss, um nicht gefährlich vom Tisch zu "springen". Dieser Umstand ist A bekannt. A beginnt dennoch zu sägen, ohne die Säge zu fixieren und verletzt im Vertrauen darauf, dass nichts passieren werde, seinen Sohn S.

Ist es noch vertretbar, bei der Prüfung von § 223 und, mangels dolus eventualis, auch § 229 an das Unterlassen der ordnungsgemäßen Befestigung der Säge und nicht an deren Einschalten anzuknüpfen?

Vielen Dank für Meinungen dazu und für die Aufnahme ins Forum!
i live in tokyo
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Re: Abgrenzung Tun/Unterlassen

Beitrag von i live in tokyo »

Soweit ich das noch aus dem Studium im Kopf habe, grenzt man bei Unterlassen und Tun nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit ab.
In deinem Fall sehe ich den Schwerpunkt, angesichts der "Gesamtumstände" (Vater/Sohn) in dem bewusst pflichtwidrigen Nichtfixieren der Säge. Dass der A seinen Sohn verletzen wollte, kann ja ausgeschlossen werden. Sein gesamtes Handeln, woraus sich das Bild der tat ergibt, ist m.E. damit das Unterlassen und nicht nur die Verwendung der Säge.

Wenn du dolus eventualis ablehnst, bleibt nur noch eine Fahrlässigkeitsprüfung über. Es wird daher auf deine Argumentation der Vorsatzprüfung ankommen.
Tobias__21
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Re: Abgrenzung Tun/Unterlassen

Beitrag von Tobias__21 »

Sehe ich anders. Das Unterlassen alleine wird ja nicht einmal kausal für die Verletzungen des Sohnes, da muss das schon das Einschalten/Benutzen der nicht befestigten Säge hinzukommen. Anknüpfungspunkt ist daher mE das Benutzen einer nicht ordnungsgemäß fixierten Säge, also ein Tun. Hätte der Vater die Säge nicht benutzt, wäre auch nichts passiert.
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Eagnai
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Re: Abgrenzung Tun/Unterlassen

Beitrag von Eagnai »

Ich würde es genauso sehen wie Tobias. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt aus meiner Sicht auf der aktiven Benutzung der nicht ausreichend gesicherten Säge.
i live in tokyo
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Re: Abgrenzung Tun/Unterlassen

Beitrag von i live in tokyo »

Tobias__21 hat geschrieben:Hätte der Vater die Säge nicht benutzt, wäre auch nichts passiert.
Das Benutzen der Säge allein hat m.E. gar keinen strafrechtlich zu bemessenden Wert. Es ist auch nur zu der Verletzung gekommen, weil die Säge nicht ordentlich befestigt war, das heißt anders gesagt mit deinen Worten:

Hätte der Vater die Säge ordnungsgemäß benutzt, wäre auch nichts passiert.

Der ganze Verletzungsaspekt und Anknüpfungspunkt der Misere in dem Fall liegt für mich daher erst greifbar bei dem Nichtbefestigen.

Ich bin der Ansicht, dass, gerade weil "Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit" schwer zu fassen/definieren ist, hier beides vertretbar ist und es - wie so oft - auf eine schlüssige Argumentation ankommt.
Tobias__21
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Re: Abgrenzung Tun/Unterlassen

Beitrag von Tobias__21 »

Wie Du selbst sagst : "Hätte er ordnungsgemäß benutzt", also ordnungsgemäß gehandelt (Tun). Und natürlich hat das Benutzen einer gefährlichen Sache einen "strafrechtlich zu bemessenden Wert". Was wäre denn wenn der Vater mit ordnungsgemäß befestigter Säge gesägt hätte und dem Sohn wäre ein Holzsplitter ins Auge geflogen? Unterlassen weil der Vater ihm keine Schutzbrille aufgesetzt hat, oder Tun? Und kausal ist hier eben erst das Benutzen der nicht ordnungsgemäß befestigten Säge. Das nicht-befestigen der Säge hat für sich alleine genommen überhaupt keine strafrechtliche Relevanz.
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thh
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Re: Abgrenzung Tun/Unterlassen

Beitrag von thh »

i live in tokyo hat geschrieben:
Tobias__21 hat geschrieben:Hätte der Vater die Säge nicht benutzt, wäre auch nichts passiert.
Das Benutzen der Säge allein hat m.E. gar keinen strafrechtlich zu bemessenden Wert. Es ist auch nur zu der Verletzung gekommen, weil die Säge nicht ordentlich befestigt war,
... weil sie mithin unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt benutzt wurde.

Wer einen Fußgänger überfährt, weil er abgelenkt war und daher nicht rechtzeitig gebremst hat, verursacht den Unfall zwar auch nur, weil er nicht bremst, begeht aber dennoch (offenkundig) kein Unterlassungsdelikt.
i live in tokyo hat geschrieben:Der ganze Verletzungsaspekt und Anknüpfungspunkt der Misere in dem Fall liegt für mich daher erst greifbar bei dem Nichtbefestigen.

Ich bin der Ansicht, dass, gerade weil "Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit" schwer zu fassen/definieren ist, hier beides vertretbar ist und es - wie so oft - auf eine schlüssige Argumentation ankommt.
Hier ein Unterlassen anzunehmen ist bestenfalls schwer vertretbar.
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Eagnai
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Re: Abgrenzung Tun/Unterlassen

Beitrag von Eagnai »

i live in tokyo hat geschrieben: In deinem Fall sehe ich den Schwerpunkt, angesichts der "Gesamtumstände" (Vater/Sohn) in dem bewusst pflichtwidrigen Nichtfixieren der Säge. Dass der A seinen Sohn verletzen wollte, kann ja ausgeschlossen werden.
Das Argument finde ich ehrlich gesagt alles andere als überzeugend.

Wenn es sich bei dem Geschädigten nun nicht um den Sohn des A handeln würde, sondern um einen Freund oder um einen zufällig vorbeikommenden Unbeteiligten, würdest du dann plötzlich von aktivem Tun ausgehen statt von einem Unterlassen? Mit dem Argument, dass A den Freund oder den Unbeteiligten vielleicht eher hätte verletzen wollen als seinen Sohn? :-k

Zumal die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und Fahrlässigkeit jetzt auch nicht wirklich was mit der Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen zu tun hat.
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