hlubenow hat geschrieben:Ist immer noch am besten: Keine Nächstenliebe (sondern Liebe nur gegenüber den wenigen Menschen, die einem wirklich nahestehen (Familie, usw.)). Kein Gott.
Jemand fragte: "Auf Verfehlungen mit Güte zu reagieren, was haltet Ihr davon?" Konfuzius sprach: "Womit kann man dann noch tugendhaftes Verhalten belohnen? Auf Verfehlungen erwidere man mit Gerechtigkeit, nur auf tugendhaftes Verhalten antworte man mit Güte." (Lunyu, XIV.36)
Das Problem ist nur, dass eine solche simple
Tit-for-Tat-Strategie nicht dem Leben dient sondern dem Tod
1. Führt sie unweigerlich zu einer Gewaltspirale aus Provozierbarkeit und Vergeltungsautomatismus:
Verletzt du meine Flugverbotszone, schieße ich dein Flugzeug ab.
Schießt du mein Flugzeug ab, schieße ich Raketen auf deine militärischen Stellungen.
Schießt du Raketen auf meine militärischen Stellungen, schieße ich Raketen auf deine Städte.
Schießt du Raketen auf meine Städte, werfe ich kleine Atombomben ab.
Wirfst du kleine Atombomben ab, setze ich mein Atomwaffenarsenal ein.
Setzt du dein Atomwaffenarsenal ein, setze ich meines ein...und Exitus.
Aus dieser Spirale kommt man nur heraus, wenn einer der Tit-for-Tat-Strategie nicht mehr folgt, sondern "dem Feind vergibt".
2. Verdanken wir die Tatsache, dass wir hier heute überhaupt miteinander diskutieren können, gerade der Tatsache, dass die Menschen und Völker Europas nach dem 2. Weltkrieg und den Verbrechen der Deutschen diesen nicht "mit gleicher Münze" heimgezahlt (sie nicht ermordet, deportiert, versklavt und ausgebeutet haben), sondern ihnen die Hand zur Versöhnung gereicht haben. Sie also - mit anderen Worten - nicht Konfuzius sondern Christus gefolgt sind. Das gilt im Übrigen nicht erst für die Zeit nach 1945, sondern generell. Frieden erfordert immer einen Neubeginn, bei dem der Sieger Gnade/Güte vor Recht ergehen lässt.
3. Funktioniert das Tit-for-Tat-Prinzip ohnehin nur bei gleichgewichtigen Partnern. In Über-Unterordnungsverhältnissen oder bei ungleichen Stärke- und Machtverhältnissen ist es von vornherein zum scheitern verurteilt. Der schwächere Partner ist hier überhaupt nicht in der Lage, den stärkeren zu bestrafen bzw. sich Gerechtigkeit zu verschaffen. Nietzsche hat daher vollkommen recht, wenn er dem Christentum eine "Sklavenmoral" attestiert. Er übersieht dabei allerdings, dass man mit einer "Herrenmoral" keine Gesellschaft bilden kann. Eine "Herrenmoral" ist immer nur etwas für einzelne wenige. Das gilt für die Moral in Homers Ilias genauso wie für die Moral eines Konfuzius oder eines Nietzsche. Wenn ich Menschen tatsächlich als gleich ansehe (was Homer, Konfuzius und Nietzsche aber gerade nicht tun), kann ich immer nur eine "Sklavenmoral" vertreten. Sie ist die Voraussetzung für allgemeine Menschen- und Bürgerrechte.
Mozart hat es in der "Zauberflöte" eindrucksvoll vertont:
https://m.youtube.com/watch?v=7o0tnyZle8Y