Aktuelles aus dem Zivilrecht

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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immer locker bleiben
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von immer locker bleiben »

thh hat geschrieben:
Ant-Man hat geschrieben:AG Göttingen, Urteil vom 07.11.2017 - 18 C 41/17 zur arglistigen Täuschung eines Mieters, wenn er dem Vermieter vor Vertragsschluss verschweigt, dass er Anziehungspunkt für linksgerichtete Gewalt sein kann.
Skurril. Bestenfalls.
Gibt es irgendwo mehr Informationen zum Sachverhalt? Bei Beck steht nur, dass der Mieter wohl ein AFD-Mitglied ist. Das allein dürfte wohl kaum reichen, um ihm vorzuhalten, er müsse vor Vertragsschluss darüber informieren, dass er linke Gewalt anzieht. Wenn sich mehr aus dem Sachverhalt nicht ergibt, dann wäre die Entscheidungl kaum vertretbar.
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Honigkuchenpferd
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Er ist, genaugenommen, wohl Mitglied von deren Nachwuchsorganisation. Zudem kam es bereits im Umfeld seiner letzten Wohnung immer wieder zu politisch motivierten Sachbeschädigungen und Brandstiftungen. Das wiederholte sich bei der Wohnung, um die es bei der Klage geht, und führte dann eben zur Anfechtung des Vertrages:

https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/ger ... en-angeben

Man kann verstehen, dass diese Situation für den Vermieter höchst ärgerlich ist. Gleichwohl halte ich die Entscheidung für kaum vertretbar. Wenn jeder, dem aufgrund eines parteipolitischen Engagements in besonderem Maße politisch motivierte Gewalt droht (sei es rechtsextrem, linksextrem oder auch islamistisch), wirklich über diesen Umstand im Vorfeld aufklären müsste, weil er andernfalls eine arglistige Täuschung durch Unterlassen beginge, kommen wir in Teufels Küche. ME ist die Entscheidung daher verfassungsrechtlich nicht haltbar.

Und man stelle sich einmal vor, wie die Reaktionen aussähen, wenn zB im tiefsten Sachsen ein Mitglied der Linksjugend Solid Opfer rechtsextremer Angriffe würde und daraufhin ein sächsisches Gericht eine derartige Entscheidung treffen würde.

In einem Rechtsstaat muss schon die Polizei gewährleisten, dass derartige Angriffe unterbleiben.
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Ant-Man »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Er ist, genaugenommen, wohl Mitglied von deren Nachwuchsorganisation. Zudem kam es bereits im Umfeld seiner letzten Wohnung immer wieder zu politisch motivierten Sachbeschädigungen und Brandstiftungen. Das wiederholte sich bei der Wohnung, um die es bei der Klage geht, und führte dann eben zur Anfechtung des Vertrages:

https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/ger ... en-angeben

Man kann verstehen, dass diese Situation für den Vermieter höchst ärgerlich ist. Gleichwohl halte ich die Entscheidung für kaum vertretbar.
Die Entscheidung steht meiner Meinung nach in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
BGH, Urteil vom 11. August 2010 – XII ZR 192/08 hat geschrieben: Allerdings besteht nach der Rechtsprechung eine Rechtspflicht zur Aufklärung bei Vertragsverhandlungen auch ohne Nachfrage dann, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind [...] Eine Tatsache von ausschlaggebender Bedeutung kann auch dann vorliegen, wenn sie geeignet ist, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. [...] Nach den revisionsrechtlich nicht angreifbaren Feststellungen des Berufungsgerichts wurde dieses Ziel durch den von dem Beklagten geplanten Verkauf von Waren der Marke "Thor Steinar", die unstreitig in der öffentlichen Meinung ausschließlich der rechtsradikalen Szene zugeordnet werden, gefährdet. Denn der Verkauf solcher Waren kann zur Folge haben, dass das Hundertwasserhaus in den Ruf gerät, Anziehungsort für rechtsradikale Käuferschichten zu sein und damit ein Ort, an dem - auch aufgrund von Demonstrationen - gewaltsame Auseinandersetzungen zu erwarten sind. Diese, das gesamte Anwesen treffende mögliche rufschädigende Wirkung ist geeignet, Kunden und Touristen fernzuhalten und damit andere Mieter im Anwesen zu einer Minderung oder Beendigung des Mietvertrages zu veranlassen und potentielle Mieter von dem Abschluss eines Mietvertrages abzuhalten. Der Verkauf von Waren der Marke "Thor Steinar" kann deshalb der Vermieterin erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügen.
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Tibor
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Tibor »

Das betrifft aber nicht Wohnungsmietrecht.
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Ant-Man »

Tibor hat geschrieben:Das betrifft aber nicht Wohnungsmietrecht.
Der BGH stützt seine Ansicht auf Treu und Glauben und dieser Grundsatz gilt auch im Wohnraummmietverhältnisse. Dass ein Wohnraummietverhältnis vorliegt, halte ich hinsichtlich der Aufklärungspflicht für irrelevant. Inwiefern sollte das eine Rolle spielen und zu einer abweichenden Bewertung führen?
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Ant-Man hat geschrieben:
Honigkuchenpferd hat geschrieben:Er ist, genaugenommen, wohl Mitglied von deren Nachwuchsorganisation. Zudem kam es bereits im Umfeld seiner letzten Wohnung immer wieder zu politisch motivierten Sachbeschädigungen und Brandstiftungen. Das wiederholte sich bei der Wohnung, um die es bei der Klage geht, und führte dann eben zur Anfechtung des Vertrages:

https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/ger ... en-angeben

Man kann verstehen, dass diese Situation für den Vermieter höchst ärgerlich ist. Gleichwohl halte ich die Entscheidung für kaum vertretbar.
Die Entscheidung steht meiner Meinung nach in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
BGH, Urteil vom 11. August 2010 – XII ZR 192/08 hat geschrieben: Allerdings besteht nach der Rechtsprechung eine Rechtspflicht zur Aufklärung bei Vertragsverhandlungen auch ohne Nachfrage dann, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind [...] Eine Tatsache von ausschlaggebender Bedeutung kann auch dann vorliegen, wenn sie geeignet ist, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. [...] Nach den revisionsrechtlich nicht angreifbaren Feststellungen des Berufungsgerichts wurde dieses Ziel durch den von dem Beklagten geplanten Verkauf von Waren der Marke "Thor Steinar", die unstreitig in der öffentlichen Meinung ausschließlich der rechtsradikalen Szene zugeordnet werden, gefährdet. Denn der Verkauf solcher Waren kann zur Folge haben, dass das Hundertwasserhaus in den Ruf gerät, Anziehungsort für rechtsradikale Käuferschichten zu sein und damit ein Ort, an dem - auch aufgrund von Demonstrationen - gewaltsame Auseinandersetzungen zu erwarten sind. Diese, das gesamte Anwesen treffende mögliche rufschädigende Wirkung ist geeignet, Kunden und Touristen fernzuhalten und damit andere Mieter im Anwesen zu einer Minderung oder Beendigung des Mietvertrages zu veranlassen und potentielle Mieter von dem Abschluss eines Mietvertrages abzuhalten. Der Verkauf von Waren der Marke "Thor Steinar" kann deshalb der Vermieterin erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügen.
Auch über diese Entscheidung kann man schon geteilter Meinung sein. Dabei ging es allerdings, wie Tibor bereits zu Recht angemerkt hat, um einen Gewerbetreibenden. Hier geht es hingegen um eine Privatperson (die nun irgendwo wohnen muss). Schon das macht einen erheblichen Unterschied, so dass man bei der Abwägung zu einem völlig anderen Ergebnis gelangen kann und ggf auch muss.

Bei der Entscheidung des BGH standen zudem beiderseits gewerbliche Interessen im Vordergrund (auch wenn mit der Kleidung eine politische Meinungsäußerung verbunden ist). Hier geht es hingegen vor allem um das (grundrechtlich geschützte) politische Engagement des Betroffenen und letztlich auch um Art 21 GG. Denn es liegt auf der Hand, dass es gravierende Auswirkungen auf die Bereitschaft hätte, sich in Parteien oder ihren Jugendorganisationen zu engagieren, wenn Leute befürchten müssten, mittelbar deshalb keine Mietwohnung mehr zu erhalten - nämlich weil andere diese grundrechtlich geschützten Handlungen zum Anlass für Gewalttaten nehmen.
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Ant-Man hat geschrieben:
Tibor hat geschrieben:Das betrifft aber nicht Wohnungsmietrecht.
Der BGH stützt seine Ansicht auf Treu und Glauben und dieser Grundsatz gilt auch im Wohnraummmietverhältnisse. Dass ein Wohnraummietverhältnis vorliegt, halte ich hinsichtlich der Aufklärungspflicht für irrelevant. Inwiefern sollte das eine Rolle spielen und zu einer abweichenden Bewertung führen?
Die Frage, ob und inwieweit Aufklärungspflichten bestehen, ist unter Abwägung der widerstreitenden Interessen unter dem Gesichtspunkt von "Treu und Glauben" zu beantworten. Aufgrund der Ausstrahlungswirkung spielen dabei insbesondere die im konkreten Fall tangierten Grundrechte eine zentrale Rolle. Insoweit bestehen aus den genannten Gründen ganz erhebliche Unterschiede.
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Tibor
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Tibor »

Besser hätte ich das jetzt nicht schreiben können. =D>
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Könnte auch ein Standardtextbaustein des Mietrechtssenats sein! HKP, steile Karriere gemacht ;)
Hier gibt's nichts zu lachen, erst recht nichts zu feiern.
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von immer locker bleiben »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Aufgrund der Ausstrahlungswirkung spielen dabei insbesondere die im konkreten Fall tangierten Grundrechte eine zentrale Rolle.
Exakt. Wenn er nicht durch eigenes von der Rechtsordnung nicht gebilligtes Verhalten die Angriffe auf sich selbst provoziert, wird man ihm wohl kaum vorhalten können, seinen Vertragspartner nicht auf zu erwartende gegen ihn verübte Straftaten aufgeklärt zu haben. Wie soll das gehen? "Ich bin übrigens Mitglied einer nicht verbotenen Partei, die im Bundestag vertreten ist und werde dafür regelmäßíg verprügelt, beschimpft und beworfen. Es kann sein, dass darunter die mir vermietete Wohnung leidet." Wo leben wir denn?
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von thh »

immer locker bleiben hat geschrieben:
Honigkuchenpferd hat geschrieben:Aufgrund der Ausstrahlungswirkung spielen dabei insbesondere die im konkreten Fall tangierten Grundrechte eine zentrale Rolle.
Exakt. Wenn er nicht durch eigenes von der Rechtsordnung nicht gebilligtes Verhalten die Angriffe auf sich selbst provoziert, wird man ihm wohl kaum vorhalten können, seinen Vertragspartner nicht auf zu erwartende gegen ihn verübte Straftaten aufgeklärt zu haben. Wie soll das gehen? "Ich bin übrigens Mitglied einer nicht verbotenen Partei, die im Bundestag vertreten ist und werde dafür regelmäßíg verprügelt, beschimpft und beworfen. Es kann sein, dass darunter die mir vermietete Wohnung leidet." Wo leben wir denn?
In einer Gesellschaft, die propagiert, das genau das richtig und wünschenswert ist - jedenfalls bei machen Parteien.

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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von famulus »

thh hat geschrieben: Gesendet von meinem Pixel C mit Tapatalk
Kannst du diesen Textbaustein nicht durch "Danke Merkel!!1!" ersetzen? Würde inzwischen fast immer passen...
»Ich kenne den Schmerz, den ich hatte, weil ich zweimal die Vorhaut mit dem Reißverschluss mitgenommen habe, so dass dieser - also Reißverschluss - einmal in einer Klinik entfernt werden musste.« - Chefreferendar
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Ant-Man »

BGH, Beschluss vom 15. November 2017 - VIII ZR 194/16 legt dem EuGH Fragen zur Auslegung des Art. 16 lit. e der Verbraucherrechterichtlinie im Zusammenhang mit dem Online-Matratzenkauf vor.
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von immer locker bleiben »

Ant-Man hat geschrieben:BGH, Beschluss vom 15. November 2017 - VIII ZR 194/16 legt dem EuGH Fragen zur Auslegung des Art. 16 lit. e der Verbraucherrechterichtlinie im Zusammenhang mit dem Online-Matratzenkauf vor.
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Re: Aktuelles aus dem Zivilrecht

Beitrag von Ant-Man »

Nach BGH, Urteile vom 22. November 2017 - VIII ZR 83/16 und VIII ZR 213/16 kann der Verkäufer nach erfolgreichem Antrag des Käufers auf PayPal-Käuferschutz erneut die Kaufpreiszahlung verlangen.
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