Ara hat geschrieben:Manche waren der Meinung, dass ich ihnen das Zeugnis irgendwie "absegnen müsste" und fragten mich, ob ich inhaltlich etwas geändert haben möchte. Hab ich auch immer gesagt, dass sie doch mich bewerten sollen und nicht ich mich selbst.
Das ist natürlich richtig; trotzdem soll das Zeugnis eröffnet - und auch besprochen - werden. Ich frage daher auch immer, ob man mit dem Zeugnis einverstanden ist; was nicht heißt, dass fehlendes Einverständnis dann zwingend zu einer Änderung führt.
Ara hat geschrieben:Und seien wir doch mal ehrlich, die meisten Referendare sind ihren Ausbildern in vielen Punkten überlegen.
Schön wäre es. Völlig ausreichend wäre es oft schon, wenn die Fähigkeit und Bereitschaft da wäre, sich die notwendigen Kenntnisse zu erarbeiten ...
Ara hat geschrieben:Sie kommen frisch von der Uni mit materiellem Wissen und lernen gerade aktiv das Prozessrecht. Der Durchschnittsrichter kann doch außerhalb seines Fachgebietes weder materiellrechtlich noch prozessrechtlich mit den meisten Referendaren mithalten.
Auch da wäre ich mir nicht so sicher - andererseits bildet er den Referendar ja nun in seinem Fachgebiet aus. Wenn der Referendar da gleich gut oder gar besser ist: hervorragend und beeindruckend. (Aber seltenst.)
Ara hat geschrieben:Was soll der Ausbilder bewerten? Meine fachliche Fähigkeit im Allgemeinen, von denen er selbst nur noch sehr beschränkt Ahnung hat? Oder meine praktischen Fähigkeiten, die ich doch erst von ihm lernen soll?
Die Kenntnisse im materiellen Recht - die gefestigt sein sollten - und Prozessrecht, insbesondere deren Entwicklung im Verlauf der Station und die Fähigkeit, sich solche Kenntnisse fallbezogen zu erarbeiten, wenn sie noch nicht vorhanden sind, und die Willigkeit und Geschwindigkeit bei und das Ergebnis der Einarbeitung in die Praxis.
Ara hat geschrieben:Von daher mochte ich immer Ausbilder die klargestellt haben: Für die Klausur kann ich ihnen nicht viel beibringen und das Recht müssen sie sich auch selbst beibringen, aber ich kann ihnen die Praxis zeigen und viele Zusammenhänge und Abläufe zeigen, die so in keinem Buch stehen.
Freilich. Dass man sich das Recht selbst beibringen kann und können muss, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Dazu dient ja das Studium.
Wenn ich als Richter oder Staatsanwalt mit einer Materie konfrontiert werde, die mir völlig neu ist, dann muss ich mich da (neben der enormen allgemeinen Arbeitsbelastung) einarbeiten. Dass darf man daher von einem Referendar auch erwarten, zumal er in der Regel eine Akte pro Woche zu bearbeiten hat und nicht 15 (Zivilrichterreferat am AG) oder 30-40 und mehr (Allgemeindezernat bei der StA).
Ara hat geschrieben:Im Großen und Ganzen sind die ganzen Stationen aber doch nur eine gute Möglichkeit in einem geschützten Raum unter Anleitung sich auszuprobieren, ohne dass man einen Schaden anrichten konnte. Da gibt es doch eigentlich gar nichts zu bewerten... Es ist doch gerade Sinn und Zweck dieser Umgebung, dass man Fehler macht.
Natürlich macht man Fehler. Aber verschieden viele, verschieden gravierende und nicht zwingend immer wieder denselben.
Es gibt - manchmal - Referendare, die schon in den ersten Wochen der Station vergleichsweise umfangreiche strafprozessuale Kenntnisse haben, und denen oft (anhand der vorhandenen Muster) bereits der erste Anklageentwurf recht gut gelingt. Andere schaffen es, beim Verfassen des abstrakten Anklagesatzes den Gesetzestext zu variieren, statt ihn wörtlich zu übernehmen, und das (nach Hinweis darauf) noch mehrfach wieder. Und wieder andere liefern nach mehr als drei Monaten den Entwurf eines Strafbefehlsantrags ab, in dem für zwei tatmehrheitliche Taten eine "Freiheitsstrafe von 36 Monaten" verhängt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. (Das sind 4 (!) meist gravierende Fehler in einem Satz.)
Es gibt Referendare, deren Entwürfe decken (ggf. nach Nachfrage) alle relevanten Punkte ab; andere beschränken sich (wenn es gut läuft) auf das Nötigste, und wieder andere sehen Punkte, die der Ausbilder selbst nicht gesehen hat. Die meisten Referendare können ihre Entwürfe auf Nachfrage erklären oder man kann mit ihnen Rechtsfragen (mit Gewinn) diskutieren; manche aber können selbst nicht erklären, warum sie nun das geschrieben haben, was sie geschrieben haben. Manche kennen die (jüngere) Rechtsentwicklung und verfolgen bevorstehende und diskutierte Änderungen, haben vielleicht gar eine rechtspolitische Meinung; andere kennen nicht einmal das Gesetz. Manche verfassen ihre Entwürfe in geschliffener und prägnanter Sprache, bei anderen fehlt immer das eine oder das andere, und der unbeholfene Stil kann manchmal geradezu schmerzhaft sein.
Kurz und gut: es gibt Referendare, die sind am Ende der Station auch nicht schlechter als der typische Berufsanfänger und könnten im Prinzip morgen anfangen, und es gibt Referendare, die trotz aller Mühe am Ende immer noch nur unbrauchbaren Ausschuss produzieren: materiellrechtlich, prozessrechtlich, in der praktisch-organisatiorischen Handhabung und sprachlich. Da gibt es ein ganz breites Feld (wobei die meisten recht gut, aber nicht überragend sind - gutes, oft oberes Mittelfeld, aber es gibt Abweichungen nach unten und nach oben) und dementsprechend eine ganze Menge zu bewerten.
Ara hat geschrieben:Von daher bin ich auch fest überzeugt: Ich hab meine guten Stationsnoten nicht durch fachliche Fähigkeiten bekommen, sondern durch meine bezaubernde sympathische und liebenswürdige Art und Weise! :P
Gibt es bei euch keine Zeugnisse, die im verbalen Teil getrennt auf die verschiedenen Bereiche eingehen?
Und dessen ungeachtet: die Wichtigkeit von "soft skills" sollte man nicht unterschätzen.