Ara hat geschrieben:thh hat geschrieben:Schließlich darf man nicht übersehen, dass die Einteilung strafbarer Handlungen in verschiedene Tatbestände mit jeweils unterschiedlichen Strafrahmen zu einer gewissen Pauschalisierung führt, die nicht immer dem Einzelfall gerecht wird. So kann dasselbe Geschehen je nach den Umständen des Einzelfalls verschiedene Straftatbestände mit sehr unterschiedlichen Strafdrohungen erfüllen. Bedroht A die B mit einem Messer, um sich ihr Mobiltelefon anzueignen, das er verkaufen möchte, begeht er eine besonders schwere räuberische Erpressung (5-15 Jahre). Will er das Mobiltelefon aber nur mitnehmen, um zu Hause in Ruhe den WhatsApp-Verlauf durchzuschauen oder um die B dazu zu zwingen, zu ihm zurückzukehren, fehlt es ihm an der Zueignungs- bzw. Bereicherungsabsicht, so dass es bei einer bloßen Nötigung bleibt, deren Strafrahmen selbst im besonders schweren Fall dort endet, wo der andere Strafrahmen gerade erst beginnt. Dennoch kann man durchaus vertreten, dass der Unrechtsgehalt aller Tatmodalitäten identisch ist; wäre ich die B, fände ich es sogar sehr viel schlimmer, wenn jemand meine Fotos und meine Kommunikation durchsehen möchte als wenn er das Handy "nur" klaut und vertickt.
Also dein Beispiel mit dem Handy halte ich schlicht für nicht vertretbar und könnte man so auch nicht revisionsfest in ein Urteil schreiben.
Hm? Es ging mir nicht darum, für beides eine vergleichbare Strafe zuzumessen; das gibt die Rechtslage nicht her. Es ist aber ein Beispiel dafür, dass diese Rechtslage den tatsächlichen Unrechtsgehalt der Taten schlicht nicht erfasst und daher ein "falsches" Ergebnis herauskommt. Man kann durchaus das gewaltsame Ansichbringen des Handys zum Zweck der Durchsicht der darauf gespeicherten Daten für "schlimmer" halten als die Wegnahme zum Verkauf; ja, für diese Bewertung spricht gerade unter dem Gesichtspunkt der betroffenen Rechtsgüter vieles. Jedenfalls ist es kaum vermittelbar, dass ersteres sich bestenfalls im Bereich der mittleren Kriminalität abspielt, letzteres hingegen im Bereich der Schwerkriminalität.
Und freilich wird das bedeuten, dass man im ersteren Fall eher im oberen Bereich des Strafrahmens herauskommen wird und im letzteren Fall eher im unteren.
Ara hat geschrieben:Der Unrechtsgehalt kann hier nie identisch sein
Warum nicht? Wieso ist der Unrechtsgehalt geringer, wenn die Gewaltanwendung nur von einer ... ich möchte einmal sagen "Wegnahmeabsicht", aber keiner Zueignungs- bzw. Bereicherungsabsicht getragen ist? Für den Angriff auf Gewahrsam und Eigentum (und Handlungsfreiheit) macht das keinen wesentlichen Unterschied; für die besondere Gefahrenlage (des Einsatzes einer Waffe bei der Wegnahme), die den Gesetzgeber zu dem exorbitanten Strafrahmen bewogen hat, gibt es gar keinen Unterschied. Die Gefahr, dass der eifersüchtige Ex das Messer nicht nur zeigt, sondern auch anwendet, ist sogar aller Voraussicht nach höher als bei dem Räuber, der nur ein Handy verticken will.
In dieser - besonderen - Konstellation passen schlicht die Strafrahmen nicht zur Tat (und man kann jetzt mit Fug und Recht darüber streiten, ob er eine zu niedrig oder der andere zu hoch ist).
Ara hat geschrieben:Ausgangsfall: T schlägt O mit einem Baseballschläger zusammen, weil O wütend auf T ist, anschließend nimmt er ihm das Geld ab.
Variante 1: T handelt von Anfang an auch, um an das Geld zu gelangen -> Schwerer Raub 3-15 Jahre
Variante 2: T handelt zuerst nur aus Wut und findet anschließend, dass das Geld auch noch weggenommen werden soll -> Gefährliche KV + Diebstahl (wohl noch irgendwie in TE möglich) da hätten wir dann 3 Monate bis 5 Jahre.
Ich mag einräumen, dass es für O eigentlich keinen Unterschied macht im Ergebnis, aber wir sind uns doch hoffentlich einig, dass hier ein Richter nicht die gleiche Strafe ausurteilen darf.
Freilich - aber ist dieses Ergebnis richtig? Nachvollziehbar? Befriedigend? - Wohl kaum.
Ara hat geschrieben:Das Ergebnis ist im Endeffekt auch richtig, denn die Unter- und Obergrenze eines Strafrahmens sind nach dem Willen des Gesetzgebers für die leicht- und schwerstdenkbarsten Taten vorgesehen.
Das allerdings ist pure Theorie - in jede Richtung.
Der "durchschnittliche" "einfache" Räuber wird als Ersttäter kaum jeweils weit über der Mindeststrafe geahndet werden, auch wenn der Strafrahmen von 1-15 Jahren geht; und die Qualifikationen mit hohen Mindeststrafen sind durch ein häufiges "Ausweichen" in die minderschweren Fälle gekennzeichnet. Andererseits wird sich die Ahndung - bspw. - beim Besitz kinderpornographischer Schriften regelmäßig eher im oberen Bereich des Strafrahmens bewegen.
Ara hat geschrieben:Das heißt der Gesetzgeber hat damit sehr wohl zum Beispiel bei § 201a StGB ausdrücken wollen, dass mit einer zweijährigen Freiheitsstrafe auch im schwersten denkbaren Fall immer noch weniger schwer wiegt, als der am leichtesten denkbare Totschlag.
Alles andere wäre ja auch skurril.
Aber ist der Gesetzgeber auch der Meinung, der durchschnittliche Räuber, der mit einem Messer oder von mir aus gar einer geladenen Schusswaffe droht, oder der Dealer, der eine solche Schusswaffe daheim neben 5 kg Heroin liegen hat, begehe genauso schweres Unrecht wie jemand, der einen anderen Menschen absichtlich tötet? - Ich zweifele. Eine solche Wertung wäre dann doch auch eher schwer zu erklären.
Ara hat geschrieben:Solange der Gesetzgeber aber an den Strafrahmen festhält, wird man danach handeln müssen.
Ich bin da im Grundsatz ganz bei Dir - die richterliche Praxis aber nicht: als zu hoch empfundene Strafrahmen, besonders bei Qualifikationen, führen zu einem schlichten Befolgungsdefizit. Irgendwie lässt sich der minder schwere Fall immer begründen ---
Es ist ja auch kein Zufall, dass sich die Diskussion insbesondere bei der Reform der Tötungsdelikte vor allem um die Abschaffung der zwingend angeordneten lebenslangen Freiheitsstrafe beim Mord dreht.
Ara hat geschrieben:Es ist übrigens so doch auch in der Praxis täglich in der Anwendung zu erkennen... Nimmt der Dieb n gefährliches Werkzeug mit, was er irgendwo in seiner Tasche vergessen hat, dann kriegt er gleich mal n paar Jährchen mehr. Auch in anderen Punkten hängt es doch schlicht von einigen kleinen Zufällen ab, in was für einem Strafrahmen ich am Ende bin.
Kein Widerspruch - im großen und ganzen passt es aber.
Dennoch gibt es genug skurrile Kombinationen, dass man sich nicht einfach auf "die Schwere des Unrechts lässt sich aus dem Strafrahmen erkennen" zurückziehen kann. Es gibt einige echte Sauereien, die mit allenfalls geringer Strafe bedroht - oder gar strafrechtlich gar nicht zu fassen - sind und andererseits Bagatellen, die formal Schwerkriminalität darstellen. Das lässt sich alles im Rahmen der Strafzumessung (weitgehend) "reparieren", auch wenn Unterschiede und Wertungswidersprüche bleiben, aber es falsifiziert eben doch die Annahme, die Bewertung der Tat lasse sich allein (!) aus dem Strafrahmen ableiten.