Mr_Black hat geschrieben:
Im Zivilprozess muss der Zeuge seine protokollierte Aussage so genehmigen. Wenn er sagt, das Auto war rot und der Urkundsbeamte (bzw. der diktierende Richter) versteht und vermerkt blau, dann fällt das auf.
Ich bestreite das in dieser Pauschalität. Die meisten Zeugen sind bei einem ganz normalen Zivilprozess zum ersten Mal vor Gericht. Meist läuft es doch so ab, dass der Richter das Band nochmal vorspielt und die Zeugen das schlicht abnicken. Da sagt niemand, dass man beim zweiten Satz falsch verstanden wurde.
Der Zeuge ist ja nicht dort, weil er nichts besseres zu tun hat, sondern weil eine - hoffentlich anwaltlich vertretene - beweisbelastete Partei ihn benannt hat. Da ist es natürlich auch die Aufgabe des Anwaltes darauf zu achten, was der Zeuge sagt und was dann in das Protokoll diktiert wird und im Zweifel zu sagen: "Moment, das habe ich gerade anders verstanden" und dann direkt durch nochmalige Nachfrage beim Zeugen Klarheit in die Sache zu bringen.
Ich hatte neulich einen Fall wo nach der Vernehmung des Zeugen plötzlich der Richter wechselte und dann maßgeblich das vom vorherigen Richter verfasste schriftliche Protokoll der Zeugenaussage war.
Es ist glaube ich keine neue Erkenntnis, dass sich jedem Zivilrechtler die Fußnägel hochrollen, wenn er einen Straßprozess miterlebt ... von "Prozessordnung" kann man jedenfalls bei der gelebten StPO nur bedingt sprechen.
Man vernimmt schon auch - wenn auch selten - nur schwer bis unmöglich zu erklärende Diskrepanzen in der Darstellung von auch zentralen Bestandteilen einer Hauptverhandlung/Zeugenaussagen durch die Verfahrensbeteiligten im Urteil/Rechtsmittel. Die fehlende Protokollierung/ausbleibende Aufzeichnung der Verhandlung ist in unterschiedlicher Ausprägung ja auch schon seit Jahren einer der großen Kritikpunkte von Strafrechtlern und wurde zuletzt auch ausgiebig im Zusammenhang mit der nun unmittelbar bevorstehenden StPO-Reform diskutiert. Obwohl auch die eingesetzte Expertenkommission(Verwaister Link https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/Abschlussbericht_Reform_StPO_Kommission.pdf?__blob=publicationFile&v=2 automatisch entfernt) (S. 128 ff.) die Prüfung der Einführung einer audiovisuellen Aufzeichnung der Hauptverhandlung angeregt hatte und erste Ansätze zur Ausgestaltung (insbesondere auch im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Revision) unterbreitet hatte, hat sich letztlich nur die Pflicht zur Aufnahme von Vernehmungen bei Tötungsdelikten und besonders schutzbedürftigen Personen im Ermittlungsverfahren in § 136 Abs. 4 StPO n.F. durchsetzen können (ab 2020).
Der Angriff von - sei es nun bewusst oder unbewusst - falsch wiedergegebenen Inhalten der Hauptverhandlung im Strafurteil dürfte damit auch weiter mit zu den anspruchsvollsten Aufgaben eines Revisionsführers/Wiederaufnahmeverfahrensführers zählen, an dem sich auch erfahrene Strafverteidiger in der Regel die Zähne ausbeißen. Auch wenn die ein oder andere durchaus raffiniert begründete Revision zum Erfolg führt, wird dem Strafverteidiger in einem durchaus großen Anteil der Verfahren die Zeit/die Erfahrung/die Geduld/das Engagement/der Intellekt für diese oftmals komplexen Begründungen fehlen oder aber kein entsprechend groß dimensionierter Geldbeutel des Mandanten gegenüberstehen; mutmaßliche Kapitalverbrecher haben eben keine besonders große Lobby.
Mr_Black hat geschrieben:Im Zivilprozess muss der Zeuge seine protokollierte Aussage so genehmigen. Wenn er sagt, das Auto war rot und der Urkundsbeamte (bzw. der diktierende Richter) versteht und vermerkt blau, dann fällt das auf.
Ich bestreite das in dieser Pauschalität. Die meisten Zeugen sind bei einem ganz normalen Zivilprozess zum ersten Mal vor Gericht. Meist läuft es doch so ab, dass der Richter das Band nochmal vorspielt und die Zeugen das schlicht abnicken.
Ist nicht auch die Variante des "Diktat mitgehört, auf erneutes Vorspielen verzichtet" durchaus verbreitet?
Deutsches Bundesrecht? https://www.buzer.de/ - tagesaktuell, samt Änderungsgesetzen und Synopsen
Gesetze mit Rechtsprechungsnachweisen und Querverweisen? https://dejure.org/ - pers. Merkliste u. Suchverlauf
thh hat geschrieben:Ist nicht auch die Variante des "Diktat mitgehört, auf erneutes Vorspielen verzichtet" durchaus verbreitet?
Ist es - und es entspricht § 162 II ZPO.
Mit der Möglichkeit, dass nicht nur der Zeuge selbst, sondern auch jeder andere Beteiligte widersprechen kann. Die Kombination aus "missverstehendem Richter" und "gleichgültigem Zeugen" führt also nicht automatisch zu einem falschen Protokoll, wenn die Prozessparteien aufpassen.
Und selbst wenn das Gericht auch auf Hinweis der Parteivertreter weiter falsch protokolliert, können diese im Zivilverfahren ggf. ihr eigenes Verständnis als Protokollerklärung zur Akte reichen. Wenn ich nicht mal weiß, wo das Verständnis des Gerichts abweicht und worauf es ankommt, weil gar nichts protokolliert wird, ist das schon deutlich schwieriger ...
Es gibt aber im begründeten Fällen auch vor dem Landgericht die Möglichkeit ein Wortprotokoll von bestimmten Aussagen zu verlangen -> § 273 Abs. 3 StPO
Der Trick dabei ist, den protokollierten Teil der Aussage in den eigenen Antrag packen, der wird nämlich selbst bei Ablehnung des Wortprotokolls ins Protokoll geschrieben.
Das soll hier nicht verschwiegen werden.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Ara hat geschrieben:Es gibt aber im begründeten Fällen auch vor dem Landgericht die Möglichkeit ein Wortprotokoll von bestimmten Aussagen zu verlangen -> § 273 Abs. 3 StPO
Nur wenn es auf den Wortlaut ankommt, und wann kommt es das schon?
Ara hat geschrieben:Der Trick dabei ist, den protokollierten Teil der Aussage in den eigenen Antrag packen, der wird nämlich selbst bei Ablehnung des Wortprotokolls ins Protokoll geschrieben.
Dann hat man aber auch nur die eigene Behauptung über den Wortlaut protokolliert. Das ist nur mittelmäßig hilfreich.
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Es ist besser als nichts... Ist ja nicht so, als hätte die Verteidigung irgendwelche besseren Optionen
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Das SZ-Magazin dokumentiert wieder sehr ausführlich den Gang der Hauptverhandlung im zurückliegenden Jahr. Dem ist bspw. zu entnehmen, dass der Verteidiger des Angeklagten Wohlleben am 340. Hauptverhandlungstag allen Ernstes beantragt hat, Sachverständigenbeweis über den "drohenden Volkstod des deutschen Volkes" zu erheben. Das war nicht die einzige Ausfallerscheinung des Herrn Verteidigers. Der Senat ist dem Antrag bekanntlich nicht nachgegangen.
Von Klemke habe ich damals das Buch "Einführung in die Praxis der Strafverteidigung" mit Interesse gelesen. Schon krass.
»Ich kenne den Schmerz, den ich hatte, weil ich zweimal die Vorhaut mit dem Reißverschluss mitgenommen habe, so dass dieser - also Reißverschluss - einmal in einer Klinik entfernt werden musste.« - Chefreferendar
batman hat geschrieben:Es wird darüber hinaus deutlich, dass die Angeklagte Zschäpe durch das Trio Heer/Stahl/Sturm anfänglich desaströs verteidigt worden ist.
Weil?
"Ich sage nicht, dass man sich hier zu siezen hätte oder ähnlichen Quatsch. Bei einem Forum von Juristen für Juristen ist meine Erwartungshaltung aber trotzdem nochmal eine andere als bei der Kneipe um die Ecke."OJ1988
batman hat geschrieben:Es wird darüber hinaus deutlich, dass die Angeklagte Zschäpe durch das Trio Heer/Stahl/Sturm anfänglich desaströs verteidigt worden ist.