thh hat geschrieben:Ant-Man hat geschrieben:Tibor hat geschrieben:Dann ist der Fehler aber, dass man bestimmte Stellen mit Beamten besetzt (Lehrer), nicht das Streikverbot für Beamte.
Der Fehler liegt aus meiner Sicht in der Begründung des Beamtenstreikverbots. Das Beamtenstreikverbot wurde vom BVerfG nie nennenswert begründet. Es wurde mal in den 50er-Jahren in einem obiter dictum geäußert und von diesem Zeitpunkt an wurde es dann ohne hinterfragt zu werden von Literatur und Rechtsprechung übernommen.
Tibor hat geschrieben:Ich fände es nicht nachvollziehbar, wenn Polizeibeamte streiken dürfen.
Das wird auch von keinem gefordert
Das verstehe ich jetzt nicht.
Gibt es jetzt Gründe dafür, dass Beamte nicht streiken dürfen oder nicht? Wenn ja, warum gelten diese Gründe nur für manche Beamte, aber nicht für andere, und wie lässt sich eine solche Unterscheidung mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums vereinbaren?
(Und warum dürfen Feuerwehrbeamten nicht streiken, die (Feuerwehr-)Angestellten im Rettungsdienst und die Angestellten in den Krankenhäusern aber schon?)
Es gibt gute Gründe, warum manche Beamte streiken dürfen sollen, andere jedoch nicht. Man muss aber etwas weiter ausholen, um das Ganze im Detail nachvollziehen zu können. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet nämlich entgegen dem ersten Anschein gar nicht das Beamtenstreikverbot (welches auf Art. 33 IV oder V GG beruht), sondern die (individuelle) Koalitionsfreiheit nach Art. 9 III 1 GG. Ihr persönlicher Schutzbereich git unstrittig auch für Beamte. Ihr sachlicher Schutzbereich umfasst die Teilnahme an den geschützten Tätigkeiten der Koalition (und damit auch Arbeitskampfmaßnahmen). Wenn Beamten Arbeitskampfmaßnahmen verwehrt werden, dann sind doch die naheliegensten Fragen, auf welcher Grundlage ein solches Verbot abgeleitet wird und wie dieses Verbot das (nach herrschender Ansicht) vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht der Koalitionsfreiheit einschränken kann. Nach Ansicht des BVerwG bedarf es hierzu gar keiner einfach-gesetzlichen Grundlage. Das ist deswegen bemerkenswert, weil es erstens eine Durchbrechung des Vorbehalts des Gesetzes darstellt und zweitens nach Ansicht des BVerfG der zwangsweise angeordnete Einsatz von Beamten auf bestreikten Arbeitnehmerarbeitsplätzen einer einfach-gesetzlichen Grundlage bedarf, weswegen es wenig einleuchtet, warum das eingriffsintensivere Beamtenstreikverbot einer solchen einfach-gesetzlichen Grundlage nicht bedarf.
Im Rahmen des sachlichen Schutzbereichs stellt sich zunächst die Frage, ob dieser den Beamtenstreik umfasst. Eine Arbeitskampfmaßnahme darf nach bisher herrschender Auffassung nur geführt werden zur Durchsetzung tariflich regelbarer Ziele. Die Besoldung von Beamten wird aber gerade nicht durch Tarifvertrag geregelt, sondern erfolgt durch Gesetz (§ 2 BBesG, was seine verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 33 V GG hat). Nach diesem Berfund müsste man eigentlich zum Ergebnis gelangen, dass das Beamtenstreikverbot mit der Koalitionsfreiheit gar nicht kolldieren kann, weil bereits ihr sachlicher Anwendungsbereich nicht eröffnet ist. Man kommt nur dann weiter, wenn man das Erfordernis des tariflich regelbaren Ziels aufgibt (wozu das BAG immer mehr neigt, wie beispielsweose BAG, Urteil vom 19. 6. 2007 – 1 AZR 396/06 zeigt). Wenn man nun dem BVerwG folgt und eine Beschränkung der Koalitionsfreiheit durch Art. 33 V ohne gesetzliche Grundlage befürwortet, dann stellt sich doch bereits hier die Frage, ob das nicht eine (grundrechtsimmamente oder verfassungsimmanente) Schutzbereichsbeschränkung darstellt und wenn ja, warum dem so sein sollte. Wertet man die Literatur aus, dann wird man schnell feststellen, dass niemand dazu konkret Stellung bezieht, sondern statt dessen das Beamtenstreikverbot im Rahmen der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 9 III 1 GG behandeln als "kollidierendes Verfassungsrecht". Im Rahmen der Rechtfertigung stellt sich dann wiederum die Frage, ob es sich beim Beamtenstreikverbot um eine verfassungsunmittelbare Schranke (eher nicht) oder verfassungsimmanente Schranke handelt, und wenn ja, warum. Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte wie die Koalitionsfreiheit (s.o.) können nur durch kollidierendes Verfassungsrecht, d.h. durch mit Verfassungrang ausgestatteten Rechte und Rechtsgüter eingeschränkt werden, die ihren Ausdruck in einer einfach-gesetzlichen Regelung, die zugleich verhältnismäßig sein muss, gefunden haben müssen. Eine einfach-gesetzliche Grundlage fehlt und aufgrund der Wesentlichkeitstheorie hat der Gesetzgeber die Pflicht in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. Das Streikrecht ist das Kernelement der Koalitionsfreiheit. Wenn hier keine einfach-gesetzliche Grundlage verlangt wird, wann dann? Schon allein aus dem vorgenannten Grund müsste man mangels der einfach-gesetzlichen Grundlage zum Ergebnis kommen, dass ein absolutes Beamtenstreikverbot gegenwärtig nicht haltbar ist.
Aber selbst wenn man eine einfach-geseztliche Grundlage unterstellt, wo ist denn die Verhältnismäßigkeit in Form der praktischen Konkordanz? Praktische Konkordanz bedeutet doch, dass kollidierende Verfassungsgüter einander so zugeordnet werden, dass jedes von ihnen Wirklichkeit gewinnt. Das vorbehaltslos gewährleistete Grundrecht darf grundsätzlich nicht gänzlich verdrängt werden, sondern es muss ein schonender Ausgleich zwischen den kollidierenden Verfassunsgütern erfolgen. Lediglich dann, wenn sich der Konflikt zwischen den Verfassungsgütern nicht anders auflösen lässt, kann das vorbehaltslos gewährleistete Grundrechte gänzlich verdrägt werden. Die Frage der praktische Konkordanz kann aber nicht durch eine statusbezogene Beurteilung des Beamtenstreikverbots erfolgen. Das Beamtenstreikverbot rechtfertigt sich zwar aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, allerdings gilt das nicht für ein generelles Beamtenstreikverbot, wie ich bereits oben hingewiesen habe. Man muss nach der Funktion des Beamten unterscheiden. Wenn man hoheitlich-tätigen Beamten ein Streikrecht gewähren würde, würde das Berufsbeamtentum seine innere Berechtigung verlieren (weil das Ziel des Berufsbeamtentums ja darin gesehen wird, dass die Verwaltung vor dem Hintergrund wechselnder politischer Machtverhältnisse neutral bleiben und die Verfassung schützen muss und dadurch rechtsstaatliche Bindung staatlichen Handelns gewährleistet). Bei nicht-hoheitlich tätigen Beamten liegen die Dinge aber gerade anders, weil Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes oftmals die gleiche Tätigkeit ausüben. Es kann also keinen Unterschied machen, ob ein Angestellter oder ein Beamter streikt. Dafür spricht auch, dass nach Ansicht des BVerfG durch Art. 33 V GG nur solche Grundrechtsbeschränkungen zulässig sind, welche durch Sinn und Zweck des konkreten Dienst- Treueverhältnisses des Beamten gefordert werden.
Ignoriert man die vorgenannten Ausführungen und pocht weiterhin auf ein absolutes Beamtenstreikverbot, muss man sich letztlich mit der Rechtsprechung des EGMR auseinandersetzen im Rahmen der Prüfung einer möglichen völkerrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts. Der EGMR sagt, dass Art. 11 I EMRK sowohl ein Recht auf Kollektivverhandlungen als auch ein Recht auf Streik gewährt. Gerechtfertigt kann der Eingriff aber durch Art. 11 II 1 EMRK und Art. 11 II 2 EMRK (die u.a. für Angehörige der Streitkräfte und der Polizei gelten). Selbst wenn man also für ein Streikrecht der Beamte plädiert, kann für bestimmte Bereiche sehr wohl eine Ausnahme gemacht werden (was sich aber bereits aus dem nationalen Recht ableiten lässt, weil ein funktionsbezoges Streikverbot notwendig ist; s.o.).Entscheidend ist jedoch nach dem EGMR, dass allein ein funktionsbezogenes Streikverbot mit Art. 11 EMRK vereinbar ist. Dieses Verständnis legt auch das BVerwG in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2014 zugrunde und gelangt somit zur Konventionswidrigkeit des generellen Beamtenstreikverbots. Man kann sich lange darüber streiten, ob eine völkerrechtskonforme Auslegung des Grundgesetzes möglich ist oder nicht. Was aber nicht geht ist, dass man - wie das BVerwG - das Beamtenstreikverbot einerseits als eigenständigen hergebrachten Grundsatz des Berufsbeamtentums ansieht
und zugleich darauf hinweist, dass es Sache des Bundesgesetzgebers sei, ob und wie er die Konventionswidrigkeit des nationalen Rechts beseitige. Die Fortentwicklungsklausel des Art. 33 V GG bezieht sich lediglich auf das einfach-gesetzliche Beamtenrecht, nicht aber auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums an sich. Der Bundesgesetzgeber unterliegt also den gleichen Bindungen wie das Bundesverwaltungsgericht, weswegen der Appell an den Bundesgesetzgeber widersprüchlich ist.