Demokratiedefizit von EU-Parlament und Bundesrat?

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Tibor
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Re: Die Anti-Euro-Partei und ihre Späße

Beitrag von Tibor »

Herr Anwalt hat geschrieben:Das Prinzip der degressiven Proportionalität widerspricht der demokratischen Grundregel, nach der grundsätzlich jede Wählerstimme das gleiche Gewicht haben soll.
Grundsätzlich können eigentlich weder der Bundesrat noch das EU-Parlament ein demokratisches Repräsentations- und Entscheidungsorgan eines souveränen Volkes sein, da die Gleichheit aller Staatsbürger bei der Ausübung des Wahlrechts eine der wesentlichen Grundlagen einer freiheitlich-demokratischen Staatsordnung darstellt.
Nochmals, der Bundesrat ist keine zweite Kammer/Senat eines "Bundesparlaments".

Der Bundesrat ist ein Verfassungsorgan des Bundes. Diese kollegiale Organ "besteht" aus Mitgliedern der Landesregierungen (Art. 51 Abs. 1 GG) und es wird nicht "aus den Ländern gebildet". Die Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes gem Art. 50 GG wird aber kraft der Entscheidung des GG nur durch die Mitglieder der Landesregierungen vermittelt. Denn das GG hat das vor allem auf dem Gedanken der Repräsentanz des Landesstaatsvolks beruhende Senatsprinzip gerade nicht verwirklicht, sondern sich für das Bundesratsprinzip entschieden, dh für eine Vertretung der Landesregierungen in diesem föderativen Bundesorgan (BVerfGE 8, 104).
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famulus
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Re: Die Anti-Euro-Partei und ihre Späße

Beitrag von famulus »

Das ist jetzt peinlich.
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Herr Anwalt
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Re: Die Anti-Euro-Partei und ihre Späße

Beitrag von Herr Anwalt »

Niemand behauptet, dass der Bundesrat eine zweite Kammer oder ein Senat eines Bundesparlaments ist.
Deshalb ist die - zutreffende, aber an dieser Stelle unverständliche - Einordnung redundant.

Wirkt der Bundesrat an der Gesetzgebung bei Zustimmungsgesetzen mit? Ja.
Ist er damit ein Entscheidungsorgan? Ja.
Sollte ein Entscheidungsorgan demokratisch legitimiert sein?
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Ara
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Re: Die Anti-Euro-Partei und ihre Späße

Beitrag von Ara »

Herr Anwalt hat geschrieben:Er übertreibt nicht nur, er macht sich auch gerade über das Bundesverfassungsgericht a.D. in persona Voßkuhle, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau lustig.
Weil ich lediglich das Urteil des Zweiten Senats vom 30. Juni 2009 zitiert habe.
Lediglich das Wort Bundesrat habe ich hinzugefügt.
Das ist gelogen. Die Stelle lautet im Urteil: "Für eine freiheitlich-demokratische staatliche Grundordnung, wie das Grundgesetz sie geschaffen hat, ist die Gleichheit aller Staatsbürger bei der Ausübung des Wahlrechts eine der wesentlichen Grundlagen der Staatsordnung" (Rn. 282).

Da du tatsächlich "freiheitlich-demokratische staatliche Grundordnung, wie das Grundgesetz sie geschaffen hat" gegen "souveränes Volk" ausgetauscht hast, habe ich mit meiner Anspielung wohl genau ins Schwarze getroffen.

Das BVerfG verwendet im gesamten Urteil übrigens die Bezeichnung "souveränen Volkes" (aus gutem Grund) nicht. Für das BVerfG ist es nämlich selbstverständlich, dass das deutsche Volk souverän ist und es stand in der Entscheidung nicht zur Diskussion. Die Volkssouveränität der EU ist übrigens ein komplett anderes Thema, bevor du auf die schiefe Idee kommst.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Ara
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Re: Die Anti-Euro-Partei und ihre Späße

Beitrag von Ara »

Achso: Das ist jetzt peinlich!
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Gelöschter Nutzer

Re: Die Anti-Euro-Partei und ihre Späße

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Herr Anwalt hat geschrieben:Niemand behauptet, dass der Bundesrat eine zweite Kammer oder ein Senat eines Bundesparlaments ist.
Deshalb ist die - zutreffende, aber an dieser Stelle unverständliche - Einordnung redundant.

Wirkt der Bundesrat an der Gesetzgebung bei Zustimmungsgesetzen mit? Ja.
Ist er damit ein Entscheidungsorgan? Ja.
Sollte ein Entscheidungsorgan demokratisch legitimiert sein?
Kann man diese Logik aus deiner Sicht auch auf andere "Entscheidungsorgane" übertragen? Ich frage deshalb, weil Du oben noch von Repräsentations- und Entscheidungsorganen gesprochen hast und der Gedanke der Repräsentation deine Argumentation auf der letzten Seite maßgeblich geprägt hat. Falls dieses Merkmal jetzt nicht mehr erheblich für dich sein sollte: Die Bundesregierung und das Bundesverfassungsgericht (ggf. auch der Bundespräsident) dürften auch nach deinen Maßstäben "Entscheidungsorgane" sein - sind die aus deiner Sicht hinreichend demokratisch legitimiert?
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Tibor
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Re: Die Anti-Euro-Partei und ihre Späße

Beitrag von Tibor »

Herr Anwalt hat geschrieben:Niemand behauptet, dass der Bundesrat eine zweite Kammer oder ein Senat eines Bundesparlaments ist.
Doch, du stellst es auf die gleiche Stelle wie ein Parlament, denn du willst es ja wenigstens ähnlich demokratisch legitimiert wissen, wie bspw. den BT. Dies zeigt aber nur, dass du ersichtlich bei Staatsorga I damals nicht aufgepasst hast bzw. für das Examen auf Lücke gelernt hast. So wie der BR kein Parlament ist, ist der Bundespräsident kein König oder Regierungsorgan. Hier liegt m.E. ein kapitaler Verständnisfehler vor.

Hinsichtlich Europa habe ich zudem auf die fehlende Kompetenz-Kompetenz hingewiesen; auch innerhalb der EU gibt es nur "gesetzgeberische Aktivitäten", die die nationalen Gesetzgeber auf "die EU" "übergeleitet" haben. Demzufolge muss das Parlament auch nicht so demokratisch legitimiert sein, wie du es meinst. Ich gebe aber zu, dass man dies anders sehen kann. Deswegen habe ich zuletzt auch nur deine Ausführungen zum BR kritisiert.
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Herr Anwalt
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Re: Die Anti-Euro-Partei und ihre Späße

Beitrag von Herr Anwalt »

Quantensprung hat geschrieben: Kann man diese Logik aus deiner Sicht auch auf andere "Entscheidungsorgane" übertragen? Ich frage deshalb, weil Du oben noch von Repräsentations- und Entscheidungsorganen gesprochen hast und der Gedanke der Repräsentation deine Argumentation auf der letzten Seite maßgeblich geprägt hat. Falls dieses Merkmal jetzt nicht mehr erheblich für dich sein sollte: Die Bundesregierung und das Bundesverfassungsgericht (ggf. auch der Bundespräsident) dürften auch nach deinen Maßstäben "Entscheidungsorgane" sein - sind die aus deiner Sicht hinreichend demokratisch legitimiert?
Herr Anwalt hat geschrieben:Grundsätzlich können eigentlich weder der Bundesrat noch das EU-Parlament ein demokratisches Repräsentations- und Entscheidungsorgan eines souveränen Volkes sein, da die Gleichheit aller Staatsbürger bei der Ausübung des Wahlrechts eine der wesentlichen Grundlagen einer freiheitlich-demokratischen Staatsordnung darstellt.
Zu den Fragen:
Die Bundesregierung halte ich für demokratisch legitimiert.
Perfekt wird man es nicht hinkriegen im Sinne es One Man - One Vote.
Es ist unmöglich, allein weil sich in kurzer Zeit die Bevölkerung in bestimmten Gebieten ändert.

Den Bundesrat halte ich für antidemokratisch, da er m.E. weit von den Gleichheitsgrundsätzen abweicht.
Wenn ich Probleme mit dem Bundesrat habe, muss ich zwangsläufig auch Probleme mit der Wahl des Bundespräsidenten und des Bundesverfassungsgerichts haben.
Auch sie sind damit in meinen Augen antidemokratisch.

Natürlich will ich den Bundesrat demokratisch legitimiert wissen. Weil er ein Gesetzgebungsorgan ist. Zwar nicht einheitlich mit dem Bundestag. Aber eben maßgeblich an Zustimmungsgesetzen beteiligt ist. Das Volk wird durch Bundestag und Bundesrat vertreten. Diese Organe üben repräsentativ für das Volk die Staatsgewalt aus. Das Volk hat auf jeden Fall das Recht, diese Organe durch Wahlen und Abstimmungen zu leiten. Und deshalb ist es wichtig, dass dort einigermaßen Stimmgleichheit herrscht.

Wenn das in Staatsorga anders gepredigt werden - sollte - was ich so nicht glaube, dann ist es schlichtweg falsch. Niemand behauptet, dass der Bundesrat ein Parlament ist.
Es ist aber ein an der Gesetzgebung beteiligtes Organ und braucht daher eine Legitimation die nur aus dem Volk herrühren kann.

Das ist eine streng formale, am Demokratieprinzip ausgerichtete Betrachtung.
Denn es geht hier allein um die ursprüngliche Verwendung des Begriffs Demokratiedefizit.

Bin auch nich der einzige der so denkt:
Prof. Axel Tentscher. Hat'n Buch darüber geschrieben.
Seiten. 87,88, 105.


https://books.google.de/books?id=rtERCu ... on&f=false
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Tibor
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Re: Die Anti-Euro-Partei und ihre Späße

Beitrag von Tibor »

„aber bei streng formaler Betrachtung“ sagt mE alles.
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Gelöschter Nutzer

Re: Die Anti-Euro-Partei und ihre Späße

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Wenn ich Probleme mit dem Bundesrat habe, muss ich zwangsläufig auch Probleme mit der Wahl des Bundespräsidenten und des Bundesverfassungsgerichts haben.
Auch sie sind damit in meinen Augen antidemokratisch.
Ist "antidemokratisch" für dich da wirklich der passende Begriff? Ferner mal ganz direkt gefragt: Wie sehr siehst Du dich noch auf dem Boden der FDGO? Ich habe meine Zweifel, ob das, was Du dir für den Bundesrat und anscheinend auch für den Bundespräsident vorstellst, noch mit der Verfassungsidentität der Bundesrepublik (insbesondere im Hinblick auf die Merkmale Bundesstaat und Republik - das Demokratieprinzip ist ja nicht das einzige Staatsstrukturprinzip) kompatibel ist.
Das Volk hat auf jeden Fall das Recht, diese Organe durch Wahlen und Abstimmungen zu leiten. Und deshalb ist es wichtig, dass dort einigermaßen Stimmgleichheit herrscht.
Wo siehst Du, unter Zugrundelegung deiner streng formalisierten Perspektive, Abweichungsspielraum, ohne, dass Demokratiedefizite entstehen?
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