Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

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Jan_Niklas
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Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Beitrag von Jan_Niklas »

Ich hätte eine Frage zum Aufbau einer Verfassungsbeschwerde, irgendwie stehe ich hier gerade komplett auf dem Schlauch. Wenn der Beschwerdeführer einer Verfassungsbeschwerde sich durch die strafgerichtliche Verurteilung in seinen Grundrechten verletzt sieht (Verfassungsbeschwerde gegen Urteil) und gleichzeitig auch gegen die Strafnorm an sich wendet (Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz), wie ist dann der Aufbau im Gutachten zu gestalten?

Prüfe ich zwei verschiedene Verfassungsbeschwerden oder kann ich dies gemeinsam Prüfen?

Finde diesbezüglich leider auch nichts in den Lehrbüchern oder Studienkommentaren. Über einen Tipp, wäre ich wirklich dankbar.
Gelöschter Nutzer

Re: Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ich würde gemeinsam prüfen, mit entsprechenden Differenzierungen bei den Sachentscheidungsvoraussetzungen und einer Abstrahierung in der Begründetheit (da braucht man eigentlich nur die Ober- und Ergebnissätze etwas modifizieren und Überleitungssätze einbauen, und sonst ist es wie die Prüfung einer Urteilsverfassungsbeschwerde). Getrennte Prüfungen fände ich bei dem engen sachlichen Zusammenhang unpassend.
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Einwendungsduschgriff
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Re: Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Siehe zum Beispiel: BVerfGE 124, 300. Angezeigt ist regelmäßig eine Inzidentprüfung der Gesetzesvorschrift in der Urteilsverfassungsbeschwerde. Es handelt sich ndemnach icht zum zwei Beschwerdegegenstände. Hält das Bundesverfassungsgericht die angewendete Vorschrift für verfassungswidrig, so hebt sie selbige auf und damit auch die auf ihr beruhende gerichtliche Entscheidung.
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Schnitte
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Re: Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Beitrag von Schnitte »

Einwendungsduschgriff hat geschrieben:Siehe zum Beispiel: BVerfGE 124, 300. Angezeigt ist regelmäßig eine Inzidentprüfung der Gesetzesvorschrift in der Urteilsverfassungsbeschwerde. Es handelt sich ndemnach icht zum zwei Beschwerdegegenstände. Hält das Bundesverfassungsgericht die angewendete Vorschrift für verfassungswidrig, so hebt sie selbige auf und damit auch die auf ihr beruhende gerichtliche Entscheidung.
Das ist pragmatisch, hat den Charme der Einfachheit und geht in den meisten Fällen auch gut. Es birgt aber das Risiko, dass man damit das Szenario übersieht, bei dem die angewendete Gesetzesvorschrift verfassungsgemäß ist, ihre Anwendung im Einzelfall aber verfassungswidrig ("as-applied challenge"). Das kommt nicht oft vor, kann aber vorkommen - Beispiel: BVerfGE 16, 194 ("Liquorentnahme" - dort mit einer strafprozessualen statt materiell-strafrechtlichen Vorschrift).
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Re: Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Schnitte hat geschrieben:Es birgt aber das Risiko, dass man damit das Szenario übersieht, bei dem die angewendete Gesetzesvorschrift verfassungsgemäß ist, ihre Anwendung im Einzelfall aber verfassungswidrig
Nein, wieso?
Das kommt nicht oft vor, kann aber vorkommen - Beispiel: BVerfGE 16, 194 ("Liquorentnahme" - dort mit einer strafprozessualen statt materiell-strafrechtlichen Vorschrift).
Das ist der Regelfall der begründeten Verfassungsbeschwerde: Gesetz verfassungsmäßig, Anwendung im Einzelfall verfassungswidrig.
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Re: Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Beitrag von Schnitte »

Einwendungsduschgriff hat geschrieben:
Schnitte hat geschrieben:Es birgt aber das Risiko, dass man damit das Szenario übersieht, bei dem die angewendete Gesetzesvorschrift verfassungsgemäß ist, ihre Anwendung im Einzelfall aber verfassungswidrig
Nein, wieso?
Ich meinte damit nicht, dass der Aufbau falsch ist, sondern dass der Aufbau das Risiko mit sich bringt, gedanklich eine der beiden Prüfungen zu vergessen. Man muss beides prüfen, Gesetz und Anwendung im Einzelfall. Es spricht nichts gegen die Inzidentprüfung des Gesetzes im Rahmen der Vb gegen das Urteil (mit dem Urteil als Beschwerdegegenstand), solange man sie halt auch wirklich macht.
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Re: Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Ich wüsste ehrlich gesagt nicht, wie man es anders aufbauen sollte ohne den Boden des BVerfGG zu verlassen. Man kann sich sicherlich darüber streiten, ob die inzidente Prüfung bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde nun eine Beschwerdegegenstandshäufung ist oder es bei einem Beschwerdegegenstand bleibt. Meines Erachtens spricht § 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG für die Lösung des einen Beschwerdegegenstandes. Logische Folge hieraus: Zulässigkeits- und Begründetheitsprüfung sind auf diesen einen Beschwerdegegenstand zugeschnitten.
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Schnitte
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Re: Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Beitrag von Schnitte »

Hast mich überzeugt. Eine Prüfung von zwei Beschwedegegenständen (Gesetz plus Urteil) sollte man vermeiden und nur das Urteil als Beschwerdegegenstand prüfen, mitsamt Inzidentprüfung des Gesetzes.
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Re: Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Beitrag von Einwendungsduschgriff »

Man würde sich sonst auch - weitergedacht - dem Problem aussetzen, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer isolierten Gesetzesverfassungsbeschwerde sodann Anwendung finden würden. Ich denke zum Beispiel nur an die Frist (§ 93 BVerfGG), wo man im regelhaften Prüfungsfall sodann zu einer Verfristung kommen würde.
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Re: Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Beitrag von arlovski »

wie prüft man das denn dann im gutachten, also wenn ein einzelakt angegriffen wird der auf einem verfassungswidrigen gesetz beruht?

ich kannte es bislang eigentlich regelmäßig so, bin aber wahrlich kein grundrechte-profi

iRd rechtfertigung des eingriffs => beschränkbarkeit + grds taugliche schranke (idR parlamentsgesetz und ggf spezielle schrankenforderungen) (+), aber wahrung der schranken-schranken durch das gesetz?

1) formelle verfassungsmäßigkeit

2) materielle verfassungsmäßigkeit

-- art. 19 (einzelfall, zitiergebot, wesensgehalt [was auch immer man zum wesensgehalt in der klausur außer bei art. 2 II gg sagen kann...])
-- bestimmtheit
-- VHMK des gesetzes => die §§ müssten einen legitimen zweck verfolgen usw.

und im anschluss ggf. verfassungsmäßigkeit / VHMK des einzelakts.


zumindest in der RÜ zur BVerfG-entscheidung 1 BvR 2019/16 ("das dritte geschlecht") wird es aber so dargestellt:

innerhalb der prüfung einer verletzung des APR durch den einzelakt in gestalt der letztinstanzlichen gerichtsentscheidung: wahrung der schranken-schranken nur, wenn das zugrundeliegende gesetz selbst verfassungsgemäß ist

1) formell (+)

2) materiell?

a) die §§ könnten das APR aus art. 2 I iVm art. 1 I GG verletzen

=> prüfung ob die §§ in den schutzbereich des APR eingreifen
=> der eingriff könnte aber gerechtfertigt sein, wenn er insb verhältnismäßig ist
=> (-) mangels legitimen zwecks

b) die §§ können auch art. 3 III 1 verletzen

=> ungleichbehandlung
=> keine rechtfertigung

damit sind die §§ verfassungswidrig, die angegriffenen urteile beruhen auf verfassungswidrigen regelungen und sind daher keine verfassungsgemäße konkretisierung der schranke des art. 2 I GG.


d.h. hier wird inzident nochmal eine ganze grundrechtsprüfung vorgenommen, insb. auch hinsichtlich des APR, was ich ja grds schon iRd einzelaktes prüfe.

ich bin verwirrt :-k
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Re: Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Beitrag von Tobias__21 »

Kannst Du die Frage spezifizieren, wo genau das Problem liegt? Ich habe die RÜ gerade vor mir liegen.

Da wird geprüft ob die Entscheidung des Gerichts auf verfassungsgemäßen gesetzlichen Regelungen beruht. Dann prüfen die die §§ des PStG auf die formelle und materielle Verfassungsmäßigkeit. Die bauen das ganz klassisch auf.
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Re: Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Beitrag von arlovski »

ich prüfe ja ob das gesetz, auf dem der angegriffene einzelakt beruht, selbst verfassungsgemäß ist.

muss ich im rahmen dieser prüfung inzident nochmal einen eingriff in den schutzbereich durch dieses gesetz in das grundrecht prüfen, welches auch der einzelakt verletzt?

in der RÜ-lösung hast du ja innerhalb der prüfung der materiellen verfassungsmäßigkeit des gesetzes (das den gesetzesvorbehalt erfüllen soll) nochmal den punkt => 1) greift es in den schutzbereich des APR ein? 2) ist dieser eingriff gerechtfertigt (also eine art inzidente rechtfertigungsprüfung innerhalb der größeren rechtfertigungsprüfung).


ich kenne es dagegen eher so: die §§ sind bestimmt, erfüllen das zitiergebot usw. die §§ dürfen auch nicht unverhältnismäßig die rechte der intersexuellen verkürzen => legitimer zweck usw


das ich bei einem anderen grundrecht (hier art. 3) nochmal eine umfängliche inzidentprüfung machen muss macht dagegen natürlich sinn.
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Re: Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Beitrag von Tobias__21 »

Natürlich musst Du prüfen ob ein Gesetz in ein Grundrecht eingreift. Bsp: Polizeirechtliche Standardmaßnahmen. Da greifen die EGLen selbstverständlich in Grundrechte ein, nicht nur der Einzelakt, der dann in Vollzug der EGL erfolgt.
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Re: Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Beitrag von arlovski »

natürlich muss man das prüfen, es geht mir nur darum wie

beispielhaft die musterlösung aus dem unirep, wenn es um die VB gegen einen einzelakt, der in art. 14 GG eingreift, geht:

=> Wahrung der Schranken-Schranken durch das Gesetz

Eine zulässige gesetzliche Beschränkung der Eigentumsfreiheit liegt nur dann vor, wenn das beschränkende Gesetz selbst verfassungsgemäß ist.

a) Formelle Verfassungsmäßigkeit
Ausweislich des Sachverhalts handelt es sich bei § 9 DSchG NRW um ein Gesetz, das formell verfassungsgemäß zustande gekommen ist.

b) Materielle Verfassungsmäßigkeit
Fraglich ist, ob ein Verstoß gegen materielles Verfassungsrecht vorliegt. Möglicherweise verkürzt § 9 DSchG NRW auf unverhältnismäßige Weise die Rechte der Eigentümer von Grundstücken, die mit einem Denkmal bebaut sind.

Zu prüfen ist, ob die denkmalschutzgesetzliche Regelung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, also ein legitimes Ziel verfolgt (a)) und zur Erreichung dieses Ziels geeignet (b)), erforderlich (c)) und angemessen (d)) ist.


hier wird also gerade nicht nochmal innerhalb der rechtfertigung => schranken-schranken gesagt: das gesetz könnte gegen art. 14 GG verstoßen => schutzbereich des art. 14, eingriff, rechtfertigung, VHMK. sondern: direkt VHMK-prüfung des gesetzes das den einzelakt legitimieren soll.
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Re: Verfassungsbeschwerde gg Urteil u Gesetz

Beitrag von Tobias__21 »

Sorry, ich verstehs nicht.

Die RÜ Lösung ist m.E. standardmäßig aufgebaut.

I. Schutzbereich

II. Eingriff (Entscheidungen)

III. Rechtfertigung

1. Schranke

a) form. Vm. der Schranke
b) mat. Vm. der Schranke
-> hier prüft man u.a. ob auch das Gesetzt selbst dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt, sich etwa verfassungskonform auslegen und anwenden lässt

2. Vm. des Einzelakts
-> hier gibt es dann mal mehr oder weniger zu sagen, je nachdem ob die EGL Ermessen auf der Rechtsfolgenseite enthält.

Aber vielleicht kann Dir ja noch jemand anders besser helfen. Ich habe glaube ich dein Problem nicht ganz erfasst.
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