Berufseinstieg als Strafverteidiger

Alle Fragen, die den Bereich des Foren-Namens abdecken

Moderator: Verwaltung

Antworten
Riven
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 749
Registriert: Freitag 17. Januar 2014, 17:38

Berufseinstieg als Strafverteidiger

Beitrag von Riven »

Hallo,

in den letzten Monaten - auch bedingt durch die Strafrechtsstage - ist bei mir verstärkt der Berufswunsch Strafverteidiger gereift. Wenn alles klappt, sollte ich im November mein 2. Examen in der Tasche haben. Mein Problem ist allerdings, dass ich erkennbar keinen Schwerpunkt auf Strafrecht in meiner Ausbildung gelegt habe. Mir hat der Stoff im Studium beim Lernen null Spaß gemacht, die Praxis fand ich aber ganz spannend. Nun frage ich mich, ob kleinere Strafrechtskanzleien mit 2-5 Anwälten Anfänger ohne Strafrechtsschwerpunkt einstellen mögen (mal unabhängig von der Note). Ich bin natürlich bereit, die entsprechenden Wissenslücken schnell zu schließen.

Würde mich über eure Einschätzung dazu freuen.
TobiasG
Fleissige(r) Schreiber(in)
Fleissige(r) Schreiber(in)
Beiträge: 234
Registriert: Montag 20. November 2017, 10:57
Ausbildungslevel: RA

Re: Berufseinstieg als Strafverteidiger

Beitrag von TobiasG »

Ich glaube ehrlich gesagt, dass der Schwerpunkt keine allzu große Rolle bei der Frage der Einstellung spielt. Das Problem dürfte eher die Praxiserfahrung sein. Es kommt ja meist eher weniger darauf an, alle Theorien zum Erlaubnistatbestandsirrtum oder Einzelheiten der kriminologischen Forschung zu kennen, sondern eher auf die Kommunikation mit dem Mandanten, dem Gericht, "taktisches Gespür", Zeugenbefragung, Honorarverhandlungen und evtl. noch Rechtliches, was man meist auch im Schwerpunkt nicht lernt (BtMG, Strafvollstreckung usw.).

Strafverteidiger sind aber in aller Regel sehr oft in der Hauptverhandlung oder in der JVA unterwegs und können Dich daher kaum "ausbilden". Daher läuft das, wie ich es kenne, und wenn tatsächlich mal wer in so kleinen Kanzleien angestellt wird, eher so, dass man im Referendariat viel Interesse zeigt und "mit läuft" (denn da kostet man noch nichts) und dann ab Tag 1 des Berufseinstiegs relativ auf eigenen Beinen steht. In Deiner Situation müsstest Du daher dem jeweiligen Anwalt (unabhängig von evtl. super Noten) verkaufen, warum er Dich trotz der fehlenden Erfahrung einstellen soll.

Evtl. könntest Du (je nach Kanzleizuschnitt) auch ein Modell anbieten, in dem Du "nebenher" viel VerkehrsR o.ä. eigenständig bearbeitest, um zumindest Dein Gehalt umzusetzen, und ansonsten im ersten Jahr so oft es geht, "dabei sein" darfst. Wird aber m.E. so oder so schwierig.
"Wer Du bist? Sicher nicht der Rap-Messias. Für mich bist auch Du nur irgendein Tobias."

~ Harry Quintana
raskolnikov
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 740
Registriert: Dienstag 20. Dezember 2005, 15:00
Ausbildungslevel: RA

Re: Berufseinstieg als Strafverteidiger

Beitrag von raskolnikov »

Der Berufseinstieg als Verteidiger ist ohne entsprechende Kontakt schwierig. Jedenfalls was das klassische Strafrecht angeht - im Wirtschafts- u. Steuerstrafrecht sieht es anders aus. Dass der Einsteig schwierig ist, liegt daran, dass klassisches Strafrecht entweder von sehr kleinen Einheiten betrieben wird, deren Personalbedarf nicht sehr groß ist. Oder es gibt in größeren Kanzleien eine Strafrechtseinheit, die wiederum dann aber eher klein ist. Deshalb wird es ohne Kontakte schwierig den Einstieg zu schaffen. Da hilft dann nur sehr viele Kanzleien anzufragen und darauf hoffen, dass irgendwo Bedarf besteht, der nicht durch einen ehemaligen Referendar o.ä. gestillt werden kann.

Solltest Du Dir Wirtschafts- und Steuerstrafrecht vorstellen können: Hier sind die Chancen derzeit so gut wie lange nicht mehr. Es besteht großer Bedarf. Die Anforderungen sind oftmals aber nicht gering.

Bei weiteren Fragen kannst Du dich gerne nochmals melden.
"Wenn Gott mich ruft, rufe ich zurück."
Riven
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 749
Registriert: Freitag 17. Januar 2014, 17:38

Re: Berufseinstieg als Strafverteidiger

Beitrag von Riven »

Danke für eure Beiträge. Mich interessiert das Wirtschafts- und Steuerstrafrecht tatsächlich eher weniger.
TobiasG
Fleissige(r) Schreiber(in)
Fleissige(r) Schreiber(in)
Beiträge: 234
Registriert: Montag 20. November 2017, 10:57
Ausbildungslevel: RA

Re: Berufseinstieg als Strafverteidiger

Beitrag von TobiasG »

Dann wird es tatsächlich schwieriger, weil man (meinem Eindruck nach) allenfalls/nur dort Zugang alleine über Noten etc. hat. Ansonsten ist der "Strafrechtsmarkt", wie es raskolnikov schon zutreffend beschrieben hat, einfach ganz unterschiedlich zu dem normalen Jura-Markt, wo im Wesentlichen über die Staatsexamina entschieden wird.

Der Alltag eines "normalen" Verteidigers im Strafrecht, das Dich ja interessiert, sieht ungefähr so aus: Er fährt in der Früh an irgendein (auswärtiges) Amts- oder Landgericht zur Hauptverhandlung, auf dem Heimweg schaut er vielleicht noch in der JVA vorbei, zwischendurch telefoniert er, und am Abend kommt er in die Kanzlei, wo er dann seine Telefonzettel abarbeitet und Mandantenbesprechungen führt (und ggf. noch den einen oder anderen Schriftsatz fertigt. "Ausbildung" kommt in dieser Aufzählung nicht vor und ist dem normalen Strafverteidigerkanzleizuschnitt auch eher fremd. Die Ausbildung von Praktikanten und Referendaren sieht idR so aus, dass die halt an den o.g. Gerichts- und Besprechungsterminen teilnehmen. "Backoffice" gibt es nicht allzu viel. Es gibt natürlich Verteidiger, die gerne "wissenschaftlicher" tätig sind und auch mal die eine oder andere Revision schreiben, aber schriftlich passiert viel, viel weniger als in einer durchschnittlichen Zivilrechtskanzlei (was für viele übrigens ein erklärter Grund für die Tätigkeit als Strafverteidiger ist).

D.h., das Idealbild eines Kandidaten (wenn denn überhaupt einer eingestellt wird) sieht so aus, dass dieser dem Anwalt weniger zuarbeitet als vielmehr seine eigenen Mandate führt, die der seniorige Anwalt vielleicht nicht selbst bearbeiten will (Pflichtverteidigeranfragen, Strafvollstreckung, nervige Mandanten etc.). Dafür braucht er mindestens Grundkenntnissen in den einschlägigen Spezialrechtsgebieten (inbes. BtMG), muss wissen, wie er sich in der Hauptverhandlung verhält und braucht v.a. ein gewisses, selbstsicherers Auftreten gegenüber den Mandanten.

Was Du tun kannst, um diesem Idealbild zumindest nahe zu kommen, wäre mE erstmal ein (unbezahltes) Praktikum über ein paar Monate, Selbststudium im Strafprozess- und Betäubungsmittelrecht und die Verinnerlichung des "Strafverteidigerlebens", damit Du Dich dem potentiellen Arbeitgeber, darauf basierend, möglichst gut verkaufen kannst. Also nicht auf die Note abstellen, sondern eher darauf, dass Du z.B. JVA-Erstbesuche für ihn übernimmst, längere Beschwerden/Rechtsmittelbegründungen als Ghostwriter für ihn tätigen kannst, Dich bei den Richtern vorstellen wirst, damit Du am Anfang zumindest ein paar Pflichtverteidigungen bekommst usw. Das alles nur als spontane Denkanstöße.
"Wer Du bist? Sicher nicht der Rap-Messias. Für mich bist auch Du nur irgendein Tobias."

~ Harry Quintana
Benutzeravatar
Ara
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 8353
Registriert: Donnerstag 11. Juni 2009, 17:48
Ausbildungslevel: Schüler

Re: Berufseinstieg als Strafverteidiger

Beitrag von Ara »

Also ich sehe das Problem eher am faktischen Mangel an Stellen und weniger beim Ausbildungslevel. Natürlich müssen Grundkenntnisse da sein, aber die sind nun nicht so umfangreich, dass man sie nicht kurzfristig erlernen kann. Für prozesstaktische Fragen kann ja ein erfahrener Ausbilder zur Seite stehen, das kostet nicht viel Zeit.

Was aber natürlich richtig ist, dass man vom 1. Tag an auf eigene Beine steht. Auch braucht man ein gewisses Auftreten. Die Musik spielt halt in der Hauptverhandlung und da gibt es keinen Schriftsatznachlass, sondern da muss dann spontan geliefert werden.

Die Ausführungen zum "Backoffice" von TobiasG kann ich so nicht uneingeschränkt teilen. Es ist doch eher die Ausnahme als die Regel, dass kein Einstellungsantrag gestellt wird. Das ist bei uns auch die Hauptausbildung der Referendare (und auch die Tätigkeit der WisMits): Das Fertigen von Einstellungsanträgen und die Aktenbearbeitung.

Auch der Alltag des Strafverteidigers sieht glaube ich sehr unterschiedlich aus. Da ist jede Kanzlei anders und auch der Arbeitsablauf des einzelnen (ich arbeite zB ganz anders als mein Chef). Insbesondere als Anfänger wird man auch kaum 4 Verhandlungstage in der Woche haben. Die meisten Mandanten zahlen ja für die Verteidigung durch den Kanzleiinhaber. Daher ist es häufig eher so, dass man zum großen Teil "Backoffice" für den Chef macht und zum anderen Teil seine eigenen Mandate betreut. Die Mandate sind dann natürlich nicht die 1. Klasse Mandate, sondern halt das, was beim Chef hinten runterfällt. Das muss aber nicht schlecht sein, weil man so einen bunten Strauß bekommt und so auch viele unterschiedliche Situationen erlebt. Auch die Anzahl der JVA-Besuche ist sehr unterschiedlich, je nach Kanzleiausrichtung. Die meisten JVA-Mandate lohnen sich für Strafrechtsboutiquen mit hohem Kostenapparat nicht, und sind eher was für die Verteidiger die ihr Geld durch Masse machen und dabei die Kosten gering halten (insbesondere was Akquise betrifft).

Lange Rede kurzer Sinn: Hauptproblem ist eine Stelle zu finden. Die Examensnote schadet sicherlich nicht, aber wenn du sonst überzeugen kannst, kein Ausschlusskriterium. Problematischer ist natürlich der Umstand, dass du erst so spät das Interesse für die Strafverteidigung entdeckt hast. Die meisten Anstellungen erfolgen natürlich von ehemaligen Referendaren und wissenschaftlichen Mitarbeitern.

Was du machen kannst: Promovieren und versuchen nebenbei als freier Mitarbeiter/WisMit bei einem Strafverteidiger unterzukommen. Ob du dich dann schon zulassen lässt oder nicht, kann man ja individuell klären (meist lohnt es sich wohl, für die Terminsvertretung). So lernst du die Strafverteidigung im "safer space" mit mehr Feedback und hast Zeit die Lücken zu schließen. Aber auch solch eine Stelle muss natürlich gefunden werden.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Benutzeravatar
Tibor
Fossil
Fossil
Beiträge: 16446
Registriert: Mittwoch 9. Januar 2013, 23:09
Ausbildungslevel: Ass. iur.

Re: Berufseinstieg als Strafverteidiger

Beitrag von Tibor »

Oder eben selbständig in der Bürogemeinschaft.
"Just blame it on the guy who doesn't speak English. Ahh, Tibor, how many times you've saved my butt."
Freedom
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 1112
Registriert: Dienstag 22. Oktober 2013, 20:09

Re: Berufseinstieg als Strafverteidiger

Beitrag von Freedom »

Da es thematisch einigermaßen dazu passt mal interessehalber: Was verdient denn dann so ein Strafverteidiger in den ersten jahren? Wenn man da nach Gebühren abrechnen dürfte das wahrscheinlich nicht sonderlich lukrativ sein? Oder ist das eher vergleichbar mit ner Arztpraxis, die, wenn sie einmal läuft, auch recht lukrativ sein kann?
Digiwas?
Benutzeravatar
Ara
Urgestein
Urgestein
Beiträge: 8353
Registriert: Donnerstag 11. Juni 2009, 17:48
Ausbildungslevel: Schüler

Re: Berufseinstieg als Strafverteidiger

Beitrag von Ara »

Freedom hat geschrieben: Montag 24. Juni 2019, 20:59 Da es thematisch einigermaßen dazu passt mal interessehalber: Was verdient denn dann so ein Strafverteidiger in den ersten jahren? Wenn man da nach Gebühren abrechnen dürfte das wahrscheinlich nicht sonderlich lukrativ sein? Oder ist das eher vergleichbar mit ner Arztpraxis, die, wenn sie einmal läuft, auch recht lukrativ sein kann?
Bei der heutigen Marktlage werden die ersten Jahre finanziell schwierig sein wenn man bei 0 startet. Der Markt ist halt sehr voll. In der Bürogemeinschaft profitierst du natürlich davon, dass man sich gegenseitig die Mandate zuschiebt.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Riven
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 749
Registriert: Freitag 17. Januar 2014, 17:38

Re: Berufseinstieg als Strafverteidiger

Beitrag von Riven »

Danke euch allen für eure Beiträge. Ich hab jetzt mit einem mir bekannten Anwalt, der nicht nur, aber zu einem großen Teil Strafsachen macht, vereinbart, dass ich die nächsten Monate bei den Sitzungen dabei bin. Ob ich auch zur JVA mit darf, ist schwierig. Formal bin ich bald in der Wahlstation, ein unbezahltes Praktikum müsste ich mir dann wohl erst genehmigen lassen, was bei uns schwierig ist. Die Regel lautet maximal 10 Stunden pro Monat für Nebenjobs.
Theopa
Super Power User
Super Power User
Beiträge: 1328
Registriert: Mittwoch 9. Juli 2014, 18:09
Ausbildungslevel: RA

Re: Berufseinstieg als Strafverteidiger

Beitrag von Theopa »

Riven hat geschrieben: Donnerstag 27. Juni 2019, 10:53 Danke euch allen für eure Beiträge. Ich hab jetzt mit einem mir bekannten Anwalt, der nicht nur, aber zu einem großen Teil Strafsachen macht, vereinbart, dass ich die nächsten Monate bei den Sitzungen dabei bin. Ob ich auch zur JVA mit darf, ist schwierig. Formal bin ich bald in der Wahlstation, ein unbezahltes Praktikum müsste ich mir dann wohl erst genehmigen lassen, was bei uns schwierig ist. Die Regel lautet maximal 10 Stunden pro Monat für Nebenjobs.
Bei der Vereinbarung "kein Geld aber auch keine Anwesenheitspflicht" sähe ich da kein Problem, sofern du deine Pflichten in der Station erfüllst kannst du als Hobby betreiben was dir Spaß macht. Die Einschränkungen zu Nebentätigkeiten sollen ohnehin eher verhindern, dass man das Ref schleifen lässt um ordentlich Geld zu verdienen, du willst dich aber gerade zusätzlich fortbilden.
Antworten