Internationales Insolvenzrecht - Welche Jurisdiktion?

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Nyzz
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Internationales Insolvenzrecht - Welche Jurisdiktion?

Beitrag von Nyzz »

Hallo,

wenn eine deutsche Tochtergesellschaft im Ausland Insolvenz anmeldet, greift dann automatisch deutsches Recht, womit dann exklusiv ein deutsches Gericht den Gläubigeranspruch durch einen Prozess regelt?
Macht es einen Unterschied ob das deutsche Mutterunternehmen nur eine Mehrheit des Unternehmen besitzt (z.B. 90%), aber nicht das komplette Unternehmen (100%)?

Über Antworten würde ich mich sehr freuen! Gerne würde ich auch wissen auf welcher Gesetzesgrundlage Ihr argumentiert.

LG
arlovski
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Re: Internationales Insolvenzrecht - Welche Jurisdiktion?

Beitrag von arlovski »

art. 3 euinsvo (COMI)

lex fori concursus, art. 7 euinsvo, aber art. 8 ff.

diskussion um euinsvo vs bruessel Ia bei 'glaeubigeranspruechen' ist endlos

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Torquemada
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Re: Internationales Insolvenzrecht - Welche Jurisdiktion?

Beitrag von Torquemada »

Wenn über das Vermögen der ausländischen Tochtergesellschaft ein ausländisches Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, gilt unzweifelhaft allein das Insolvenzrecht des Eröffnungsstaates (Art. 7 I EuInsVO). Was alles zum "Insolvenzrecht" gehört, ergibt sich primär aus dem Katalog des Art. 7 II EuInsVO; da gibt es dann auch einzelne Zweifelsfragen (sowie in Artt. 8 ff. EuInsVO verschiedene Sonderregelungen).

Die Zuständigkeit ("Jurisdiktion") für "Gläubigeransprüche" wird durch die EuInsVO im Prinzip nicht geregelt, sondern bestimmt sich - auch wenn es Abgrenzungsprobleme gibt - grundsätzlich nach allgemeinen Regeln, insbesondere der EuGVVO. Wenn es sich bei der einzuklagenden Forderung um eine Insolvenzforderung handelt, wird das ausländische Insolvenzrecht aber i.d.R. vorsehen, dass diese Forderung nicht mehr selbständig gerichtlich geltend gemacht werden kann (analog zu §§ 87, 174 ff. InsO); das muss dann auch ein ggf. hiermit befasstes deutsches Prozessgericht beachten.

Unter der Prämisse, dass die Tochtergesellschaft gleichwohl ihren "Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen" im Eröffnungsstaat hat (wie es die Voraussetzung für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in diesem Staat ist), sind die Beteiligungsverhältnisse unerheblich.
Nyzz
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Re: Internationales Insolvenzrecht - Welche Jurisdiktion?

Beitrag von Nyzz »

Vielen Dank für die bisherigen Antworten! Ich sollte vielleicht noch zusätzlich erwähnen, dass ich bezüglich Jura komplett fachfremd bin.

Ich arbeite momentan an meiner Finance-Masterarbeit, welche die Fragestellung behandelt, inwiefern ein Übernahmeangebot für ein nicht-europäisches Übernahmeziel eines deutschen Unternehmens dessen Kreditrisiko beeinflusst (gemessen am CDS Spread vor und nach Ankündigung). Meine Haupthypothese wäre, dass vor allem ein Übernahmeangebot für ein Unternehmen aus einem Entwicklungsland, das von den Gläubigern wahrgenommene Kreditrisiko der deutschen Muttergesellschaft steigern lässt. Insbesondere wenn ein zukünftiges potenzielles Insolvenzverfahren der Tochtergesellschaft nicht durch ein deutsches Gericht geführt wird, sondern ein anderes Land die Zuständigkeit für sich beanspruchen könnte (was glaube ich wahrscheinlicher ist, falls die deutsche Mutter nicht das vollständige Unternehmen, also unter 100%, besitzt).

Torquemada, ich meine deine Erklärung bezieht sich auf inner-europäisches Insolvenzrecht, richtig? Zumindest Art. 7 I EuInsVO lässt mich darauf schließen (sofern ich das als Nicht-Jurist beurteilen kann :D ).
arlovski
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Re: Internationales Insolvenzrecht - Welche Jurisdiktion?

Beitrag von arlovski »

Nyzz hat geschrieben: Samstag 8. Februar 2020, 17:47 Insbesondere wenn ein zukünftiges potenzielles Insolvenzverfahren der Tochtergesellschaft nicht durch ein deutsches Gericht geführt wird, sondern ein anderes Land die Zuständigkeit für sich beanspruchen könnte (was glaube ich wahrscheinlicher ist, falls die deutsche Mutter nicht das vollständige Unternehmen, also unter 100%, besitzt).
es gibt studien zum verhältnis des insolvenzrechts zu finanzierungen (bspw. ist fremdkapital in schuldner- bzw. arbeitnehmerfreundlicheren jurisdiktionen teurer). die beteiligungsquote ist meist wenig relevant; grundsätzlich sind gesellschaften getrennt zu betrachten, wenn also die mutter in london und die tochter in frankfurt sitzt und lebt, dann ist grundsätzlich london für die mutter und frankfurt für die tochter zuständig.
Nyzz hat geschrieben: Samstag 8. Februar 2020, 17:47 Torquemada, ich meine deine Erklärung bezieht sich auf inner-europäisches Insolvenzrecht, richtig? Zumindest Art. 7 I EuInsVO lässt mich darauf schließen (sofern ich das als Nicht-Jurist beurteilen kann :D ).
das ist umstritten, aber die europäische insolvenzverordnung dürfte immer dann anwendbar sein, wenn eine zuständigkeit in einem eu-mitgliedstaat begründet ist, also wenn der mittelpunkt der hauptsächlichen interessen bpsw. in frankfurt liegt, auch wenn es a) ein rein innerdeutscher sachverhalt ist oder b) (sonst nur) ein drittstaat (mit)betroffen ist.

wenn ein drittstaat seine zuständigkeit annimmt, dann ist das zunächst mal so. für die frage, was das in deutschland bedeutet, ist dann das autonome internationale recht maßgeblich, d.h. die §§ 335 ff. InsO. danach wird zum beispiel die verfahrenseröffnung im drittstaat auch in deutschland dann anerkannt, wenn der drittstaat auch nach deutschem recht zuständig ist (§ 3 InsO) und kein verstoß gegen die öffentliche ordnung (bspw. gegen grundrechte) vorliegt.

andere länder können da andere regelungen haben, relevant ist da vor allem die UNCITRAL model law on cross border insolvency.
Nyzz
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Re: Internationales Insolvenzrecht - Welche Jurisdiktion?

Beitrag von Nyzz »

Nehmen wir mal folgenden fiktiven Fall an:
Ein deutsches Unternehmen hat vor einigen Jahren ein südafrikanisches Unternehmen zu 100% übernommen und fungiert nun als Tochtergesellschaft. Dieses Tochterunternehmen muss nun Insolvenz anmelden.

Laut folgender Literaturquelle, hat das europäische Insolvenzrecht wenig bis kaum Auwirkung auf den oben beschriebenen Fall: "In general, the EU Insolvency Regulation only applies to intra-Community relations; in cross-border insolvency cases relating to non-EU states the rules of general private international law or specific legislation of a country (domestic or contained in a treaty) in this field apply."

Welches der beiden Länder wäre nun für das Verfahren zuständig?
arlovski
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Re: Internationales Insolvenzrecht - Welche Jurisdiktion?

Beitrag von arlovski »

wenn das unternehmen nicht nur seinen sitz in suedafrika hat, sondern dort tatsaechlich der mittelpunkt der hauptsaechlichen interessen der tochtergesellschaft ist (beispielhaft als indiz: dort sind die mitarbeiter, die assets etc.), dann wird wohl suedafrika zustaendig sein, jedenfalls nicht deutschland (siehe $ 3 InsO)

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Nyzz
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Re: Internationales Insolvenzrecht - Welche Jurisdiktion?

Beitrag von Nyzz »

Vielen Dank für deine Antwort.
Liege ich mit der Annahme richtig, dass ein US-Mutterunternehmen den oben beschriebenen, fiktiven Insolvenzfall einer ausländischen Tochtergesellschaft komplett anders behandeln würde? Ich habe nämlich folgenden Absatz gefunden, der einen solchen Fall nach US-amerikanischen Recht beschreibt.

"For instance, US courts have jurisdiction over bankruptcy cases where creditors or assets are in the United States,
irrespective of the nationality of the firm (US Bankruptcy Code §304). The US law applies either when the
assets or the creditors are located abroad. If a US firm acquires a firm in Argentina, for example, US courts have
jurisdiction over the assets of the newly created firm in Argentina. Section §541(a) of the US Bankruptcy Code
establishes that the estate includes all of the assets of the debtor, “wherever located and by whomever held.”
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