Justiz vs. Anwaltschaft

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Tibor
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Re: Justiz vs. Anwaltschaft

Beitrag von Tibor »

Und gibt es diese sagenumwobenen Teilzeitstellen (90.000€ für 40h) wirklich?
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Tibor
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Re: Justiz vs. Anwaltschaft

Beitrag von Tibor »

Um beim Nettovergleich zu bleiben: Besagte 90.000€ also 7.500€ brutto mtl in der Anwaltschaft bedeuten (single, ohne Kinder und Kirche; um Vergleichbarkeit zu haben) 4.250€ netto nach SV und Steuer.

Nimmt man die R-Besoldung aus NRW, erreicht man 4.550€ Netto (vor Abzug von ca 300€ PKV) bei Erfahrungsstufe 10.

Berücksichtigt man zugleich, dass man als Richter deutlich bessere Pensionsanwartschaften erreicht als der Angestellte Anwalt beim lokalen Versorgungswerk, dürfte das Äquivalent wohl eher bei Stufe 7-8 liegen.

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Kasimir
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Re: Justiz vs. Anwaltschaft

Beitrag von Kasimir »

Tibor hat geschrieben: Freitag 27. März 2020, 17:18 Und gibt es diese sagenumwobenen Teilzeitstellen (90.000€ für 40h) wirklich?
Nein, natürlich nicht.

Aussage eines Hengeler Partners: "Natürlich würden wir alle für 80% für 80% des Geldes arbeiten, das ist aber nicht umsetzbar."

Ich stimme dem zu. (Nur) mit Teilzeitkräften lässt sich keine Kanzlei führen. Selbst wenn man Ineffizienzen nicht berücksichtigt, dann ist die Rechnung nicht so einfach, dass man für einen Anwalt zu 100% für EUR 100.000 auch zwei Anwälte zu je 50% für EUR 50.000 beschäftigen könnte. Das scheitert doch schon an grundsätzlichen ökonomischen Parametern. Der Anwalt mit EUR 100.000 Gehalt, kostet die Kanzlei vermutlich rund EUR 170-200.000. Die Kosten für zwei Anwälte mit je EUR 50.000 liegen dann aber über diesen EUR 200.000, d.h. die Profitabilität wird erheblich schwieriger. Und dann haben wir noch nicht über Mandantenakzeptanz und Ineffizienzen im Mandatsgeschäft gesprochen.

Der Counsel-Deal ist deshalb auch in allen Kanzleien der schlechteste aller Deals. Die verdienen oft weniger als Senior Associates. Zugleich gehört Akquise etc. natürlich dazu.
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Ara
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Re: Justiz vs. Anwaltschaft

Beitrag von Ara »

Wenn man die GK-Gehälter auf den Stundensatz runterrechnet ist die Wiese generell nicht mehr soviel grüner als woanders.

90.000 Euro bei 40 Stunden (bzw. 180.000 Euro bei 80 Stunden) wären auch "nur" rund 43 Euro/Stunde brutto. Das ist auch als angestellter Anwalt in gut laufenden Boutiquen mit ausreichend Erfahrung drin.

Der Unterschied ist zu meist nur, dass man in solchen Boutiquen häufig gar keine 80 Stunden arbeiten könnte, selbst wenn man wollte und daher nicht auf das Absolutgehalt kommt.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Atropos
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Re: Justiz vs. Anwaltschaft

Beitrag von Atropos »

Kasimir hat geschrieben: Freitag 27. März 2020, 17:31
Tibor hat geschrieben: Freitag 27. März 2020, 17:18 Und gibt es diese sagenumwobenen Teilzeitstellen (90.000€ für 40h) wirklich?
Nein, natürlich nicht.

Aussage eines Hengeler Partners: "Natürlich würden wir alle für 80% für 80% des Geldes arbeiten, das ist aber nicht umsetzbar."

Ich stimme dem zu. (Nur) mit Teilzeitkräften lässt sich keine Kanzlei führen. Selbst wenn man Ineffizienzen nicht berücksichtigt, dann ist die Rechnung nicht so einfach, dass man für einen Anwalt zu 100% für EUR 100.000 auch zwei Anwälte zu je 50% für EUR 50.000 beschäftigen könnte. Das scheitert doch schon an grundsätzlichen ökonomischen Parametern. Der Anwalt mit EUR 100.000 Gehalt, kostet die Kanzlei vermutlich rund EUR 170-200.000. Die Kosten für zwei Anwälte mit je EUR 50.000 liegen dann aber über diesen EUR 200.000, d.h. die Profitabilität wird erheblich schwieriger. Und dann haben wir noch nicht über Mandantenakzeptanz und Ineffizienzen im Mandatsgeschäft gesprochen.

Der Counsel-Deal ist deshalb auch in allen Kanzleien der schlechteste aller Deals. Die verdienen oft weniger als Senior Associates. Zugleich gehört Akquise etc. natürlich dazu.
Sind wir uns grundsätzlich einig, dass es faktisch in Großkanzleien vereinzelt Leute in höheren Jahren (so ab 7./8. Jahr) gibt, die dauerhaft Teilzeit arbeiten und dafür 50% des Gehalts bekommen?

Falls Ja: Sind wir uns dann auch einig, dass diese Leute nicht für 50% des Gehalts im Jahr 2000 Billable-Stunden erbringen werden? Warum sollte man das tun? Entweder man geht wieder auf volles Gehalt, oder sucht sich etwas Inhouse...

Ich rede hier nicht von einem ,,fixen 40 Stunden Modell", sondern eine Durchschnittsbetrachtung der Auslastung aufs Jahr. Es gibt in Großkanzleien ja auch Nischengebiete mit 1 Partner, 1 Senior Associate/Counsel, 1-2 normale Associates. Da kann ein langjähriger Teilzeit-Counsel mit 1000 billables / Jahr super ins Geschäftsmodell passen und man kann stattdessen auch nicht einfach 2-3 Anwälte im ersten Berufsjahr einstellen, weil sie faktisch nicht dieselbe Arbeit erbringen können.

Und vielleicht passt das auch nicht unbedingt in die klassische deutsche Großkanzlei wie Hengeler, sondern eher Satellitenbüros von riesigen US-Kanzleien, die kaum deutsche Mandanten oder deutsches Business Development machen, sondern einfach Leute brauchen, um die vom Mutterschiff nach Deutschland geschickte Arbeit auf hohem Niveau abzuarbeiten.

Die theoretischen Einwände sind schon nachvollziehbar, aber ich habe einfach faktisch ein paar Jahre unter einer/einem Teilzeit-Counsel gearbeitet, kannte die ungefähre billable-Auslastung im Team und habe auch miterlebt, wann er/sie im Büro war.
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Blaumann
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Re: Justiz vs. Anwaltschaft

Beitrag von Blaumann »

Kasimir hat geschrieben: Freitag 27. März 2020, 17:31 Ich stimme dem zu. (Nur) mit Teilzeitkräften lässt sich keine Kanzlei führen. Selbst wenn man Ineffizienzen nicht berücksichtigt, dann ist die Rechnung nicht so einfach, dass man für einen Anwalt zu 100% für EUR 100.000 auch zwei Anwälte zu je 50% für EUR 50.000 beschäftigen könnte. Das scheitert doch schon an grundsätzlichen ökonomischen Parametern. Der Anwalt mit EUR 100.000 Gehalt, kostet die Kanzlei vermutlich rund EUR 170-200.000. Die Kosten für zwei Anwälte mit je EUR 50.000 liegen dann aber über diesen EUR 200.000, d.h. die Profitabilität wird erheblich schwieriger. Und dann haben wir noch nicht über Mandantenakzeptanz und Ineffizienzen im Mandatsgeschäft gesprochen.
Und wie immer unterschlägst Du, dass der durchschnittliche Anwalt der 80 h/Wo arbeitet, bei weitem nicht das schafft, was 2 durchschnittliche Anwälte in 40 Stunden schaffen.

Völlige Milchmädchenrechnung, da Du immer nur auf die Kosten abstellst, aber den erzielten Umsatz außen vor lässt. Die Profitabilität des Arbeiters ergibt sich aber aus beiden Faktoren.

Kann schon sein, dass die Vollzeit-40h-Woche betriebsökonomisch nicht das Maß aller Dinge ist, aber 75 h für Mondgehalt ist es mit SIcherheit auch nicht.
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Tikka
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Re: Justiz vs. Anwaltschaft

Beitrag von Tikka »

Puh und ich hatte schon gedacht das Coronavirus würde dafür sorgen die Jurawelt Dauerdebatte für länger als 1 Woche mal vergessen zu machen.

...eat that Corona. Dagegen kommst selbst Du nicht an!
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Tibor
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Re: Justiz vs. Anwaltschaft

Beitrag von Tibor »

Blaumann hat geschrieben: Und wie immer unterschlägst Du, dass der durchschnittliche Anwalt der 80 h/Wo arbeitet, bei weitem nicht das schafft, was 2 durchschnittliche Anwälte in 40 Stunden schaffen.
Zwei 40h Angestellte in der Kanzlei schaffen aber was „anderes“ in den insgesamt 80h; zumindest nicht Projektgeschäft, was hohe Stundensätze rechtfertigt. Sie schaffen ggf mehr „Kleinklein“.
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Blaumann
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Re: Justiz vs. Anwaltschaft

Beitrag von Blaumann »

Tibor hat geschrieben: Freitag 27. März 2020, 19:35
Blaumann hat geschrieben: Und wie immer unterschlägst Du, dass der durchschnittliche Anwalt der 80 h/Wo arbeitet, bei weitem nicht das schafft, was 2 durchschnittliche Anwälte in 40 Stunden schaffen.
Zwei 40h Angestellte in der Kanzlei schaffen aber was „anderes“ in den insgesamt 80h; zumindest nicht Projektgeschäft, was hohe Stundensätze rechtfertigt. Sie schaffen ggf mehr „Kleinklein“.
Begründung?
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Tibor
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Re: Justiz vs. Anwaltschaft

Beitrag von Tibor »

Einsicht in das Projektgeschäft, dass Spitzenbelastungen mit sich bringt. Verteilung auf mehrere Personen erzeugt Reibungsverluste, die vom Mandanten (ob begründet oder nicht) nicht geduldet werden. Hast du aber eine Kanzlei, die nur nach und nach ihre forensischen Mandate abarbeitet oder kleinere Anfragen/Besprechungen macht, kann man eher auf mehrere Schultern verteilen.
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Re: Justiz vs. Anwaltschaft

Beitrag von Sektnase »

Das mit den Spitzen ist ein eher schwaches Argument. Mehr Mitarbeiter können immer auch mehr Stunden in den Spitzen leisten.
In einem Umfeld, in dem mittelschwere Hurensöhnigkeit häufig zum Stellenprofil gehört, muss einen nicht wundern, wenn man Scheiße behandelt wird. -Blaumann
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Tibor
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Re: Justiz vs. Anwaltschaft

Beitrag von Tibor »

Sektnase hat geschrieben:Das mit den Spitzen ist ein eher schwaches Argument. Mehr Mitarbeiter können immer auch mehr Stunden in den Spitzen leisten.
Hast du mal versucht in kürzester Zeit einen halbwegs brauchbaren DD Report aufzustellen? Meinst du, der wird in gleicher Zeit besser, wenn mehr „Teilzeitler“ beschäftigt werden, am besten im Schichtdienst?
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Re: Justiz vs. Anwaltschaft

Beitrag von Hey_Mister »

Tibor hat geschrieben: Freitag 27. März 2020, 17:25 Um beim Nettovergleich zu bleiben: Besagte 90.000€ also 7.500€ brutto mtl in der Anwaltschaft bedeuten (single, ohne Kinder und Kirche; um Vergleichbarkeit zu haben) 4.250€ netto nach SV und Steuer.

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Berücksichtigt man zugleich, dass man als Richter deutlich bessere Pensionsanwartschaften erreicht als der Angestellte Anwalt beim lokalen Versorgungswerk, dürfte das Äquivalent wohl eher bei Stufe 7-8 liegen.
Nachdem oben bereits festgestellt wurde, dass Anwälte bundesweit im Schnitt 66.000 € verdienen (wie gesagt in Sachsen-Anhalt sogar nur 40.000 €) belegt die Rechnung doch eindeutig, dass sich im Durchschnitt der Justizdienst lohnt.
Wenn man natürlich nur GK und Justiz vergleichen will, kommt man zu einer anderen Wertung.

Aber dauerhafte Arbeitszeiten >60h sind nicht meine Erfüllung.
Zählen Arbeitszeiten unter dieser Grenze wirklich als „wenig Arbeit“, wie es hier anklingt?
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Re: Justiz vs. Anwaltschaft

Beitrag von Sektnase »

Tibor hat geschrieben: Freitag 27. März 2020, 22:42
Sektnase hat geschrieben:Das mit den Spitzen ist ein eher schwaches Argument. Mehr Mitarbeiter können immer auch mehr Stunden in den Spitzen leisten.
Hast du mal versucht in kürzester Zeit einen halbwegs brauchbaren DD Report aufzustellen? Meinst du, der wird in gleicher Zeit besser, wenn mehr „Teilzeitler“ beschäftigt werden, am besten im Schichtdienst?

Hä? Zwei Leute können mehr Überstunden machen als einer, das ist doch logisch. Wenn die halt nur von 9-11 da sind und keine Überstunden machen dürfen/müssen, dann klappt's natürlich nicht.
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Re: Justiz vs. Anwaltschaft

Beitrag von Tibor »

Wir hatten die Prämisse 40h-Woche! Wenn wir nun die Prämisse ändern auf 40h-Woche, aber manchmal auch 60h-Woche, dann ist das ein anderer Fall.

Wenn du Montag morgen einen Auftrag für den DD Report bekommst, der als red-flag Report bis Mittwoch Mittag beim Mdt sein soll, dann macht es schon einen Unterschied, ob du als Partner nun nur auf Leute zurückgreifen kannst, die 8-17 Uhr machen und dann los müssen, weil gerade am Montag das Kind abgeholt werden muss, oder ob du einen brennenden 1styear hast, der problemlos das erste Rohgerüst bis Montag Nacht aufsetzt und dann am Dienstag mal eben 12h durchpowert. Die Wahrscheinlichkeit, dass du zufällig zwei Kollegen hast, wo der eine 8-17 und der andere 15-24 arbeitet, ist doch eher Null.
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