Warum fällt die Strafrechtsklausur im ersten Examen schlechter aus?

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Seeker
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Warum fällt die Strafrechtsklausur im ersten Examen schlechter aus?

Beitrag von Seeker »

In dem Versuch, hier mal wieder etwas Leben reinzubringen: Warum fällt die Strafrechtsklausur im ersten Examen i.d.R. schlechter als die anderen Klausuren aus? Ich kenne keine offiziellen Statistiken, höre das aber immer wieder. Kürzlich wurde es auch als Argument für die mögliche Einführung einer zweiten Strafrechtsklausur im ersten Examen genannt: https://www.lto.de/karriere/jura-studiu ... n-petition

Was aber sind mögliche Gründe? Bereiten sich Kandidaten wirklich schlechter auf Strafrecht vor, weil es nur eine Klausur ist? Dann müssten die zwei Strafrechtsklausuren im zweiten Examen wohl eher besser ausfallen. Ob das so ist, weiß ich aber leider auch nicht.

Ich bin zwar kein Strafrechtler, habe aber eher eine andere These: M.E. wird im Strafrecht ein höheres Maß an "Perfektion" verlangt als oft in anderen Rechtsgebieten. Im Zivilrecht ist es, zumindest im ersten Examen, meist so, dass eine ordentliche Struktur mit guter Schwerpunktsetzung, die alle zentralen Probleme erkennt und mit soliden Argumenten löst, schnell zu einer guten Note führt. Auch dann, wenn nicht alle möglichen Ansatzpunkte oder kleineren Streitigkeiten gesehen werden. Kleinere Fehler oder Abweichungen, die nicht offensichtlich Ausdruck groben Unvermögens sind, werden eher verziehen.

Anders nach meinem Eindruck im Strafrecht. Wer dort ordentlich punkten will, sollte bei einer durchschnittlich schwierigen Klausur wirklich alle Delikte anprüfen (aber auch nur die) und idealerweise auch (so gut wie) alle Probleme und alle "Ansichten" samt Argumenten erwähnen. Was gerade wegen des oft erheblichen Klausurumfangs nicht leicht ist. Da dies vermutlich nur sehr wenigen Kandidaten gelingt, gibt es kaum Ausreißer nach oben, die den Gesamtschnitt der Klausur heben könnten.
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Re: Warum fällt die Strafrechtsklausur im ersten Examen schlechter aus?

Beitrag von Brainiac »

Zustimmung zu deinen Erklärungsversuchen. Sehe ich genau so. Gleichzeitig war das der Grund, warum ich nie große Lust verspürt habe, Strafrecht zu lernen. Um da wirklich gut zu performen, war (für mich) deutlich mehr Einsatz nötig als in den anderen Fächern, insbesondere in Sachen Auswendiglernen. Und Strafrecht machte eben nur eine Klausur aus. Ich bin da schon mit dem Pareto-Prinzip rangegangen - insofern kann ich auch den verlinkten Ansatz verstehen. Denn auch ich habe es lieber in Kauf genommen, in der einen Strafrechtsklausur schlechter abzuschneiden, um dafür die frei werdenden Kapazitäten in die anderen Fächer stecken zu können und dort dann besser abzuschneiden.
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Strich
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Re: Warum fällt die Strafrechtsklausur im ersten Examen schlechter aus?

Beitrag von Strich »

13 % waren es damals in Sachsen, die Strafrecht von der Gesamtnote ausgemacht hat. Das war mir deutlich zu wenig, als da jetzt übermäßig Arbeit reinzustecken. Jetzt mach ich Strafrecht und muss sagen, dass da an der Uni übertrieben und untertrieben zu gleich wird. Es wäre sinnvoller, den Leuten mehr Breite statt Tiefe zu vermitteln.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

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Re: Warum fällt die Strafrechtsklausur im ersten Examen schlechter aus?

Beitrag von Theopa »

Seeker hat geschrieben: Donnerstag 29. Juni 2023, 12:32 Anders nach meinem Eindruck im Strafrecht. Wer dort ordentlich punkten will, sollte bei einer durchschnittlich schwierigen Klausur wirklich alle Delikte anprüfen (aber auch nur die) und idealerweise auch (so gut wie) alle Probleme und alle "Ansichten" samt Argumenten erwähnen. Was gerade wegen des oft erheblichen Klausurumfangs nicht leicht ist. Da dies vermutlich nur sehr wenigen Kandidaten gelingt, gibt es kaum Ausreißer nach oben, die den Gesamtschnitt der Klausur heben könnten.
Das dürfte das Kernproblem sein:

Im Strafrecht hat man sehr oft Klausuren, in welchen die absolut breite Masse so ziemlich ordentlich abliefert. Die zu prüfenden Delikte sind zumeist offensichtlich, die gesuchten Probleme ebenfalls. Die Reaktion der Klausurersteller darauf ist aber in der weit überwiegenden Anzahl der Klausuren keine Erhöhung des Schwierigkeitsgrads (da das rglm. nicht wirklich funktionieren kann), sondern ein vollständiges Zumüllen des Sachverhalts mit viel zu vielen Problemen. Es entsteht ein wenig differenzierbarer Einheitsbrei an Lösungen. Das gilt im zweiten Examen leider auch noch oft, da z.B. Abschlussverfügungen oft so ziemlich der Gipfel der Rennfahrerklausur sind.

Das zeigt sich auch ganz gut am Beispiel des bayrischen zweiten Examens: Dort wird (wurde?) zu 100% jeweils eine Steuerrechts- und eine Arbeitsrechts-Klausur geprüft. Dabei ist durch die Prüfungsordnung ziemlich offensichtlich was überhaupt geprüft werden kann. Der Schnitt ist dann jeweils etwas besser als im Strafrecht, beide Klausuren sind aber ebenfalls oft komplett überladen und führen selten zu besonderen Ausreißern bei den Noten.

Die Berechenbarkeit ist der Feind der Ausdifferenzierung. Das ist sehr gut für Kandidaten die um das Bestehen kämpfen, eher irrelevant für das untere Mittelfeld aber ungut für diejenigen, die mehr wollen.
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