Verständnisfrage erkennbarer offener Kalkulationsirrtum

Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht sowie Zivilprozeßrecht

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Jakob
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Verständnisfrage erkennbarer offener Kalkulationsirrtum

Beitrag von Jakob »

Hallo zusammen, ich hoffe ihr könnt mir weiterhelfen.
Nachdem ich mir jetzt zig BGH Entscheidungen dazu durchgelesen habe, blicke ich leider nicht mehr richtig durch. Ich bin grad in der Klausurvorbereitung und zerbreche mir den Kopf darüber, wie man den Kalkulationsirrtum behandeln muss.
Meines Wissens nach ist ein verdeckter Kalkulationsirrtum stets unbeachtlich. Beim offenen Kalkulationsirrtum gibt es dazu aber ja verschiedene Ansichten, eigentlich 2 große. Das Reichsgericht hat das damals als erweiterten Inhaltsirrtum gesehen und einen Anfechtungsgrund bejaht, wobei die h.M. heute den Anfechtungsgrund verneint.

Wobei ich mir jetzt nicht sicher bin, ist aber wie ein erkennbarer - nicht erkannter - offener Kalkulationsirrtum behandelt wird, vor allem in Bezug auf Schadensersatz.
Beispiel: Wenn ein Werkvertrag geschlossen wurde zum Preis von 1200€ und der Erklärende A später seine Berechnung der einzelnen Posten dem Vertrag beifügt, wobei er Materialien = 1000€, Arbeitszeit = 100 Stunden und Stundensatz = 20€ angibt (wäre eigentlich 1000€ + 20€ * 100 = 3000€), sich aber verrechnet hat, weshalb er auf 1200€ kommt, dann kann er das meines Wissens nach gegenüber B nicht anfechten, weil es sich nur um die Willensbildung handelt.
Wenn erkennbar die Kalkulation (also Materialien + Arbeitszeit * Stundensatz) zum Vertragsgegenstand geworden wäre, dann gilt die falsa demonstratio, d.h. die richtige Endsumme von 3000€.
Wenn jetzt der Erklärende aber ein Pauschalangebot von 1200€ macht und lediglich die Kalkulation beifügt, dann ist das objektiv Relevante ja nicht die Kalkulation, sondern die Endsumme, und diese ist auch ausschlaggebend, also 1200€. So haben wir es zumindest alles gelernt.

Was ist jetzt aber, wenn der Rechenfehler für beide Parteien extrem erkennbar war, ihn aber beide übersehen haben?
Für die Unbeachtlichkeit des Kalkulationsirrtums bedeutet das meines Wissens nach ja nichts, aber könnte der Erklärende dann SE-Forderungen in Höhe der Differenz geltend machen? Ich hab dazu einen BGH Fall aus dem Vergaberecht gelesen, bei dem von einer Aufklärungspflicht gegenüber dem anbietenden Auftragnehmer gesprochen wurde, aber ob diese auch zwischen Privaten besteht weiß ich nicht. Und in dem Fall wurde der Irrtum auch erkannt und ausgenutzt, wenn der Irrtum aber nur erkennbar war, dann muss das ja anders behandelt werden.

Mein erster Instinkt wäre in dem Fall jetzt, dass A weiterhin zur Werkverrichtung für 1200€ verpflichtet ist und A halt zur Zahlung von 1200€. Und B könnte sich auf § 313 berufen, wobei sich aber dann die Frage der Erheblichkeit stellt oder mit c.i.c. und § 241 die Differenz verlangt, wobei sich dann aber eben die Frage nach der Aufklärungspflicht stellt.

Zusammengefasst: Wenn der offene Kalkulationsirrtum in keinem Fall zur Anfechtbarkeit führt, können dann trotzdem SE-Ansprüche entstehen? Und ist Erkennbarkeit mit Kenntnis gleichzusetzen? Ich danke euch vielmals, wenn das einer besser durchblickt!

LG
Joshua
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Re: Verständnisfrage erkennbarer offener Kalkulationsirrtum

Beitrag von Joshua »

@Jakob

Damit habe ich mich mal sehr intensiv wissenschaftlich auseinandergesetzt. Da deine Frage etwas älter mit, teile bitte mal kurz mit, ob du noch an der Antwort interessiert bist - dann schreibe ich etwas länger dazu!

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