[Verwaltungsrecht AT] Heilbarkeit von Ermessensfehlern?!

Staatsrecht, Allgemeines und Besonderes Verwaltungsrecht (Bau-, Kommunal-, Polizei- und Sicherheitsrecht, BImSchG etc.)

Moderator: Verwaltung

Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Habe das von dir (Calmy) zitierte Urteil mal überflogen, aber soweit ich das sehe, schreibt das BVerwG dort zum hier vorliegenden Problem nicht wirklich viel.

Etwas mehr zur Problematik in BVerwG Urteil vom 05.05.1998, Az. 1 C 17.97 = NVwZ 1999, 425 (Verwaister Link http://www.ejura-examensexpress.de/online-kurs/entsch_show_neu.php?Alp=1&Seite=0&Sort=-2&Anz=4&sid=51dd7cd2eab59717a4d666df157ad278&F_0=BVerwG&F_4=114 S. 2 VwGO&dok_id=1493&Pos=0 automatisch entfernt).

Für richtig halte ich die dort und wohl auch überwiegend vertretene Ansicht, dass § 114 S. 2 VwGO ausschließlich eine prozessrechtliche Norm ist, die bei der Frage, ob eine materiell-rechtliche Heilung des ermessensfehlerhaften VAs möglich ist keine (unmittelbare) Rolle spielt.

Für falsch halte ich allerdings die Begründung des BVerwG aaO, warum das Nachschieben von Ermessenserwägungen in materiell-rechtlicher Hinsicht zulässig sein soll:
ccc) Die Zulässigkeit der Ergänzung von Ermessenserwägungen bestimmt sich allerdings nicht allein nach § 114 S. 2 VwGO. Sie ist zunächst nach dem einschlägigen materiellen Recht sowie dem Verwaltungsverfahrensrecht zu prüfen. Aus dem materiellen Ausländerrecht sind keine Gründe ersichtlich, die der nachträglichen Ergänzung von Ermessenserwägungen zu einer Ausweisungsverfügung entgegenstehen, wenn diese auf den für die Beurteilung maßgebenden Zeitpunkt bezogen werden. Entgegen der Auffassung der Revision ist es nicht bedenklich, daß die Behörde ihre Ermessenserwägungen auf der Grundlage der im maßgebenden Beurteilungszeitpunkt gegebenen Umstände ergänzt. Eine derartige Retrospektive ist auch sonst, etwa bei Beurteilungen von Prognoseentscheidungen, nicht ungewöhnlich. § 45 Abs. 2 VwVfG läßt in der Fassung, die die Vorschrift durch das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren v. 12. September 1996 (BGBl I S. 1354) erhalten hat, die Nachholung einer erforderlichen Begründung bis zum Abschluß eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu. Die Möglichkeit, die Begründung bis zum Abschluß des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachzuholen, hat der Freistaat Bayern allerdings erst durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes v. 26. Juli 1997 (GVBl S. 348) mit Wirkung vom 1. August 1997 an eröffnet. Davor konnte die Begründung nur bis zur Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage nachgeholt werden. Eine derartige zeitliche Begrenzung steht indessen nicht einmal der Änderung eines Verwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren entgegen (Beschluß vom 19. August 1981 - BVerwG 4 B 105.81 - Buchholz 316 § 45 VwVfG Nr. 4; Urt. v. 18. Mai 1990 - BVerwG 8 C 48.88 - BVerwGE 85, 163.). Unter diesen Umständen bestehen gegen die Zulässigkeit einer bloßen Ergänzung von Ermessenserwägungen während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens keine Bedenken.
Wenn ich die Passage richtig verstehe, sind die beiden Argumente für die Zulässigkeit

1. , dass das materielle Ausländerrecht ein Nachschieben nicht ausdrücklich verbietet und

2., dass § 45 II (Landes-)VwVfG ein Nachholen der Begründung bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens zulässt.

Zu 1.:
Es kommt doch wohl darauf an, ob das materielle Verwaltungsverfahrensrecht der Behörde ein nachträgliches "Ausbessern" erlaubt und nicht darauf, dass es keine Norm gibt, die es verbietet. Schließlich greift die Behörde dadurch in eine Rechtsposition des Bürgers ein und dafür braucht sie eine Rgrdlg.

Zu 2.:
Jeder Erstsemestler lernt und das ist wohl auch ganz hM, dass § 45 II VwVfG sich nur auf den Formmangel nach § 39 VwVfG bezieht. Sprich, eine gänzlich fehlende Begründung darf danach nachgeholt (im Sinne von "nachträglich mitgeteilt"), nicht aber eine rechtlich falsche durch eine richtige ersetzt werden. Bei einer lückenhaften Ermessensentscheidung hat die Behörde ja nicht bloß vergessen, dem Bürger bestimmte Erwägungen mitzuteilen, sie hat diese Belange vielmehr rechtsfehlerhaft überhaupt nicht bei ihrer Entscheidung beachtet.
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Calmy
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Beitrag von Calmy »

Zu 1.: Grundsätzlich ist das nachträgliche Ausbessern ja erlaubt (§ 114 S. 2 VwGO). Mögliherweise ist das Ausbessern aber im Ausländerrecht ausgeschlossen.

Zu 2.: Ich denke, damit wird die Begründung der Ermessensentscheidung gem. § 39 I 3 VwVfG gemeint.
"Also hopphopp!"
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Calmy hat geschrieben:Zu 1.: Grundsätzlich ist das nachträgliche Ausbessern ja erlaubt (§ 114 S. 2 VwGO). Mögliherweise ist das Ausbessern aber im Ausländerrecht ausgeschlossen.
Wie gesagt, nach richtiger und wohl hM ist § 114 S. 2 VwGO eine reine gerichtsverfahrensrechtliche Norm, die auf die materielle Rechtslage (sprich auf die Frage: kann der rwi. VA durch Nachschieben von Gründen geheilt werden?) keinen Einfluss hat. Hierzu auch das BVerwG aaO:
ddd) Ist die Zulässigkeit einer Ergänzung von Ermessenserwägungen nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht zu beurteilen, hat § 114 S. 2 VwGO nur die Bedeutung, daß einem danach zulässigen Nachholen von Ermessenserwägungen prozessuale Hindernisse nicht entgegenstehen (vgl. Gerhardt in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, VwGO, § 114 Rn. 12 c; vgl. auch Schmieszek, NVwZ 1996, 1151). Wie das Prozeßrecht unter bestimmten Voraussetzungen Klageänderungen zuläßt, also eine Änderung des Streitgegenstandes im laufenden Rechtsstreit ermöglicht, kann es auch eine Ergänzung des angefochtenen Verwaltungsaktes durch nachgeschobene Ermessenserwägungen zulassen. Dies hat die verwaltungsprozessuale Folge, daß eine der Vorschrift entsprechende Ergänzung der Ermessenserwägungen nicht zu einer Änderung des Streitgegenstandes führt, so daß sie weder eine Klageänderung noch die Durchführung eines erneuten Widerspruchsverfahrens erforderlich macht.
Calmy hat geschrieben:Zu 2.: Ich denke, damit wird die Begründung der Ermessensentscheidung gem. § 39 I 3 VwVfG gemeint.
Ja, aber ein Verstoß gegen § 39 I 3 VwVfG, der einer Heilung nach § 45 II VwVfG zugänglich ist, liegt dann vor, wenn die Begründung die Gesichtspunkte nicht erkennen lässt, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Hier liegt aber kein bloßer Mitteilungsmangel vor, sondern die Behörde ist von den nachträglich mitgeteilten Gesichtspunkten bei ihrer Ermessensentscheidung ja gerade nicht ausgegangen. Sie hat also nicht nur unterlassen, dem Bürger ihre Ermessenserwägung darzulegen, sondern sie hat es unterlassen, Erwägungen in ausreichendem Maße vorzunehmen. Das ist ein großer Unterschied, der sich schon daran zeigt, dass Var. 1 nur zu formeller Rechtswidrigkeit (fehlende Begründung), Var. 2 hingegen zu materieller Rechtswidrigkeit (Ermessensfehlgebrauch) führt.
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