Angefahren und liegengelassen - fl. Körperverletzung oder Tötung?

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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Vmax777
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Angefahren und liegengelassen - fl. Körperverletzung oder Tötung?

Beitrag von Vmax777 »

Hallo liebes Forum,

ich quäl mich gerade mit einem "Klassikerproblem" rum: wenn man jemanden fahrlässig anfährt und diesen vorsätzlich liegenlässt und er dann stirbt.

Was mich verwirrt: Ich habe bezüglich "anfahren und liegenlassen" an verschiedenen Stellen Lösungsskizzen gefunden, nur behaupten die einen ohne weitere Erläuterung, dass es sich beim anfahren selbstverständlich um eine fahrlässige Körperverletzung handelt (ja, schon, aber...) und die anderen, dass wohl nur fahrlässige Tötung in Frage kommt (irgendwann ist das Opfer ja auch tot). Beide prüfen dann noch ein Unterlassungsdelikt, wie ich das auch tun würde.

Wie ist es zu erklären, dass beide Varianten (fl. KV oder Tötung) so selbstverständlich in verschiedenen Lösungen stehen? Lt. A/S ist das ein total wichtiges Thema, das man sich unbedingt merken soll (die bejahen einfach die fl. KV). nur ich habe das Gefühl dass ich das irgendwie nicht ganz verstanden habe (und das Merken geht viel leichter, wenn man was verstanden hat, finde ich zumindest).

Und noch eine Unklarheit: wenn es sich beim Anfahren nicht klären lässt, ob der Täter oder jemand anderes es wahr, komme ich damit ja aus Vorsatzdelikten raus über in dubio pro reo, aber nicht aus der Fahrlässigkeit, weil ja hier jedes Mitverursachen ausreicht. Richtig?

Irgendwie widerstrebt es mir, in Teil 1 eine fahrlässige Tötung anzunehmen, obwohl das Opfer noch gar nicht tot war, als der Täter den Verletzten absichtlich liegen lässt. Aber ich finde keinen Weg raus! Oder ist das eine Unterbrechung des Kausalverlaufs? Aber darüber habe ich nicht wirklich was gefunden.

Sorry etwas lang, aber ich hab mir echt schon den Kopf zerbrochen... Kann mir jemand einen Tipp geben, wo's hakt (bzw. wie ich da rauskomme)?
vielen Dank im voraus
Vmax777
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Zu Problem 1:
Sehr interessante Frage. Spontan würde ich meinen, dass im Erg. durch das Anfahren nur fahrl. KV richtig ist, wenn ich den Todeserfolg später auch für das Unterlassungsdelikt heranziehe. Ansonsten käme ich zu zwei Tötungsdelikten, obwohl nur ein Mensch getötet wurde. Steuern würde ich das Ganze evtl. über die obj. Zurechenbarkeit (Kausalität mE unproblematisch gegeben, insbes. auch keine Unterbrechung des K-Verlaufs). Aber nur so ein erster Gedanke. Vielleicht auch nicht unbedingt dogmatisch sauber. Evtl. später mehr dazu, muss gleich los...
Und noch eine Unklarheit: wenn es sich beim Anfahren nicht klären lässt, ob der Täter oder jemand anderes es wahr, komme ich damit ja aus Vorsatzdelikten raus über in dubio pro reo, aber nicht aus der Fahrlässigkeit, weil ja hier jedes Mitverursachen ausreicht. Richtig?
Also irgendeine kausale und sorgfaltswidrige Handlung muss ich dem Täter schon nachweisen können. Verstehe jetzt aber auch nicht so ganz, was du meinst. Hast du vielleicht ein Bsp.?
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Vmax777
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Beitrag von Vmax777 »

Hallo ghostwriter,

danke für die Antwort!

Beispiel zu Problem 2, ist quasi Klassikerproblem de luxe: wenn nicht ein sondern zwei Fahradfahrer A und B gemeinsam zu schnell fahren und rum hampeln und dann mit einem dritten C zusammenstoßen und in dem Chaos werden B sowie C verletzt, der später auch stirbt, wobei auch bei sofortiger Hilfe eine Rettung nur geringe Chancen gehabt hätte.

Wenn ich nun die Strafbarkeit des A prüfe, zuerst bezogen auf den Zusammenstoß. Da meine ich dass sich ja nicht feststellen lässt, wer den C so verletzt hat, also würde ich in der objektiven Zurechnung beim Vorsatzdelikt zwar Kausalität (Tod ist ja eingetreten) bejahen, aber über in dubio "aussteigen", da ja dem A der Erfolg nicht zweifelsfrei zugerechnet werden kann, da es ja auch B hätte sein können.

Dann wäre es ja eigentlich nur konsequent, die fahrlässige Tötung durch A bzgl. Zusammenstoßen zu bejahen, denn wenn ich bei den Vorsatzdelikten ja grundsätzlich den Erfolg bejahe, nur die zweifelsfreie Zurechnung nicht wg. Radfahrer B, müsste ich bei der fahrlässigen Tötung ja ebenfalls den Todeserfolg bejahen und dann wg. ausreichender Mitverursachung bei FL auch die objektive Zurechnung.

Das Liegenlassen macht der A vorsätzlich, da aber nicht klar ist, ob der C dadurch gestorben ist, muss ich das auch wieder in der obj. Zurechnung ablehnen. D.h. also ich komme zum versuchten Unterlassen aus Ingerenz.

Findest Du wirklich, dass daraus 2 Tötungsdelikte bei nur einem Opfer resultieren oder nicht eher eine mögliche Strafbarkeit aus 2 Gründen, von denen ich einen über die Konkurrenzen ausschließen kann?

Und noch mal was Neues: die Ingerenz bezieht sich doch auf das pflichtwidrige Ausserachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt wg. rumhampelns und zu schnell fahrens, oder?
Oder etwa auf das vorangegangene Delikt? Dann hätte ich nämlich wieder ein Problem mit der fahrlässigen Tötung, denn eine fl. Tötung kann ja wohl kaum eine Ingerenz begründen ;-)

Bin gespannt, wie Du das siehst!
Vmax
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Sorry, aber deinem letzten Beitrag kann ich leider überhaupt nicht folgen. Wie ist der Sachverhalt? Was prüfst du im Einzelnen? Hast du jetzt ein Tatsachen- oder Rechtsproblem? Oder beides? Vielleicht bin ja auch nur ich zu doof...
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Vmax777
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Beitrag von Vmax777 »

Oh je... was ich für ein Problem hab weiß ich auch nicht so recht aber ich hab definitiv mindestens eins ;-)

Sachverhalt ist wie in meinem zweiten Beitrag, A und B stoßen mit einem C zusammen und sowohl B als auch der völlige unbeteiligte C sind verletzt, C stirbt später. Ich prüfe A.

Einmal muss ich A in Bezug auf das Zusammenstoßen prüfen, da war mein Problem, ob das fahrlässige KV oder Tötung ist, da C erst bewusstlos ist und irgendwann später stirbt.

Nach dem Zusammenstoß denkt sich der A, au weia, da mach ich mich mal lieber dünne und lässt den C vorsätzlich liegen und holt keine Hilfe, obwohl er könnte. C stirbt, allerdings hätte er laut Gutachten auch bei sofortiger Hilfe nur eine geringe Überlebenschance gehabt.

Da prüfe ich ein Töten durch Unterlassen, weil A eine Garantenstellung aus Ingerenz haben müsste. Vorsätzliche Tötung durch Unterlassen geht bei mir nicht durch, da es nicht sicher ist, dass C bei Hilfe holen durch den A überlebt hätte. Daher prüfe ich versuchte Tötung durch Unterlassen.

Mein Problem war: Ich prüfe zwei Handlungsabschnitte, am Ende des ersten (des Zusammenstoßes) ist C noch nicht tot, nur verletzt. Am Ende von der ganzen Geschichte ist C aber tot.

Kann ich auch in Bezug auf den ersten Handlungsabschnitt fahrlässige Tötung bejahen oder muss ich fl. KV bejahen, damit ich mit der Tötung durch Unterlassen kein Problem bekomme? Dazu gibt es wie gesagt in ähnlichen Fällen zwei Meinungen, die beide jeweils unbegründet da stehen.

Ich denke, dass die fl. Tötung nach dem Zusammenstoß richtig ist und falls meine versuchte Tötung durch Unterlassen durchgeht, kann ich die fl. Tötung über die Konkurrenzen ausschließen.

Dazu hätte ich gerne eine Meinung, ob das so Sinn macht.

Und ein kleines blödes Randproblem bzgl. der Ingerenz: mir ist nicht ganz klar, welches das gefährliche Vorverhalten ist, dass A und B gegen eine Sorgfaltspflicht verstoßen, weil sich nicht ordentlich Rad fahren oder ist das Vorverhalten das Verletzten des C (wobei ich zu ersterem tendiere).

Hoffentlich etwas klarer, wäre super, wenn Du Dich noch mal äußern könntest.
Danke schön
Vmax
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ok, jetzt blick ich wieder durch. Lassen wir - so vertehe ich deinen letzten Beitrag - einfach die Tatsachenproblematik mit in dubio pro reo etc. erst mal raus und gehen davon aus, dass A tatsächlich an dem Zusammenstoß mit C beteiligt war.
Nach dem Zusammenstoß denkt sich der A, au weia, da mach ich mich mal lieber dünne und lässt den C vorsätzlich liegen und holt keine Hilfe, obwohl er könnte. C stirbt, allerdings hätte er laut Gutachten auch bei sofortiger Hilfe nur eine geringe Überlebenschance gehabt.

Da prüfe ich ein Töten durch Unterlassen, weil A eine Garantenstellung aus Ingerenz haben müsste. Vorsätzliche Tötung durch Unterlassen geht bei mir nicht durch, da es nicht sicher ist, dass C bei Hilfe holen durch den A überlebt hätte. Daher prüfe ich versuchte Tötung durch Unterlassen.
Stimme ich dir zu. Und wenn A es zumindest für möglich gehalten hat, dass C durch seine Hilfe noch gerettet werden, aber ansonsten sterben könnte, er gleichzeitig den Tod billigend in Kauf genommen hat, haben wir Tatentschluss zum Totschlag durch Unterlassen und somit Versuch.
Kann ich auch in Bezug auf den ersten Handlungsabschnitt fahrlässige Tötung bejahen oder muss ich fl. KV bejahen, damit ich mit der Tötung durch Unterlassen kein Problem bekomme? Dazu gibt es wie gesagt in ähnlichen Fällen zwei Meinungen, die beide jeweils unbegründet da stehen.

Ich denke, dass die fl. Tötung nach dem Zusammenstoß richtig ist und falls meine versuchte Tötung durch Unterlassen durchgeht, kann ich die fl. Tötung über die Konkurrenzen ausschließen.
In speziell dieser Konstellation muss man wohl auf jeden Fall fahrlässige Tötung durch das Anfahren annehmen, denn der Todeserfolg wird durch den nur versuchten Totschlag durch Unterlassen ja gerade mangels Kausalität des Unterlassens nicht erfasst. Würde hier auch auf Konkurrenzebene Tatmehrheit zwischen fl. Tötung und versuchtem Totschlag durch Unterlassen annehmen und keines der beiden Delikte als mitbestrafte Vor- oder Nachtat behandeln. Denn das verwirklichte Erfolgsunrecht kann ich in unserem Fall nur durch die fl. Tötung erfassen.

Problematischer wäre der Fall mE, wenn - anders als hier - vollendeter Totschlag durch Unterlassen gegeben wäre.
Und ein kleines blödes Randproblem bzgl. der Ingerenz: mir ist nicht ganz klar, welches das gefährliche Vorverhalten ist, dass A und B gegen eine Sorgfaltspflicht verstoßen, weil sich nicht ordentlich Rad fahren oder ist das Vorverhalten das Verletzten des C (wobei ich zu ersterem tendiere).
ME beides. Das Verletzen des C infolge des Rumblödelns.
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Vmax777
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Beitrag von Vmax777 »

Vielen Dank, dass Du dir Gedanken gemacht hast und auch noch mal nachgefragt, für mich ist das jetzt viel klarer geworden.
Ist schon lustig, wie es manchmal auch schon helfen kann, das Problem verständlich zu formulieren und wenn man dann noch ein Feedback kriegt, ist das alles gar nicht mehr so das Problem.
Aber schrecklich, wenn man sich so verrennt.
Das muss ich wohl noch üben, mich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen, wenns verworren wird.
Nochmal danke & besten Gruß
Vmax
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Bitteschön und Gruß zurück. :)
Lacan
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Beitrag von Lacan »

Wenn C zu Tode gekommen ist, aber kein Hinweis für einen Tötungsvorsatz besteht, prüft man die fahrlässige Tötung, nicht das Durchgangsstadium der KV, weil diese eh zurücktreten würde.

Jedoch muss man in solchen Fällen regelmäßig an den Ausschluss des obj Zurechnungszusammenhangs (bzw Schutzzweckzusammenhang) wegen rechtmäßigem Alternativverhalten denken (Klassischer Fall BGH MDR 1985, 157: Ursächlichkeit überhöhter Geschwindigkeit für Unfall).

Lehnt man die Risikoerhöhungslehre ab und somit die Tatbestandsmäßigkeit des § 222, kommt man im zweiten Handlungskomplex zum Totschlag durch Unterlassen, §§ 212, 13. Hier ist wieder der Zurechnungszusammenhang (manche sprechen auch von Kausalität im Rechtssinne oder wenden eine abgewandelte csqn-Formel an) das Problem: Ist es ungewiss, ob die Vornahme der gebotenen Handlung (Garantenstellung aus Ingerenz) den tatbestandsmäßigen Erfolg abgewendet hätte, gilt in dubio pro reo (vgl. BGH NJW 1990, 2569, 2565 - Lederspray-Entscheidung). Hier muss man sich wieder mit einer Risikoverringerungslehre auseinandersetzen.

Wegen mangelnder Zurechenbarkeit kommt man zum versuchten Totschlag durch Unterlassen. Streitig ist hier insbesondere der Tatentschluss bzgl der Garantenstellung: wenn wegen der Rechtmäßigkeit des Alternativverhaltens der Zurechnungszusammenhang oben schon nicht festgestellt werden konnte, kann bei der Versuchstat nichts anderes gelten. Man wird deswegen auch den versuchten Totschlag durch Unterlassen regelmäßig ablehnen müssen.

Mangels Garantenstellung kommt auch ein Aussetzen nicht in Frage. Dafür aber sind § 323c und § 142 I Nr. 2 gegeben.

... soweit jedenfalls meine AS-Lösungsskizze zu einem ähnlich gelagerten Fall.
Vernunft – ein anderer Ausdruck für Ahnungslosigkeit in Bezug auf Widersprüche zwischen Zwecken und Mitteln (Luhmann)
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

@Lacan: Gebe dir grds. in allem Recht, was du schreibst. Aber hier waren doch laut SV überhaupt keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Zusammenstoß mit C auch ohne das zu schnelle Fahren und das Rumhampeln auf dem Fahrrad, also auch bei rmä. Alternativverhalten, eingetreten wäre. Oder habe ich was übersehen? :-k
Lacan
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Beitrag von Lacan »

Nee, hast nichts übersehen. Es könnte aber durchaus sein, dass der Fall darauf hinausläuft.
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Vmax777
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Beitrag von Vmax777 »

Im Sachverhalt ist angegeben, dass die beiden Radfahrer angetrunken sind, in der Dämmerung fahren und noch dazu ein Wettrennen verabredet haben, daher ist ein rechtmäßiges Alternativverhalten auszuschließen. Die Infos hatte ich weggelassen, weil sie für meine Frage nicht relevant schienen.

@lacan: die Frage ob fl. Tötung oder KV kam daher, dass manche das bei einer ähnlichen Konstellation sofort über KV lösen und die Tötung nicht ansprechen, was ich merkwürdig finde.

Wieso hat A keine Garantenstellung in Bezug auf Aussetzen? Er fährt doch weg und lässt ihn liegen im Bewusstsein, dass er sterben könnte. Er versetzt ihn in eine hilflose Lage, in dem er ihn anfährt und lässt ihn auch in einer hilflosen Lage zurück. Klingt für mich so, als würde das erfüllt. Oder gibts da Tücken (hab Aussetzung noch nie geprüft).
Lacan
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Beitrag von Lacan »

Die Verneinung der Garantenstellung betrifft nur den Fall des rechtmäßigen Alternativverhaltens, der hier nicht vorliegen soll.
Vernunft – ein anderer Ausdruck für Ahnungslosigkeit in Bezug auf Widersprüche zwischen Zwecken und Mitteln (Luhmann)
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