Gewahrsam wider Willen?

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

Moderator: Verwaltung

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Gelöschter Nutzer

Gewahrsam wider Willen?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Nu is’it ja so mit dem Gewahrsamswillen, dass sich dieser auf den ganzen Herrschaftsbereich erstreckt, also der Brief im Briefkasten oder wenn beispielsweise ein Ring im Kino gefunden wird hat nicht etwa die angestellte Reinigungskraft, die den Ring gefunden hat Gewahrsam erlangt, sondern der Kinoeigentümer.
Wie schaut es nun aber mit aufgedrängtem Gewahrsam aus, wenn z.B. nicht ein Brief, sondern ein unerwünschtes Werbeprospekt im Briefkasten landet oder die Kinobesucher nicht den wertvollen Ring zurücklassen, sondern nur leere Chipstüten.
Gibt es Kriterium der “Erwünschtheit“, i.S.v. „die wertvolle Sache nehm ich gern, aber den Müll kannst du behalten“? Ist schon klar, dass diese Frage kaum einen praktischen Wert hat und nur von rein akademischen Interesse ist, würde mich aber trotzdem mal interessieren.

Folgender Fall wäre vielleicht denkbar:
A hasst Werbeprospekte. An seinem Briefkasten steht deutlich „Werbung – Fuck Off!“ und falls sich doch mal ein Werbeprospekt in seinen Briefkasten verirrt schmeißt er dieses unverzüglich und ungelesen in den Müll. Eines Tages bemerkt der B, das aus dem Briefkasten des A ein Werbeprospekt zu Hälfte raushängt, welches dem B interessiert. B zieht das Prospekt aus dem Briefkasten und macht sich damit davon.
Strafbarkeit des B?

(B wusste nichts von As Abneigung gegen Werbung, es ist aber davon auszugehen, dass A das Prospekt sofort weggeworfen hätte.)

Abwandlung: Es handelt sich nicht um ein Werbeprospekt, sondern um eine Bananenschale die jemand in den Briefkasten des A wirft. Da der B seine Bananenschalensammlung erweitern möchte nimmt er diese mit.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ohne jetzt irgendwo nachgeschlagen zu haben: allein vom Begriff her würde ich sagen, dass bei unerwünschten Dingen auch kein Gewahrsamswille vorliegen kann. Man will ja gerade nicht.

Insofern käme man wohl nur zu versuchtem Diebstahl, da ja nur in der eigenen Vorstellung der Gewahrsam eines anderen gebrochen wird.

Wobei meiner Ansicht nach ein "Werbung fuckoff" schon sehr deutlich macht, dass derjenige keinen Willen hat, Gewahrsam an etwaiger eingeworfener Werbung zu begründen. Insofern könnte man auch den Vorsatz verneinen, da der Sammler davon ausgehen kann gerade nicht gegen den Willen des anderen zu handeln.

Aber selbst wenn man doch einen fingierten Gewahrsamswillen annimmt: der Briefkastenmensch wird wohl kaum Strafantrag stellen.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Wie liegt das denn bei den netten Strafzetteln, die man an seinem Auto findet?
Mal angenommen jemand nimmt den Strafzettel und pinnt ihn an sein eigenes Auto. Wie siehts denn da mit Gewahrsamsbruch aus?
Lacan
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Beitrag von Lacan »

Man spricht beim Merkmal des Gewahrsamswillen auch vom "natürlichen Herrschaftswillen" (zB Kindhäuser LPK-StGB 242, 21) bzw. vom "natürlichen Beherrschungswillen", der "weder eines Eigentums- noch eines Zueignungswillens" bedarf (Sch/Sch 242, 29). Damit können selbst Geschäftsunfähige Gewahrsam halten. Auf einen rechtsgeschäftlichen Willen kommt es nicht. Man könnte daher in diesem Fall sogar sagen, A hat Gewahrsam wider Willen.

Ob er wegen des Schildes ein generelles Einverständnis in die Wegnahme von Werbeprospekten gegeben hat, ist eine andere Frage. Hier wird ein Wille zur Aufgabe solchen Eigentums erst relevant, nicht aber schon beim Merkmal des Gewahrsams.
Vernunft – ein anderer Ausdruck für Ahnungslosigkeit in Bezug auf Widersprüche zwischen Zwecken und Mitteln (Luhmann)
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Lacan hat geschrieben:Man spricht beim Merkmal des Gewahrsamswillen auch vom "natürlichen Herrschaftswillen" (zB Kindhäuser LPK-StGB 242, 21) bzw. vom "natürlichen Beherrschungswillen", der "weder eines Eigentums- noch eines Zueignungswillens" bedarf (Sch/Sch 242, 29). Damit können selbst Geschäftsunfähige Gewahrsam halten. Auf einen rechtsgeschäftlichen Willen kommt es nicht. Man könnte daher in diesem Fall sogar sagen, A hat Gewahrsam wider Willen.
Diese Schlussfolgerung finde ich nicht logisch. Nur weil es auf einen rechtsgeschäftlichen Willen nicht ankommt, heißt dass nicht, dass es überhaupt nicht auf einen Willen ankommt. Schließlich heißt es nicht grundlos 'Herrschaftswille', 'Beherrschungswille'.

Aus dem Tröndle/Fischer, § 242 Rn. 13: (...) Der Wille setzt ein Wissen, also Kenntnis vom Entstandensein des Herrschaftsverhältnisses voraus, hingegen nicht ständiges Bewusstsein der Sachherschaft. Auch braucht sich der Herrschaftswille nicht auf die einzelne Sache zu erstrecken; er kann auch allgemein bekundet sein oder sich aus den Umständen ergeben; so bei Sachen im Briefkasten...

Auf den ersten Blick könnte man nun meinen, dass also doch pauschal alles was im Briefkasten landet in den Gewahrsam des Briefkasteninhabers übergeht. Allerdings wird ja darauf abgestellt, was sich aus den konkreten Umständen ergibt und dazu gehört nunmal auch der Aufkleber auf dem Briefkasten, der meiner Meinung nach eindeutig gegen einen Gewahrsamswillen spricht.
Lacan
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Gewahrsamswille

Beitrag von Lacan »

Vargr hat geschrieben:...darauf abgestellt, was sich aus den konkreten Umständen ergibt und dazu gehört nunmal auch der Aufkleber auf dem Briefkasten, der meiner Meinung nach eindeutig gegen einen Gewahrsamswillen spricht.
Ja, der Fall ist zu banal. Aber meinst du nicht, dass der Inhaber des Briefkastens ein Interesse daran haben könnte, dass andere seinen Briefkasten nicht nach vielleicht (!) unerwünschten Sachen durchsuchen?

Anderer Fall: Weil A einmal einen Artikel lanciert hat, bekommt er vom Redakteur weiterhin die Zeitschrift geliefert, auf dass er sich ermuntert fühle, weitere Artikel zu schreiben und einzusenden. B findet die Zeitschrift toll und weiß, dass A die Zeitschrift nicht liest und auch kein Interesse mehr daran hat. Soll er dann ungestraft die Zeitschrift entnehmen dürfen?

Ich meine, ein negativer Gewahrsamswille muss in etwa die Qualität einer Dereliktion haben. Obgleich § 959 BGB Geschäftsfähigkeit verlangt, der Verzichtswille also viel strenger ist als der (negative) Gewahrsamswille, würde ich in ähnlicher Weise eine Besitzaufgabe fordern, die mE nicht schon deshalb vorliegt, weil jemand keinen Willen daran hat, sich die Sache aber gleichwohl in seiner Gewahrsamssphäre befindet.
Vernunft – ein anderer Ausdruck für Ahnungslosigkeit in Bezug auf Widersprüche zwischen Zwecken und Mitteln (Luhmann)
Gelöschter Nutzer

Re: Gewahrsamswille

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Lacan hat geschrieben: Ja, der Fall ist zu banal. Aber meinst du nicht, dass der Inhaber des Briefkastens ein Interesse daran haben könnte, dass andere seinen Briefkasten nicht nach vielleicht (!) unerwünschten Sachen durchsuchen?
Ich bin im vorliegenden Fall davon ausgegangen, dass die Werbung nur halb eingesteckt war, also sofort von außen sichtbar, ein Durchsuchen also gar nicht notwendig war. Dagegen hätte ich natürlich einiges einzuwenden.

Im Prinzip würde ich es bei der Zeitung nicht anders sehen als bei Werbung und Bananenschale. Ungewollt ist ungewollt.
Seekorn
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Beitrag von Seekorn »

Betrachtet ihr das nicht auch von der falschen Seite?

Die Strafbarkeit kann doch nicht davon abhängen, ob der andere die Sache nun zufällig haben wollte oder nicht, zumal das für den Täter in dem hier genannten Fall sowieso nicht ersichtlich ist. (Anders sind da die Fälle des richtigen Einverständnis, wo es für den Täter auch klar ersichtlich ist.)

Aber auch wenn man das Kriterium heranzieht, dann kommen wir wohl mindestens zu einem versuchten Diebstahl (wobei hier evtl. fraglich wäre, wie das Schild "Keine Werbung" zu verstehen ist).
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Seekorn hat geschrieben:
Aber auch wenn man das Kriterium heranzieht, dann kommen wir wohl mindestens zu einem versuchten Diebstahl (wobei hier evtl. fraglich wäre, wie das Schild "Keine Werbung" zu verstehen ist).
Hab ich weiter oben schon erwähnt, wie ich das sehe. ;)

Vorsatz (-), da der vermeintliche Dieb aufgrund des Aufklebers davon ausgeht, dass er nicht gegen den Willen des anderen handelt.
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