Europarecht: Auslegung im Privatrecht?!?

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Gelöschter Nutzer

Europarecht: Auslegung im Privatrecht?!?

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Nach dem EuGH müssen nationale Gerichte auch im Rahmen privatrechtlicher Beziehungen alle Auslegungsspielräume ausschöpfen, um den Regelungen einer Richtlinie im innerstaatlichen Recht Wirkung zu verschaffen. Nach Herdegen sei hieran problematisch, dass hier im Ergebnis eine unmittelbare Wirkung einer Richtlinie zu Lasten einzelner vorläge.

Wieso ist das problematisch?!? Weil die Richtlinie vor der Umsetzung kein Gesetz ist und die Schrankenerfordernisse nicht erfüllt oder was meint er hier?
Lacan
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Beitrag von Lacan »

Hast du dafür mal ein Beispiel? ... "zu Lasten einzelner": Das ist in der Tat ein Problem, wenn eine richtlinienkonforme Auslegung dazu führt, zu Lasten einer Partei zu entscheiden, ohne dass ein Gesetz vorläge. In einer Bürger-Staat-Beziehung mag man das verschmerzen, weil alle danach wenigstens gleich behandelt werden. In einer Bürger-Bürger-Beziehung ist die Ungleichbehandlung sofort offenbar, wenn aufgrund einer Richtline etwa ein Anspruch verwehrt wird oder es kommt einer hinzu, wo nach geltendem Recht keiner vorgesehen ist.
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Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ja, Beispiel ist der Fall, in dem sich eine Italienerin auf die HausTürGeschäft Richtlinie und 7-tägige Widerrufsfrist zu Lasten eines Sprachkurs-Veranstalters berufen will, nachdem Italien die Richtlinie nicht fristgerecht umgesetzt hat. EuGH kam zu dem Ergebnis, dass die unmittelbare Wirkung einer Richtline allein im Verhältnis Staat Bürger gelten kann.

Dass die Anwendung nicht ganz unproblematisch sein kann, leuchtet mir ein. Aber was ist das dogmatische Problem dahinter? Ich meine, dass es darin zu sehen ist, dass kein dem Bürger gegenüber wirksames nationales Gesetz vorliegt. Ansonsten wäre der Fall doch vergleichbar mit einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht, die auch zu einem mittelbaren Nachteil eines Privaten führen kann (durch für diesen nachteilige Auslegung).
Christoph
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Re: Europarecht: Auslegung im Privatrecht?!?

Beitrag von Christoph »

patricia hat geschrieben:Wieso ist das problematisch?!? Weil die Richtlinie vor der Umsetzung kein Gesetz ist und die Schrankenerfordernisse nicht erfüllt oder was meint er hier?
Schon aufgrund des Prinzips der begrenzten Ermächtigung. Nur für die Bereiche, in denen eine VO ergehen darf, soll die EG direkt auf den Bürger durchgreifen können.
Lacan
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Re: Europarecht: Auslegung im Privatrecht?!?

Beitrag von Lacan »

marlin4 hat geschrieben:Schon aufgrund des Prinzips der begrenzten Ermächtigung. Nur für die Bereiche, in denen eine VO ergehen darf, soll die EG direkt auf den Bürger durchgreifen können.
Das Problem ist glaube ich nicht die Rechtsmäßigkeit der Richtlinie/Verordnung, sondern, warum die rechtmäßig erlassene, aber noch nicht in nationales Recht umgesetzte Richtlinie im Bürger-Staat-Verhältnis (ÖffR) gelten soll, im Bürger-Bürger-Verhältnis (PrivatR) aber nicht. Verstehe ich das richtig?
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Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ja. Die Kompetenz der Gemeinschaften liegt in dem Fall vor.

Problem:
"warum die rechtmäßig erlassene, aber noch nicht in nationales Recht umgesetzte Richtlinie im Bürger-Staat-Verhältnis (ÖffR) gelten soll, im Bürger-Bürger-Verhältnis (PrivatR) aber nicht. Verstehe ich das richtig?"

Genau.
Lacan
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Re: Europarecht: Auslegung im Privatrecht?!?

Beitrag von Lacan »

patricia hat geschrieben:Nach Herdegen sei hieran problematisch, dass hier im Ergebnis eine unmittelbare Wirkung einer Richtlinie zu Lasten einzelner vorläge.
In seinem EuropaR-Lehrbuch?
Vernunft – ein anderer Ausdruck für Ahnungslosigkeit in Bezug auf Widersprüche zwischen Zwecken und Mitteln (Luhmann)
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

ja, S. 163.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

ich habe nicht den herdegen, aber sitze gerade auch an europarecht:
dies soll nicht geschehen, wie oben schon gesagt, weil dies sonst bedeuten würde, dass der gemeinschaft die befugnis zuerkannt werden würde, mit unmittelbarer wirkung zu lasten des bürgers verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur da dürfe, wo ihr die befugnis zum erlass von verordnungen zugewiesen wurde. die unterscheidung zwischen richtlinien und versordnungen würde ja auch ansonsten verwischen. laut EuGH kann man dann allerdings von dem mitgliedstaat ersatz des, aus nichtumsetzung der richtlinie entstandenen schadens verlangen-

wenn das nicht deine frage war, dann sags einfach, wie gesagt, ich sitze gerade auch an europarecht :)
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

danke cabernet! trotzdem eine rückfrage:

eine richtlinie ist aus Sicht der Mitgliedsstaaten das mildere Mittel (da immer noch mehr oder weniger Umsetzungsspielraum). Sowohl Verordnungen als auch Richtlinien können Eingriffe zu Lasten Bürgern beeinhalten. Die Verordnungen wirken direkt, bei den Richtlinien kommt noch der Gesetzgebungsakt des Staates dazwischen. Aber auch wenn der Mitgliedsstaat die Richtlinie noch umsetzen muss, kann diese doch schon so beschaffen sein, dass ein Eingriff durch nationales Recht notwendig wird. Das ist soweit rechtmäßig, wenn die Gemeinschaften die Einzelermächtigung hatten.

Und nur, weil ein Mitgliedsstaat die Richtlinie nicht umsetzt, liegt dann eine Eingriffssperre in Bezug auf Bürger-Bürger vor mangels "Kompetenz" der Gemeinschaften, wenn bei zeitgemäßer Umsetzung der EIngriff vorgelegen hätte?

Irgendwie finde ich das nicht logisch... wahrs. sind meine Überlegungen aber selber nicht mehr logisch :-k
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

doch verstehe schon was du meinst, aber denke deine antwort hast du dir vielleicht schon selbst gegeben..
bei richtlinien bleibt den mitgliedstaaten ein spielraum, wenn du denen jetzt aber sagst, dass auch die richtlinie unmittelbar wirkt, wie die verordnung, dann wöre es ja das geliche, ausserdem soll die unmittelbare wirkung von richtlinien ja auch sozusagen eine sanktionswirkung für die mitgliedstaaten haben, denn sie haben die richtlinie ja nicht umgesetzt, dafür kann der private aber nichts. im gegenteil, der private soll ja eben aus gründen der rechtssicherheit darauf vertrauen können, dass die nachteilige wirkung einer richtlinie nur nach maßgabe der nationalen umsetzungsmaßnahmen entstehen und wie gesagt, es liegt auch an der kompetenzverteilung (s.o)
daher kann man ja dann den mitgliedstaat in haftung nehmen, also bei deinen rücktrittsfall eben kann sie den schaden ersetzt verlangen...

hast du im mündlichen auch europa/völkerecht? haben eben im anderen thread gelesen, dass du auch mündliches hast...
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

ah, ok. das ist ein schlagendes Argument: keine Sanktionierung des Privaten für ein Fehlverhalten des Mitgliedsstaates.

Trotzdem: wenn die Richtlinie im Hinblick auf einen Eingriff zu Lasten des Bürgers für den Mitgliedsstaat bindend gewesen wäre, wird der Bürger ja eigentlich nicht bestraft, sondern es wird durch die unmittelbare Wirkung nur der Zustand hergestellt, der bei ordnungsgemäßer Umsetzung bestanden hätte. Was bleibt: man wird vom Bürger wohl nicht verlangen können, sich mit nicht umgesetzten RIchtlinien und ihren Rechtswirkungen auseinandersetzen zu müssen.

Ja, habe am 28.06. Mündliche.
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

:) ich auch, 8.30 uhr
bist du mit beiden durch? denkst du ich muss was dirngend wissen, also was aktuelles?

kannst du mir vielleicht sagen, ob man die ILC (völkerrecht) braucht oder nicht? habe bei europa und völkerR die beck büchlein, weil es hiess das reicht aus, aber im skript wird WÜK und ILC besprochen...
Lacan
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Beitrag von Lacan »

EuGH v. 14.7.1994 - Rs. C-91/92 - Faccini Dori/Receb, Slg. 1994, I-3325, Rn 21 ff.:

"21 Das vorlegende Gericht hat darauf hingewiesen, daß die Beschränkung der Wirkungen unbedingter und hinreichend genauer, aber nicht umgesetzter Richtlinien auf die Beziehungen zwischen staatlichen Einrichtungen und Bürgern dazu führen würde, daß ein normativer Akt diese Eigenschaft nur im Verhältnis zwischen bestimmten Rechtssubjekten hätte; in der (...) Rechtsordnung jedes auf dem Grundsatz der Gesetzlichkeit beruhenden modernen Staates sei der Staat jedoch ein Rechtssubjekt wie jedes andere. Wenn eine Berufung auf die Richtlinie nur gegenüber dem Staat möglich wäre, so käme dies einer Sanktion für den Nichterlaß der gesetzgeberischen Umsetzungsmaßnahmen gleich, so als handelte es sich um eine rein privatrechtliche Beziehung.

(...)

24 Eine Ausdehnung (...) auf den Bereich der Beziehungen zwischen den Bürgern hieße, der Gemeinschaft die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zu Lasten der Bürger Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlaß von Verordnungen zugewiesen ist.

25 Folglich kann der Verbraucher, wenn die Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie nicht innerhalb der vorgesehenen Frist erlassen worden sind, ein Widerrufsrecht gegenüber dem Gewerbetreibenden, mit dem er einen Vertrag geschlossen hat, nicht auf die Richtlinie selbst stützen und vor einem nationalen Gericht geltend machen."
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Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

prima! vielen Dank, Lacan und Cabernet!

@cabernet:
Ja, auch Wahlfach EuR und Völkerrecht. Mitnichten ganz durch... habe mich leider nach der Hausarbeit völlig idiotisch allen anderen Dingen, nur nicht Jura zugewendet...

Wünsche Dir viel Erfolg (und das notwendige Glück :))!
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