BGH VIII ZR 86/06 (Anrechnung vorgerichtl. Kosten)

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smallprint
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BGH VIII ZR 86/06 (Anrechnung vorgerichtl. Kosten)

Beitrag von smallprint »

Je mehr ich über das Urteil nachdenke, desto chaotischer scheinen mir die Konsequenzen.

Was ist z.B. mit dem Fall, wo eine ersichtlich unbegründete Forderung geltend gemacht wird. Regelmäßig sind die außergerichtlichen Kosten des in Anspruch genommenen nicht ohne weiteres erstattungsfähig.

Ist es da nicht besser gar keine außergerichtliche Stellungnahme abzugeben? Dann gibt es - wenn der Kläger verliert - wenigsten die vollen Gebühren im Klageverfahren erstattet.
Sobald außergerichtlich umfangreich Stellung genommen wird, wird der frivole Kläger noch mit reduziertem Prozeßkostenrisiko belohnt und der in Anspruch genommene bleibt auf einem höheren Kostenanteil sitzen.

Das dürfte das Beratungsgespräch um weitere Belehrungen anreichern, die ein normaler Mensch für völlig hirnverbrannt hält.

Oder hab ich was mißverstanden?
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Das Urteil ist hier zu finden.
Pippen
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Beitrag von Pippen »

M.E. richtig, wenn auch sehr theoretisch gedacht.

In der Praxis wird kaum ein Kläger deswegen "einfach mal so" irgendwelche Ansprüche geltend machen. Hinzu käme, dass er immer cic, pVV, § 826 BGB u.ä. im Kopf behalten müßte, denn ansonsten könnte der Andere evtl. nicht erstattete Geschäftsgebühren als SEA geltend machen.

Ich denke es ist eben eine ganz bewußte Entscheidung des Gesetzgebers zur Verteilung des allgemeinen Lebensrisikos: Jeder hat im außergerichtlichen Bereich grdsl. seinen Anwalt aus eigener Tasche zu bezahlen - es steht jedem frei ohne Anwalt auszukommen. Immerhin wird dieser Grundsatz ja schon relativiert, indem zumindest ein Teil der GG für die Kostenerstattung nach § 91 ZPO einbezogen werden.

Trotzdem: Dieses verkomplizierte System (ich meine hier nicht nur aber auch das RVG) ist doch einfach Kacke :). Unsere Rechtssysteme sind allg. zu kompliziert und undurchsichtig geworden (und gerade deswegen verfehlen sie das eigentliche Ziel dieses ausdifferenzierten Systems: die Einzelfallgerechtigkeit). Naja, wenigstens erhalten sich die Juristen dadurch ihre Lebensgrundlage :P.
smallprint
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Beitrag von smallprint »

Mich stört eigentlich der Mechanismus, daß der Kläger aus Verzug recht gute Chancen hat, seine außergerichtlichen Kosten zu bekommen.

Während der Beklagte mit sehr unsicheren Aussichten schon eine pVV o.ä. bemühen muß, um hier gleichzuziehen.

Selbst der durchschnittliche Gewerbetreibende ohne eigene Rechtsabteilung wird auf ein lustloses vorgerichtliches anwaltliches Mahnschreiben seinerseits Rechtsrat einholen. Daß dieser Mechanismus auch noch das Kostenrisiko des Klägers verringern soll, scheint mir "ungerecht".
Pippen
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Beitrag von Pippen »

@smallparint: Für mich geht das prinzipiell schon i.O. Es gehört nun mal wirklich zum sprichtwörtlichen allgemeinen Lebensrisiko, dass man sich zur Abwehr irgendwelcher Geltendmachung von Ansprüchen einen Anwalt nehmen muss. Bis zu einem gewissen Punkt (Gerichtsverfahren o. SEA gegen den Anspruchs"inhaber") muss man dieses Risiko selbst tragen. Ich hätte auch kein Problem mit einer Vorschrift, wo die Kosten für den Anwalt vollumfänglich verteilt werden, ohne so einen "toten" Winkel.

Mich stört eben eher die jur.-technische Umsetzung....
Gelöschter Nutzer

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Das bedeutet dann doch, dass man mit der Klage die volle 1,3 GG als SE geltend machen muss, nicht nur die 1,3-0,65 GG, richtig? Mehr Änderung gibt es doch nicht. Oder?
smallprint
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Beitrag von smallprint »

Das schon - und auch im Mahnverfahren.

Aber daß geringere anwaltliche Prozeßgebühren entstehen und im KFA geltend gemacht werden können, wirkt sich m.E. auch auf Situationen aus, wo die Erstattung der vorgerichtlichen Kosten problematisch ist.

Also eigentlich regelmäßig für den Beklagten und außerdem für den Kläger in Fällen, wo der Verzug bei Beginn der außergerichtlichen anwaltlichen Tätigkeit streitig ist/wird. Vermutlich haben wir zukünftig auch mehr "Rechnung-nicht-bekommen,Mahnungen-nie-gesehen" - Einwendungen, weil es sich noch mehr finanziell lohnt als bisher.

Gerade auf Beklagtenseite wird man sich überlegen müssen, ob dem Mandanten für substantiierte längere Ausführungen an die Gegenseite, warum der geltend gemachte Anspruch Humbug ist, ein angemessener Gegenwert im Verhältnis zu seiner Kostenbelastung entsteht.
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