Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

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batman
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von batman »

Urs Blank hat geschrieben: Freitag 6. Juli 2018, 23:59Woher stammt eigentlich dieses Bedürfnis, andere vorzuführen?
Höhenluft bekommt nicht jedem.
OJ1988
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von OJ1988 »

Es dürfte das Prinzip "Bestrafe einen, erziehe 100" gelten. Welcher Landrichter fängt sich schon gerne - öffentlichkeitswirksam - so eine Klatsche? Es wird auch einfach unglaublich nervig gewesen sein, sich durch hunderte Seiten unnützer Ausführungen graben zu müssen. Sowas ist mit Blick auf zu erwartende Rechtsmittel deshalb letztlich nicht nur ungesetzlich, sondern auch unkollegial. Ich kann das sehr gut nachvollziehen.
Liz
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Liz »

Nun ja, noch ärgerlicher wäre es wohl, wenn einem ein Urteil, das man mühevoll auf 400 Seiten eingedampft hat, aufgehoben wird, nur weil jetzt aber dieses oder jenes angeblich fehlt. Der zusätzliche Leseaufwand dürfte deutlich kleiner sein als der Aufwand nochmals 90 Hauptverhandlungstage durchzuführen.
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Ara
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Ara »

OJ1988 hat geschrieben: Samstag 7. Juli 2018, 10:06 Es dürfte das Prinzip "Bestrafe einen, erziehe 100" gelten. Welcher Landrichter fängt sich schon gerne - öffentlichkeitswirksam - so eine Klatsche? Es wird auch einfach unglaublich nervig gewesen sein, sich durch hunderte Seiten unnützer Ausführungen graben zu müssen. Sowas ist mit Blick auf zu erwartende Rechtsmittel deshalb letztlich nicht nur ungesetzlich, sondern auch unkollegial. Ich kann das sehr gut nachvollziehen.
Der BGH hat sich mit seinen absurden und kaum vorhersehbaren Revisionsanforderunge doch das Problem hausgemacht. Das gilt sowohl für die Urteilsgründe als auch für die Revisionsbegründung.

Die Revisionsgerichte machen seit Jahrzehnten Urteile oder Begründungen durch formelle Fehler platt. Wenn keine formellen Fehler gefunden werden, dann denkt man sich einfach neue Anforderungen aus.

50% einer Revisionsbegründung besteht doch heute aus irgendwelchen Floskeln, die man nur reinschreibt, weil irgendwann mal ein Revisionsgericht auf völlig absurde Ideen kam, um n Revisionsverfahren schnell platt zu machen. Der Satz "Die Kammer hat die Beweisaufnahme auch später nicht nachgeholt und der Antragsteller hat auf die Beweisaufnahme auch nicht verzichtet" ist doch so ein super Beispiel. Obwohl es doch eigentlich selbstverständlich ist, dass wenn ich eine mangelnde Beweisaufnahme rüge und den Ablehnungsbeschluss anfüge, konkludent erklärt wird, dass die Beweisaufnahme auch später nicht stattgefunden hat, wurde irgendwann mal ne Revision platt gemacht, weil diese Angabe fehlte. Von daher: Lieber jeden Scheiß 3 mal rein, als einmal zu wenig.

Das ist ein Teufelskreis, den die Revisionsgerichte angestoßen haben.

Im Ergebnis hat der BGH ja auch hier das Urteil gehalten. Wird die Kammer sich auch denken, besser so, als wenn wir einen Satz vergessen hätten und die 500 Verhandlungstage erneut angefallen wären.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von OJ1988 »

Mag sein, dass Wildwuchs in Urteilen dazu dienen soll, Urteile revisionsfest zu machen, weil immer etwas fehlen könnte. Dann ist es doch aber zu begrüßen, wenn der BGH klarstellt, was jedenfalls überflüssig ist?
Liz
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Liz »

Die Frage ist nur, welche Halbwertzeit diese Klarstellung hat. Im Zweifelsfall gilt nämlich beim nächsten Urteil, dass es doch erforderlich gewesen wäre, dieses oder jenes näher auszuführen.
Tobias__21
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Tobias__21 »

Ara hat geschrieben:
Urs Blank hat geschrieben: Freitag 6. Juli 2018, 23:59 Aber ernsthaft: Dieser Beschluss ist eine arrogante Unverschämtheit. Ein informeller Anruf beim Vorsitzenden der Kammer hätte es hier sicherlich auch getan. Woher stammt eigentlich dieses Bedürfnis, andere vorzuführen?
Das ist in mündlichen Verhandlungen noch viel schlimmer. Bei den Plädoyers vorm BGH ist es üblich, dass nichts vorgetragen wird, was schonmal irgendwann vorgetragen wurde. Die Richter nehmen sich nicht den Spaß auch gerne mal den Vertreter des GBAs rundzumachen, wenn er es wagt etwas nochmal zusammenzufassen.

Daher zählt ne mündliche Verhandlung vor dem BGH auch mit zu dem Schlimmsten was dir als Strafverteidiger passieren kann. Es besteht nämlich immer die Gefahr, dass das Mittag den BGH-Richtern nicht gemundet hat.
Muss man als strafverteidiger auch speziell am BGH zugelassen sein? Oder kann das auch der Ausgangsanwalt der in den Instanzen dran war? Die Revisionen werden ja von diesem geschrieben, also wird der da auch auftreten dürfen? Warum isses im Zivilrecht anders? Weils da nur um Geld geht und man zu nem strafverteidiger ne engere Bindung hat, wie zu nem anwalt bei dem nur das Vermögen im Vordergrund steht und nicht die Freiheit?

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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von non-liquet »

Liz hat geschrieben: Samstag 7. Juli 2018, 10:17Nun ja, noch ärgerlicher wäre es wohl, wenn einem ein Urteil, das man mühevoll auf 400 Seiten eingedampft hat, aufgehoben wird, nur weil jetzt aber dieses oder jenes angeblich fehlt. Der zusätzliche Leseaufwand dürfte deutlich kleiner sein als der Aufwand nochmals 90 Hauptverhandlungstage durchzuführen.
Abstruse Erwartungen an Darlegungen und entsprechende Aufhebungssorgen gibt es natürlich. Aber das ist nicht einmal ansatzweise eine Erklärung für so eine 1.200-Seiten-Monstrosität. Erst recht, wenn der Umfang auf eine Ballung von Mängeln zurückgeht, die man keinem Proberichter durchgehen lassen würde.

Der hiesige Kantinensenat war gestern mehrheitlich der Auffassung, dass die Kammer sich über eine frühere Aufhebung geärgert hat und sich auf diesem Weg revanchieren wollte. Was ich nicht recht glaube, da der 3. Strafsenat normalerweise nicht für den OLG-Bezirk Köln zuständig ist und beim LG Köln auch keine Staatsschutzkammer sitzt (da wäre das LG Düsseldorf gefragt). Sonderlich professionell wäre so ein Verhalten ja auch nicht. Über so ein Echo bräuchte man sich dann nicht beschweren.
Tobias__21 hat geschrieben: Samstag 7. Juli 2018, 13:22Muss man als strafverteidiger auch speziell am BGH zugelassen sein? Oder kann das auch der Ausgangsanwalt der in den Instanzen dran war? Die Revisionen werden ja von diesem geschrieben, also wird der da auch auftreten dürfen?
Nein, da braucht man keine spezielle Zulassung und man muss auch nicht schon im erstinstanzlichen Verfahren verteidigt haben. Es gibt durchaus Kanzleien, die sich auf Revisionsverfahren spezialisiert haben.
Warum isses im Zivilrecht anders?
Dort geht eben alles etwas gediegener von Statten. :-w
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Urs Blank »

Liz hat geschrieben: Samstag 7. Juli 2018, 10:17 Nun ja, noch ärgerlicher wäre es wohl, wenn einem ein Urteil, das man mühevoll auf 400 Seiten eingedampft hat, aufgehoben wird, nur weil jetzt aber dieses oder jenes angeblich fehlt.
Absolut, zumal solche Aufhebungen ja nicht selten vorkommen. Etwa weil die Inhalte von Sachverständigen-Gutachten (angeblich) nicht ausreichend dargestellt wurden. Zuletzt beispielsweise hier:

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-b ... kument.pdf

Sicherlich ist das oben genannte 1.300-Seiten-Urteil ein Extremfall; aber gerade deshalb muss man doch die große Keule nicht rausholen.
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Urs Blank
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Urs Blank »

Tobias__21 hat geschrieben: Samstag 7. Juli 2018, 13:22Warum isses im Zivilrecht anders?
Weil Zivilrecht eine so unfassbar schwierige Materie ist, dass es bundesweit nur 43 Personen gibt, die sie beherrschen und deshalb als Rechtsanwälte beim BGH zugelassen werden konnten.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Tobias__21 »

Also das typische Argument "Strafrecht is einfach, das kann jeder" :D
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Ara
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Ara »

Tobias__21 hat geschrieben: Samstag 7. Juli 2018, 13:22 Muss man als strafverteidiger auch speziell am BGH zugelassen sein? Oder kann das auch der Ausgangsanwalt der in den Instanzen dran war? Die Revisionen werden ja von diesem geschrieben, also wird der da auch auftreten dürfen? Warum isses im Zivilrecht anders? Weils da nur um Geld geht und man zu nem strafverteidiger ne engere Bindung hat, wie zu nem anwalt bei dem nur das Vermögen im Vordergrund steht und nicht die Freiheit?
Die strafrechtliche Revision muss nicht einmal von einem Rechtsanwalt begründet werden. Es kann auch die Nachbarin Lieschen Müller sein, die irgendwann im Verfahren einmal als Verteidigerin nach § 138 II StPO zugelassen wurde (bei Revisionen vorm BGH wird aber vermutlich wegen Fall der notwendigen Verteidigung ein Rechtsanwalt/Hochschullehrer mitunterzeichnen müssen).

Offizieller Grund ist soweit ich weiß tatsächlich, dass im Zivilrecht die Nähebeziehung nicht so eng gesehen wird.

Es ist übrigens auch meist nicht clever, dass der Instanzverteidiger die Revision fertigt. Viele Verfahrensrügen darf der Instanzverteidiger nämlich selbst nicht rügen, zum Beispiel weil er weiß, dass es stattgefunden hat und es lediglich den Weg ins Protokoll nicht gefunden hat. Der Revisionsanwalt ist nicht in allen Fällen verpflichtet beim Instanzverteidiger nachzufragen.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Tobias__21 »

Interessant. Das wären dann aber nur Fragen die nicht durch das Protokoll bewiesen werden (müssen), also Freibeweis. Dann könnte der GBA ja auch den Instanzverteidiger als Zeuge benennen. Aber gut, der muss natürlich auch erstmal wissen, dass das stattgefunden hat. Aber mit Prozesstaktik befasse ich mich zu einem späteren Zeitpunkt. Aber wirklich interessant, was man taktisch so alles noch machen kann. Diese Fragen stellen sich mir ja auch erst jetzt nach und nach im zweiten Examen war Prozesstaktik ja nicht so wichtig. Ich hatte da auch nur eine Frage dazu, wenn ich mich recht erinnere, was denn jetzt sinnvoll wäre. Und das war relativ einfach zu beantworten, da vom Gesetz her schon unterschiedliche Folgen vorgegeben waren.
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Ara
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Ara »

Tobias__21 hat geschrieben: Samstag 7. Juli 2018, 14:23 Interessant. Das wären dann aber nur Fragen die nicht durch das Protokoll bewiesen werden (müssen), also Freibeweis.
Nein, es betrifft vor allem den Fall, dass etwas in der Hauptverhandlung stattgefunden hat, es aber nicht im Protokoll steht. Zum Beispiel steht nicht drin, dass dem Angeklagten das letzte Wort erteilt wurde. Das Gericht erinnert sich nicht mehr dran (daher keine Protokollberichtigung möglich). Der Instanzverteidiger weiß aber ganz genau, dass seinem Mandanten das letzte Wort erteilt wurde und er sogar 30 Minuten gesprochen hat.

Zwar muss sich der Revisionsverteidiger grundsätzlich beim Instanzverteidiger über den Verlauf informieren, das spielt aber nur eine Rolle, wenn sich ein anderer Verfahrensbeteiligter daran erinnert und es dem Revisionsgericht mitteilt. Die Informationspflicht ist daher eher eine Informationsobliegenheit.
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Re: Aktuelles aus dem Strafrecht (reloaded)

Beitrag von Tobias__21 »

Das letzte Wort ist doch eine wesentliche Förmlichkeit. Aber ich weiss glaube ich, welche Fälle Du meinst. Muss die Revision eh nochmal anständig wiederholen. Hab mir zwischen den Klausuren nur schnell den Russack reingeprügelt. Dafür lief die Revisionsklausur aber sehr ordentlich.
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