Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

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Honigkuchenpferd
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Die Tathandlung selbst (Beteiligung an der Gruppe, nicht der Tat) ist neutral. Ein auf die Begehung der Taten durch andere Mitglieder gerichteter Vorsatz mag die Beteiligung zwar moralisch verwerflich machen, ist nach der strafrechtlichen Dogmatik aber ohne jegliche Betiligungshandlung unbeachtlich, da reiner Gesinnungsunwert. Das ist wie gesagt ein elementarer Bestandteil des Schuldprinzips.
Nein, sie ist eben nicht "neutral" und auch nicht sozialadäquat - egal, wie oft du das noch behauptest. Nochmals: Es geht hier um Gruppen, deren Verhalten gerade (auch) auf die Begehung von Straftaten aus der Gruppe heraus gerichtet ist, wobei das gruppenspezifische Moment für das Gelingen dieser Straftaten von größer Bedeutung ist.

Wer sich vorsätzlich an einer solchen Gruppe "beteiligt", dem kann man - bei verständiger Auslegung dieses Begriffs - doch wohl durchaus einen Schuldvorwurf machen, auch wenn er in der konkreten Situation nicht selbst bedrängt hat bzw. das nicht nachgewiesen werden kann.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Die Tathandlung selbst (Beteiligung an der Gruppe, nicht der Tat) ist neutral. Ein auf die Begehung der Taten durch andere Mitglieder gerichteter Vorsatz mag die Beteiligung zwar moralisch verwerflich machen, ist nach der strafrechtlichen Dogmatik aber ohne jegliche Betiligungshandlung unbeachtlich, da reiner Gesinnungsunwert. Das ist wie gesagt ein elementarer Bestandteil des Schuldprinzips.
Nein, sie ist eben nicht "neutral" und auch nicht sozialadäquat - egal, wie oft du das noch behauptest. Nochmals: Es geht hier um Gruppen, deren Verhalten gerade (auch) auf die Begehung von Straftaten aus der Gruppe heraus gerichtet ist, wobei das gruppenspezifische Moment für das Gelingen dieser Straftaten von größer Bedeutung ist.
Das ist aber gerade nicht Voraussetzung für den Tatbestand und wäre mE auch nicht problematisch! Klar kann die Beteiligung an einer ihrem Zweck nach kriminellen Gruppe strafbar sein, siehe zB die Staatsschutzdelikte. Bei § 184j genügt indes die Beteiligung an jeder Gruppe, aus der mit dem mindestens bedingten Vorsatz des Gruppenmitglieds Straftaten verübt werden. Es muss gerade keine Gruppe sein, deren Zweck auf die Verübung solcher Taten gerichtet ist, Mag ja sein, dass man damit die Hauptbahnhof-Grapscher dran kriegt oder zumidnest glaubt, sie dran kriegen zu können. Das Problem ist, dass der Tatbestand eben darüber hinaus ganz andere, nicht strafwürdige Sachverhalte umfasst.
Honigkuchenpferd hat geschrieben:Wer sich vorsätzlich an einer solchen Gruppe "beteiligt", dem kann man - bei verständiger Auslegung dieses Begriffs - doch wohl durchaus einen Schuldvorwurf machen, auch wenn er in der konkreten Situation nicht selbst bedrängt hat bzw. das nicht nachgewiesen werden kann.
Es kommt wie gesagt darauf an, was man unter Beteiligen versteht. Bloßes Rumstehen und Gutheißen? Anfeuern? Anstiften? Ist alles bereits strafbar, bzw wird auch strafbar sein, wenn das "überraschende Grapschen" demnächst in § 184i explizit unter Strafe gestellt wird (was ich übrigens richtig finde). Das Problem ist, dass der Tatbestand auch die tatsächlich neutrale Beteiligung an Gruppen unter Strafe stellt, aus denen vereinzelt solche Straftaten begangen werden, ohne dass dies der Zweck der Gruppe ist. Und die gibt es neben der "Meute auf Frauenjagd" eben auch, das sind halt die tatsächlich alltäglichen Gruppen von Freunden in der Dorfdisco, unter denen ein [Wort wollen wir hier nicht hören] ist.
Zuletzt geändert von [enigma] am Freitag 8. Juli 2016, 02:25, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Die Tathandlung selbst (Beteiligung an der Gruppe, nicht der Tat) ist neutral und verwirklicht kein Handlungsunrecht. Wenn das Gruppenmitglied durch seine Beteiligung an der Gruppe die Abwehrmöglichkeiten des Opfers beeinträchtigt oder es einschüchtert und entsprechenden Vorsatz hat, macht es sich mindestens wegen Beihilfe strafbar. Ein auf die Begehung der Taten durch andere Mitglieder gerichteter Vorsatz alleine mag die Beteiligung zwar moralisch verwerflich machen, ist nach der strafrechtlichen Dogmatik aber ohne jegliche Betiligungshandlung unbeachtlich, da reiner Gesinnungsunwert. Das ist wie gesagt ein elementarer Bestandteil des Schuldprinzips.
Ich kann auch alle möglichen Prämissen als "elementaren Bestandteil des Schuldprinzips" ausgeben. Wenn die Prämissen falsch sind, folgt daraus aber trotzdem kein Verstoß gegen das Schuldprinzip. Die Norm soll den realen Auswirkungen Rechnung tragen, die ein Gruppenauftreten auf (potentielle) Opfer hat, auch wenn der Nachweis eines konkreten Beitrages zur dann geschehenen Sexualstraftat nicht möglich ist. Das ist eben kein reines Gesinnungsstrafrecht. Denn das gruppenspezifische Wirken ist nur durch die "Beteiligung" möglich. Natürlich ist der Ansatz abstrakt, aber warum sollte es dem Gesetzgeber verwehrt sein, bereits dies unter Strafe zu stellen?
Warum nicht? Sollen nur die Angreifer die Gruppe darstellen, oder alle Konzertbesucher, die das Gedränge verursachen und aus Sicht des Opfers damit Gegenwehr sinnlos erscheinen lassen?
Zur "Gruppe" gehört im Unterschied zur "Ansammlung" schon eine gewisse innere Verbundenheit, die auch irgendwie nach außen dokumentiert werden muss. Beides ist hier doch offensichtlich nicht der Fall.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Die Tathandlung selbst (Beteiligung an der Gruppe, nicht der Tat) ist neutral und verwirklicht kein Handlungsunrecht. Wenn das Gruppenmitglied durch seine Beteiligung an der Gruppe die Abwehrmöglichkeiten des Opfers beeinträchtigt oder es einschüchtert und entsprechenden Vorsatz hat, macht es sich mindestens wegen Beihilfe strafbar. Ein auf die Begehung der Taten durch andere Mitglieder gerichteter Vorsatz alleine mag die Beteiligung zwar moralisch verwerflich machen, ist nach der strafrechtlichen Dogmatik aber ohne jegliche Betiligungshandlung unbeachtlich, da reiner Gesinnungsunwert. Das ist wie gesagt ein elementarer Bestandteil des Schuldprinzips.
Ich kann auch alle möglichen Prämissen als "elementaren Bestandteil des Schuldprinzips" ausgeben. Wenn die Prämissen falsch sind, folgt daraus aber trotzdem kein Verstoß gegen das Schuldprinzip.
Du hältst die Notwendigkeit des Handlungsunrechts für die Strafbarkeit für eine "falsche Prämisse des Schuldprinzips"? :-k
Die Norm soll den realen Auswirkungen Rechnung tragen, die ein Gruppenauftreten auf (potentielle) Opfer hat, auch wenn der Nachweis eines konkreten Beitrages zur dann geschehenen Sexualstraftat nicht möglich ist. Das ist eben kein reines Gesinnungsstrafrecht. Denn das gruppenspezifische Wirken ist nur durch die "Beteiligung" möglich. Natürlich ist der Ansatz abstrakt, aber warum sollte es dem Gesetzgeber verwehrt sein, bereits dies unter Strafe zu stellen?
Weil der Gesetzgeber nach dem Schuldprinzip nur Verhalten (!) unter Strafe stellen darf, das sich auf die Begehung von Straftaten bezieht. Und die Beteiligung an einer Gruppe ist eben noch kein Beitrag zu Straftaten, die aus der Gruppe verübt werden. Es sei denn, die Gruppe dient ihrem Zweck nach alleine der Begehung dieser Straftaten. Gerade das wird aber nicht vorausgesetzt.
Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Warum nicht? Sollen nur die Angreifer die Gruppe darstellen, oder alle Konzertbesucher, die das Gedränge verursachen und aus Sicht des Opfers damit Gegenwehr sinnlos erscheinen lassen?
Zur "Gruppe" gehört im Unterschied zur "Ansammlung" schon eine gewisse innere Verbundenheit, die auch irgendwie nach außen dokumentiert werden muss. Beides ist hier doch offensichtlich nicht der Fall.
Wie egsagt, die gleiche Situation lässt sich auch zB. auf die Mitglieder einer Fußballmannschaft auf dem Dorffest übertragen.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Bei § 184j genügt indes die Beteiligung an jeder Gruppe, aus der mit dem mindestens bedingten Vorsatz des Gruppenmitglieds Straftaten verübt werden.
Und das sind "normale" Gruppen?
Es muss gerade keine Gruppe sein, deren Zweck auf die Verübung solcher Taten gerichtet ist, Mag ja sein, dass man damit die Hauptbahnhof-Grapscher dran kriegt oder zumidnest glaubt, sie dran kriegen zu können. Das Problem ist, dass der Tatbestand eben darüber hinaus ganz andere, nicht strafwürdige Sachverhalte umfasst.
Die Weite des Tatbestandes ist aber ein anderes Problem, das man im Übrigen durch Auslegung in den Griff bekommen kann. Irgendeine spezifische Beziehung zwischen Gruppe und Sexualdelikten dürfte im Übrigen schon für die Annahme bedingten Vorsatzes erforderlich sein (der nach h.M. bekanntlich auch ein voluntatives Element erfordert).

Wenn man hier einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot annehmen will, von mir aus. Aber das ist m.E. ein anderer Punkt und beträfe dann auch noch ganz andere Vorschriften.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Du hältst die Notwendigkeit des Handlungsunrechts für die Strafbarkeit für eine "falsche Prämisse des Schuldprinzips"? :-k
Ich halte deine Annahme für eine "falsche Prämisse", an die bloße Beteiligung an einer solchen Gruppe könne nie und nimmer ein strafrechtlicher Vorwurf geknüpft werden.
Weil der Gesetzgeber nach dem Schuldprinzip nur Verhalten (!) unter Strafe stellen darf, das sich auf die Begehung von Straftaten bezieht. Und die Beteiligung an einer Gruppe ist eben noch kein Beitrag zu Straftaten, die aus der Gruppe verübt werden. Es sei denn, die Gruppe dient ihrem Zweck nach alleine der Begehung dieser Straftaten. Gerade das wird aber nicht vorausgesetzt.
Doch, es ist ein "abstrakter" Beitrag dazu, und ich sehe nicht, warum der Gesetzgeber diesen nicht unter Strafe stellen darf, wenn er das möchte.
Wie egsagt, die gleiche Situation lässt sich auch zB. auf die Mitglieder einer Fußballmannschaft auf dem Dorffest übertragen.
Was du damit meinst, ist mir noch immer nicht klar.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Bei § 184j genügt indes die Beteiligung an jeder Gruppe, aus der mit dem mindestens bedingten Vorsatz des Gruppenmitglieds Straftaten verübt werden.
Und das sind "normale" Gruppen?
Auch eine unnormale Gruppe rechtfertigt nicht automatisch, die Beteiligung an ihr unter Strafe zu stellen. Der Macho, der nie in seinem Leben eine Frau gegen ihren Willen anfassen würde, aber mit seinen Freunden in die Disco geht, würde sich nach dem Gesetzeswortlaut strafbar machen, wenn er weiss, dass einer dieser Freunde gerne weiblichen Discobesuchern an den Hintern fasst und das nicht schlimm findet. Das ist hochgradig absurd, das hat mit dem ultima-ratio-Gedanken des Strafrechts nichts mehr zu tun und verstößt mE auch klar gegen das Schuldprinzip, weil der Macho eben kein Handlungsunrecht verwirklicht. Dass man den Tatbestand in der Praxis verfassungskonferm wird auslegen können/müssen ändert nichts daran, dass der Wortlaut in der derzeitigen Form eine mit Verfassung und Schuldprinzip nicht vereinbare Strafbarkeit vorschreibt.
Honigkuchenpferd hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Du hältst die Notwendigkeit des Handlungsunrechts für die Strafbarkeit für eine "falsche Prämisse des Schuldprinzips"? :-k
Ich halte deine Annahme für eine "falsche Prämisse", an die bloße Beteiligung an einer solchen Gruppe könne nie und nimmer ein strafrechtlicher Vorwurf geknüpft werden.
Diese Annahme habe ich so pauschal nie aufgestellt. Natürlich sind Fälle denkbar, in denen die Beteiligung an solchen Gruppen strafbar ist, insbesondere wenn die Begehung von Sexualdelikten deren einziger oder wesentlicher Zweck ist. Es sind aber eben genug Fälle denkbar, in denen dies nicht der Fall der ist, die trotzdem unter den Wortlaut des Tatbestands fallen. Im Gegensatz zu dir sehe ich das Problem hier auch nicht im Widerspruch zum Bestimmtheitsgebot. Denn der Wortlaut ist durchaus bestimmt. Er geht eben nur viel zu weit und umfasst auch Fälle, die nach dem Schuldprinzip eben nicht strafbar sein dürfen. Im Übrigen habe ich auch Zweifel daran, dass der Gesetzgeber die für mich dem Schuldprinzip widersprechenden Fälle nicht unter Strafe stellen wollte. Denn ansonsten wäre es nahe gelegen, ähnlich wie in anderen Delikten an die Beteiligung an der Tathandlung (Bedrängen) anzuknüpfen. Diese wäre aber wie gesagt bereits de lege lata strafbar. Oder eben wie in den Staatsschutzdelikten auf den Zweck der Gruppe. Dies ist wohl absichtlich unterblieben, was für ein sehr weites und damit verfassungswidriges Verständnis des Wortlauts spricht.
Zuletzt geändert von [enigma] am Freitag 8. Juli 2016, 02:51, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Auch eine unnormale Gruppe rechtfertigt nicht automatisch, die Beteiligung an ihr unter Strafe zu stellen. Der Macho, der nie in seinem Leben eine Frau gegen ihren Willen anfassen würde, aber mit seinen Freunden in die Disco geht, würde sich nach dem Gesetzeswortlaut strafbar machen, wenn er weiss, dass einer dieser Freunde gerne weiblichen Discobesuchern an den Hintern fasst und das nicht schlimm findet. Das ist hochgradig absurd, das hat mit dem ultima-ratio-Gedanken des Strafrechts nichts mehr zu tun und verstößt mE auch klar gegen das Schuldprinzip, weil der Macho eben kein Handlungsunrecht verwirklicht.
Das ist in jedem Fall falsch, egal welche Voraussetzungen die Rspr. auch für das "Beteiligen" entwickeln wird. Denn es fehlt zumindest ein wesentlicher Zwischenschritt. Die Gruppe der Discobesucher müsste nämlich erst einmal - mit Wissen und Wollen des Macho - Frauen zur Begehung einer Straftat bedrängen (wobei jedem "Mitglied" einer solchen Gruppe klar sein muss, dass er dann auch als Teil der Bedrohung wahrgenommen wird). Und außerdem gibt es dann ja auch noch die objektive Bedingung der Strafbarkeit, die voraussetzt, dass es tatsächlich zu einem entsprechenden Sexualdelikt kommt, und die den Straftatbestand "einschränkt".

Man mag die Vorschrift aus rechspolitischen Gründen ablehnen, sie technisch verkorkst und schwer in den Griff zu kriegen nennen. Aber dass sie zwingend gegen das Schuldprinzip verstoßen soll, leuchtet nicht ein.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Auch eine unnormale Gruppe rechtfertigt nicht automatisch, die Beteiligung an ihr unter Strafe zu stellen. Der Macho, der nie in seinem Leben eine Frau gegen ihren Willen anfassen würde, aber mit seinen Freunden in die Disco geht, würde sich nach dem Gesetzeswortlaut strafbar machen, wenn er weiss, dass einer dieser Freunde gerne weiblichen Discobesuchern an den Hintern fasst und das nicht schlimm findet. Das ist hochgradig absurd, das hat mit dem ultima-ratio-Gedanken des Strafrechts nichts mehr zu tun und verstößt mE auch klar gegen das Schuldprinzip, weil der Macho eben kein Handlungsunrecht verwirklicht.
Das ist in jedem Fall falsch, egal welche Voraussetzungen die Rspr. auch für das "Beteiligen" entwickeln wird. Denn es fehlt zumindest ein wesentlicher Zwischenschritt. Die Gruppe der Discobesucher müsste nämlich erst einmal - mit Wissen und Wollen des Macho - Frauen zur Begehung einer Straftat bedrängen (wobei jedem "Mitglied" einer solchen Gruppe klar sein muss, dass er dann auch als Teil der Bedrohung wahrgenommen wird). Und außerdem gibt es dann ja auch noch die objektive Bedingung der Strafbarkeit, die voraussetzt, dass es tatsächlich zu einem entsprechenden Sexualdelikt kommt und die den Straftatbestand "einschränkt".
Selbst wenn der Macho weiss, dass alle seine Freunde solche Typen sind, er sich aber nie an sowas beteiligen würde obwohl er es insgeheim cool findet, kann es ja wohl nicht strafbar sein, mit diesen Leuten in die Disco zu gehen. Selbst dann nicht, wenn seine Freunde dann tatsächlich bedrängen und grapschen. Und es reicht, wenn die "Gruppe der Discobesucher" (also auch ohne Zutun des Machos) bedrängt. Es genügt also nach dem Wortlaut, wenn die Freunde des Machos bedrängen und grapschen, solange er wie auch immer noch Teil der Gruppe ist, zB. in der Nähe rumsteht und das Grapschen billigend in Kauf nimmt, selbst aber nur trinkt und tanzt. Das ist das Problem.
Honigkuchenpferd hat geschrieben:Man mag die Vorschrift aus rechspolitischen Gründen ablehnen, sie technisch verkorkst und schwer in den Griff zu kriegen nennen. Aber dass sie zwingend gegen das Schuldprinzip verstoßen soll, leuchtet mir nicht ein.
Wie gesagt, es würde nicht gegen das Schuldprinzip verstoßen, die Beteiligung an Gruppen wie denen am Kölner Hauptbahnhof unter Strafe zu stellen. Es verstößt aber durchaus gegen das Schuldprinzip, Discobesucher für die Taten ihrer Freunde zu bestrafen, zu denen sie keinerlei Beitrag leisten. Der Fehler liegt darin, die Strafbarkeit nicht auf die erste Gruppe beschränkt zu haben, was problemlos möglich gewesen wäre. Würde man zB. im Wortlaut fordern, dass die Gruppe ihrem Zweck nach auf die Begehung von Sexualstraftaten ausgerichtet ist, hätte man die Bahnhofsgrapscher erfasst, ohne vereinzelte Grapscher aus "neutralen" Gruppen mitsamt sämtlichen (chauvinistischen) Mitgliedern einzubeziehen.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Selbst wenn der Macho weiss, dass alle seine Freunde solche Typen sind, er sich aber nie an sowas beteiligen würde obwohl er es insgeheim cool findet, kann es ja wohl nicht strafbar sein, mit diesen Leuten in die Disco zu gehen.
Das allein ist auch nicht strafbar. Strafbar ist es, einen abstrakten Beitrag zu ihren aus der Gruppe heraus begangenen Sexualstraftaten zu leisten ("fördert"), indem man sich an einer solchen Gruppe "beteiligt". Dabei muss der Macho, damit er nach § 184j StGB bestraft werden kann, nicht nur wissen, dass seine Freunde "solche Typen sind", sondern er muss gerade auch wissen und wollen (!), dass sie bzw. manche von ihnen aus der Gruppe, zu der er gehört, Personen zur Begehung einer Straftat bedrängen werden. Die Grenze des Verhaltens, das man noch akzeptieren muss, ist in diesen Fällen überschritten. Der Gesetzgeber kann das sanktionieren. Aus verschiedenen Gründen wird der Tatbestand dann aber durch die objektive Bedingung der Strafbarkeit "konditioniert".
Wie gesagt, es würde nicht gegen das Schuldprinzip verstoßen, die Beteiligung an Gruppen wie denen am Kölner Hauptbahnhof unter Strafe zu stellen. Es verstößt aber durchaus gegen das Schuldprinzip, Discobesucher für die Taten ihrer Freunde zu bestrafen, zu denen sie keinerlei Beitrag leisten. Der Fehler liegt darin, die Strafbarkeit nicht auf die erste Gruppe beschränkt zu haben, was problemlos möglich gewesen wäre.
Wäre das wirklich "problemlos möglich" gewesen? Wie sähe denn dein Vorschlag aus?

Im Übrigen fällt schon auf, wie weit du nun zurückgerudert bist. Alles Weitere muss dann eben die Rspr. durch Auslegung und angemessene Strafzumessung "klären".
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Selbst wenn der Macho weiss, dass alle seine Freunde solche Typen sind, er sich aber nie an sowas beteiligen würde obwohl er es insgeheim cool findet, kann es ja wohl nicht strafbar sein, mit diesen Leuten in die Disco zu gehen.
Das allein ist auch nicht strafbar. Strafbar ist es, einen abstrakten Beitrag zu ihren aus der Gruppe heraus begangenen Sexualstraftaten zu leisten ("fördert"), indem man sich an einer solchen Gruppe "beteiligt". Dabei muss der Macho, damit er nach § 184j StGB bestraft werden kann, nicht nur wissen, dass seine Freunde "solche Typen sind", sondern er muss gerade auch wissen und wollen (!), dass sie bzw. manche von ihnen aus der Gruppe, zu der er gehört, Personen zur Begehung einer Straftat bedrängen werden. Die Grenze des Verhaltens, das man noch akzeptieren muss, ist in diesen Fällen überschritten. Der Gesetzgeber kann das sanktionieren. Aus verschiedenen Gründen wird der Tatbestand dann aber durch die objektive Bedingung der Strafbarkeit "konditioniert".
Das Fördern besteht hier aber nunmal in sozialadäquatem Verhalten (Discobesuch mit Freunden), dem kein Handlungsunrecht inne wohnt.
Honigkuchenpferd hat geschrieben:
Wie gesagt, es würde nicht gegen das Schuldprinzip verstoßen, die Beteiligung an Gruppen wie denen am Kölner Hauptbahnhof unter Strafe zu stellen. Es verstößt aber durchaus gegen das Schuldprinzip, Discobesucher für die Taten ihrer Freunde zu bestrafen, zu denen sie keinerlei Beitrag leisten. Der Fehler liegt darin, die Strafbarkeit nicht auf die erste Gruppe beschränkt zu haben, was problemlos möglich gewesen wäre.
Wäre das wirklich "problemlos möglich" gewesen? Wie sähe denn dein Vorschlag aus?
Habe ich bereits mehrmals dargelegt. Unter anderem direkt nach dem von dir zitierten Satz...
[enigma] hat geschrieben:Würde man zB. im Wortlaut fordern, dass die Gruppe ihrem Zweck nach auf die Begehung von Sexualstraftaten ausgerichtet ist, hätte man die Bahnhofsgrapscher erfasst, ohne vereinzelte Grapscher aus "neutralen" Gruppen mitsamt sämtlichen (chauvinistischen) Mitgliedern einzubeziehen.
Honigkuchenpferd hat geschrieben:Im Übrigen fällt schon auf, wie weit du nun zurückgerudert bist. Alles Weitere muss dann eben die Rspr. durch Auslegung und angemessene Strafzumessung "klären".
Ich bin nicht zurückgerudert. Ich habe nie behauptet, die Beteiligung an einer Gruppe, aus der Sexualdelikte verübt werden, sei unter keinen denkbaren Gesichtspunkten strafbar. Es macht aber wie gesagt ungeachtet der Gesinnung des Täters einen Unterschied, ob es sich um eine grundsätzlich sozialadäquate Gruppe handelt, oder um eine Ansammlung von Sexualstraftätern auf Opfersuche. Diesen Unterschied macht der Wortlaut - mE absichtlich - aber gerade nicht. Tatsächlich dürften in der Praxis aber gerade die allermeisten der von § 184j ebenfalls umfassten Bagatelldelikte von diesen nicht per se strafwürdigen Gruppen ausgehen.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Das Fördern besteht hier aber nunmal in sozialadäquatem Verhalten (Discobesuch mit Freunden), dem kein Handlungsunrecht inne wohnt.[
Mal abgesehen davon, dass sich halt die Frage stellt, ob man den bloßen Discobesuch als Tathandlung unter das "Beteiligten" subsumiert: Angesichts der genannten Umstände, die § 184j StGB voraussetzt, um verwirklicht werden zu können, ist das dann eben kein harmloser "Discobesuch mit Freunden" mehr.
Habe ich bereits mehrmals dargelegt. Unter anderem direkt nach dem von dir zitierten Satz...
Du solltest wissen, dass der Satz durch ein nachträgliches Edit von dir zustande gekommen ist, das ich erst später gesehen habe. Ich halte ihn aber trotzdem nicht für eine wirkliche Antwort auf meine Frage. Mach mal einen konkreten Vorschlag, wie die Norm aussehen sollte. Dann kann man sehen, ob er im Hinblick auf die Bestimmtheit besser abschneiden würde und auch tatsächlich die Fälle abdeckt, die der Gesetzgeber erfassen wollte. Ihm ging es nämlich gerade auch um Sexualdelikte, die aus Gruppen heraus begangen werden, bei denen manche "nur" oder primär Interesse an Diebstahl bzw. Raub haben.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von thh »

Ara hat geschrieben:Das heißt also, wenn ich mit der Antifa unterwegs bin und Hausfriedensbrüche plane und dann jemand ne sexuelle Handlung aus der Gruppe raus ausübt, dann bin ich dran? Das kann doch nicht deren ernst sein
Was wäre daran schlecht?
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von thh »

[enigma] hat geschrieben:Art. 20 III GG enthält nach ghM auch das Schuldprinzip, und der entsprechende Tatbestand wirft da mE durchaus Fragen auf. Die Beteiligung an einer Gruppe, aus der Straftaten begangen werden, ist eben nur dann strafbar, wenn dem Einzelnen ein Schuldvorwurf gemacht werden kann, der im deutschen Strafrecht nunmal durch Täterschaft/Mittäterschaft/Teilnahme erfasst wird.
Freilich - und die bloße Teilnahme an einder Gruppe, die dadurch größer wird und dem Bedrängten damit bedrohlicher erscheint und zudem gruppendynamische Prozesse fördert, befördert in schuldhafter Weise die Tat. Das ist, bei Licht betrachtet, nichts anderes als eine Ausdehnung der psychischen Beihilfe.

Phänomenologisch trifft es zu, dass sich nicht nur Jugendliche und Heranwachsende in Gruppen nicht selten so verhalten, wie sie das einzeln nicht tun würden; diese Beobachtung gilt auch für den nicht ohne Grund sprichwörtlichen Damen-Kegelclub auf Reisen und in gleicher Weise für gesetzte Herren der örtlichen Rotarier, wenn sie rudelweise auftreten. Zutreffend ist auch, dass eine größere Gruppe eine höhere Einschüchterungswirkung auf ihr einzeln gegenüberstehender Personen ausübt. Wenn diese Wirkung - in beiden Richtungen - in Kenntnis der Umstände erzeugt wird, warum sollte man das den Gruppenmitglieder nicht vorwerfen dürfen?

Ich finde den Grundgedanken gar nicht schlecht. Er ist bspw. auf Fälle wie den Landfriedensbruch erweiterbar. Wer durch seine Anwesenheit und die Zugehörigkeit zu der Gruppe Tätern Rückhalt - und ggf. den Schutz der Anonymität in der Menge - gewährt und Opfer einschüchtert, begeht Unrecht. Es ist ihm zuzumuten, sich von dieser Gruppe zu entfernen.
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Re: Reform der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung?

Beitrag von thh »

[enigma] hat geschrieben:
Honigkuchenpferd hat geschrieben:die Bevölkerung hat Angst.
Das alleine ist mE ein höchst untaugliches Argument für die Schaffung neuer Straftatbestände in einem Rechtsstaat.
§§ 3, 28 VersG haben einen vergleichbaren Rechtsgrund und beruhen auf durchaus bitteren Erfahrungen der Vergangenheit. Ich halte das - in dieser Form - sogar für ein ausgezeichnetes Argument zur Schaffung von Straftatbeständen.
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