Niedersachen: "Identifikation" als Auswahlkriterium

Für alle Fragen, die sich speziell für Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsbeamte ergeben, z.B. Bewerbung, Arbeitszeit, Laufbahnentwicklung, Wechsel des Bundeslandes oder der Gerichtsbarkeit usw.

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julée
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Re: Niedersachen u.a.: "Identifikation" als Auswahlkriterium

Beitrag von julée »

JonasB hat geschrieben:Die Notenrelevanz wird - nach allem was ich in Erfahrung gebracht habe - für die folgende Auswahl schlicht gekappt. Der 8er hat die gleichen Chancen wie der 14er. Das wäre - wenn es tatsächlich so gehandhabt würde - ein Teil der Ungerechtigkeit: Auch auf der 2. Stufe müsste selbstverständlich die Note als Ausdruck der fachlichen Qualifikation weiter ein eigenes Gewicht haben.
Aber in Nds. ist doch - wie wir gelernt haben - für jeden eingeladenen Bewerber eine Stelle da - und da dürfte man sinnigerweise zunächst den Bewerber mit > 20 Punkte einladen und erst wenn der im Gespräch durchgefallen ist, bekommt der Nächste eine Chance. Insoweit dürfte der Note als Eintrittskarte für das Gespräch doch noch eine hinreichende Bedeutung zukommen.
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Herr Schraeg
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Re: Niedersachen u.a.: "Identifikation" als Auswahlkriterium

Beitrag von Herr Schraeg »

JonasB hat geschrieben: Übrigens machen selbst die Arbeitgeber der freien Wirtschaft (wie zB Großkanzleien) keine solchen Tests, obwohl die Anforderungen an kommunikative Kompetenz, Arbeitseffizienz u.a. hier kaum geringer sind.
Aber das machen wir doch auch - nur eben nicht in Gestalt eines formalisierten und standardisierten AC, sondern in Gestalt verschiedener intensiver Gespräche. Wir glauben, das sei weniger aufwendig, aber genauso aussagekräftig wie ein AC. Das Ziel ist aber dasselbe wie bei ACs im Staatsdienst: Über den Notenfilter wird ein zweiter Filter der soft skills gelegt, um die Einstellung nicht teamfähiger "sozialer Blindgänger" zu vermeiden.
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Re: Niedersachen u.a.: "Identifikation" als Auswahlkriterium

Beitrag von Mr_Black »

JonasB hat geschrieben: Der 8er hat die gleichen Chancen wie der 14er. Das wäre - wenn es tatsächlich so gehandhabt würde - ein Teil der Ungerechtigkeit: Auch auf der 2. Stufe müsste selbstverständlich die Note als Ausdruck der fachlichen Qualifikation weiter ein eigenes Gewicht haben.
Wenn die Note ein Zulassungskriterium zum AC ist, dann kann sie innerhalb des AC nicht noch einmal berücksichtigt werden.

Sonst könnte sich der 14 Punkte Kandidat gegenüber dem 8 Punkte Kandidat deutlich schlechter benehmen/präsentieren und läge noch immer vorn. Dann aber könnte man sich das AC auch ganz sparen und gleich nur nach Noten einstellen (was Du ja wohl auch in letzter Konsequenz forderst).

In der Wirtschaft ist das nicht anders. Ich stelle auch lieber den 8 Punkte Kandidaten ein, als den 14 Punkte Bewerber, bei dem ich das Gefühl habe, er passt nicht ins Team oder ist anderweitig ungeeignet für den Beruf. Und das Ganze auch nur nach Bauchgefühl (und ohne Rollenspiel).
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Re: Niedersachen u.a.: "Identifikation" als Auswahlkriterium

Beitrag von Learned Hand »

JonasB hat geschrieben: Die Frage ist nur, ob es sich nur um einen "Rest Willkür" handelt. Mein Eindruck ist schlicht ein anderer. Leider ist es intersubjektiv in einem Forum kaum vermittelbar, weshalb mich die Ablehnung der beiden Kollegen so sehr im Vertrauen in die Angemessenheit der Einstellungsentscheidungen erschüttert hat. Ich denke, wenn du selbst die Personen kennen würdest (und sie denen gegenüberstellen könntest, die zugleich genommen wurden...), bestünde eine gute Aussicht, dass du meine Kritik - jedenfalls bezogen auf die genannten Fälle - absolut nachvollziehen könntest!
Nein, das könnte ich auch dann nicht, weil ich ja während des Auswahlgespräches nicht dabei war - genausowenig wie Du.

Und Dein persönlicher Eindruck ist sicherlich ein guter Ratgeber für das Eingehen von Freundschaften, evtl. dafür, ob Du Dich von Deinen Bekannten juristisch beraten lassen würdest, aber doch nicht für die nachträgliche Bewertung einer Bewerbungssituation von außen. Gerade wenn es um Freunde geht, ist keiner von uns objektiv. Deshalb würde ich - säße einer meiner Freunde oder Bekannten vor mir als Angeklagter - ja auch meine Befangenheit anzeigen. Denn von meinen Freunden glaube ich ja in der Regel auch nicht, dass sie sich strafbar machen können...

Insoweit halte ich es für weitaus realistischer, dass nicht das Auswahlverfahren grundlegend falsch ist, sondern Deine Bekannten einfach nicht überzeugend wirkten. Aus welchen Gründen auch immer (eingeschränkte Wahrnehmung der Entscheidenden, Nervosität oder schlechter Tag bei Deinen Bekannten usw.). Und wenn es nur daran liegt, dass vor diesem Gespräch ein paar noch viel tollere Bewerberinnen und Bewerber dran waren, die die geistige Meßlatte der Entscheidenden unbewußt nach oben verschoben haben. Also nur Fehler im Einzelfall ohne grundsätzliche Bedeutung.

All das läßt sich am besten dadurch beheben, dass die beiden sich in den übrigen 15 Bundesländern bewerben.
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Re: Niedersachen u.a.: "Identifikation" als Auswahlkriterium

Beitrag von JonasB »

Learned Hand hat geschrieben:
Deshalb würde ich - säße einer meiner Freunde oder Bekannten vor mir als Angeklagter - ja auch meine Befangenheit anzeigen.
Es handelt sich nicht um Freunde, sondern Bekannte, zu denen ich ausreichend Distanz besitze.
Insoweit halte ich es für weitaus realistischer, dass nicht das Auswahlverfahren grundlegend falsch ist, sondern Deine Bekannten einfach nicht überzeugend wirkten.
Du sagst es: Es geht um "Wirkung", und die ist flüchtig; sie ist manipulierbar; sie ist nicht mehr als eine Momentaufnahme; und sie hängt von subkutanen Sympathieempfindungen ab, von Übereinstimmunge im Habitus usw. Alles nachzulesen etwa beim Elitenforscher Hartmann.

Jedenfalls dann, wenn es sich bei den Bewertenden nicht um geschulte Psychologen (idealerweise mit Fachgebiet "Gerechtigkeitspsychologie" - gibt es wirklich) handelt, lässt sich Kritik kaum zurückweisen: Tiefgreifende Persönlichkeitsmerkmale wie den "Gerechtigkeitssinn" zu bewerten, ist eine Anmaßung, wenn es außerhalb fachlich geeigneter, dh umfassend angelegter Verfahren durch fachlich geeignete Personen erfolgt. Und auch dann: Kein Psychologe würde es sich anmaßen, jemandem Null Punkte für den "Gerechtigkeitssinn" zu geben, um ihn damit mit einem "fail" nach Hause zu schicken. Vielmehr würde man zu differenzierten Urteilen kommen. Und man würde - wie jeder gute Psychologe - betonen, dass die Bedeutung der Situation meist viel gewichtiger für das Verhalten ist, als Persönlichkeitscharakteristika.
Aus welchen Gründen auch immer (eingeschränkte Wahrnehmung der Entscheidenden
Du sagst es ja selbst!
Nervosität oder schlechter Tag bei Deinen Bekannten usw.).
Damit unterstreichst du nur, wie sehr alles nach unserer gemeinsamen Einschätzung von Faktoren wie "Wirkung", "Tagesform" usw. abhängt.
Also nur Fehler im Einzelfall ohne grundsätzliche Bedeutung.
Das ist nur eine Behauptung deinerseits, wie es zugegeben auch nur meine (nicht bewiesene) Annahme ist, dass die Einzelfälle mehr als anekdotische Bedeutung haben und auf ein systemisches Problem weisen. Immerhin bringe ich Argumente, warum ich glaube, dass es anmaßend ist, Menschen in einem solchen Kurzverfahren in acht zT fundamentalen Persönlichkeitsmerkmalen bewerten zu wollen.
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Zippocat
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Re: Niedersachen u.a.: "Identifikation" als Auswahlkriterium

Beitrag von Zippocat »

Aha. Von Deiner Grundannahme, die Note sollte das Kriterium mit dem größten Gewicht für die Einstellung in den Justizdienst sein, sind wir jetzt also schon an dem Punkt angelangt, wo mit leicht beleidigtem Duktus ausgeführt wird, es sei anmaßend, Persönlichkeitsmerkmale von Bewerbern nach so kurzer Zeit bewerten zu wollen, wenn man kein ausgebildeter Gerechtigkeitspsychologe ist. Jedenfalls sollte man die Inkompetenz mit einem netten Schleifchen verpacken, damit es den 14-Punkte-Juristen nicht zu sehr frustriert.

Die Noten sind nur ein Türöffer fürs Vorstellungsgespräch. Danach kommt es (natürlich!) auf die persönliche Wirkung an. Wer nicht erkennt, was für Interviewpartner er hat und sich nicht darauf einstellt oder wer einen schlechten Tag erwischt, der schafft es (an diesem Tag bei diesem AC/Interview) nicht.
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Re: Niedersachen u.a.: "Identifikation" als Auswahlkriterium

Beitrag von julée »

JonasB hat geschrieben: Vielmehr würde man zu differenzierten Urteilen kommen. Und man würde - wie jeder gute Psychologe - betonen, dass die Bedeutung der Situation meist viel gewichtiger für das Verhalten ist, als Persönlichkeitscharakteristika.
"differenzierte Urteile" muss man sich aber auch erlauben können. Das ist die große Freiheit von Personen, die nur beratend tätig sind und keine abschließende Entscheidung treffen müssen. Und möchte man wirklich Richter oder Staatsanwälte, die nur situationsabhängig zu gerechten Ergebnissen finden?
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Re: Niedersachen u.a.: "Identifikation" als Auswahlkriterium

Beitrag von Niederegger »

Umgekehrt gefragt: Ist das Ergebnis der jetzt betriebenen Selektion tatsächlich ein Richterpersonal, das situationsunabhängig zu gerechten Ergebnissen findet? Der Anspruch scheint mir ein bißchen hoch und schwer faßlich angesetzt. Dass der Erfolg in einem Bewerbungsgespräch bloß situationsabhängig war (einer außergewöhnlich guten Tagesform geschuldet), kann man ja auch nicht ausschließen. Was man vom Richter erwarten kann, ist korrekte Rechtsanwendung aufgrund einer sorgfältigen Sachverhaltsermittlung mit möglichst wenig Rechtsfehlern, bei der der Entscheider sich im Rahmen des ihm Möglichen von eigenen Vorprägungen frei macht. -

Aber abgesehen davon: Art. 33 II GG gibt es nun mal, und da ist auch von Eignung und Befähigung die Rede - neben der fachlichen Leistung. Also wird man diese zusätzlichen Kriterien, für deren Aufstellung schon reichlich vernünftige Gründe genannt worden sind, eben irgendwie auszufüllen versuchen müssen.
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Re: Niedersachen u.a.: "Identifikation" als Auswahlkriterium

Beitrag von JonasB »

Zippocat hat geschrieben:Aha. Von Deiner Grundannahme, die Note sollte das Kriterium mit dem größten Gewicht für die Einstellung in den Justizdienst sein, sind wir jetzt also schon an dem Punkt angelangt, wo mit leicht beleidigtem Duktus ausgeführt wird, es sei anmaßend, Persönlichkeitsmerkmale von Bewerbern nach so kurzer Zeit bewerten zu wollen, wenn man kein ausgebildeter Gerechtigkeitspsychologe ist. Jedenfalls sollte man die Inkompetenz mit einem netten Schleifchen verpacken, damit es den 14-Punkte-Juristen nicht zu sehr frustriert.

Die Noten sind nur ein Türöffer fürs Vorstellungsgespräch. Danach kommt es (natürlich!) auf die persönliche Wirkung an. Wer nicht erkennt, was für Interviewpartner er hat und sich nicht darauf einstellt oder wer einen schlechten Tag erwischt, der schafft es (an diesem Tag bei diesem AC/Interview) nicht.
Ja, stell es dir vor: Ich halte es für nicht überzeugend, Persönlichkeitsmerkmale, mit denen man sich zT im wissenschaftlichen Bezugssystem des Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit (etwa beim Punkt Kooperationsfähigkeit), zT im Bereich der Gerechtigkeitspsychologie bewegt, durch Nichtfachleute in einem Kurzverfahren zu prüfen. Bereits die grundlegenden Paradigmen, die der Persönlichkeitspsychologie zugrunde liegen, dürften kaum bekannt sein und in zutreffender Weise angewandt werden. Genauso wenig wie Juristen dem Amtsarzt die Gesundheitsprüfung abnehmen können, können sie Fundamentalkategorien der Persönlichkeit anstelle eines Psychologen zutreffend bewerten. Sie können natürlich nach vielen Durchläufen eiun geballtes Erfahrungswissen zu persönlichkeitspsychologischen Bezügen anhäufen. Damit entsteht bestenfalls küchenpsychologisches Halbwissen.
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Re: Niedersachen u.a.: "Identifikation" als Auswahlkriterium

Beitrag von julée »

Niederegger hat geschrieben:Umgekehrt gefragt: Ist das Ergebnis der jetzt betriebenen Selektion tatsächlich ein Richterpersonal, das situationsunabhängig zu gerechten Ergebnissen findet? Der Anspruch scheint mir ein bißchen hoch und schwer faßlich angesetzt.
Vielleicht sollte man es in der Tat besser anders formulieren und vom einem entsprechenden Problembewusstsein sprechen: Wenn ein Fall "Omas Häuschen" heißt, dann dürfte es im Kern darum gehen, zu erkennen, dass es vermutlich nicht so ganz gerecht wäre, der Oma das Häuschen einfach wegzunehmen. Wer nicht zu der Einsicht gelangt, dass hier ein Problem liegen könnte, der dürfte im nächsten Schritt auch zu keiner angemessenen Lösung finden - wie auch immer die dann konkret aussieht.

Und ich kenne Leute, die würden tatsächlich auch in einem Vorstellungsgespräch sagen: "Hätte sie halt gezahlt. Pech gehabt." und würden anschließend von diesem Standpunkt auch keinen Deut abweichen.
Dass der Erfolg in einem Bewerbungsgespräch bloß situationsabhängig war (einer außergewöhnlich guten Tagesform geschuldet), kann man ja auch nicht ausschließen.
Das definitiv nicht. Wobei natürlich möglicherweise ein auffälliges Schweigen der Stationszeugnisse entlarvend sein könnte.
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Re: Niedersachen u.a.: "Identifikation" als Auswahlkriterium

Beitrag von Niederegger »

Ein Blick ins Gesetz lässt aber doch rasch erkennen, was die Legislative für problematisch hielt. Beim Häuschen von Oma müsste sich doch jeder, wie er auch politisch stehen mag, irgendwie im Detail mit § 765a ZPO auseinandersetzen....
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Re: Niedersachen u.a.: "Identifikation" als Auswahlkriterium

Beitrag von Zippocat »

JonasB hat geschrieben:Ja, stell es dir vor: Ich halte es für nicht überzeugend, Persönlichkeitsmerkmale, mit denen man sich zT im wissenschaftlichen Bezugssystem des Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit (etwa beim Punkt Kooperationsfähigkeit), zT im Bereich der Gerechtigkeitspsychologie bewegt, durch Nichtfachleute in einem Kurzverfahren zu prüfen. Bereits die grundlegenden Paradigmen, die der Persönlichkeitspsychologie zugrunde liegen, dürften kaum bekannt sein und in zutreffender Weise angewandt werden. Genauso wenig wie Juristen dem Amtsarzt die Gesundheitsprüfung abnehmen können, können sie Fundamentalkategorien der Persönlichkeit anstelle eines Psychologen zutreffend bewerten. Sie können natürlich nach vielen Durchläufen eiun geballtes Erfahrungswissen zu persönlichkeitspsychologischen Bezügen anhäufen. Damit entsteht bestenfalls küchenpsychologisches Halbwissen.
Ich halte es andererseits aber auch nicht für erforderlich, für die Auswahl eines geeigneten Bewerbers ein wissenschaftlich fundiertes Gutachten erstellen zu lassen. Es geht - nach wie vor - darum, auf einem Markt mit einer Vielzahl von fachlich geegneten Bewerbern (8 Punkte +) diejenigen herauszufiltern, die bereits in einem recht kurzen Interview mit sehr einfach gelagerten Fragen und Aufgaben den Eindruck erwecken, persönlich nicht für den Richter/StA-Beruf geeignet zu sein. Wenn man daneben liegt, sei es, weil man den unerkannt hervorragend geeigneten Bewerber ablehnt oder den schauspielernden Soziopathen einstellt, ist das dem einzelnen Bewerber gegenüber ungerecht, aber systemimmanent und hinzunehmen, weil alle von Dir angerissenen Lösungen (Note/fundierte psychologische Gutachten) entweder noch schlechtere Ergebnisse produzieren oder schlicht unverhältnismäßig sind.

edit:typo
Zuletzt geändert von Zippocat am Donnerstag 26. Juni 2014, 15:09, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Niedersachen u.a.: "Identifikation" als Auswahlkriterium

Beitrag von julée »

Niederegger hat geschrieben:Ein Blick ins Gesetz lässt aber doch rasch erkennen, was die Legislative für problematisch hielt. Beim Häuschen von Oma müsste sich doch jeder, wie er auch politisch stehen mag, irgendwie im Detail mit § 765a ZPO auseinandersetzen....
Das Gesetz muss man ja erstmal dabei bzw. im Kopf haben. Und selbst mit dem deutlichen Hinweis des Gesetzgebers muss man dann erstmal umgehen können und ihn nicht gleich rundweg als vollkommen Unfug ablehnen, da "hätte sie mal gezahlt...".
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Re: Niedersachen u.a.: "Identifikation" als Auswahlkriterium

Beitrag von julée »

Zippocat hat geschrieben: Ich halte es andererseits aber auch nicht für erforderlich, für die Auswahl eines geeigneten Bewerbers ein wissenschaftlich fundiertes Gutachten erstellen zu lassen. [...] alle von Dir angerissenen Lösungen (Note/fundierte psychologische Gutachten) entweder noch schlechtere Ergebnisse produzieren oder schlicht unverhältnismäßig sind.
+1

"Küchenpsychologie" dürfte hingegen als Filter schon sehr gute Dienste leisten, zumal die Entscheidung ja auch nicht einem Einzelnen überantwortet wird, sondern einer ganzen Gruppe von Personen. Und wenn man von 3 Personen keine Einzige davon überzeugen kann, dass man sowas wie Omas Häuschen-Fall im realen Leben einigermaßen vernünftig bewältigen kann, dann dürften zumindest Zweifel am Gerechtigkeitssinn angebracht sein.
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Re: Niedersachen u.a.: "Identifikation" als Auswahlkriterium

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Zippocat hat geschrieben:
JonasB hat geschrieben:Ja, stell es dir vor: Ich halte es für nicht überzeugend, Persönlichkeitsmerkmale, mit denen man sich zT im wissenschaftlichen Bezugssystem des Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit (etwa beim Punkt Kooperationsfähigkeit), zT im Bereich der Gerechtigkeitspsychologie bewegt, durch Nichtfachleute in einem Kurzverfahren zu prüfen. Bereits die grundlegenden Paradigmen, die der Persönlichkeitspsychologie zugrunde liegen, dürften kaum bekannt sein und in zutreffender Weise angewandt werden. Genauso wenig wie Juristen dem Amtsarzt die Gesundheitsprüfung abnehmen können, können sie Fundamentalkategorien der Persönlichkeit anstelle eines Psychologen zutreffend bewerten. Sie können natürlich nach vielen Durchläufen eiun geballtes Erfahrungswissen zu persönlichkeitspsychologischen Bezügen anhäufen. Damit entsteht bestenfalls küchenpsychologisches Halbwissen.
Ich halte es andererseits aber auch nicht für erforderlich, für die Auswahl eines geeigneten Bewerbers ein wissenschaftlich fundiertes Gutachten erstellen zu lassen. Es geht - nach wie vor - darum, auf einem Markt mit einer Vielzahl von fachlich geegneten Bewerbern (8 Punkte +) diejenigen herauszufiltern, die bereits in einem recht kurzen Interview mit sehr einfach gelagerten Fragen und Aufgaben den Eindruck erwecken, persönlich nicht für den Richter/StA-Beruf geeignet zu sein. Wenn man daneben liegt, sei es, weil man den unerkannt hervorragend geeigneten Bewerber ablehnt oder den schauspielernden Soziopathen einstellt, ist das dem einzelnen Bewerber gegenüber ungerecht, aber systemimmanent und hinzunehmen, weil alle von Dir angerissenen Lösungen (Note/fundierte psychologische Gutachten) entweder noch schlechtere Ergebnisse produzieren oder schlicht unverhältnismäßig sind.

edit:typo
Wenn man keine fachlichen Gutachten will (aus gutem Grund!), sollte man aber eben Abstand davon nehmen, Kandidaten in klaren persönlichkeitspsychologischen Kategorien wie "Gerechtigkeitssinn" und "Kooperationsfähigkeit" abschließend (mit Blick auf die Auswahlentscheidung und Art. 33 GG) bewerten zu wollen. You can't have it both ways!
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