Ara hat geschrieben:Also ich hab kein Informatik in meinem Studienbuch... Aber ne Rechnung liefert auf nem 8086er, nem Pentium und nem Athlon immer das gleiche Ergebnis beim Einsatz der gleichen Software und dem gleichen OS. Es mag mal schneller oder langsamer gehen, aber das Ergebnis ist immer gleich. Komisch... Bei verschiedenen Richtern kommt aber nicht immer das selbe Ergebnis raus.
Das ist ein Einwand, auf den es sich ausnahmsweise mal lohnt, darauf einzugehen. Der Oberbegriff lautet Rechtsunsicherheit. Die Frage ist, woran liegt es?
Dass es sich bei dem Gesetz der Sache nach um ein Computerprogramm handelt, ist evident. Von mir aus kann man es auch nur als Programm bezeichnen, weil es 1896 noch keine Computer gab. Letztlich ist es eine Folge von Anweisungen. Die einfachsten Anweisungen existieren heutzutage im Strafrecht (if a then b). Das gesamte ALR war so aufgebaut. Das BGB hat demgegenüber weitgehend eine modulare Struktur.
Divergenzen entstehen - abgesehen von Programmfehlern - auch nicht in der Theorie, sondern bei der Anwendung durch Menschen und dort auf mehreren Ebenen:
1. Auf tatsächlicher Ebene ist es die Beweiswürdigung. Begriffe wie "mit an Sicherheit grenzende Überzeugung" und "Glaubwürdigkeit von Zeugen" sind mit einem Anspruch der absoluten Sicherheit unvereinbar. Ein Computer kennt nur 0 und 1, was einem geöffneten bzw. einem geschlossenen Schaltkreis entspricht. Da geht es um Stromkreise, die fließen oder nicht. In Jura hast du vielleicht auch schon mal was von liquet und non liquet gehört.
Das ganze Beweisrecht ist ohnehin ein Thema für sich, weil es 1933 aus der österreichischen ZPO übernommen wurde, ohne dabei die Beweislastregeln des BGB anzupassen. Vor 1933 wurde Beweis hauptsächlich durch Eid erbracht. Der Beklagte musste beschwören, dass die Behauptung des Klägers nicht zutraf. Wollte er das nicht, konnte er den Eid an den Kläger schieben, der dann seinen eigenen Vortrag beschwören musste. Der beeidete Vortrag war damals als wahr zu unterstellen, womit offensichtlich der tatsächliche Unsicherheitsfaktor wegdefiniert wurde. Im Zweifel schloss sich dem Zivilverfahren jedoch ein Strafverfahren mit Amtsaufklärung wegen Meineids an.
2. Auf rechtlicher Ebene gibt es mehrere Unsicherheitsfaktoren
a. Das Programm ist unbekannt
Während ein Computer das Programm vollständig im Speicher hat, kann es sein, dass der menschliche Rechtsanwender die entscheidungserhebliche Norm noch nie gesehen hat. Hand aufs Herz, was steht in § 2385 BGB? Letztens war im Examen § 853 BGB entscheidungsrelevant. Das ist die letzte Norm des Schuldrechts und die kannte auch nicht jeder.
b. Das Programm läuft falsch ab
Wer kennt ihn nicht, den klassischen Aufbaufehler? Das Programm ist bekannt, aber der korrekte Ablauf wird nicht eingehalten. Auch das kann vorkommen, weil Menschen im Gegensatz zu Maschinen gegen Handlungsanweisen bewusst oder unbewusst verstoßen können. Auch Richter machen systematische Fehler.
c. Die Programmiersprache ist "
deutsch"
Im Gegensatz zu C++ oder Java oder Python oder einer beliebigen anderen Programmiersprache ist die deutsche Sprache nicht trennscharf. Während Tatbestandsmerkmale als BOOLEAN definiert sind, das heißt sie liegen entweder vor (TRUE) oder nicht (FALSE), kann das bei Begriffen aus der deutschen Sprache nicht einfach so festgestellt werden.
Die Kernaufgabe (Skill) des Juristen ist es, die deutsche Sprache so trennscharf aufzubereiten, dass das Programm ablaufen kann. Das kann ein Computer (noch) nicht leisten und deshalb gibt es bislang auch noch kein entsprechendes Expertensystem. Es wird jedoch bereits daran gearbeitet. In der Zukunft wird Jura weitgehend automatisiert sein und Richter werden die Entscheidungen von Computern nur noch überprüfen, sofern dagegen ein Einspruch eingelegt wird. Das Mahnverfahren ist sozusagen die Vorstufe dessen, was in absehbarer Zeit zwingend kommen wird.
Kurz gefasst: Der Grund, dass Richter nicht - wie dein Computer - immer zum selben Ergebnis kommen, liegt hauptsächlich daran, dass Menschen keine Maschinen sind. Aus demselben Grund werden in der Fabrikation bestimmte Vorgänge, bei denen extreme Präzision erforderlich ist, heutzutage von speziellen Robotern vorgenommen. Du kannst ja mal versuchen einen Chip von Hand herzustellen. Der vorgeschriebene Ablauf ist übrigens auch dort ein Programm.