Sebast1an hat geschrieben:
Kann/sollte es einem StA nicht egal sein, was am Ende mit seiner Anklage geschieht?
(Sofern eigene Fehler ausgeschlossen sind.)
Aus meiner Sicht: Nein, das ist einem längst nicht immer egal.
Klar, wenn es am Ende um die Frage Verurteilung oder Freispruch geht und es - entgegen der Einschätzung im Ermittlungsverfahren - dann doch nicht für eine Verurteilung reicht, weil die Zeugen plötzlich ganz anders aussagen oder der Angeklagte mit einer plausiblen Einlassung um die Ecke kommt, die er vorher nie vorgebracht hatte, dann bin ich selbstverständlich einverstanden mit dem dann folgenden Freispruch und beantrage den, wenn ich selbst in der Sitzung bin, natürlich auch selbst. An dem 0815-Hartz-IV-Betrüger hängt man sicherlich auch nicht, und wenn dann in der Sitzung § 153 II gemacht wird, bitte sehr, gerne.
Aber es gibt auch Fälle, wo einen das weitere Schicksal des Verfahrens wahnsinnig ärgert - vor allem in den folgenden (nicht so seltenen) Konstellationen:
- Ich gebe mir große Mühe, im Ermittlungsverfahren eine schwere Straftat bestmöglich aufzuklären und binnen weniger Monate anzuklagen, und das Landgericht lässt die Akte aus angeblicher oder tatsächlicher Überlastung dann völlig unbearbeitet drei (!) oder mehr Jahre einfach nur herumliegen, ohne über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden oder sonst etwas zu tun, geschweige denn Hauptverhandlung anzuberaumen. Und ich rede jetzt nicht von komplexen Wirtschaftsverfahren oder Verfahren, in denen im Zwischenverfahren noch nachermittelt wird, sondern von übersichtlichen, einbändigen Akten (z.B. Sexualstraftaten), die weder rechtlich noch tatsächlich kompliziert sind. Wenn man dann nach drei, vier Jahren irgendwann anfängt zu verhandeln und sich entweder die Geschädigte aufgrund des erheblichen Zeitablaufs nicht mehr ausreichend erinnert und deshalb ein Freispruch herauskommt oder der Angeklagte zwar verurteilt wird, aufgrund der ewig langen Verfahrensdauer aber nur noch eine Bewährungsstrafe bekommt, dann ist das wahnsinnig frustrierend (und für den Angeklagten wie für die Geschädigte völlig unzumutbar).
- Ich klage ein aus meiner Sicht hässliches Gewaltdelikt eines Jugendlichen an, und der Jugendrichter gibt in der Hauptverhandlung den jovialen Kumpel, spielt die Tat vor dem Angeklagten und der Öffentlichkeit herunter, verzichtet darauf, den Geschädigten einer KV oder eines Raubes als Zeugen zu hören, berücksichtigt mildernd, dass die Tat (nach den Angaben des Angeklagten!) ja so schlimm dann doch nicht war, und verwarnt den Jugendlichen flapsig - mehr nicht, keine weiteren Sanktionen, keine Gardinenpredigt, nichts.
Das sind so Fälle, wo man sich wirklich fragt, warum man sich die ganze Arbeit eigentlich überhaupt macht.
Daneben gibt es auch Verfahren, an denen man emotional hängt, weil sie besonders interessant, berührend, schlimm oder sonstwie hervorgehoben sind, und bei denen man unbedingt selbst in die Sitzung gehen möchte, um selbst mitzuerleben, wie es weitergeht und was am Ende herauskommt. Das sind dann auch keine Fälle, wo es mir "egal" ist, was mit der Anklage geschieht - und wo es einem aus meiner Sicht auch nicht egal sein sollte, wenn man den Beruf "für die Gerechtigkeit" macht.