Stoffpräsentation im Studium -- Kritik
Verfasst: Freitag 20. Januar 2017, 14:58
Vorab: Mir ist bewusst, dass dieses Thema nicht unbedingt neu ist. Auch habe ich natürlich die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen und will nicht behaupten, selbst das Rad neu erfinden zu können. Ebenso ist mir klar, dass Kritik von manchen schnell als persönlicher Angriff verstanden wird.
Dennoch würde ich gerne eine sachliche, freundliche Diskussion über den Ablauf des Jurastudiums führen, namentlich ob und inwiefern euch die Art und Weise der Präsentation des Stoffes als sinnvoll erscheint und ob eine Korrektur möglich wäre.
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Um mein Hauptproblem kurz auf den Punkt zu bringen:
Die Lehre entspricht -- jedenfalls in Teilen -- nicht ansatzweise dem Anforderungsprofil, das sowohl in den Scheinklausuren als auch im Examen, aber selbst im späteren Berufsleben gestellt werden.
Damit meine ich nicht etwa, dass die Vorlesungen unvollständig oder qualitativ minderwertig wären. Sondern die Tatsache, dass das präsentierte Wissen angesichts der unterschiedlichen Zielsetzung jedenfalls dem Anfänger (zunächst) kaum weiter hilft.
Erläutern lässt sich dieses Problem am besten anhand eines Beispiels:
In einer typischen BGB AT Vorlesung werden Grundlagen unterrichtet. Leider geschieht dies häufig im luftleeren Raum oder anhand von komplexen höchstrichterlichen Urteilen, die der Anfänger kaum nachvollziehen kann. Vor allem aber erfolgen die Ausführungen teilweise in außerordentlicher Tiefe, die zwar später (u.U. erst im [mündlichen] Examen) evtl. vonnöten sein kann, jedenfalls beim Grundverständnis dagegen wenig hilft, sondern eher schadet.
Der fleißige, unbedarfte Anfänger tut auf dieser Grundlage, wie ihm geheißen: er liest BVerfG-Urteile und lernt die Bezeichnungen der verschiedenen Vollmachten (Spezial, Gattung...) auswendig.
Bei der Klausur kommt dann der Schock: belohnt wird nicht, wer die Vorlesung fleißig besucht, Urteile gelesen und den Leipold durchgearbeitet hat, sondern wer sich Fallpraxis erworben hat und das erworbene Wissen (wenngleich es weniger sein mag) an der richtigen Stelle einbaut.*
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Mit anderen Worten: das Pferd wird im Jurastudium gewissermaßen von hinten aufgezäumt. So gehen Vorlesungen häufig in ihrem Teilbereich in Tiefen, die bis zur Examensvorbereitung nicht wieder erreicht werden. Dabei sollten sie mMn eher zunächst in die Breite gehen, Grundverständnis lehren und dann schrittweise die Einzelheiten vertiefen.
Das bedeutet auch keineswegs, dass der wissenschaftliche Anspruch verloren gehen muss. Aber die hierfür erforderliche Tiefe kann doch auch noch angestrebt werden, sobald die Studenten begriffen haben, um was es überhaupt geht und welche Relevanz das Thema für ihr Studium bzw. späteres Berufsleben hat.
Ein weiteres Beispiel hierzu: das Kommunalrecht. Es gilt bei vielen Studierenden als ultimativ langweilig und schwierig, dabei entspricht dies nicht notwendig der Realität. Aber für den Anfänger ist es schwierig, sich in dieses Rechtsgebiet hineinzudenken, wenn eine Vorlesung zunächst aus 5 Stunden zu den Themen die Stein'sche Städteordnung/die geschichtliche Entwicklung der Kommune/abstrakte Rechtstermini ohne irgendeinen Bezug besteht. Das Abstrakte lässt sich erst begreifen, wenn man überhaupt die konkrete Anwendung verstanden hat.
Warum also nicht etwa zunächst einen Überblick über das Kommunalrecht in der praktischen (Klausur-)Anwendung verschaffen? Tatsächlich lässt es sich auf relativ wenige Themenkomplexe herunterbrechen: 1. Die Gemeinde (umgangssprachlich "Stadt" oder "Dorf"; allein diese Klarstellung kann helfen) wehrt sich gegen ein Gesetz von Bund oder Land; 2. innerhalb der Gemeinde streiten Bürgermeister und Gemeinderat miteinander; 3. die Gemeinde wehrt sich gegen die Rechtsaufsicht ("höhere Behörde"); 4. der Bürger will etwas von der Gemeinde, wie etwa Zugang zu einem Schwimmbad (öffentliche Einrichtung). usw usf.
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Das Traurige ist nämlich: die einzelnen Jura-Probleme sind idR nicht unüberwindbar kompliziert (natürlich ist das Fach aufgrund der Stoffmenge usw. dennoch nicht leicht), aber die z.T. komplizierte und unverständliche Darstellung erschwert das Verständnis enorm. So wird ein großer Fokus darauf gelegt, zunächst komplizierte Rechtsbegriffe einzuführen, bevor überhaupt ein Grundverständnis für die Inhalte da ist. Wäre es nicht sinnvoller, zunächst (auch unter Bezug auf etwa laiensprachliche Begriffe) das Verständnis zu fördern und erst danach in die Komplexität abzugleiten?
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Natürlich sind drei große Einwände gegen diese Kritik bereits absehbar:
1. "Dafür gibt es doch Tutorien/Übungen/AGs usw." -- Sicherlich ist das nicht unzutreffend. Das Problem ist nur, dass diese in ihrem Umfang nicht annähernd mit den Vorlesungen mithalten können. Auch ist ihre Qualität z.T. zweifelhaft (RA ohne Lehrerfahrung als Dozent o.Ä.). Dazu kommen regelmäßige Mittelkürzungen usw.
2. "Wir sind keine law school/wir haben einen wissenschaftlichen Anspruch" -- Das ist kein inhaltliches Argument, sondern zunächst nur eine leere Phrase. Denn mehrere Fragen bleiben unbeantwortet: 1. Was bedeutet "wissenschaftlich" genau in diesem Kontext? 2. Weshalb ist diese Art von "Wissenschaftlichkeit" notwendig für das Jurastudium? 3. Was ist das Ziel des Jurastudiums?
Jedenfalls erscheint die Betonung der "Wissenschaftlichkeit" dann heuchlerisch, wenn sie von Personen kommt, die selbst Klausuren korrigieren und hierbei allein auf das achten, was sie selbst in ihren Vorlesungen nicht unterrichten (wollen). Dies gilt in besonderem Maße, wenn dann dieselben Personen die nackten Ergebnisse als Voraussetzung für die Einstellung (z.B. als Hiwi) oder Promotion betrachten.* Wohlgemerkt unabhängig davon, ob sie auf Flume und Savigny-Lektüre oder auf den Rep-Besuch zurückzuführen sind.
3. "Die Studenten sind keine kleinen Kinder, sie sollen sich halt eigenständig informieren/ausbilden" -- Auch das ist eher eine billige Ausrede, die leider in Deutschland mit seiner kostenlosen Uni-Ausbildung häufig bemüht wird. Wenn ein Service (ob direkt oder über Steuergelder) im Hinblick auf das angestrebte Ziel unzureichend ist, dann darf das ruhig gesagt werden.
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Um zum Abschluss noch ein persönliches Beispiel zu bemühen: mir kam Verwaltungsrecht in den Vorlesungen stets außerordentlich langweilig und unverständlich vor. Tatsächlich habe ich keine Vorlesungen zum AT oder BT vollständig besucht. Aber nach einem Jahr (fallbezogener, anschließend vertiefender) Examensvorbereitung erschien mir das Rechtsgebiet nicht nur ziemlich interessant, sondern mir gelang es auch, in Probe- wie echten Examensklausuren zweistellige Ergebnisse darin zu erzielen. An der Materie lag es also offenkundig nicht. Deshalb frage ich mich nur, weshalb die Stoffpräsentation nicht auch in den Vorlesungen anschaulicher und fallbezogener möglich ist.
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Zusammenfassend gleicht der Ablauf des deutschen Jurastudiums teilweise dem Versuch, eine Sprache dadurch zu erlernen, dass man zunächst alle grammatikalischen Besonderheiten separat und in mühevollster Kleinstarbeit theoretisch erlernt, bevor man auch nur das erste Wort über die Lippen gebracht hat. Vielleicht wäre es demgegenüber zielführender, das Sprechen von Anfang an konsequent zu üben?
*(PS: da leider z.T. schnell die persönliche Ebene thematisiert wird: ich habe mein 1. StEx bereits ordentlich abgeschlossen, war Hiwi, kann promovieren usw. und bin nicht etwa in der Anfängerübung durchgefallen, wofür ich nun einem Prof. die Schuld gebe. Daher hoffe ich auf eine sachliche Diskussion ohne persönliche Angriffe.)
Dennoch würde ich gerne eine sachliche, freundliche Diskussion über den Ablauf des Jurastudiums führen, namentlich ob und inwiefern euch die Art und Weise der Präsentation des Stoffes als sinnvoll erscheint und ob eine Korrektur möglich wäre.
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Um mein Hauptproblem kurz auf den Punkt zu bringen:
Die Lehre entspricht -- jedenfalls in Teilen -- nicht ansatzweise dem Anforderungsprofil, das sowohl in den Scheinklausuren als auch im Examen, aber selbst im späteren Berufsleben gestellt werden.
Damit meine ich nicht etwa, dass die Vorlesungen unvollständig oder qualitativ minderwertig wären. Sondern die Tatsache, dass das präsentierte Wissen angesichts der unterschiedlichen Zielsetzung jedenfalls dem Anfänger (zunächst) kaum weiter hilft.
Erläutern lässt sich dieses Problem am besten anhand eines Beispiels:
In einer typischen BGB AT Vorlesung werden Grundlagen unterrichtet. Leider geschieht dies häufig im luftleeren Raum oder anhand von komplexen höchstrichterlichen Urteilen, die der Anfänger kaum nachvollziehen kann. Vor allem aber erfolgen die Ausführungen teilweise in außerordentlicher Tiefe, die zwar später (u.U. erst im [mündlichen] Examen) evtl. vonnöten sein kann, jedenfalls beim Grundverständnis dagegen wenig hilft, sondern eher schadet.
Der fleißige, unbedarfte Anfänger tut auf dieser Grundlage, wie ihm geheißen: er liest BVerfG-Urteile und lernt die Bezeichnungen der verschiedenen Vollmachten (Spezial, Gattung...) auswendig.
Bei der Klausur kommt dann der Schock: belohnt wird nicht, wer die Vorlesung fleißig besucht, Urteile gelesen und den Leipold durchgearbeitet hat, sondern wer sich Fallpraxis erworben hat und das erworbene Wissen (wenngleich es weniger sein mag) an der richtigen Stelle einbaut.*
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Mit anderen Worten: das Pferd wird im Jurastudium gewissermaßen von hinten aufgezäumt. So gehen Vorlesungen häufig in ihrem Teilbereich in Tiefen, die bis zur Examensvorbereitung nicht wieder erreicht werden. Dabei sollten sie mMn eher zunächst in die Breite gehen, Grundverständnis lehren und dann schrittweise die Einzelheiten vertiefen.
Das bedeutet auch keineswegs, dass der wissenschaftliche Anspruch verloren gehen muss. Aber die hierfür erforderliche Tiefe kann doch auch noch angestrebt werden, sobald die Studenten begriffen haben, um was es überhaupt geht und welche Relevanz das Thema für ihr Studium bzw. späteres Berufsleben hat.
Ein weiteres Beispiel hierzu: das Kommunalrecht. Es gilt bei vielen Studierenden als ultimativ langweilig und schwierig, dabei entspricht dies nicht notwendig der Realität. Aber für den Anfänger ist es schwierig, sich in dieses Rechtsgebiet hineinzudenken, wenn eine Vorlesung zunächst aus 5 Stunden zu den Themen die Stein'sche Städteordnung/die geschichtliche Entwicklung der Kommune/abstrakte Rechtstermini ohne irgendeinen Bezug besteht. Das Abstrakte lässt sich erst begreifen, wenn man überhaupt die konkrete Anwendung verstanden hat.
Warum also nicht etwa zunächst einen Überblick über das Kommunalrecht in der praktischen (Klausur-)Anwendung verschaffen? Tatsächlich lässt es sich auf relativ wenige Themenkomplexe herunterbrechen: 1. Die Gemeinde (umgangssprachlich "Stadt" oder "Dorf"; allein diese Klarstellung kann helfen) wehrt sich gegen ein Gesetz von Bund oder Land; 2. innerhalb der Gemeinde streiten Bürgermeister und Gemeinderat miteinander; 3. die Gemeinde wehrt sich gegen die Rechtsaufsicht ("höhere Behörde"); 4. der Bürger will etwas von der Gemeinde, wie etwa Zugang zu einem Schwimmbad (öffentliche Einrichtung). usw usf.
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Das Traurige ist nämlich: die einzelnen Jura-Probleme sind idR nicht unüberwindbar kompliziert (natürlich ist das Fach aufgrund der Stoffmenge usw. dennoch nicht leicht), aber die z.T. komplizierte und unverständliche Darstellung erschwert das Verständnis enorm. So wird ein großer Fokus darauf gelegt, zunächst komplizierte Rechtsbegriffe einzuführen, bevor überhaupt ein Grundverständnis für die Inhalte da ist. Wäre es nicht sinnvoller, zunächst (auch unter Bezug auf etwa laiensprachliche Begriffe) das Verständnis zu fördern und erst danach in die Komplexität abzugleiten?
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Natürlich sind drei große Einwände gegen diese Kritik bereits absehbar:
1. "Dafür gibt es doch Tutorien/Übungen/AGs usw." -- Sicherlich ist das nicht unzutreffend. Das Problem ist nur, dass diese in ihrem Umfang nicht annähernd mit den Vorlesungen mithalten können. Auch ist ihre Qualität z.T. zweifelhaft (RA ohne Lehrerfahrung als Dozent o.Ä.). Dazu kommen regelmäßige Mittelkürzungen usw.
2. "Wir sind keine law school/wir haben einen wissenschaftlichen Anspruch" -- Das ist kein inhaltliches Argument, sondern zunächst nur eine leere Phrase. Denn mehrere Fragen bleiben unbeantwortet: 1. Was bedeutet "wissenschaftlich" genau in diesem Kontext? 2. Weshalb ist diese Art von "Wissenschaftlichkeit" notwendig für das Jurastudium? 3. Was ist das Ziel des Jurastudiums?
Jedenfalls erscheint die Betonung der "Wissenschaftlichkeit" dann heuchlerisch, wenn sie von Personen kommt, die selbst Klausuren korrigieren und hierbei allein auf das achten, was sie selbst in ihren Vorlesungen nicht unterrichten (wollen). Dies gilt in besonderem Maße, wenn dann dieselben Personen die nackten Ergebnisse als Voraussetzung für die Einstellung (z.B. als Hiwi) oder Promotion betrachten.* Wohlgemerkt unabhängig davon, ob sie auf Flume und Savigny-Lektüre oder auf den Rep-Besuch zurückzuführen sind.
3. "Die Studenten sind keine kleinen Kinder, sie sollen sich halt eigenständig informieren/ausbilden" -- Auch das ist eher eine billige Ausrede, die leider in Deutschland mit seiner kostenlosen Uni-Ausbildung häufig bemüht wird. Wenn ein Service (ob direkt oder über Steuergelder) im Hinblick auf das angestrebte Ziel unzureichend ist, dann darf das ruhig gesagt werden.
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Um zum Abschluss noch ein persönliches Beispiel zu bemühen: mir kam Verwaltungsrecht in den Vorlesungen stets außerordentlich langweilig und unverständlich vor. Tatsächlich habe ich keine Vorlesungen zum AT oder BT vollständig besucht. Aber nach einem Jahr (fallbezogener, anschließend vertiefender) Examensvorbereitung erschien mir das Rechtsgebiet nicht nur ziemlich interessant, sondern mir gelang es auch, in Probe- wie echten Examensklausuren zweistellige Ergebnisse darin zu erzielen. An der Materie lag es also offenkundig nicht. Deshalb frage ich mich nur, weshalb die Stoffpräsentation nicht auch in den Vorlesungen anschaulicher und fallbezogener möglich ist.
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Zusammenfassend gleicht der Ablauf des deutschen Jurastudiums teilweise dem Versuch, eine Sprache dadurch zu erlernen, dass man zunächst alle grammatikalischen Besonderheiten separat und in mühevollster Kleinstarbeit theoretisch erlernt, bevor man auch nur das erste Wort über die Lippen gebracht hat. Vielleicht wäre es demgegenüber zielführender, das Sprechen von Anfang an konsequent zu üben?
*(PS: da leider z.T. schnell die persönliche Ebene thematisiert wird: ich habe mein 1. StEx bereits ordentlich abgeschlossen, war Hiwi, kann promovieren usw. und bin nicht etwa in der Anfängerübung durchgefallen, wofür ich nun einem Prof. die Schuld gebe. Daher hoffe ich auf eine sachliche Diskussion ohne persönliche Angriffe.)