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Vergleich im Tatbestand

Verfasst: Donnerstag 9. März 2017, 20:02
von dosenbaer
1. Klagesituation. Der Sachverhalt ist zwischen den Parteien unstreitig, sie streiten nur mit Rechtsausführungen. Schließlich schließen Kläger und Beklagte einen Vergleich (Hälfte der Klageforderung, gegenseitige Kostenaufhebung). Dieser ist formell unwirksam, die Beklagte beruft sich darauf und fordert Fortführung des Verfahrens.
Der Kläger ist der Meinung, der Vergleich sei zumindest materiell-rechtlich wirksam. Daher sei die Klageforderung zumindest hälftig untergegangen. Ansonsten führt er aus, dass er für den Fall der Anerkennung der gesamten Klageforderung gegen diese HILFSWEISE mit Anspruch X aufrechne.


Ich habe gelernt, dass völlig unabhängig davon, wie die Aufrechnung bezeichnet wird, es sich stets um eine Primäraufrechnung handelt, wenn der Sachverhalt zwischen den Parteien unstreitig ist. Hilfsweise kann nur aufrechnen, wer auch den Sachverhalt bestreitet.

Die Lösungsskizze hingegen sieht das ganze als Hilfsaufrechnung an... wieso? Die Frage, ob der Vergleich nach § 139 BGB analog auch materiell-rechtlich vollständig nichtig ist, ist doch auch eine Rechtsfrage.


2. Wieso darf (laut Kaiserskript) im Tatbestand nie der fristgerechte Widerruf eines Vergleichs mit Widerrufsvorbehalt erwähnt werden?
Insbesondere wenn es Streit bzgl. des Erklärungsadressaten des Widerrufs gibt, darf ich das doch kaum verschweigen?

Re: Vergleich im Tatbestand

Verfasst: Donnerstag 9. März 2017, 22:00
von batman
dosenbaer hat geschrieben:2. Wieso darf (laut Kaiserskript) im Tatbestand nie der fristgerechte Widerruf eines Vergleichs mit Widerrufsvorbehalt erwähnt werden?
Weil dies grundsätzlich nicht entscheidungserheblich ist.
dosenbaer hat geschrieben:Insbesondere wenn es Streit bzgl. des Erklärungsadressaten des Widerrufs gibt, darf ich das doch kaum verschweigen?
Dann ist die Wirksamkeit des Vergleichs und dessen prozessbeendigende Wirkung gerade entscheidungserheblich.

Re: Vergleich im Tatbestand

Verfasst: Donnerstag 9. März 2017, 22:15
von julée
1. Nein, eine hilfsweise Aufrechnung ist auch bei unterschiedlichen Rechtsansichten möglich ("eigentlich muss ich aus rechtlichen Gründen nicht zahlen, wenn doch, dann nicht, weil ich aufrechnen kann und es für den Fall auch tue"). Im Grundsatz will niemand eine Forderung unnötig opfern, es sei denn er besteht ausdrücklich darauf.

2. Insofern dürfte das Kaiserskript falsch bzw zumindest missverständlich sein: ein unstrittig nicht zustande gekommener Vergleich ist prozessual irrelevant und damit nicht zu erwähnen. Wenn es tatsächlich aber mal darauf ankommen sollte, ob der Prozess bereits wirksam durch einen Vergleich beendet worden ist (z. B. weil der Widerruf beim Widerrufsvergleich zu spät eingegangen ist), dann gehört das natürlich in den Tatbestand.

Generell: manchmal hilft gesunder Menschenverstand weiter als das auswendig lernen sämtlicher Aufbauschemata. Wenn der Tatbestand chronologisch aufgebaut (Gründe davon abzuweichen gibt es in 99 % der Fälle nicht), aus sich heraus verständlich ist und alles beinhaltet, was für die Entscheidung wichtig ist, dann dürfte es auch einem findigen Korrektor schwer fallen, etwas ernstlich Beanstandenswertes zu finden.

Re: Vergleich im Tatbestand

Verfasst: Donnerstag 9. März 2017, 22:23
von Swann
julée hat geschrieben:1. Nein, eine hilfsweise Aufrechnung ist auch bei unterschiedlichen Rechtsansichten möglich ("eigentlich muss ich aus rechtlichen Gründen nicht zahlen, wenn doch, dann nicht, weil ich aufrechnen kann und es für den Fall auch tue"). Im Grundsatz will niemand eine Forderung unnötig opfern, es sei denn er besteht ausdrücklich darauf.

Da aber nach der heute fast allgemeinen Meinung auch bei einer Primäraufrechnung der Bestand der Klageforderung vollumfänglich in rechtlicher Hinsicht durchzuprüfen ist, gibt es keinen Unterschied, ob in dieser Konstellation hilfsweise oder nicht hilfsweise aufgerechnet wird.

Re: Vergleich im Tatbestand

Verfasst: Donnerstag 9. März 2017, 22:44
von julée
Swann hat geschrieben:
julée hat geschrieben:1. Nein, eine hilfsweise Aufrechnung ist auch bei unterschiedlichen Rechtsansichten möglich ("eigentlich muss ich aus rechtlichen Gründen nicht zahlen, wenn doch, dann nicht, weil ich aufrechnen kann und es für den Fall auch tue"). Im Grundsatz will niemand eine Forderung unnötig opfern, es sei denn er besteht ausdrücklich darauf.

Da aber nach der heute fast allgemeinen Meinung auch bei einer Primäraufrechnung der Bestand der Klageforderung vollumfänglich in rechtlicher Hinsicht durchzuprüfen ist, gibt es keinen Unterschied, ob in dieser Konstellation hilfsweise oder nicht hilfsweise aufgerechnet wird.
Kostenmäßig macht das ggf schon einen Unterschied (siehe § 45 Abs. 3 GKG), weshalb man dazu neigen mag, tatsächlich eher eine Primäraufrechnung anzunehmen. Aber das Dogma, man müsse den Sachverhalt bestreiten, um hilfsweise aufrechnen zu können, dürfte falsch sein.

Re: Vergleich im Tatbestand

Verfasst: Freitag 10. März 2017, 07:42
von Swann
julée hat geschrieben: Kostenmäßig macht das ggf schon einen Unterschied (siehe § 45 Abs. 3 GKG), weshalb man dazu neigen mag, tatsächlich eher eine Primäraufrechnung anzunehmen. Aber das Dogma, man müsse den Sachverhalt bestreiten, um hilfsweise aufrechnen zu können, dürfte falsch sein.
Aber welchen Raum siehst du denn für eine Eventualaufrechnung bei unstreitigem Sachverhalt (und ohne dass Verteidigungsmittel vorgebracht werden)? Ich kann keinen erkennen.

Re: Vergleich im Tatbestand

Verfasst: Sonntag 12. März 2017, 15:23
von dosenbaer
1. @julée - ist das Deine eigene Herleitung oder hast Du eine Quelle dazu?

2. ist nun klar, Danke.