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Konkretisierung, Gefahrenübergang

Verfasst: Montag 8. Mai 2017, 10:06
von ms1
Hallo,

ich habe ein kleines Verständnisproblem. Der Gefahrenübergang ist nach meinem Verständnis im KaufR zum einen für die Abgrenzung von allgemeinem LeistungsstörungsR zum GewährleistungsR maßgebend, zum anderen dafür, wer die Gefahr des zufälligen Untergangs der Sache trägt. Unter "Gefahrenübergang" ist dabei der Übergang der Leistungsgefahr zu verstehen (nicht die der Preisgefahr) ?

Angenommen, der Schuldner sondert im Falle einer Gattungsschuld eine Sache aus, welche nicht mittlerer Art und Güte gem. § 243 I entspricht. Damit hat er nicht das "seinerseits Erforderliche" getan, und es ist keine Konkretisierung eingetreten. Die Gefahr des zufälligen Untergangs der Sache ist damit nicht auf den Käufer übergegangen. Damit allerdings das kaufrechtliche GewährleistungsR Anwendung findet, muss gem. § 434 ein Sachmangel im Zeitpunkt des Gefahrenübergangs vorgelegen haben. Wenn aber mangels Konkretisierung – die Sache ist ja mangelhaft – überhaupt noch kein Gefahrenübergang stattgefunden hat, wie kann dann überhaupt GewährleistungsR Anwendung finden? Es hat ja gerade noch kein Gefahrenübergang stattgefunden – eben gerade kein Mangel "im Zeitpunkt des Gefahrenübergangs".
Hier könnte die Vorschrift des § 446 weiterhelfen (Übergabe trotz Mangelhaftigkeit = Gefahrenübergang), die jedoch meines Wissens nach lediglich die Preisgefahr regelt.

Wo ist mein Fehler?

Ich hoffe, dass jemand Licht ins für mich Dunkel bringen kann. Vielen Dank!

Re: Konkretisierung, Gefahrenübergang

Verfasst: Montag 8. Mai 2017, 11:28
von Justitian
Deine Überlegungen sind sehr scharfsinnig. An einer mangelhaften Sache kann streng genommen kein Gefahrübergang stattfinden, deswegen stellt man für die Anwendbarkeit des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts auf den hypothetischen Gefahrübergang ab, man denkt sich also eine mangelfreie Leistung.

Re: Konkretisierung, Gefahrenübergang

Verfasst: Montag 8. Mai 2017, 18:38
von pHr3d
Justitian hat geschrieben:Deine Überlegungen sind sehr scharfsinnig. An einer mangelhaften Sache kann streng genommen kein Gefahrübergang stattfinden, deswegen stellt man für die Anwendbarkeit des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts auf den hypothetischen Gefahrübergang ab, man denkt sich also eine mangelfreie Leistung.
Das halte ich so nicht für richtig. Weshalb soll bei einer mangelhaften Sache kein Gefahrübergang stattfinden? Genau davon gehen doch die §§ 434, 446 BGB aus.

Man muss hier trennen zwischen Gefahrübergang nach den §§ 446, 447 BGB und Konkretisierung nach § 243 Abs. 2 BGB. Beide werden zwar häufig zusammenfallen, aber eben nicht immer. Bei einer Holschuld kann der Händler die Sache etwa bereitstellen und damit Konkretisieren, Gefahrübergang tritt aber erst bei Abholung ein.

Re: Konkretisierung, Gefahrenübergang

Verfasst: Montag 8. Mai 2017, 20:14
von Justitian
Gefahrübergang setzt u.A. voraus, dass der Verkäufer alles seinerseits zur Leistung Erforderliche getan hat. Bei einer Gattungsschuld muss er Waren mittlerer Art und Güte auswählen - egal ob Hol-, Bring- oder Schickschuld. Dies ist bei einer mangelhaften Sache nicht der Fall, es tritt schon keine Konkretisierung ein. Die Gefahr kann aber nur mit Blick auf eine konkrete Sache übergehen.

Re: Konkretisierung, Gefahrenübergang

Verfasst: Montag 8. Mai 2017, 21:56
von pHr3d
:-k

Hast Recht. Ich ziehe meinen Einwand zurück.

Re: Konkretisierung, Gefahrenübergang

Verfasst: Freitag 12. Mai 2017, 15:04
von ms1
Danke für die Antworten!

Mich bringt noch folgender, meiner Phantasie entsprungener und an sich simpler Fall ins Grübeln:

Verbraucher A kauft bei Händler B ein Fahrrad. Das Fahrrad ist bereits im Zeitpunkt des (hypothetischen) Gefahrenübergangs mangelhaft, allerdings ohne weiteres reparabel. A bemerkt dies. Wies eben so kommt, geht das Fahrrad, bevor er es zur Reparatur bringen will, zufällig unter (Blitz, Erdbeben, gestohlen trotz 5 Radschlössern, was auch immer).
Der Anspruch auf Nacherfüllung ist damit ja nur hinsichtlich der Nachbesserung unmöglich geworden, Nachlieferung bleibt möglich. Zu denken wäre an § 439 III S.2, S. 3, sprich Verweigerung aufgrund unverhältnismäßig hoher Kosten?
Der Verkäufer hätte im Gegenzug zur Neulieferung nach § 439 IV, 346 einen Anspruch auf Rückgewähr, der jedoch wegen zufälligen Untergangs nach § 346 III S.3 ausgeschlossen ist.
Um für mich ein befriedigendes (gerechtes) Ergebnis herbeizuführen, bleibt ja nur § 439 III, oder hat der Verkäufer eben Pech gehabt?

Und nein, das ist keine Hausarbeit, ich stehe eine Woche vor dem Freischuss :eeeek:

Würde mich brennend interessieren, wie der Fall zu lösen ist, bzw. wie man ihn lösen kann.

Viele Grüße

Re: Konkretisierung, Gefahrenübergang

Verfasst: Dienstag 30. Mai 2017, 21:09
von Justitian
Also ehrlich gesagt, irgendwie erscheinen mir die Konsequenzen nun doch absurd: ich kaufe ein mangelhaftes Fahrzeug, fahre damit 2 Jahre und plötzlich wird es gestohlen. Kann ich jetzt Neulieferung verlangen weil der Verkäufer immer noch das Risiko des zufälligen Untergangs trägt?

Re: Konkretisierung, Gefahrenübergang

Verfasst: Dienstag 30. Mai 2017, 22:31
von Honigkuchenpferd
Nein, weil der Erfüllungsanspruch durch §§ 434 ff. BGB modifiziert wird. Du könntest höchsten Nachlieferung verlangen. Es griffe dann aber auch § 439 IV BGB.

Re: Konkretisierung, Gefahrenübergang

Verfasst: Mittwoch 31. Mai 2017, 09:55
von Justitian
§ 439 IV BGB führt einen ja wieder zu § 346 III 1 Nr. 3 BGB.

Re: Konkretisierung, Gefahrenübergang

Verfasst: Mittwoch 31. Mai 2017, 12:43
von Honigkuchenpferd
Ja, das ist dann halt das Pech, wenn du eine mangelhafte Sache lieferst. Im Fall des Diebstahls besteht ja zumindest auch die theoretische Möglichkeit, die Sache wiederzuerlangen. Zudem muss immerhin die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten beobachtet worden sein (mit der Einschränkung des § 277 BGB). Andernfalls hilft § 346 III 1 Nr. 3 BGB nicht weiter.

Re: Konkretisierung, Gefahrenübergang

Verfasst: Mittwoch 31. Mai 2017, 18:50
von erudite
ms1 hat geschrieben: Der Anspruch auf Nacherfüllung ist damit ja nur hinsichtlich der Nachbesserung unmöglich geworden, Nachlieferung bleibt möglich. Zu denken wäre an § 439 III S.2, S. 3, sprich Verweigerung aufgrund unverhältnismäßig hoher Kosten?
Sollte ein Nacherfüllungsanspruch bestehen sind die Kosten der Neulieferung nicht unverhältnismäßig hoch. Sie sind exakt in der Höhe in der der Händler sich verpflichtet hat. (Kosten eines Fahrrads dieser Gattung) Unverhältnismäßigkeit würde wohl erst vorliegen, wenn die Gattung, wie auch immer, komplett untergehen würde und nur ein Fahrrad der Gattung für den dreifachen Preis zur Verfügung stehen würde und der Händler im Zuge seiner Neulieferungspflicht verpflichtet wäre dieses Fahrrad zu kaufen.

Bitte korrigiert mich, sollte ich falsch liegen.

Grüße