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Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Verfasst: Mittwoch 7. Juni 2017, 15:17
von Honigkuchenpferd
Es erscheint wirklich deutlich überzogen, in einem solchen Fall von einer "Traumatisierung" zu sprechen, entspricht aber einer gewissen Neigung zur Überpathologisierung. Nicht jede unangenehme Situation, die man selbst als belastend empfinden mag, sollte zum veritablen "Trauma" erklärt werden. Das hat m.E. auch überhaupt nichts mit fehlender "Empathie" zu tun, sondern lediglich mit einer angemessenen und realistischen Bewertung des Geschehens.

Zudem kann ja gerade im Duisburger Fall keine Rede davon sein, jemand sei "abgeführt" würden. Die Behörden haben ja selbst nicht das geringste Interesse daran, Abschiebungen martialisch und unmenschlich erscheinen zu lassen. Wirklich abgeführt wird, wer sich der Abschiebung entzieht oder von wem Widerstand zu erwarten ist.

Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Verfasst: Mittwoch 7. Juni 2017, 16:46
von julée
@Candor: Ich sehe auch nicht so ganz, was das mit fehlender Empathie oder fehlenden Erfahrungswerten zu tun hat, nur weil man nicht daran glaubt, dass aus einem derartigen Erlebnis für die letztlich (weit überwiegend) unbeteiligten Mitschüler dauerhafte psychische Schäden resultieren. Und das dürfte erst recht gelten, wenn das Erlebnis in der Klasse entsprechend mit professioneller Unterstützung aufgearbeitet wird. (und das Schöne an jugendlicher Begeisterungsfähigkeit ist doch gerade, dass wenige Wochen später gänzlich andere Dinge wichtig sind...)

Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Verfasst: Mittwoch 7. Juni 2017, 20:28
von [enigma]
Ich kann nur aus der eigenen Erfahrung sprechen. In unserer Klasse hat die Abschiebung damals die meisten Schüler schockiert, aber sicher nicht langfristig traumatisiert. Eine türkische Mitschülerin, deren Eltern übrigens völlig legal in Deutschland waren, kam danach allerdings wochenlang nicht zum Unterricht, hatte jahrelang Angst vor der Polizei und nahm in der Zeit danach extrem Gewicht zu. Letzteres kann natürlich andere Gründe haben, ist aber durchaus bemerkenswert. Man darf auch nicht vergessen, dass in vielen Schulen und Klassen gleich mehrere Ausländer und Flüchtlingskinder unterrichtet werden. Für die ist die Belastung natürlich besonders groß, unabhängig von ihrem eigenen Asylrecht.

Und weil Nahbereichsempirie alleine natürlich irgendwie öde ist, sei darauf hingewiesen, dass auch Traumaexperten solche Abschiebungen für traumatisierend halten. Beispiel: https://www.vice.com/de/article/aus-dem ... chlich-ist

Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Verfasst: Mittwoch 7. Juni 2017, 20:30
von Tibor
Wie oft soll der Trauma-Experte jetzt noch zitiert werden?

Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Verfasst: Mittwoch 7. Juni 2017, 20:31
von [enigma]
Verzeihung, hatte tatsächlich keine Zeit, die letzten Seiten vollständig zu lesen und habe ausschließlich auf HKPs und julées Beitrag reagiert.

Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Verfasst: Mittwoch 7. Juni 2017, 20:39
von Gelöschter Nutzer
:D

Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Verfasst: Mittwoch 7. Juni 2017, 20:46
von Gelöschter Nutzer
UNICEF zum Trauma der abgeschobenen Kinder: http://www.kinderschutz.at/zeitung/94_unicef.htm (Verwaister Link automatisch entfernt)

Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Verfasst: Mittwoch 7. Juni 2017, 22:00
von Levi
[enigma] hat geschrieben:Ich kann nur aus der eigenen Erfahrung sprechen. In unserer Klasse hat die Abschiebung damals die meisten Schüler schockiert, aber sicher nicht langfristig traumatisiert.
Eben. Und zwischen "schockiert" und "traumatisiert" liegen medizinisch gesehen Welten.

"Schockiert" hat meine Klassenkameraden und mich auch so einiges (u. a. der tödliche Motorradunfall zweier Mitschüler), traumatisiert wurde dadurch aber keiner. Ich halte das in solchen Konstellationen auch für ausgeschlossen. Wenn jemand eine bleibende psychische Beeinträchtigung davon trägt, dann liegt die Ursache sicherlich nicht in der Verarbeitung einer solchen Situation.

Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Verfasst: Mittwoch 7. Juni 2017, 22:23
von Gelöschter Nutzer
So viel zu Laienansichten. Im Klimathread waren wir uns doch noch einig, dass nur Experten solche Situationen beurteilen können. Dafür gibt es Gutachter. Ich hab genug Gutachten gelesen, um zu einer anderen Ansicht zu gelangen, gestützt auf Aussagen von Experten mit entsprechender universitären Ausbildung und Praxis.

Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Verfasst: Mittwoch 7. Juni 2017, 22:35
von julée
[enigma] hat geschrieben:Eine türkische Mitschülerin, deren Eltern übrigens völlig legal in Deutschland waren, kam danach allerdings wochenlang nicht zum Unterricht, hatte jahrelang Angst vor der Polizei und nahm in der Zeit danach extrem Gewicht zu. Letzteres kann natürlich andere Gründe haben, ist aber durchaus bemerkenswert. Man darf auch nicht vergessen, dass in vielen Schulen und Klassen gleich mehrere Ausländer und Flüchtlingskinder unterrichtet werden. Für die ist die Belastung natürlich besonders groß, unabhängig von ihrem eigenen Asylrecht.
Nochmals die Frage: Sind derartige extreme Überreaktionen auszuschließen, wenn niemand gesehen hat, wie der Mitschüler morgens aus dem Bett geholt wurde? Das Wissen oder die Angst, dass jederzeit jemand die Wohnung stürmen und einen in ein fremdes Land befördern könnte, halte ich auch nicht für sonderlich erbaulich.

Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Verfasst: Donnerstag 8. Juni 2017, 19:47
von Einwendungsduschgriff
Können wir nun einfach mal zwischen Aslyverfahren und Aufenthaltsverfahren unterscheiden? Und den damit im Konkreten verbundenen Ausweisungs- und Abschiebungssituationen? Mir kommt es hier so vor, als sei Panik und Politik vorherrschend und eine sachliche Auseinandersetzung mittlerweile zweitrangig.

Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Verfasst: Donnerstag 8. Juni 2017, 21:20
von sai
Einwendungsduschgriff hat geschrieben:Können wir nun einfach mal zwischen Aslyverfahren und Aufenthaltsverfahren unterscheiden? Und den damit im Konkreten verbundenen Ausweisungs- und Abschiebungssituationen? Mir kommt es hier so vor, als sei Panik und Politik vorherrschend und eine sachliche Auseinandersetzung mittlerweile zweitrangig.
Korrekt.

Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Verfasst: Freitag 9. Juni 2017, 00:42
von thh
Candor hat geschrieben: Da es auch anders möglich ist,
Das ist strittig.

Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Verfasst: Freitag 9. Juni 2017, 01:49
von hlubenow
Candor hat geschrieben:Im Klimathread waren wir uns doch noch einig, dass nur Experten solche Situationen beurteilen können.
Nein, waren wir nicht.
Candor hat geschrieben:Dafür gibt es Gutachter.
Es gibt Situationen, die nur ein Experte beurteilen kann. Andere wiederum kann auch ein Laie mit ausreichender Allgemeinbildung beurteilen. Je nachdem.

Re: Abschiebungen nach Afghanistan - postfaktisch die zweite

Verfasst: Samstag 10. Juni 2017, 16:04
von Urs Blank
Aus einem aktuellen Interview mit Maxim Biller:
DIE ZEIT hat geschrieben: Biller: Ich habe erlebt, wie einer dieser Lehrer, die damals unter den Radikalen-Erlass fielen, von Polizisten aus der Klasse getragen wurde.

ZEIT: Das war wahrscheinlich ein Schock für Sie.

Biller: Ein Schock? Ich habe mich darüber gefreut!