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Durchziehen?

Verfasst: Freitag 9. Juni 2017, 18:44
von Iuridicus
Hallo.

Seit knapp 5,5 Jahren bin ich Richter in einer mittelgroßen Stadt, seit knappen zwei Jahren ernannt. Die Arbeit machte mir sehr viel Spaß bis eine gewisse Gewöhnung einsetzte. Ich muss sagen, ich stand kurz vor dem bore-out, hatte mein Dezernat (Zivil) voll im Griff, arbeitet vielleicht 20 Stunden in der Woche und war absolut unterfordert. Dann tat sich im Herbst letzten Jahres die Möglichkeit einer Abordnung zum wissenschaftlichen Dienst des Landtages ab. Für mich eine gute Chance, zumal der Weg in die hiesige Landeshauptstadt nicht allzu weit ist. Im Zuge der Abordnung wurde ich noch einmal beurteilt und erhielt die zweithöchste Note (übertrifft die Anforderung deutlich). Mein Präsident meinte zu mir, dass ich nun "zwei, drei Jahre" weg sei, und danach könne er mir bei der dann anstehenden Beurteilung guten Gewissens die Spitzennote geben (übertrifft die Anforderungen herausragend). Dies stünde mir jetzt eigentlich schon zu, wäre aber ohne Abordnung wenig vermittelbar.

Nun gut, mir war es egal und seit zwei Monaten bin ich abgeordnet. Die Tätigkeit an sich fordert mich - WENN ich mal was zu tun habe. Kommen Prüfaufträge, bedarf es oft tiefgreifender Stellungnahmen in fremden Rechtsgebieten in kurzer Zeit. Das macht Spaß. Gleichwohl: Ich habe viel zu wenig zu tun. Manchmal habe ich den halben Tag nichts - wirklich nichts - zu tun. Nun muss ich aber 40 Stunden die Woche arbeiten und auch stechen, sodass ich wie bspw heute drei Stunden Zeit absitze. Es macht mich wahnsinnig. Da war mir es am Gericht fast schon lieber, da konnte ich kommen und gehen wann ich wollte. Mir fällt es sehr schwer, die richterliche Unabhängigkeit nun nicht mehr zu haben. Die Abordnung ist befristet bis zum 31.3.2018. Wenn beide Seiten wollen, werden sie in der Regel verlängert auf zwei, drei Jahre, je nachdem. Davon geht auch mein Präsident aus. Mein Vorgesetzter hat mich nun auch schon öfter sehr gelobt für meine Arbeit, so dass ich davon ausgehe, dass ich derjenige Part bin, der sagen wird, dass es keine Verlängerung gibt. Kurzum: Die Arbeit fordert mich ebenso zu wenig.

Wenn ich aber vor den zwei, drei Jahren wieder bei Gericht auftauche, wird das wohl nicht auf viel Verständnis meines Präsidenten stoßen - glaube ich zumindest. Er ist sehr gut in der Justiz vernetzt und wie es mit der Höchstnote aussieht mit möglichen Beförderungsämtern ist ja auch klar, zumal mein Präsident ein guter Freund des hiesigen OLG-Präsidenten ist und quasi schon halb mit ihm die Möglichkeit ausgemacht hat, dass ich von der Abordnung am Landtag unmittelbar an das OLG abgeordnet werden kann. Ich fürchte, wenn ich die Abordnung vor den zwei, drei Jahren abbreche, setzte ich alles karrieretechnisch aufs Spiel.

Wie seht ihr das?

Re: Durchziehen?

Verfasst: Freitag 9. Juni 2017, 20:52
von Parabellum
Hast Du Hobbies?

Re: Durchziehen?

Verfasst: Freitag 9. Juni 2017, 21:03
von schlumpfhausen89
Vllt. sofern du das nicht schon hinter dir hast noch promovieren? Sich freiwillig für AGs oder Klausuren melden?

So kannst du dir die Zeit nebenbei etwas vertreiben und ich würde die Abordnung definitiv durchziehen. Du kannst ja mal nebenbei anmerken, dass es dir am Gericht besser gefallen hat.

Re: Durchziehen?

Verfasst: Samstag 10. Juni 2017, 15:34
von Faby
Vielleicht etwas naiv von mir, aber du hast nichts davon geschrieben, dass du die Problematik bei deinem Vorgesetzten schon angesprochen hast. Vielleicht kann man dir ja noch mehr oder andere Aufgaben zusätzlich übertragen? :-k

Re: Durchziehen?

Verfasst: Samstag 10. Juni 2017, 20:22
von Eagnai
Iuridicus hat geschrieben:Ich muss sagen, ich stand kurz vor dem bore-out, hatte mein Dezernat (Zivil) voll im Griff, arbeitet vielleicht 20 Stunden in der Woche und war absolut unterfordert.
Das hört sich schon ziemlich krass an. :-k

Re: Durchziehen?

Verfasst: Sonntag 11. Juni 2017, 10:42
von CptEinsicht
Ich würde es durchziehen, stressigere Zeiten kommen sicher früher oder später wieder von alleine.

Re: Durchziehen?

Verfasst: Sonntag 11. Juni 2017, 15:42
von Muirne
Also entweder du suchst dir eine sinnvolle Nebenbeschäftigung (netflix, Weltliteratur, Promotion, Lehrveranstaltungen vorbereiten, Klausuren korrigieren, Prüferdasein) oder du fragst nach mehr Arbeit und wenn du dann zurück bist am Besten gleich nach zwei abgesoffenen Dezernaten und übernimmst dazu für alle Kollegen freiwillig die Urlaubs- und Krankenvertretung. Ich will dein Problem nicht klein reden, aber es dürfte sich ja Arbeit finden lassen. Daran mangelt es doch selten. :-k

Re: Durchziehen?

Verfasst: Montag 12. Juni 2017, 08:53
von Tikka
Lieber iuridicus,

Bei Deiner Forenbeteiligung ist noch viel Luft nach oben. Wir sehen Deinen vermehrten Beiträgen in Zukunft mit Freude entgegen.

Bitte.

;)

Re: Durchziehen?

Verfasst: Montag 12. Juni 2017, 09:51
von markus87
+1 zu den letzten beiden Beiträgen. Nimm dir ein Beispiel an Enigma, der könnte gar nicht mehr als 20h arbeiten, selbst wenn er wollte :-D

Gesendet von meinem SM-G950F mit Tapatalk

Re: Durchziehen?

Verfasst: Montag 12. Juni 2017, 09:53
von markus87
Würde übrigens auf jeden Fall durchziehen. (edit ging nicht)

Gesendet von meinem SM-G950F mit Tapatalk

Re: Durchziehen?

Verfasst: Montag 12. Juni 2017, 10:31
von julée
Zu wenig Arbeit, die aber an sich Spaß macht, dürfte in der Tat ein lösbares Problem sein. Vielleicht gibt es ja irgendein "Langzeitprojekt", an dem Du arbeiten kannst, wenn es gerade eigentlich nichts zu tun gibt? Jedenfalls würde ich die Abordnung nicht schmeißen, ohne vorher mal versucht zu haben, an "mehr" Arbeit zu kommen.

Re: Durchziehen?

Verfasst: Montag 12. Juni 2017, 13:35
von Gelöschter Nutzer
Muirne hat geschrieben:Also entweder du suchst dir eine sinnvolle Nebenbeschäftigung (netflix, Weltliteratur, Promotion, Lehrveranstaltungen vorbereiten, Klausuren korrigieren, Prüferdasein) oder du fragst nach mehr Arbeit und wenn du dann zurück bist am Besten gleich nach zwei abgesoffenen Dezernaten und übernimmst dazu für alle Kollegen freiwillig die Urlaubs- und Krankenvertretung. Ich will dein Problem nicht klein reden, aber es dürfte sich ja Arbeit finden lassen. Daran mangelt es doch selten. :-k
+1 :D

Wie sagte einmal ein alter Gärtner zu mir: Langeweile ist eine Sünde.
Seither wusste ich mich immer zu beschäftigen. ;)

Re: Durchziehen?

Verfasst: Montag 12. Juni 2017, 15:01
von Solar
Ich kann das Leiden unter Unterbeschäftigung durchaus verstehen. Mir ging es auch schon so und in meiner derzeit (zum Glück gerade ablaufenden) Anstellung kann ich ebenfalls meist nicht über Überlastung klagen. Natürlich kann man sich den Tag dann mit Blödsinn vertreiben aber zufrieden macht das nicht. Vor allem, wenn man dennoch Stunden absitzen und nicht gehen kann. Und wenn ich iuridicus richtig verstehe, dürfte es durchaus nicht ganz einfach werden, sich am Landtag neue Arbeit zu suchen. Klar, zurück im Richterberuf dürfte das anders sein, da greifen eure Ratschläge sicherlich gut. Aber die Aussicht auf drei Jahre Zeit absitzen finde ich schon hart und würde das nicht kleinreden wollen.

Auf den ersten Blick spricht viel für Durchziehen und vor allem mit Vorgesetzten besprechen, ob es Lösungen gibt. Auch eine Möglichkeit wäre, sich in Verwaltungsfragen zu engagieren, d.h. zum Beispiel Referendarausbildung oder E-Kate oder so. Sollte das nicht helfen und der Frust irgendwann zu groß werden, würde ich aber durchaus "externe" Lösungen suchen. Deine Justiz-Karriere hört sich ja beneidenswert vielversprechend an - ich glaube nicht, dass du sie dir verbaust, wenn du nachvollziehbar erläutern kannst, dass du mehr zu tun haben möchtest.

Re: Durchziehen?

Verfasst: Montag 12. Juni 2017, 21:48
von OJ1988
Hätte auch "Klausuren korrigieren" vorgeschlagen. Zumindest bei mir vergeht die Zeit da recht schnell, weil man stetig nachdenken muss. Und nebenbei kommt noch ein bisschen mehr Geld rein - ist ja auch nicht schlecht.

Re: Durchziehen?

Verfasst: Montag 12. Juni 2017, 21:56
von Tibor
Klausuren korrigieren ist doch auch auf Dauer tot langweilig, oder? Dann doch lieber Aufsätze schreiben oder bei irgendwelchen Fortbildungsinstituten als Dozent anheuern.