Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

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[enigma]
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Re: Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Aus dem Streng. Der empirische Vergleich bestimmter Gruppen mit Kontrollgruppen ist im Übrigen wissenschaftlich anerkannt. Natürlich bietet dieser nie einen absoluten Beweis, bessere Methoden gibt es in den aber nun mal nicht.
Wie gesagt: Wenn du eine genaue Fundstelle angibst, schaue ich mir das an. Aber falls das tatsächlich so darin stehen sollte, liegt die Vermutung wiederum nahe, dass die Vergleichsgruppen eigentlich nicht vergleichbar sind und alle erdenklichen Korrelationen mit anderen (ggf. nicht mitgeteilten und nicht einmal erhobenen Umständen) viel naheliegender erklärt werden könnten.
Das Problem hast du bei jeder empirischen Untersuchung in den Sozialwissenschaften, insbesondere der Kriminologie. Die Ausgangslage ist aber selbst dann immer noch besser als für diejenigen, die die Effektivität des Erziehungsgedanken bestreiten, wenn man nur auf empirische Untersuchungen abstellt. Denn dass bei unterstellter Unbrauchbarkeit und nicht einmal indizieller Wirkung sämtliche Gruppenvergleiche (also Bewährung/Aussetzung, nicht entdeckte / überführte Täter, Haftdauer, Ländervergleiche, etc.) auf die Ineffektivität vollstreckter Jugendstrafen hindeuten, wäre schon ein enormer Zufall.

Es mag unseriös sein, Rückfallquoten als einziges Argument anzuführen. Es ist aber natürlich nicht unseriös, sie im Gesamtkontext zu berücksichtigen. Und welche Umstände hier dafür sprechen, dass vollstreckte Jugendstrafen ineffektiv sind, habe ich ja dargelegt.
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Re: Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Die Rückfallquote ist im Jugendstrafrecht aber generell sehr hoch. Wenn man also schon von "Ineffektivität" sprechen möchte, müsste man das eigentlich allgemein tun. Meier berichtet bei "Jugendstrafe ohne Bewährung" von einer Rückfallquote von 77,8%. Bei "Jugendstrafe mit Bewährung" von 59,6%.

Wenn man nun berücksichtigt, dass eine Jugendstrafe ohne Bewährung überhaupt nur bei einer entsprechenden Prognose verhängt werden soll, ist das also wohl kaum auffällig und spricht schwerlich für eine gesteigerte (spezialpräventive) "Ineffektivität".
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Re: Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Ich nehme an, dass diese angebliche Rückfallquote sich nur auf junge Intensivtäter bezieht. Die meisten Jugendlichen in der Schweiz setzen ihre Delinquenz nicht ins Erwachsenenleben fort. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Situation bei deutschen Jugendlichen gleich derart gegenteilig ist.
Honigkuchenpferd
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Re: Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Nein, eine solche Einschränkung gibt es nicht. Die Zahlen hat Meier von Jehle/Heinz/Sutterer, Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen, S. 55. Das kann man googeln und im Detail nachlesen.
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Re: Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:Die Rückfallquote ist im Jugendstrafrecht aber generell sehr hoch. Wenn man also schon von "Ineffektivität" sprechen möchte, müsste man das eigentlich allgemein tun. Meier berichtet bei "Jugendstrafe ohne Bewährung" von einer Rückfallquote von 77,8%. Bei "Jugendstrafe mit Bewährung" von 59,6%.

Wenn man nun berücksichtigt, dass eine Jugendstrafe ohne Bewährung überhaupt nur bei einer entsprechenden Prognose verhängt werden soll, ist das also wohl kaum auffällig und spricht schwerlich für eine gesteigerte (spezialpräventive) "Ineffektivität".
Umgekehrt musst du dann aber berücksichtigen, dass diese Prognose in der Praxis sowohl von überdurchschnittlich milden als auch überdurchschnittlich strengen Richtern angestellt wird, eine absolut richtige Prognose, die dann als Bemessungsgrundlage dienen kann, gibt es in der Praxis in vielen Fällen ja nicht. Mit anderen Worten: Es dürfte viele Jugendliche geben, deren Jugendstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, obwohl sie - unter theoretischen Idealbedingungen - eigentlich hätte ausgesetzt werden müssen, die dann rückfällig wurden. Umgekehrt gibt es Jugendliche deren Strafe trotz eigentlich schlechter Prognose ausgesetzt wurde, weil der Richter zu milde war, die nicht rückfällig wurden. Dass die Quoten dennoch einen Zusammenhang zwischen Rückfallgefährdung und Vollstreckung zu belegen scheinen, ist zumindest mal bemerkenswert. Das alleine beweist noch nichts, es fügt sich aber ins Bild aus den übrigen entwicklungspsychologischen Argumenten und Annahmen ein.

Und die Rückfallquote ist im Jugendstrafrecht tatsächlich höher als bei Erwachsenen. Das liegt daran, dass in Jugendlichen entwicklungspsychologische Kräfte wirken, die ein normwidriges Verhalten wahrscheinlicher machen. Es gibt auch tatsächlich jugendliche "Intensivtäter" (der Begriff hat auch ein immenses Definitionsproblem), die von der erzieherischen Wirkung des Jugendstrafrechts schlichtweg nicht mehr erreicht werden können. Das sind aber selbst unter den "Intensivtätern" Ausnahmefälle.

Es wäre aber in den meisten Fällen falsch, deshalb auf Vergeltung umzuschalten. Denn selbst, wenn man mit dem Jugendstrafrecht nicht mehr positiv auf besonders schlimme Jugendliche einwirken kann, kann man mit freiheitsentziehenden Maßnahmen durchaus noch negativ auf sie einwirken.
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Ara
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Re: Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von Ara »

Ich weiß gar nicht über was genau ihr diskutiert?

Es ist doch unbestritten (auch zwischen euch), dass man nicht einfach die Rückfallquote von Jugendlichen die Jugendstrafe ohne Bewährung erhalten haben und Jugendliche mit anderen Sanktionssystemen vergleichen kann. Die Vergleichsgruppe ist schlicht nicht identisch. Man kann lediglich aus den Zahlen vermuten, dass Jugendstrafe zumindest keine positiven Auswirkungen hat (denn viel schlechter geht es gar nicht). Um hier belastbare Zahlen zu bekommen, müsste man die Strafen zufällig ausurteilen, das ist logischerweise in einem Rechtsstaat nicht möglich.

Die Rückfallquote bei Jugendlichen die Jugendstrafe erhalten haben ist schon aus dem Grund höher als bei Erwachsene die Freiheitsstrafe bekommen haben, dass Jugendstrafe 1. für ganz andere Straftäter und 2. für ganz andere Deliktsgruppen ausgeurteilt werden. Jugendliche die Jugendstraftaten begehen, haben viel häufiger Straftaten mit hohen Rückfallquoten begangen. Bei Erwachsene sitzen aber auch Steuerhinterzieher und andere Wirtschaftsstraftäter ein, die eine sehr niedrige Rückfallquote haben. Die Anzahl an Jugendliche die wegen Wirtschaftsstraftaten sitzen, würde ich jetzt mal sportlich bei 0 ansetzen.

Und ansonsten diskutiert ihr über Prisonisierung? Der Effekt ist doch schon bei Erwachsenen unbestritten und daher erst Recht bei Jugendlichen plausibel. Wenn man diesen Effekt vermeiden möchte, muss man ein System wie in den skandinavischen Ländern schaffen. Dann verliert man aber erst recht jeglichen (von den Befürwortern behaupteten) abschreckend Effekt.

Ehrlich gesagt halte ich hier eine andere Ansicht auch wissenschaftlich gar nicht für vertretbar. Es ist ein rein populistisch politischer Standpunkt der Law and Order Fraktion, um von unwissenden Laien auf dem Gebiet Stimmen zu fangen. Da erübrigt sich aber eigentlich jeder wissenschaftlicher Austausch. Es ist ein politischer Kampf der gekämpft wird und nicht ein wissenschaftlicher.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Umgekehrt musst du dann aber berücksichtigen, dass diese Prognose in der Praxis sowohl von überdurchschnittlich milden als auch überdurchschnittlich strengen Richtern angestellt wird, eine absolut richtige Prognose, die dann als Bemessungsgrundlage dienen kann, gibt es in der Praxis ja nicht. Mit anderen Worten: Es dürfte viele Jugendliche geben, deren Jugendstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, obwohl sie - unter theoretischen Idealbedingungen - eigentlich hätte ausgesetzt werden müssen, die dann rückfällig wurden. Umgekehrt gibt es Jugendliche deren Strafe trotz eigentlich schlechter Prognose ausgesetzt wurde, weil der Richter zu milde war, die nicht rückfällig wurden. Dass die Quoten dennoch einen Zusammenhang zwischen Rückfallgefährdung und Vollstreckung zu belegen scheinen, ist zumindest mal bemerkenswert. Das alleine beweist noch nichts, es fügt sich aber ins Bild aus den übrigen entwicklungspsychologischen Argumenten und Annahmen ein.
Diese Quoten belegen schlicht und ergreifend gar nichts. Und wie kommst du bitte zu der Behauptung: "Es dürfte viele Jugendliche geben, deren Jugendstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, obwohl sie - unter theoretischen Idealbedingungen - eigentlich hätte ausgesetzt werden müssen, die dann rückfällig wurden"?

Dass es da eine nennenswerte Zahl gibt, ist doch alles andere als wahrscheinlich. Oder meinst du jetzt, dass Jugendgerichte häufig besonders streng urteilen und leichtfertig Strafen ohne Bewährung verhängen? :-s
Es wäre aber in den meisten Fällen falsch, deshalb auf Vergeltung umzuschalten. Denn selbst, wenn man mit dem Jugendstrafrecht nicht mehr positiv auf besonders schlimme Jugendliche einwirken kann, kann man mit freiheitsentziehenden Maßnahmen durchaus noch negativ auf sie einwirken.
Man sollte schon schauen, wie eine freiheitsentziehende Maßnahme ausgestaltet ist. Wenn man Leute zusammenpfercht und weitgehend sich selbst überlässt, hat das sicherlich andere Auswirkungen als bei einem sinnvollen Unterbringungs- und Betreuungskonzept. Das gilt für Jugendliche, aber auch für Erwachsene.

Es ist erstaunlich, dass auch diesbezüglich nicht differenziert wird.

Abgesehen davon erfüllt Vergeltung eben vor allem ein gesellschaftliches Anliegen. Wie man das gewichtet, wäre daher selbst bei unterstellten negativen spezialpräventiven Effekten eine Abwägungsfrage.
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Re: Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Umgekehrt musst du dann aber berücksichtigen, dass diese Prognose in der Praxis sowohl von überdurchschnittlich milden als auch überdurchschnittlich strengen Richtern angestellt wird, eine absolut richtige Prognose, die dann als Bemessungsgrundlage dienen kann, gibt es in der Praxis ja nicht. Mit anderen Worten: Es dürfte viele Jugendliche geben, deren Jugendstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, obwohl sie - unter theoretischen Idealbedingungen - eigentlich hätte ausgesetzt werden müssen, die dann rückfällig wurden. Umgekehrt gibt es Jugendliche deren Strafe trotz eigentlich schlechter Prognose ausgesetzt wurde, weil der Richter zu milde war, die nicht rückfällig wurden. Dass die Quoten dennoch einen Zusammenhang zwischen Rückfallgefährdung und Vollstreckung zu belegen scheinen, ist zumindest mal bemerkenswert. Das alleine beweist noch nichts, es fügt sich aber ins Bild aus den übrigen entwicklungspsychologischen Argumenten und Annahmen ein.
Diese Quoten belegen schlicht und ergreifend gar nichts. Und wie kommst du bitte zu der Behauptung: "Es dürfte viele Jugendliche geben, deren Jugendstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde, obwohl sie - unter theoretischen Idealbedingungen - eigentlich hätte ausgesetzt werden müssen, die dann rückfällig wurden"?

Dass es da eine nennenswerte Zahl gibt, ist doch alles andere als wahrscheinlich. Oder meinst du jetzt, dass Jugendgerichte häufig besonders streng urteilen und leichtfertig Strafen ohne Bewährung verhängen? :-s
Nein. Dein Argument ist ja, der empirische Zusammenhang zwischen Vollstreckung und Rückfallquote belege nichts, weil in der Praxis vornehmlich gegen diejenigen Jugendlichen vollstreckt wird, die eine schlechte Prognose haben und deshalb ohnehin rückfallgefährdeter sind. Das ist in der Theorie natürlich richtig. In der Praxis gibt es eben häufig fälle, in denen die Jugendstrafe durch einen zu milden Richter gegen einen rückfallgefährdeten Jugendlichen nicht vollstreckt oder durch einen zu strengen Richter gegen einen Jugendlichen mit guter Prognose vollstreckt wird.


Es wäre aber in den meisten Fällen falsch, deshalb auf Vergeltung umzuschalten. Denn selbst, wenn man mit dem Jugendstrafrecht nicht mehr positiv auf besonders schlimme Jugendliche einwirken kann, kann man mit freiheitsentziehenden Maßnahmen durchaus noch negativ auf sie einwirken.
Man sollte schon schauen, wie eine freiheitsentziehende Maßnahme ausgestaltet ist. Wenn man Leute zusammenpfercht und weitgehend sich selbst überlässt, hat das sicherlich andere Auswirkungen als bei einem sinnvollen Unterbringungs- und Betreuungskonzept. Das gilt für Jugendliche, aber auch für Erwachsene.
Solche Konzepte werden in Deutschland nur in den wenigsten Anstalten konsequent umgesetzt. Und dort, wo es geschieht, heisst es dann wieder, die Vollstreckung sei viel zu milde.
Es ist erstaunlich, dass auch diesbezüglich nicht differenziert wird.
Danach wird durchaus differenziert. Die Wissenschaft untersucht den Jugendstrafvollzug und seine Möglichkeiten seit Jahrzehnten und vertritt nach wie vor die Ansicht, dass vor allem kurze Freiheitsstrafen selbst bei optimalem Betreuungskonzept kontraproduktiv für die weitere Entwicklung des Jugendlichen sind.
Abgesehen davon erfüllt Vergeltung eben vor allem ein gesellschaftliches Anliegen. Wie man das gewichtet, wäre daher selbst bei unterstellten negativen spezialpräventiven Effekten eine Abwägungsfrage.
Vergeltung um jeden Preis ist kein gesellschaftliches Anliegen und steht dem Erziehungsgedanken und damit der richtigen Entscheidung in der absoluten Mehrheit der Fälle entgegen. Das gesellschaftliche Anliegen, die Gefahren der Jugendkriminalität dadurch zu begrenzen, dass man ihnen durch zu repressive Maßnahmen keinen Vorschub leistet, überwiegt doch sehr deutlich.

Wo ziehst du überhaupt die Grenze? Willst du die Vergeltung im Jugendstrafrecht ganz grundsätzlich höher gewichten oder nur bei schwersten Verbrechen? Ersteres wäre ein Fehler, letzteres wird bei richtiger Anwendung des JGG (siehe Vergeltungsfunktion der Jugendstrafe) durchaus gemacht.
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Re: Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Nein. Dein Argument ist ja, der empirische Zusammenhang zwischen Vollstreckung und Rückfallquote belege nichts, weil in der Praxis vornehmlich gegen diejenigen Jugendlichen vollstreckt wird, die eine schlechte Prognose haben und deshalb ohnehin rückfallgefährdeter sind. Das ist in der Theorie natürlich richtig. In der Praxis gibt es eben häufig fälle, in denen die Jugendstrafe durch einen zu milden Richter gegen einen rückfallgefährdeten Jugendlichen nicht vollstreckt oder durch einen zu strengen Richter gegen einen Jugendlichen mit guter Prognose vollstreckt wird.
Diese Annahme ist schlicht fern der Realität. Im Zweifel wird wesentlich häufiger Bewährung gewährt, obwohl die Prognose nicht wirklich gut ist, als andersherum. Auch davon abgesehen sind diese Unterstellungen ungeeignet, die Annahme in Zweifel zu ziehen, dass Strafen ohne Bewährung in der Regel wirklich gegen besonders bedenkliche Personen verhängt werden.
Solche Konzepte werden in Deutschland nur in den wenigsten Anstalten konsequent umgesetzt. Und dort, wo es geschieht, heisst es dann wieder, die Vollstreckung sei viel zu milde.
Es kommt darauf an. Für "Milde" bin ich auch nicht, aber z.B. für einen angemessen Betreuungsschlüssel, Bildungsangebote und Therapiemöglichkeiten. Nur kostet das halt Geld.
Vergeltung um jeden Preis ist kein gesellschaftliches Anliegen. Das gesellschaftliche Anliegen, die Gefahren der Jugendkriminalität dadurch zu begrenzen, dass man ihnen durch zu repressive Maßnahmen keinen Vorschub leistet, überwiegt doch sehr deutlich.
Das ist deine Meinung. Ich teile sie z.B. in Bezug auf wiederholte Gewalttäter nicht. Und auch im weltweiten und sogar europäischen Vergleich verfolgen Staaten da ganz unterschiedliche Konzepte.

Diese Auffassung ist auch nicht ohne inneren Widerspruch, weil das alles bei Erwachsenen nicht prinzipiell anders ist bzw. wäre.
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Re: Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Honigkuchenpferd hat geschrieben: aber z.B. für einen angemessen Betreuungsschlüssel, Bildungsangebote und Therapiemöglichkeiten. Nur kostet das halt Geld.
.
Das auf jeden Fall. In der Schweiz kann es durchaus vorkommen, dass ein Jugendlicher noch eine relativ geringfügige Delinquenz aufweist und trotzdem in eine Jugendeinrichtung mit resozialisierendem und therapeutischem sowie pädagogischem Konzept mit Ausbildungsmöglichkeit kommt aufgrund der gutachterlich berechneten Rückfallprognose und eingeschätzter künftiger Delinquenz.
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Re: Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Nein. Dein Argument ist ja, der empirische Zusammenhang zwischen Vollstreckung und Rückfallquote belege nichts, weil in der Praxis vornehmlich gegen diejenigen Jugendlichen vollstreckt wird, die eine schlechte Prognose haben und deshalb ohnehin rückfallgefährdeter sind. Das ist in der Theorie natürlich richtig. In der Praxis gibt es eben häufig fälle, in denen die Jugendstrafe durch einen zu milden Richter gegen einen rückfallgefährdeten Jugendlichen nicht vollstreckt oder durch einen zu strengen Richter gegen einen Jugendlichen mit guter Prognose vollstreckt wird.
Diese Annahme ist schlicht fern der Realität. Im Zweifel wird wesentlich häufiger Bewährung gewährt, obwohl die Prognose nicht wirklich gut ist, als andersherum.
Wenn das so ist, ist die geringere Rückfallquote bei nicht vollstreckten Jugendstrafe doch noch viel bemerkenswerter.

Im Zweifel für die Aussetzung zu entscheiden, sollte im Rechtsstaat übrigens selbstverständlich sein. Wie gesagt wird ein Drittel der aussetzungsfähigen Jugendstrafen auch vollstreckt (wohlgemerkt im Urteil, ohne nachträglichen Widderruf), im Bereich zwischen 1 und 2 Jahren sogar die Hälfte. Wesentlich milder als im Erwachsenenstrafrecht, wo die Zahlen ähnlich aussehen, fällt zumindest die Aussetzungsentscheidung im Jugendstrafrecht also nicht aus.
Es kommt darauf an. Für "Milde" bin ich auch nicht, aber z.B. für einen angemessen Betreuungsschlüssel, Bildungsangebote und Therapiemöglichkeiten. Nur kostet das halt Geld.
Eben. Und das will oder kann (je nach Bundesland) man nicht investieren. Zumal man wie gesagt nur bei längeren Freiheitsstrafen mit positiver erzieherischer Wirkung rechnen könnte. Gerade bei den Wiederholungstätern geht es aber um die Frage, ob man nicht lieber schneller mal mit kurzen Freiheitsstrafen dabei sein sollte. Und das ist - so die ganz herrschende Meinung - eben kontraproduktiv.
Vergeltung um jeden Preis ist kein gesellschaftliches Anliegen. Das gesellschaftliche Anliegen, die Gefahren der Jugendkriminalität dadurch zu begrenzen, dass man ihnen durch zu repressive Maßnahmen keinen Vorschub leistet, überwiegt doch sehr deutlich.
Das ist deine Meinung. Ich teile sie z.B. in Bezug auf wiederholte Gewalttäter nicht. Und auch im weltweiten und sogar europäischen Vergleich verfolgen Staaten da ganz unterschiedliche Konzepte.
Und haben mitunter auch deutlich höhere Kriminalitätsraten.
Diese Auffassung ist auch nicht ohne inneren Widerspruch, weil das alles bei Erwachsenen nicht prinzipiell anders ist bzw. wäre.
Doch, es ist sogar ganz grundlegend anders. Auf Erwachsene hat Haft eine ganz andere Wirkung als auf Jugendliche. Der natürliche Erziehungseffekt durch die Gesellschaft zB. wirkt in Erwachsenen eben nicht mehr, weil deren Persönlichkeit bereits gefestigt, bzw. die Entwicklung abgeschlossen ist. Da behindert man keinen Reifeprozess, indem man sie wegsperrt, sondern setzt ihn möglicherweise in Gang. Das kann natürlich durchaus auch bei Jugendlichen der Fall sein, allerdings überwiegen die Nachteile der Haft dort ganz massiv.

Gerade bei Jugendlichen und insbesondere bei Wiederholungstätern hat man übrigens den Effekt, dass die Freiheitsstrafe in ihrem Milieu als Auszeichnung gesehen wird und ihr PRestige dadurch steigt. Gleichzeitig sind sie für die "normale" Gesellschaft aber stigmatisiert, was die Resozialisierung erschwert. Die Schwelle, ab der Freiheitsentzug als ultima ratio anzuwenden ist, liegt bei Jugendlichen deshalb nunmal wesentlich höher als bei Erwachsenen. Das gilt auch für Wiederholungstäter, weil selbst die allermeisten jugendlichen "Intensivtäter" noch die Kurve kriegen. Und die Wahrscheinlichkeit dafür ist größer, wenn sie nicht im Knast saßen.
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Re: Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von Honigkuchenpferd »

[enigma] hat geschrieben:Wenn das so ist, ist die geringere Rückfallquote bei nicht vollstreckten Jugendstrafe doch noch viel bemerkenswerter.
Was sollte daran "noch viel bemerkenswerter" sein? Auch in diesen Fällen liegt die Quote bei fast 2/3, das kommt nicht von ungefähr.
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Re: Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von [enigma] »

Honigkuchenpferd hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Wenn das so ist, ist die geringere Rückfallquote bei nicht vollstreckten Jugendstrafe doch noch viel bemerkenswerter.
Was sollte daran "noch viel bemerkenswerter" sein? Auch in diesen Fällen liegt die Quote bei fast 2/3, das kommt nicht von ungefähr.
Das wird wie gesagt mit den jugendtypischen Entwicklungsprozessen erklärt, die sich in den allermeisten Fällen nach Abschluss der Pubertät selbst einstellen (Selbstheilungseffekt). Die Frage ist, ob man diesen Heilungsprozess fördert oder behindert, wenn man Freiheitsstrafen gegen Jugendliche und Heranwachsende vollstreckt. Und da ist die ghM ziemlich eindeutig und kann sich neben Rückfallquoten auf eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Erkenntnissen stützen. Diese Erkenntnisse waren wie gesagt bereits in den 40er Jahren vorhanden (siehe die oben verlinkte BT-Drcks), also lange bevor die ganzen linksgrünversifften Kuschelheinis die Justiz gekapert haben.
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Re: Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von Honigkuchenpferd »

Also das ist jetzt nur noch absurd und ärgerlich. Statt die Frage zu beantworten, kommt ein völlig zusammenhangloser Wortschwall mit Vokabeln, die hier allenfalls du gebrauchst ("linksgrünversifften Kuschelheinis").
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Re: Jugendstrafrecht - Erfahrung eines Schöffen

Beitrag von Gelöschter Nutzer »

Die Grünen haben also die Justiz gekapert. Das machen doch eher die Piraten, nicht? ;)

Also wenn ich DAS gewusst hätte, wäre ich bei den Grünen geblieben, aber die waren mir einfach zu langweilig und spießig! Nichts Verwegenes! :D
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