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Unbegrenzte Gefährderhaft?

Verfasst: Donnerstag 20. Juli 2017, 12:37
von Tobias__21
MODEDIT: aus dem Meldefred ausgelagert:

Eine unbegrenzte Präventivhaft für Gefährder in Bayern. Richter entscheidet nach drei Monaten, keine Höchstfristen vorgesehen. Dürfen die das?

http://www.sueddeutsche.de/bayern/gefae ... -1.3594307

Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Verfasst: Donnerstag 20. Juli 2017, 12:51
von Honigkuchenpferd
Ach ja, Prantl halt wieder.

Sicher hat man bei einer solchen Regelung zunächst einmal große Bedenken, und man kann da fraglos auch unterschiedlicher Auffassung sein. Die Gegenfrage, die man schon stellen sollte, ist aber: Was soll man in krassen Fällen sonst machen? Es ist ja bestens bekannt, dass die Ressourcen längst nicht ausreichen, sämtliche Gefährder, die es aktuell bereits gibt, zu überwachen. Und selbst wenn eine Überwachung erfolgt, gelingt es den Betreffenden immer wieder, sich ihr zu entziehen. Diese Situation wird sich in den nächsten Jahren sicher nicht verbessern. Nimmt man dann halt Fälle wie den von Anis Amri in Kauf (insbesondere wenn es um Personen geht, die man nicht abschieben kann)?

In der Realität kommt es m.E. vor allem darauf an, dass die Gerichte auch wirklich prüfen, ob eine hinreichende Gefahr gegeben ist und fortbesteht. Unter diesen Voraussetzungen halte ich die Regelung auf den ersten Blick dem Grunde nach für akzeptabel (Details müsste man sich anschauen). Bei psychisch Kranken, die eine Gefahr für andere darstellen, gibt es die Möglichkeit der Unterbringung grundsätzlich übrigens auch.

Ich finde Prantls Kommentar jedenfalls billig und alles andere als sachlich.

Probleme wird es aber auf jeden Fall auch mit dem EGMR geben...

Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Verfasst: Donnerstag 20. Juli 2017, 12:56
von Tobias__21
Sachlich ist der Kommentar nicht, es war aber einer der aktuellsten Artikel, die ich zu dem Thema gefunden habe, deswegen hab ich ihn geposted. Die Gesetzesänderung selbst ist ja schon länger in der Diskussion. Der Artikel ist auch nicht ganz korrekt. In BW sind es auch 14 Tage Höchstdauer, § 28 PolG BW. Das Problem liegt mE darin, dass man die Vrs. der U-Haft aushebelt (über die präventive Schiene), die enger sind.

Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Verfasst: Donnerstag 20. Juli 2017, 12:59
von Honigkuchenpferd
Die U-Haft hat ja aber im Kern einen anderen Anwendungsbereich (wenngleich auch sie auf die Gefahrenabwehr ausstrahlt). Sie knüpft an bereits begangene Straftaten an.

Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Verfasst: Donnerstag 20. Juli 2017, 13:00
von Tobias__21
Schon klar, aber trotzdem kann man ja keinen dauerhaft einsperren, weil man den Verdacht hat, dass er gefährlich ist. Dann hätte man ja die ganzen Sicherungsverwahrten, die entlassen werden mussten, auch direkt wieder aus präventiven Gründen einsperren können/müssen.

Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Verfasst: Donnerstag 20. Juli 2017, 13:01
von Honigkuchenpferd

Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Verfasst: Donnerstag 20. Juli 2017, 13:03
von Tobias__21
Die Unterbringung ist ja keine Haft. Aber ja, ich sehe das Problem auch, dass man praktisch langsam an Grenzen stößt.

Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Verfasst: Donnerstag 20. Juli 2017, 13:04
von Honigkuchenpferd
Der Gewahrsam als solcher auch nicht, aber dass es sich da immer zu einem gewissen Grad um Etikettenschwindel handelt, liegt auf der Hand.

Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Verfasst: Donnerstag 20. Juli 2017, 13:05
von Tobias__21
Der Gewahrsam wird aber wohl in einer JVA vollzogen werden. Mit anderen Worten: Man sitzt im Loch :D

Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Verfasst: Donnerstag 20. Juli 2017, 13:07
von [enigma]
Honigkuchenpferd hat geschrieben:Ach ja, Prantl halt wieder.

Sicher hat man bei einer solchen Regelung zunächst einmal große Bedenken, und man kann da fraglos auch unterschiedlicher Auffassung sein. Die Gegenfrage, die man schon stellen sollte, ist aber: Was soll man in krassen Fällen sonst machen? Es ist ja bestens bekannt, dass die Ressourcen längst nicht ausreichen, sämtliche Gefährder, die es aktuell bereits gibt, zu überwachen. Und selbst wenn eine Überwachung erfolgt, gelingt es den Betreffenden immer wieder, sich ihr zu entziehen. Diese Situation wird sich in den nächsten Jahren sicher nicht verbessern. Nimmt man dann halt Fälle wie den von Anis Amri in Kauf (insbesondere wenn es um Personen geht, die man nicht abschieben kann)?

In der Realität kommt es m.E. vor allem darauf an, dass die Gerichte auch wirklich prüfen, ob eine hinreichende Gefahr gegeben ist und fortbesteht. Unter diesen Voraussetzungen halte ich die Regelung auf den ersten Blick dem Grunde nach für akzeptabel (Details müsste man sich anschauen). Bei psychisch Kranken, die eine Gefahr für andere darstellen, gibt es die Möglichkeit der Unterbringung grundsätzlich übrigens auch.
Wofür bräuchte man dann noch die Sicherungsverwahrung?
Honigkuchenpferd hat geschrieben:Probleme wird es aber auf jeden Fall auch mit dem EGMR geben...
Das ist noch sehr vorsichtig formuliert. Ich wäre mir nicht mal sicher, dass das BVerfG da mitspielt, nach dem Einlauf, den es vom EGMR in der Entscheidung zur Sicherungsverwahrung bekommen hat.

Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Verfasst: Donnerstag 20. Juli 2017, 13:08
von Ara
Tobias__21 hat geschrieben:Eine unbegrenzte Präventivhaft für Gefährder in Bayern. Richter entscheidet nach drei Monaten, keine Höchstfristen vorgesehen. Dürfen die das?
Art. 1 BayVerf: "Bayerisches Landesrecht bricht Grundgesetz"

Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Verfasst: Donnerstag 20. Juli 2017, 13:12
von [enigma]
Honigkuchenpferd hat geschrieben:Nimmt man dann halt Fälle wie den von Anis Amri in Kauf (insbesondere wenn es um Personen geht, die man nicht abschieben kann)?
Ein Rechtsstaat muss solche Situationen tatsächlich in Kauf nehmen, wenn die Alternative darin besteht, Unschuldige unbegrenzt in Gewahrsam zu nehmen. Weiss man doch spätestens seit Minority Report.

Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Verfasst: Donnerstag 20. Juli 2017, 13:13
von Honigkuchenpferd
[enigma] hat geschrieben:Wofür bräuchte man dann noch die Sicherungsverwahrung?
Die Sicherungsverwahrung setzt aber auch eine entsprechende bereits begangene Straftat voraus. So weit möchte man es hier gar nicht kommen lassen.
Das ist noch sehr vorsichtig formuliert. Ich wäre mir nicht mal sicher, dass das BVerfG da mitspielt, nach dem Einlauf, den es vom EGMR in der Entscheidung zur Sicherungsverwahrung bekommen hat.
Du übertreibst maßlos. Das BVerfG hat vom EGMR keinen "Einlauf" bekommen. Ohnehin ging es dabei primär um eine Rückwirkungsproblematik.

Daneben sollte man nicht ausschließen, dass der EGMR die praktischen Schwierigkeiten, die seine Entscheidungen teilweise nach sich ziehen, künftig stärker in Rechnung stellen wird. Möglicherweise auch auf diesem Feld. Immerhin liegt es ja auch in der Hand der Konvetionsstaaten, wen sie dorthin schicken. :-$

Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Verfasst: Donnerstag 20. Juli 2017, 13:16
von [enigma]
Honigkuchenpferd hat geschrieben:
[enigma] hat geschrieben:Wofür bräuchte man dann noch die Sicherungsverwahrung?
Die Sicherungsverwahrung setzt aber auch eine entsprechende bereits begangene Straftat voraus. So weit möchte man es hier gar nicht kommen lassen.
Richtig. Und die Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung sind strenger als für den Präventivgewahrsam, für den nicht einmal eine Straftat vorliegen muss. Also würde der Präventivgewahrsam die Sicherungsverwahrung konsumieren und deren rechtsstaatliche Hürden wirkungslos machen. Es sei denn, man legt in den Fällen, in denen die Betroffenen ihre Gefährlichkeit bereits durch schwere Straftaten bewiesen haben höhere Voraussetzungen an, als bei einer reinen Gefährlichkeitsprognose ohne Straftat. Was ebenfalls absurd wäre.

Re: Manches muss einfach gemeldet werden

Verfasst: Donnerstag 20. Juli 2017, 13:23
von Honigkuchenpferd
[enigma] hat geschrieben:Ein Rechtsstaat muss solche Situationen tatsächlich in Kauf nehmen, wenn die Alternative darin besteht, Unschuldige unbegrenzt in Gewahrsam zu nehmen. Weiss man doch spätestens seit Minority Report.
Ich kann diese Bedenken verstehen, sehe das aber nicht so, und ich finde das in dieser Form auch zu apodiktisch und, pardon, irgendwie wohlfeil. Es ist zugegebenermaßen unschön, sich überhaupt über solche Regelungen Gedanken machen zu müssen. Aber ein Rechtsstaat hat auch den Schutz seiner Bürger zu gewährleisten. Andernfalls verwirkt er seine Legitimation. Anis Amri hat z.B. elf Menschen getötet und 55 zum Teil schwer verletzt. Für die Betroffenen bedeutet das lebenslänglich. Man muss sich da auch irgendwann einmal der Realität stellen, die gerade in den letzten Jahren durch die Politik geschaffen worden ist und sich mit großer Wahrscheinlichkeit in den nächsten Jahren zuspitzen wird.

Natürlich muss man Vorkehrungen treffen, dass ein solches Instrument nicht missbraucht wird (was schwierig ist), und die Gefahrenprognose muss stichhaltig sein und in regelmäßigen Abständen ergebnisoffen überprüft werden.

Im Übrigen hatte ich ja bereits darauf hingewiesen, dass wir bei psychisch Kranken die Möglichkeit der Unterbringung dem Grunde nach ebenfalls kennen. Insofern erscheint mir die vehemente Ablehnung einer solchen Regelung zum Teil auch nicht ganz konsistent.