Schnitte hat geschrieben:Sehe ich ein, nehme aber für mich in Anspruch, dass ich mich tatsächlich in der Sache mit den Argumenten des Anderen (Vergleich mit Richtergehältern oder Justizausgaben, gemessen am BIP, in anderen Staaten) auseinandergesetzt hatte. Ich habe Gegenargumente gebracht, warum sie m.E. den Standpunkt, den sie stützen sollten, nicht stützen. Diese Gegenargumente - auf die bislang eine Replik ausgeblieben ist - lassen mich vermuten, dass der Andere, der sie vorgetragen hatte, die Argumente einfach so aus der Hüfte geschossen ins Blaue hinein hingeworfen, ohne zu prüfen, ob es denn tatsächlich so ist, wie er denkt (dass nämlich in den europäischen Nachbarstaaten wirklich Richter mehr verdienen oder mehr Geld, gemessen am BIP, für die Jutiz ausgegeben wird als hierzulande). Es stört mich, wenn Tatsachenbehauptungen ungeprüft und unüberlegt hingeworfen werden.
Ich muss hin und wieder auch mal arbeiten, weshalb mir die Zeit fehlt, rund um die Uhr das Forum zu überwachen und oft fehlt mir auch die Muße/Motivation, mich weiter zu beteiligen, insbesondere wenn ich den Eindruck habe, dass das vielerorts zu verzeichnende und so zeitraubende Forenbingo gespielt wird, in denen Diskutanten versuchen, einen imaginären Sieg zu erzielen.
Deine Vermutung in allen Ehren, aber ich hatte ja bereits angedeutet, dass ich mich beruflich mit diesem Thema zu befassen hatte, sodass mir innerhalb der 1 1/2 jährigen Befassung zur damaligen Zeit aktuelle und durchaus detaillierte Zahlen zur Verfügung standen. Richtig ist, dass sich der Ausgabenanteil für die Justiz in Deutschland innerhalb der EU aktuell im oberen Mittelfeld bewegt. Da ich aber lediglich auf einige europäische und im Übrigen auf andere westliche Industriestaaten verwiesen habe, hättest du, um meinen "Schuss ins Blaue" als solchen bezeichnen zu können, eher die Zahlen der OECD zugrunde legen sollen, nach welchen Deutschland mittlerweile ebenfalls etwas unterhalb der goldenen Mitte zu finden ist. Schaut man sich aber insbesondere die Entwicklung in den letzten 15 Jahren an, sieht man, dass die Justizausgaben in Deutschland bis etwa 2012 sehr konstant waren und daraufhin zuletzt (stets gemessen am BIP) leicht gestiegen sind, im gleichen Zeitraum aber die Justizausgaben derjenigen OECD-Staaten, die zuvor einen höheren Justizausgabenanteil als Deutschland hatten, zurückgegangen sind, sodass die gestiegene (und zuvor noch schlechtere) Platzierung Deutschlands innerhalb der OECD-Staaten auf die Stagnation oder Absenkung der Justizausgaben dieser anderen Staaten zurückzuführen ist, je nachdem ob deren BIP nominell sinkte, stagnierte oder anstieg.
Selbst wenn ich die von dir zitierte Statistik zugrunde legen würde, könnte ich mein Argument, dass Deutschland sich von anderen europäischen (bzw. wesetlichen) Industrienationen etwas abschauen könnte, nach wie vor stützen, da es lediglich erfordert, dass es in Europa überhaupt (zumindest zwei) Staaten gibt, deren Justizkostenanteil am BIP höher als der deutsche liegt (unterschiedliche Strukturen des Justizapparates, der Richterernennung und Größe des Landes für die Diskussion ohnehin mal allesamt außen vorgelassen und damit unbereinigt). Und selbst wenn man den Anteil von nur 0,4 auf 0,5 bzw. 0,6% steigern würde, wäre das eine Steigerung der Bilanzsumme von 25% bzw. 50% und auch wenn ich gerade weder Lust noch Lust habe, das in eine nominelle Summe (im Sinne eines pro Justizangehörigen potentiell zurechenbaren Bonuses) umzurechnen, könnte ich mir zumindest vorstellen, dass die Summe geeignet ist, etwaige Kosten, die aus der Einführung einer wie auch immer gearteten Variante von evaluationsbasierten Bonussystem entstehen, das zudem auf eine relativ breite Masse verteilt werden könnte, zu finanzieren. Ein solches System könnte durchaus zu einem Motivationsschub beitragen, mit dem nicht nur die Besoldung attraktiver gestaltet werden könnte, sondern dem auch entsprechende Effizienzgewinne erzielt werden könnten. Die Einführung eines solchen Systems wäre natürlich ein Wagnis und es gibt sicher diverse Kritikpunkte, aber die will ich hier gar nicht diskutieren, weil es auf vielen Prämissen und Vorwissen aufbaut, noch habe ich vor, auf deren Auflistung im Detail zu reagieren. Nur zu deinem Einwand, dass es innerhalb der Justiz zu einem Aufschrei führen würde, weil sie ihre Unabhängigkeit gefährdet sieht: Die damalige Befassung mit dieser Thematik ergab sich aus der Diskussion über eine Verdichtung der Autonomie der Justiz, sollte also die Unabhängigkeit gerade fördern. Zu diesem Zweck wurden Justizangehörige unterschiedlichster Ebenen aus anderen Ländern konsultiert, die von ihren Erfahrungen berichtet haben. Wenn dieser Erfahrungsaustausch etwas gezeigt hat, dann, dass mit der Verdichtung der Autonomie und der evaluationsbasierten Verschränkung mit anderen juristischen Berufsgruppen eine viel größere Identifikation mit dem eigenen Stand und ein sehr viel größeres Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Gesellschaft entstanden ist, insbesondere im Hinblick auf die eigenen Verwaltungsmaßnahmen der Justiz, und das sogar auf breiter Flur und nicht nur auf den Schultern eines kleinen Präsidiums, für das sich sonst niemand schert, wenn er nicht gerade selbst von Entscheidungen betroffen ist. Diese Ergebnisse sind übrigen auch in diversen, teils mehrbändigen Veröffentlichungen zusammengefasst, deren Titel ich bei Bedarf gerne weitergebe.
Im Übrigen habe ich zuvor schon klargestellt, dass ich mit keiner Silbe erwähnt habe, dass ich davon ausgehe, dass Richter in anderen Staaten nominell mehr verdienen, das interessiert mich überhaupt nicht und war auch nie ein Punkt, mit dem ich mich beschäftigt habe, zumal die Feststellung recht leicht nachvollzogen werden könnte und daher kein Arbeitsprodukt rechtfertigt. Um in deinem Duktus zu bleiben: Mich stört, wenn mir Aussagen unterstellt und auf Basis des ersten Googletreffers zu einer aktuelleren Statistik bare Unkenntnis attestiert wird.
Ebenso habe ich klar gestellt - und ich kann auch niemanden sonst erkennen, der das hier vertritt -, dass ich den Vergleich mit den Großkanzleianwälten und -partnern ebenfalls für enormen Unsinn halte und insoweit war ich auch bei dir. Die Diskussion entzündete sich letztlich an deiner Kritik an der Entscheidung des BVerfG und an deiner Entgegnung auf thh, der m.E. zutreffend auf die Gefahren einer abnehmenden intrinsischen Motivation hinwies, die auf eine lediglich knapp nicht verfassungswidrige Besoldung zurückzuführen ist, mit dem Argument (sofern ich dich richtig verstanden habe), dass in den nächsten 20 Jahren schon noch eine Wirtschaftskrise Einzug halten werde, woraufhin die Gehälter des Privatsektors eingedampft würden und sich dann alle über die Beamten beschweren würden. Abgesehen davon, dass ich das nicht nachvollziehen kann, nicht glaube, dass es dazu kommt, und zudem kein Beispiel in der Vergangenheit existiert, bezweifele ich sehr stark, dass die intrinsische Motivation, von der thh gesprochen hat, durch die dann fiktiv auftretende Neiderei des Privatsektors plötzlich wiederkehren würde. M.E. springst du an diesem Punkt wieder auf den eigentlich schon überwundenen Großkanzleianwalt-Vergleich auf, der für den Maßstab des BVerfG aber, wenn überhaupt, nur höchst mittelbar eine Rolle spielt. Das Problem liegt viel eher in der Machtlosigkeit der Berufsverbände der Beamten. Ohne ein Streikrecht erschöpft sich deren Macht in der Drohung von Dienst nach Vorschrift, die in den Diskussionen mit Politikern und ganz besonders in der Vorbereitung der Haushaltsdebatte in den Landtagen, deren Kürzungsstift beim Thema Justiz vor der Besserung in den letzten zwei Jahren nur allzu locker saß, leider nur ein allzu stumpfes Schwert darstellt, das sich nie realisieren wird, was auch der Politiker weiß. Ich finde es höchst unredlich, die Forderung nach einer halbwegs angemessenen, dem wirtschaftlichen Erfolg der letzten Jahre entsprechenden Anhebung der Alimentierung auf diese Weise abzukanzeln ("Richter jammern nur rum!"), insbesondere im Vergleich der von Gewerkschaften erzielten Tarifergebnisse der letzten Jahre.
Wenn die Legislative dieser Forderung systematisch (ich weiß, den Punkt leugnest du) ignoriert, darf man es m.E. durchaus als erbärmlich bezeichnen, wenn einzelne Justizangehörige den Klageweg bestreiten müssen, um zumindest das Mindestmaß an Erhöhung durchzusetzen (zwischenzeitlich war ja, wenn ich mich recht erinnere, nicht nur eine, sondern gleich drei Klagen vor dem BVerfG erfolgreich, was man m.E. durchaus als systematische Unterbezahlung bezeichnen kann). Zudem finde ich es auch als äußerst anmaßend, die Verhältnisse innerhalb der Justiz von außen bewerten zu wollen, meiner Erfahrung nach (und da bin ich nicht alleine) sind die gesunkenen Notenanforderungen an einigen (natürlich nicht allen) neuen Kollegen leider durchaus zu erkennen, da sie nicht mehr mit einer anfänglichen Unsicherheit erklärt werden können, sondern diese schlicht notwendige Prüfungen überspringen oder übersehen und schon im ersten halben Jahr allen kundtun, dass sie für das Gehalt nicht länger als 18 Uhr arbeiten werden, was für den Rest nicht nur erhebliche Mehrarbeit, sondern auch eine sinkende Kollegalität und eine sinkende Eigenmotivation nach sich zieht. Ohne eigene Anschauungen und Erfahrungen kannst du doch keine Aussage über die Spürbarkeit der Auswirkungen der erfolgten Notenabsenkungen nach dem Motto "4 Punkte reichen für die Justiz" treffen. Demgegenüber kannst du gerne mal von der Perspektive eines EU-Beamten bei der EZB berichten, über deren Besoldung vor einigen Jahren ja ebenfalls in sehr reißerischer und intensiver Manier berichtet wurde, auch wenn ich Bekannte habe, die dort arbeiten, würde mich eine darüber hinausgehende Einschätzung sogar tatsächlich interessieren.