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Re: Rede und antwortpflicht

Verfasst: Mittwoch 6. September 2017, 18:59
von Herr Schraeg
Dumme Frage des Nicht-Strafrechtlers:

Die Parteien verständigen sich ordnungsgemäß nach § 257 c StPO. Der Angeklagte gibt die Erklärung ab, kein Rechtsmittel einzulegen. Allen Beteiligten einschließlich des Angeklagten ist klar, daß diese Erklärung unverbindlich ist und auch nicht verbindlich gemacht werden kann ( § 302 I 2 StPO).

Wenn der Angeklagte sich also später dazu entschließt, doch Rechtsmittel einzulegen, darf und kann er das. Aber der Verteidiger ist doch deshalb nicht daran gehindert, die Auffassung zu vertreten, daß er sich an die rechtlich unverbindliche Erklärung hält und deshalb das Rechtsmittelmandat nicht übernehmen will. Wo ist das Problem?

Re: Rede und antwortpflicht

Verfasst: Mittwoch 6. September 2017, 19:10
von Muirne
ME wäre es dann doch etwas übertrieben in der Wahrung der Rechte des Mandanten einen Verstoß gegen ein Berufsverständnis zu sehen. In diesem Zusammenhang hat das Beispiel (für mich) nicht so gepasst. Wenn dann wird doch eher andersrum ein Schuh draus.

Re: Rede und antwortpflicht

Verfasst: Mittwoch 6. September 2017, 19:49
von julée
Muirne hat geschrieben:ME wäre es dann doch etwas übertrieben in der Wahrung der Rechte des Mandanten einen Verstoß gegen ein Berufsverständnis zu sehen. In diesem Zusammenhang hat das Beispiel (für mich) nicht so gepasst. Wenn dann wird doch eher andersrum ein Schuh draus.
Ich halte es durchaus für etwas zweifelhaft, als Verteidiger zunächst an einem Deal mitzuwirken und dabei sogar lautstark zu verkünden, wenn es in dem Rahmen bleibe, werde man auf gar keinen Fall Rechtsmittel einlegen, und dann doch das Rechtsmittel einzulegen und zu vertreten. Mag alles "erlaubt" und das Vertrauen in derartige Zusagen nicht schutzbedürftig sein, allerdings könnte man sich als Verteidiger in derartigen Gesprächen auch schlichtweg mit solchen Erklärungen zurückhalten.

Re: Rede und antwortpflicht

Verfasst: Mittwoch 6. September 2017, 20:01
von Muirne
Idealerweise macht man sowas nicht mit (wobei Strafverteidigung ja eine gewisse Schlitzohrigkeit zT schon fordert, habe ich den Eindruck). Aber wenn ich auf einer Seite stehe, dann doch nicht auf der von denjenigen, die genau wissen, dass das nicht erlaubt ist und sie sich auch nicht drauf verlassen dürfen? Ist das Ganovenloyalität oder wie nennt man das dann? Letztlich muss man doch die Interessen und Rechte des Mandanten wahren. Ich bin kein Strafrechtler, aber wenn ich einer wäre, fände ich es jedenfalls weitaus weniger verwerflich dem Mandant zu seinem guten Recht zu verhelfen als an solchen Absprachen überhaupt mitzuwirken. Das meinte ich mit andersrum wird ein Schuh draus.

Re: Rede und antwortpflicht

Verfasst: Mittwoch 6. September 2017, 20:27
von julée
@Muirne: Aber der etwas zu schlitzohrige Verteidiger dürfte seinen Mandanten auf Dauer eher schaden als nutzen, wenn er den Ruf hat, Verfahren, in denen er an allseits für gut befundenen Deals mitgewirkt oder - völlig unverbindlich - große Ankündigungen gemacht hat, in die 2. oder gar 3. Runde zu schicken. Denn warum sollten Gericht und StA unter diesen Voraussetzungen noch sonderlich große "Lust" haben, mit dem Verteidiger derartige Gespräche zu führen, wenn völlig klar ist, dass sich der Verteidiger ohnehin morgen nicht mehr an sein Geschwätz von heute erinnern wird? Interessenvertretung ist das eine, das andere ist eine gewisse persönliche "Geradlinigkeit", die man sich m. E. bewahren sollte, wenn man auf Dauer ernst genommen werden möchte.

Re: Rede und antwortpflicht

Verfasst: Mittwoch 6. September 2017, 20:43
von Muirne
Der ganz besonders schlitzohrige Verteidiger beruft sich dann vielleicht auf seinen Berufsethos und lässt das Ding halt mit einem guten Kollegen in die 2. Runde gehen. Who knows. Aber das sind ja letztlich alles sehr taktische und mehr praktische als rechtliche Erwägungen, wenn sie die Frage betreffen, wie einen StA und Gericht in Zukunft wahrnehmen. Dass man sich vernünftigerweise einen Stil zulegt ist natürlich richtig.
Ganz objektiv kann ich aber eben erstmal nichts verwerfliches daran erkennen das zu tun, was das Gesetz dem Mandanten ausdrücklich gestattet, um genau solche Abreden zu vermeiden. Und das durchaus ganz isoliert betrachtet, weil es das Gesetz in diesem Fall nun einmal genau so will.

Re: Rede und antwortpflicht

Verfasst: Mittwoch 6. September 2017, 21:32
von julée
Zur Frage, ob man unter bestimmten Bedingungen geneigt ist, das Ergebnis gegen sich gelten zu lassen, kann man ja durchaus eine Antwort (ja, nein, vielleicht) geben, die trotz ihrer allseits bekannten Unverbindlichkeit eine gewisse Verlässlichkeit hat. Und das ist ja durchaus etwas, das man vorab mit dem Mandanten klären kann. Mit aller Gewalt einen möglichst guten, mehr oder weniger illegalen Deal mitzunehmen und dann groß aufzuheulen, halte ich persönlich nicht für sonderlich guten Stil.

Re: Rede und antwortpflicht

Verfasst: Mittwoch 6. September 2017, 21:42
von Tobias__21
Wenn ich das so lese, wundert es mich nicht dass die Bevölkerung das Vertrauen in die Justiz verliert. Man kann vom Deal an sich ja halten was man will, aber wenn der Gesetzgeber Rechtsmittelverzichte (zu Recht) nicht haben will, dann finde ich es schon reichlich unseriös auch nur unverbindlich darüber zu palavern.

Re: Rede und antwortpflicht

Verfasst: Mittwoch 6. September 2017, 21:48
von Tibor
Man kann natürlich auch in der 1. Instanz einfach kurzen Prozess machen und als Richter bei der Verkündung auf die 2. Instanz verweisen.

Re: Rede und antwortpflicht

Verfasst: Mittwoch 6. September 2017, 21:55
von julée
Tobias__21 hat geschrieben:(...), dann finde ich es schon reichlich unseriös auch nur unverbindlich darüber zu palavern.
Die Äußerung von wechselseitigen Vorstellungen beinhaltet aber zwangsläufig auch, dass die anderen eine Idee davon gewinnen, was man so denkt und wo möglicherweise die "Schmerzgrenzen" sind.

Re: Rede und antwortpflicht

Verfasst: Mittwoch 6. September 2017, 22:02
von Honigkuchenpferd
Die Diskussion hat sich inzwischen weit vom eigentlichen Thema entfernt, aber rein praktisch spielt in diesem Zusammenhang sicherlich auch eine ganz erhebliche Rolle, dass sich "der Deal" in Deutschland erst einmal im rechtsfreien Raum entwickelt hat und es sehr lange dauerte, bis überhaupt eine gesetzliche Regelung bereitgestellt wurde. Vgl

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13521783.html

Re: Rede und antwortpflicht

Verfasst: Mittwoch 6. September 2017, 22:10
von Tobias__21
julée hat geschrieben:
Tobias__21 hat geschrieben:(...), dann finde ich es schon reichlich unseriös auch nur unverbindlich darüber zu palavern.
Die Äußerung von wechselseitigen Vorstellungen beinhaltet aber zwangsläufig auch, dass die anderen eine Idee davon gewinnen, was man so denkt und wo möglicherweise die "Schmerzgrenzen" sind.
Da fängt es doch schon an :) Man kann seine Grenzen auch klarmachen ohne über Rechtsmittelverzichte zu sprechen. Wenigstens das kann man doch verlangen. Ich würde es jedenfalls nicht tun, sondern mir und dem Mandanten die Bedenkzeit geben ohne irgendwelche Andeutungen in Richtung ja, nein, vielleicht, wenn ihr noch dann könnten wir uns das schon vorstellen es hier und heute endgültig zu beenden, usw. Auch unter Anerkennung der Vorteile des Deals, deren ich mir auch durchaus bewusst bin, bin ich aber kein Freund des Deals an sich.

Re: Rede und antwortpflicht

Verfasst: Mittwoch 6. September 2017, 22:24
von julée
@Tobias: Ich bin auch kein großer Freund des Deals, aber wenn man schon miteinander spricht, dann vielleicht doch mit offenen Karten und nicht "mal schauen was geht, können wir ja eh noch Rechtsmittel gegen einlegen, aber pssst, dass wir das wahrscheinlich machen werden, egal, wie gut das Ergebnis wird, verraten wir keinem, weil darüber darf man sich ja nicht verständigen".

Re: Rede und antwortpflicht

Verfasst: Mittwoch 6. September 2017, 22:52
von Swann
Ara hat geschrieben:
Lieber Swann, nun bin ich wahrlich enttäuscht. Ich habe deine herablassende Art immer verachtet, aber zumindest immer für fachlich äußerst kompetent gehalten.

Die Absprache wird durch die Ankündigung kein Rechtsmittel einzulegen natürlich nicht rechtswidrig. Lediglich der Rechtsmittelverzicht entfaltet keine Wirkung. Sinn und Zweck von § 302 I 2 StPO ist einerseits den Beschuldigten vor Übereilung zu schützen und andererseits die Normen der Verständigung durch die höhere Instanz überprüfen zu lassen. Allen voran gibt es für den Beschuldigten keine Pflicht ein Rechtsmittel einzulegen. Es handelt sich im Rahmen der Verständigung daher lediglich um die Absichtserklärung von einem Recht kein Gebrauch zu machen. Dies kann die StPO nicht untersagen (und wollte der Gesetzgeber auch nicht).

Auch wird der Mandant nicht daran gehindert das Verteidigungsrecht wahrzunehmen. Es gibt keine Verpflichtung für den Instanzverteidiger auch das Mandat für das Rechtsmittel zu übernehmen.

Es zerreißt mir das Herz, dich zu enttäuschen, aber ich fürchte, ich kann mich deiner Meinung nicht anschließen. Eine Verständigung, die das Nichteinlegen von Rechtsmitteln zum Gegenstand hat, ist rechtswidrig, weil sie vom Angeklagten eine unzulässige Gegenleistung verlangt (vgl. BVerfGE 133, 168, 213; Jahn/Kudlich, in: MüKo-StPO, 2016, § 257c Rn. 121; ). Mit meinem Verständnis vom Beruf des Rechtsanwalts ist es unvereinbar, dass dieser sich am offenen Rechtsbruch beteiligt.

Recht hast du natürlich, dass der Instanzverteidiger die weitere Verteidigung nicht übernehmen muss. Er sollte aber seinen Mandanten darüber aufklären, dass die Verständigung ihn nicht am Einlegen von Rechtsmitteln hindert und ggf. auch auf die erhöhten Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels infolge der Verletzung von Protokollierungspflichten hinweisen.

Re: Rede und antwortpflicht

Verfasst: Mittwoch 6. September 2017, 23:05
von Tobias__21
julée hat geschrieben:@Tobias: Ich bin auch kein großer Freund des Deals, aber wenn man schon miteinander spricht, dann vielleicht doch mit offenen Karten und nicht "mal schauen was geht, können wir ja eh noch Rechtsmittel gegen einlegen, aber pssst, dass wir das wahrscheinlich machen werden, egal, wie gut das Ergebnis wird, verraten wir keinem, weil darüber darf man sich ja nicht verständigen".
Aber genau das ist so vom Gesetzgeber gewollt, da er sich der Drucksituation, in der sich der Angeklagte befindet, bewusst war und ihn vor Übereilung schützen will. Wenn man nun offen über Rechtsmittelverzichte spricht wird der Angeklagte / Staatsanwaltschaft irgendetwas dafür tun müssen und meines Erachtens verschärft das diese Drucksituation sogar noch mehr und der Angeklagte ist eher geneigt das mitzunehmen was er kriegt und auf Rechtsmittel wirklich zu verzichten. Legt er nämlich welche ein, kann sich das Urteil sogar verschlechtern, ein Verbot der reformatio in peius gibt es ja hier nicht. Mich als Angeklagten würde es jedenfalls beeindrucken wenn die StA einen Rechtsmittelverzicht in Aussicht stellt, ich drauf einsteige und dann hinterher doch Rechtsmittel einlege. Natürlich war das ja alles unverbindlich und ist ja sowieso verboten, aber Sorge hätte ich schon, ob man bei der StA nicht etwas stinkig auf mich ist und mir in der zweiten Instanz dann richtig Futter gibt. Und hier liegt mE eine große Gefahr, alleine schon wenn man einen Rechtsmittelverzicht unverbindlich in den Raum stellt. Meiner Meinung nach ist das mindestens unseriös von beiden Seiten aus, wenn nicht sogar rechtswidrig. Klar, diese Angst mag unbegründet sein und am Ende entscheidet das Gericht und der StA kann ja eh toben wie er will im Gerichtssaal, aber dennoch wird man sich als Angeklagter diese Gedanken machen und evtl. auf Rechtsmittel verzichten, aber das ist beim Deal ja generell schon die Gefahr. Erhöhen sollte man sie jedenfalls nicht.