Sachmangel, Gefahrübergang und §§ 446, 447 BGB
Verfasst: Freitag 8. Dezember 2017, 01:59
Nabend zusammen,
Ich hätte eine Verständnisfrage zum kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht und wollte mal probieren, ob man mir hier weiterhelfen kann. Ich hab bereits über Google einige Beiträge dazu auf der hiesigen Seite gefunden (und selbstverständlich auch Kommentare und Lehrbücher konsultiert), allerdings habe ich bisher keine zufriedenstellende Antwort finden können.
Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Gewährleistungsrechts - und gleichzeitig wesentliches Abgrenzungskriterium zum allgemeinen Leistungsstörungsrecht - ist der Gefahrübergang iSd §§ 446, 447 BGB, mithin also die Übergabe der verkauften Sache (§ 446 BGB) oder die Übergabe der Sache an die Transportperson (§ 447 BGB). Nach meinem Verständnis sind in beiden Normen grundsätzlich zwei Dinge geregelt, d.h.:
1) Übergang der Preisgefahr bzw. Gegenleistungsgefahr, als Sondervorschrift zu § 326 BGB mit seinen respektiven Tatbeständen
2) Den Zeitpunkt der Anwendbarkeit der §§ 446, 447 BGB sowie die Sachgefahr (Palandt/Weidenkaff, § 446 Rn. 14)
Nicht geregelt ist also die Leistungsgefahr, wie sie z.B. in §§ 275 I, 243 II, 300 II BGB geregelt ist, womit es bei den allgemeinen Regelungen diesbezüglich verbleibt.
Deswegen komme ich zu folgendem Schluss: Der Gefahrübergang und damit die Anwendbarkeit der §§ 434 ff. BGB ist auch grds. dann gegeben, wenn der Schuldner des § 433 I 1, 2 BGB versucht mit einer mangelhaften Sache oder einem aliud (arg. ex, § 434 III BGB, so auch z.B. JurisPK-Leible/Mühller, § 446 Rn. 17) zu erfüllen - sowohl im Falle einer Stück-, als auch Gattungsschuld. Wäre dies nicht der Fall, würde dies ja i.E. dazu führen, dass die §§ 437 ff. BGB schlechterdings nie anwendbar wären, sondern es beim allgemeinen Leistungsstörungsrecht verbliebe. Bekannt ist mir der Fall, dass der Gläubiger nach h.M. eine erkennbar mangelhafte Sache zurückweisen darf (quasi in Anlehnung an § 363 BGB), um die Anwendbarkeit der §§ 434 ff. BGB zu verhindern, so dass der originäre Erfüllungsanspruch aus § 433 I 1, 2 BGB (mit Regelverjährung) nicht zum Nacherfüllungsanspruch gem. § 439 BGB mit kürzerer Verjährungsfrist wird. Die Problematik ist bei § 447 BGB ja insoweit noch mal eine andere, als dass der Gläubiger die Sache nicht vor dem Gefahrübergang als erfüllungstauglich annehmen kann.
Teilweise wird ein Gefahrübergang in diesen Fällen bereits verneint (so z.B. Bachmann, AcP 211, 396, 398 f.). Dieser spricht davon, "dass die fehlerhafte Sache nicht konkretisierungstauglich sei, weil der Schuldner noch nicht das 'seinerseits Erforderliche' (§ 243 II BGB) getan habe" (Bachmann, AcP 211, 396, 399). Dem nähern sich ebenfalls einige Stimmen hier im Forum (so z.B. hier oder hier) aus einem anderen Thread an. Mir ist in diesem Fall bereits nicht ganz klar, was die Konkretisierung gem. § 243 II BGB - die ja nur die Leistungsgefahr im Hinblick auf § 275 I BGB betrifft - damit zu tun haben soll, weil der Fall ja genau nicht von §§ 446, 447 BGB erfasst ist?
Andererseits wird davon gesprochen, dass auf den "fiktiven oder hypothethischen Gefahrübergang" abgestellt werden müsse, d.h. denjenigen, der bei einer mangelfreien Kaufsache erfolgt wäre (JurisPK-Leible/Müller, § 446 Rn. 4). Daraus würde sich ja wiederum dann doch ergeben, dass grundsätzlich bei mangelhafter Kaufsache grundsätzlich kein Gefahrübergang eintritt, oder müssen dort der Gefahrübergang i.S.d. Preisgefahr und der Gefahrübergang i.S.d. Anwendbarkeit der §§ 434 ff. BGB unterschieden werden? Bedarf es einer solchen Konstruktion überhaupt? Die §§ 434 ff. sind ja inhärent darauf angelegt, dass die Sache bei Gefahrübergang mangelhaft (iSd § 434 BGB) ist - deswegen einen Gefahrübergang zu verneinen wäre dann doch aber zirkelschlüssig?
Tl; dr - tritt Gefahrübergang iSd §§ 446, 447 BGB auch dann ein, wenn mangelhafte Sache oder ein aliud geleistet wird, mit der Folge, dass die §§ 437 ff. BGB anwendbar sind?
Ich kriege die konträren Ansätze leider nicht so wirklich zusammen und weiß leider auch nicht, ob ich einfach nur mega auf dem Schlauch stehe. Ich will in diesem Sinne keine große dogmatische Diskussion vom Zaun reißen, sondern nur (um's im "hemmer-Deutsch" zu formulieren) die Mainstreet des Kaufrechts verstehen. Vielleicht kann ja jemand helfen.
Vielen Dank im Voraus
Ich hätte eine Verständnisfrage zum kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht und wollte mal probieren, ob man mir hier weiterhelfen kann. Ich hab bereits über Google einige Beiträge dazu auf der hiesigen Seite gefunden (und selbstverständlich auch Kommentare und Lehrbücher konsultiert), allerdings habe ich bisher keine zufriedenstellende Antwort finden können.
Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Gewährleistungsrechts - und gleichzeitig wesentliches Abgrenzungskriterium zum allgemeinen Leistungsstörungsrecht - ist der Gefahrübergang iSd §§ 446, 447 BGB, mithin also die Übergabe der verkauften Sache (§ 446 BGB) oder die Übergabe der Sache an die Transportperson (§ 447 BGB). Nach meinem Verständnis sind in beiden Normen grundsätzlich zwei Dinge geregelt, d.h.:
1) Übergang der Preisgefahr bzw. Gegenleistungsgefahr, als Sondervorschrift zu § 326 BGB mit seinen respektiven Tatbeständen
2) Den Zeitpunkt der Anwendbarkeit der §§ 446, 447 BGB sowie die Sachgefahr (Palandt/Weidenkaff, § 446 Rn. 14)
Nicht geregelt ist also die Leistungsgefahr, wie sie z.B. in §§ 275 I, 243 II, 300 II BGB geregelt ist, womit es bei den allgemeinen Regelungen diesbezüglich verbleibt.
Deswegen komme ich zu folgendem Schluss: Der Gefahrübergang und damit die Anwendbarkeit der §§ 434 ff. BGB ist auch grds. dann gegeben, wenn der Schuldner des § 433 I 1, 2 BGB versucht mit einer mangelhaften Sache oder einem aliud (arg. ex, § 434 III BGB, so auch z.B. JurisPK-Leible/Mühller, § 446 Rn. 17) zu erfüllen - sowohl im Falle einer Stück-, als auch Gattungsschuld. Wäre dies nicht der Fall, würde dies ja i.E. dazu führen, dass die §§ 437 ff. BGB schlechterdings nie anwendbar wären, sondern es beim allgemeinen Leistungsstörungsrecht verbliebe. Bekannt ist mir der Fall, dass der Gläubiger nach h.M. eine erkennbar mangelhafte Sache zurückweisen darf (quasi in Anlehnung an § 363 BGB), um die Anwendbarkeit der §§ 434 ff. BGB zu verhindern, so dass der originäre Erfüllungsanspruch aus § 433 I 1, 2 BGB (mit Regelverjährung) nicht zum Nacherfüllungsanspruch gem. § 439 BGB mit kürzerer Verjährungsfrist wird. Die Problematik ist bei § 447 BGB ja insoweit noch mal eine andere, als dass der Gläubiger die Sache nicht vor dem Gefahrübergang als erfüllungstauglich annehmen kann.
Teilweise wird ein Gefahrübergang in diesen Fällen bereits verneint (so z.B. Bachmann, AcP 211, 396, 398 f.). Dieser spricht davon, "dass die fehlerhafte Sache nicht konkretisierungstauglich sei, weil der Schuldner noch nicht das 'seinerseits Erforderliche' (§ 243 II BGB) getan habe" (Bachmann, AcP 211, 396, 399). Dem nähern sich ebenfalls einige Stimmen hier im Forum (so z.B. hier oder hier) aus einem anderen Thread an. Mir ist in diesem Fall bereits nicht ganz klar, was die Konkretisierung gem. § 243 II BGB - die ja nur die Leistungsgefahr im Hinblick auf § 275 I BGB betrifft - damit zu tun haben soll, weil der Fall ja genau nicht von §§ 446, 447 BGB erfasst ist?
Andererseits wird davon gesprochen, dass auf den "fiktiven oder hypothethischen Gefahrübergang" abgestellt werden müsse, d.h. denjenigen, der bei einer mangelfreien Kaufsache erfolgt wäre (JurisPK-Leible/Müller, § 446 Rn. 4). Daraus würde sich ja wiederum dann doch ergeben, dass grundsätzlich bei mangelhafter Kaufsache grundsätzlich kein Gefahrübergang eintritt, oder müssen dort der Gefahrübergang i.S.d. Preisgefahr und der Gefahrübergang i.S.d. Anwendbarkeit der §§ 434 ff. BGB unterschieden werden? Bedarf es einer solchen Konstruktion überhaupt? Die §§ 434 ff. sind ja inhärent darauf angelegt, dass die Sache bei Gefahrübergang mangelhaft (iSd § 434 BGB) ist - deswegen einen Gefahrübergang zu verneinen wäre dann doch aber zirkelschlüssig?
Tl; dr - tritt Gefahrübergang iSd §§ 446, 447 BGB auch dann ein, wenn mangelhafte Sache oder ein aliud geleistet wird, mit der Folge, dass die §§ 437 ff. BGB anwendbar sind?
Ich kriege die konträren Ansätze leider nicht so wirklich zusammen und weiß leider auch nicht, ob ich einfach nur mega auf dem Schlauch stehe. Ich will in diesem Sinne keine große dogmatische Diskussion vom Zaun reißen, sondern nur (um's im "hemmer-Deutsch" zu formulieren) die Mainstreet des Kaufrechts verstehen. Vielleicht kann ja jemand helfen.
Vielen Dank im Voraus