Re: Hass und Stress im Ref
Verfasst: Dienstag 20. Februar 2018, 12:06
Man soll (und muss) im Ref vor allem lernen, die Dinge dreckig wegzuballern.
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Das habe ich eigentlich eher auf den Partys der PhilFak gelernt...OJ1988 hat geschrieben:Man soll (und muss) im Ref vor allem lernen, die Dinge dreckig wegzuballern.
sai hat geschrieben:Das habe ich eigentlich eher auf den Partys der PhilFak gelernt...OJ1988 hat geschrieben:Man soll (und muss) im Ref vor allem lernen, die Dinge dreckig wegzuballern.
Das sollte nicht so sein; die zu bearbeitenden Sachen sollten m.E. einerseits ausbildungsgeeignet und andererseits vom Umfang her vernünftig sein. Als Faustregel gilt hier, dass der Referendar einen Tag pro Woche beim Ausbilder ist, einen Tag Sitzungsdienst macht und einen Tag zum Selbststudium hat; dann bleiben bestenfalls noch zwei Tage für die Bearbeitung der Akten. Ich halte Akten mit einem Umfang von 100 oder mehr Seiten daher für eher außergewöhnlich. - Das gilt umso mehr, wenn die Sachen tatsächlich und rechtlich schwierig sind.Kulika hat geschrieben:Mein Staatsanwalt gibt mir ständig mehrere hunderte bis über tausend Seiten dicke Akten mit meiner Meinung nach extremen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, von denen ich null Ahnung habe.
Auch das sollte nicht so sein; die erstellten Arbeiten sollten besprochen werden, und dann lässt sich ja ganz klar sagen, was daran gut und was schlecht ist.Kulika hat geschrieben:Ich brüte darüber extrem lange nach. Wenn ich sie dann zurückgeben ist er meist mit einigen Sachen unzufrieden ohne jedoch für mich zufriedenstellend auf den Punkt bringen zu können mit was und gibt mir die Akten einfach wieder zurück um sie erneut zu bearbeiten.
Das erscheint mir jetzt - insbesondere angesichts der doch in der Regel sehr überschaubaren Länge der Strafstation - etwas übertrieben.Kulika hat geschrieben:Inzwischen will ich mit Jura einfach nichts mehr zu tun haben und nach dem zweiten Examen am liebsten etwas ganz anderes machen.
Das kann man so sehen, aber (vor- und nach-)besprechen muss man die Sachen trotzdem; in erster Linie sind Referendare schließlich immer noch zur Ausbildung zugewiesen, nicht zur Arbeitsentlastung ...Kulika hat geschrieben:Ja, aber er gibt mir trotzdem die schwierigen Sachen und meint, ein Referendar sei auch dazu da, den Staatsanwalt zu entlasten. Für komplizierte Sachen hätten Referendare mehr Zeit.Hast du mal das Gespräch mit deinem Ausbilder gesucht?
Naja, aber das ist dann doch einfach: entweder ist der Sachverhalt noch nicht fertig ausermittelt, dann muss man entweder weiterermitteln oder - wenn man das nicht will oder es keine weiteren Ermittlungsansätze gibt - entscheiden, ob die Sachlage nun einen hinreichenden Tatverdacht hergibt oder nicht. Ggf. muss man dann auch Tatvorwürfe von geringerem Gewicht, deren Aufklärung überproportional aufwändig wäre, nach §§ 154, 154a StPO aus dem Verfahren ausscheiden; dafür gibt es diese Vorschriften ja.Kulika hat geschrieben:Oft sind es Sachverhalte, bei denen nur ein ganz geringer Teil feststeht.
Das müssen aber sehr ungewöhnliche Verfahren sein - ich mache das nicht erst seit gestern, kann mich aber nicht erinnern, dass das jemals ernsthaft eine Rolle gespielt hätte ...Kulika hat geschrieben:Dann kommt so Zeug wie Postpendenz, Prependend und Wahlfeststellung ins Spiel.
... dann muss man sich entscheiden, von welcher Variante man warum ausgehen will; im Falle der Unentscheidbarkeit gilt der Zweifelssatz.Kulika hat geschrieben:Aber wenn man dann plötzlich unzählige mögliche Sachverhaltsvarianten hat, die fast gar nicht mehr schriftlich darstellbar sind
Wenn ein Sachverhalt hochkomplex ist, dann kann das einmal so sein.Kulika hat geschrieben:und plötzlich einzelne Delikte jeweils zu anderen Delikte im Verhältnis der Postpendenz, zu anderen im Verhältnis der Wahlfeststellung usw. stehen wird das kompliziert. Oft gibt es dann auch gar keine Rechtsprechung mehr. Und Zeit dafür, mich in irgendwelche Promotionen einzulesen habe ich nicht.
Nun ja - Aufgabe der Staatsanwaltschaft als Ermittlungsbehörde ist es, den Sachverhalt aufzuklären. Wenn die Möglichkeiten dazu erschöpft sind - oder aufgrund der vorhandenen Ressourcen und/oder der Geringfügigkeit der Tat keine weitere Aufklärung mehr betrieben werden soll -, muss man sich fragen, was genau man denn nun feststellen kann, ggf., wem man warum glaubt und wem nicht. Kann man nichts - oder nichts ausreichendes - feststellen, dann ist der Tatnachweis nicht möglich und das Verfahren nach § 170 Abs. 2 Stopp einzustellen, mag auch ein sehr starker Restverdacht bestehenbleiben.Kulika hat geschrieben:Kurz gesagt: Ich weiss nicht, wie man richtig an Sachverhalte rangeht, an denen fast nichts feststeht.
Ich fand Strafrecht eigentlich immer einfacher - da muss man nicht lange an Schriftsätzen herumüberlegen oder sich Gedanken über die Beweislast machen, sondern kann schlicht aufklären, wie es denn nun war ...Kulika hat geschrieben:Außerdem ist Zivilrecht durch den Beibringungsgrundsatz viel einfacher.
Nun ja, wenn man zu nichts mehr kommt, kann man auch erwägen, um mehr Zeit zu bitten - oder eben (bewusst) eine schlechte Lösung vorzulegen. Was soll schon passieren, außer (im schlimmsten Fall) einem schlechten Stationszeugnis (das dann als Ausrutscher nach unten eher gegen den Zeugnisverfasser als gegen den Beurteilten spricht)?Kulika hat geschrieben:Wenn man täglich mit diesem unangenehmen Zeug zu tun hat und zu nichts anderem mehr kommt und den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht kommt man vielleicht manchmal befremdlich rüber, sorry.
Schon, aber die Praxis neigt dazu, komplizierten Rechtsfragen nach Möglichkeit durch Ausweichen auf andere Lösungen eher aus dem Weg zu gehen ...Kulika hat geschrieben:Und wenn ich mir da zB BGHSt 15, 63 anschaue oder die Kommentierung im LK, Anhang zu § 1, Rn. 146, 147 ff. scheint es ja doch unzählige und auch recht komplizierte Möglichkeiten der Wahlfeststellung zu geben.
Ich kann auch nicht überall seinTibor hat geschrieben:Oder man hat einen fähigen Referendar und lässt den mal ran.
Vielleicht kann man Dich ja mal ausleihen oder so ...Tobias__21 hat geschrieben:Ich kann auch nicht überall seinTibor hat geschrieben:Oder man hat einen fähigen Referendar und lässt den mal ran.
Das hört sich ehrlich gesagt reichlich extrem an.Kulika hat geschrieben: Ich zweifle dann häufig extrem an mir selbst, obwohl mir mein zweistelliges Examenszeugnis des ersten Examens eigentlich zeigt, dass ich Jura kann. Auch alle AG Klausuren waren bisher zweistellig.
Inzwischen will ich mit Jura einfach nichts mehr zu tun haben und nach dem zweiten Examen am liebsten etwas ganz anderes machen.
So ist es. - Akten sollten vorzugsweise (insbesondere am Anfang) überschaubar und nach Möglichkeit ausbildungsrelevant sein (d.h. keine abseitigen Spezialgebiete), aber wenn der Referendar fortgeschritten, entsprechend fit und/oder interessiert ist, dann spricht auch nichts gegen umfangreichere/rechtlich oder tatsächlich schwierigere Arbeiten. Ich habe in Einzelfällen auch schon Schwurgerichtsanklagen verfassen lassen, und das hat in diesen Fällen auch gut funktioniert. Ansonsten bleibt es eben bei übersichtlichen "Standardaufgaben", je nach Zuschnitt des Dezernats Diebstahl, Betrug, Körperverletzung, Trunkenheitsfahrten, Sexualdelikte, Raub, Sozialleistungsbetrug, Btm-Sachen, ...Eagnai hat geschrieben:Ich persönlich gebe (als StA) meinen Referendaren übrigens selten Akten von größerem Umfang oder größerer Schwierigkeit mit, finde es allerdings auch nicht sehr verwerflich, wenn Kollegen das - zumindest gelegentlich - tun, denn solche Akten gehören zur Praxis letztlich genauso dazu wie kleine, dünne Akten mit 0815-Fällen.