arlovski hat geschrieben:aber ist es der norm, die den gesetzesvorbehalt ausfüllt, nicht immanent, dass sie damit auch in das grundrecht eingreift, sodass die prüfung überflüssig ist?
Nein, diese Prüfung ist nicht überflüssig.
Gucken wir uns das einmal an hinsichtlich der von mir oben zitierten Entscheidung im 124. Band (Wunsiedel).
1. Vorangeschickt: die Entscheidungen des BVerfG sind nicht immer der Maßstab für eine studentische Prüfung. Das liegt daran, dass die praxishafte Ausgestaltung des Verfassungsprozessrechts etwas anders konnotiert ist als die Prüfung im Rahmen eines Gutachtens. Man kann aber festhalten, dass die Inzidentprüfung des Gesetzes - sofern der Bf. seine Verfassungswidrigkeit rügt - immer auch recht gehaltvoll angestellt werden sollte.
2. Ausgangspunkt: Man muss sich in dieser Situation zunächst vor Augen führen, dass der Gesetzgeber nicht anhand der Heck'schen Kriterien (s. BVerfGE 18, 85 <92>) untersucht wird. Das Mantra der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts - als Förderung der Unabhängigkeit der Fachgerichte gegen eine Superrevisionsinstanz im Karlsruher Schlossbezirk - spielt erst eine Rolle, wenn wir den konkreten Einzelakt betrachten.
3. Prämisse: Das Gesetz leitet in abstrakter Weise eine strafrechtliche Sanktion an. Hierbei greift es selbstverständlich in die Grundrechte der Normunterworfenen ein. Ein Gesetz verbietet mir zum Beispiel eine bestimmte Meinung: "Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt." (§ 130 Abs. 4 StGB) Diese Rechtsnorm hindert mich abstrakt daran, den Holocaust zu leugnen. Konkret wird diese Rechtsnorm jedoch erst, wenn ein Gericht mich im Rahmen eines Strafverfahrens wegen einer Leugnungshandlung verurteilt.
4. Wie gehen wir in der Verfassungsbeschwerde vor?
a) Deutlich sollte sein, dass zwei Varianten einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde denkbar sind: das Gesetz verstößt gegen Grundrechte, zum Beispiel, weil Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht hinreichend vom Gesetzgeber beachtet worden ist. Zum Zweiten ist es möglich, dass das Gesetz verfassungsrechtlich ohne Bedenken ist, aber die Anwendung im konkreten Einzelfall mit der Meinungsfreiheit nicht im Einklang steht.
b) Prüfungsaufbau: Sieht der Sachverhalt vor, dass der Bf. nicht nur seine persönliche Verurteilung angreift, sondern bereits die gesetzliche Grundlage seiner Verurteilung für verfassungswidrig hält, so muss eine Prüfung dieser gesetzlichen Grundlage inzident erfolgen. Hier gibt es nun aus meiner Sicht keinen allumfassend-richtigen Aufbau. Ich würde es persönlich wie folgt machen:
I. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde
II. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde
1. Prüfungsmaßstab: angegriffen ist eine gerichtliche Verurteilung im Rahmen eines Strafverfahrens - also: das Bundesverfassungsgericht ist keine Superrevisionsistanz. Fachgerichtliche Entscheidungen sind nur dann aufzuheben, wenn eine spezifische Grundrechtsverletzung zu erkennen ist. Eine solche spezifische Grundrechtsverletzung liegt aber auch immer dann vor, wenn die Rechtsgrundlage der Einzelentscheidung gegen Verfassungsrecht verstößt. Siehe im 18. Band:
BVerfGE 18, 85 <92> hat geschrieben:Die Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung von einfachem Recht, insbesondere von Generalklauseln, den grundgesetzlichen Wertmaßstäben Rechnung zu tragen. Verfehlt ein Gericht diese Maßstäbe, so verletzt es als Träger öffentlicher Gewalt die außer acht gelassenen Grundrechtsnormen; sein Urteil muß auf eine Verfassungsbeschwerde hin vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden (BVerfGE 7, 198 [207]; 12, 113 [124]; 13, 318 [325]). Andererseits würde es dem Sinn der Verfassungsbeschwerde und der besonderen Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht werden, wollte dieses ähnlich wie eine Revisionsinstanz die unbeschränkte rechtliche Nachprüfung von gerichtlichen Entscheidungen um deswillen in Anspruch nehmen, weil eine unrichtige Entscheidung möglicherweise Grundrechte des unterlegenen Teils berührt. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen; nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht durch die Gerichte kann das Bundesverfassungsgericht auf Verfassungsbeschwerde hin eingreifen (vgl. BVerfGE 1, 418 [420]). Spezifisches Verfassungsrecht ist aber nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung, am einfachen Recht gemessen, objektiv fehlerhaft BVerfGE 18, 85 (92)BVerfGE 18, 85 (93)ist; der Fehler muß gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen.
2. Schutzbereich und Eingriff: Hier steht die Einzelentscheidung in der Rede. Du prüfst, ob die angegriffene Verurteilung in Freiheitsrechte der Bf. eingreift.
3. Rechtfertigung des Eingriffs:
a) Schranke: Hier erörterst Du vollumfänglich die Verfassungsmäßigkeit der Schranke. Das heißt: Schutzbereich - Eingriff - Rechtfertigung. Hier: Vollüberprüfung, da hier nicht die Superrevisionsinstanz-Rechtsprechung im Raume steht, denn der Gesetzgeber ist nicht Teilhaber der fachgerichtlichen Freiheit.
b) Anwendung der Schranke im Einzelfall: Hier eröterst Du, ob die - verfassungsmäßige - Schranke, im konkret zu beurteilenden Sachverhalt verfassungsgemäß angewendet worden ist. Hier kommen nun die o. g. Kriterien des Prüfungsmaßstabes zu tragen. Als Beispiel: Du hast diese o. g. Strafnorm, die Du als verfassungsmäßig beurteilst (worüber man sich trefflich streiten kann) und aber die Anwendung der Strafgerichte im Einzelfall kann aber trotzdem verfassungsrechtliche Maßstäbe verletzen, zum Beispiel, weil sie dese Vorschrift nur unter mangelnder Berücksichtigung der Meinungsfreiheit ausgelegt haben.
Das in der gebotenen Kürze. Wahrscheinlich sollte ich dazu doch mal einen Aufsatz schreiben, denn dieses Problem taucht in der Ausbildung und damit auch hier im Forum doch deutlich öfter auf als gedacht. Für den Literaturzugriff empfele ich immer dringend: Volkmann, Juristischer Studienkurs - Staatsrecht II (Grundrechte), im Beck-Verlag erschienen.