Einstieg in das Jura Studium

Allgemeine Fragen zum Jurastudium (Anforderungen, Ablauf etc.)

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Herr Anwalt
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Re: Einstieg in das Jura Studium

Beitrag von Herr Anwalt »

flx hat geschrieben: Samstag 2. Juni 2018, 15:59 Kommt mir sehr bekannt vor, was du da beschreibst. Erstmal: Ich weiß nicht, was für eine Art von Denkart du hast, aber bei mir war es so, dass ich mit dem intuitiven, automatischen Zugang aus der Schule in Jura erstmal auf die Fresse gefallen bin. Ich selbst bin nach dem 2. Semester in fast keine einzige Veranstaltung mehr gegangen, aber anfangs ist es schlau, um ein bisschen zu verstehen, worauf es ankommt.

Jeder hat nen anderen Zugang zum Lernen und zum Studium, und das einzig generell anerkannte Verfahren ist vmtl. das von Tobias in seiner ersten Antwort.
Ich hab mir viel damit verbaut, dass ich anfangs viel zu perfektionistisch war. Die meisten Lehrbücher unterstützen sowas leider; da nimmst du ein Lehrbuch zum BGB AT her, dann kommt da Anfechtung, und dann lernst du erstmal 100 Seiten Dutzende kleine Spezialprobleme zur Anfechtung, die du alle wieder vergisst. Dann nächstes Kapitel Stellvertretung. Und so weiter. Das führt mMn zu nichts, weil die Essenz im weißen Rauschen untergeht. Ich glaub die effizienteste Art zu lernen ist folgende: nimm dir zu jedem Fach das kleinste und kürzeste Skript raus, das du findest (*hüstel* Niederle). Schreib dir am Anfang die Namen aller Kapitel raus. Arbeit es durch. Dann mach ein kurzes Fallbuch dazu, mit so Minifällen von Hemmer. Am Schluss schau dir nochmal die Kapitelübersicht an und überleg, ob du alles im Grundsatz verstanden hast, ob du die Thematik (und die wichtigsten Normen) jemandem in einfachen Worten erklären könntest. Beispiel: Im Schuldrecht AT geht das sehr schön. Wenn du das System der §§ 280 ff einmal durchdrungen hast, dann weißt du (bis auf einige Spezialfälle) bei den meisten Fällen sofort, ob vorrangig §§ 280 (evt mit § 241 II), 281, 282, 283, 284 oder 285 einschlägig ist. Ist auch ganz klar, die regeln ja alle ganz andere Sachen! Das ist ne ganz einfache Verständnissache. Sobald es ein einziges mal wirklich Klick gemacht hat (und das kann dauern), kann es sogar Spaß machen, komplexere Meinungsstreite oder Theorien zu lesen, weil sie sich einfügen in das, was du schon weißt. Wenn aber das Grundverständnis fehlt, frustriert der Großteil einfach nur.

Wenn du es hinbekommst, bis ins 2. Semester diese ganz grundlegenden Sachen (fürs BGB AT etwa: Rechtsgeschäftslehre; 2. Willenserklärungen und Vertragsschluss; 3. Minderjährigenrecht, 4. Stellvertretung und 5. Anfechtung) in ihrer Essenz zu verstehen und zu erklären und das auch dauerhaft zu behalten, bist du schon weiter als 60-70% deiner Kommilitonen.

Um die Klausuren dann zu bestehen, musst du nebenbei allerdings den Gutachtenstil und die rechtsfolgenorientierte Prüfung gut einüben. Das geht recht gut durch Falllösen, ganz zu Anfangs empfehlen sich auch AGs dafür.

Und, ein letzter Tip: arbeite von Anfang an eng mit deinem Gesetz. Ich weiß noch wie nachschlagefaul ich anfangs war, weil ich mir gedacht hab "das wichtigste sind die ganzen Sachen die nicht im Gesetz stehen". Das ist aber Unsinn. Zumindest bis zum ersten Examen wird es regelmäßig honoriert, wenn du souverän mit deinem Gesetz umgehen kannst. Ein bisschen nach vorne und hinten blättern hat mir schon die ein oder andere Klausur gerettet - und es nicht getan zu haben hat mir völlig unnötigerweise die eine oder andere Klausur zerhagelt ;)
Diesen Beitrag finde ich herausragend.
Deckt sich hinsichtlich des Umfangs des Stoffs am Anfang mit dem was ich in einem Video "Tipps für Erstsemester" sage.
Vom Einfachen zum Besonderen hin lernt es sich am besten. Deshalb finde ich z.B. die Fallbücher von "Die Fälle" genial.
Die sind total simpel. Es taucht kaum mehr als ein Problem auf. Aber sind perfekt um die Struktur einzuüben und der Materie der neuen Gebiete näherzukommen.
TobiasG
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Re: Einstieg in das Jura Studium

Beitrag von TobiasG »

Es gibt den Ausführungen meiner Vorschreiben nicht mehr viel hinzuzufügen, lediglich eine kleine Ergänzung meinerseits: Ich fand (im Nachhinein betrachtet) noch zwei Sachen ganz interessant/hilfreich. Sich zum einen bei jeder Norm, bei der es nicht ganz offensichtlich ist, zu fragen, wen das Gesetz schützen will, zum anderen sich mit den realen Fällen zu beschäftigen, die hinter den ganzen Meinungsstreitigkeiten stehen.

Punkt eins hilft Dir, die Gesetzessystematik und den Zweck der Vorschriften zu verstehen, womit Du dann auch einen einfacheren Zugang zum "Recht" findest. Medicus hat(te) hier m.E. einen sehr prägnanten und einprägsamen Stil, wenngleich der natürlich auf einem hohen Niveau einsteigt und ich nicht genau weiß, ob es Vergleichbares auch für die Anfangssemester gibt. Punkt zwei hilft Dir, die Meinungsstreitigkeiten zu verstehen, denn zumindest ich habe vieles damals als reine Auswendiglernerei empfunden und v.a. als zu theoretisch. Nur ein simples Beispiel: Bei den ganzen Fragen der Stellvertretung geht es bei der Argumentation ja (auch) darum, wer mit wessen Insolvenzrisiko belastet werden soll oder nicht. Als Student habe ich das immer einfach so hingenommen und nicht weiter hinterfragt, wobei mir erst später - bei der Beschäftigung mit richtigen Fällen - klar wurde, dass das in der Realität tatsächlich ein großes Problem ist, wo eben nicht Person A und Person B darüber diskutieren, ob das Kind C jetzt wirksam einen Kaugummi kaufen konnte, sondern mitunter die Baufirmen A-GmbH und B-GmbH darüber, ob (auch) der Handelsvertreter C mit seinem Privatvermögen haftet, weil die B-GmbH plötzlich pleite ist. Wenn man die Interessenlagen dann klar vor Augen hat, kann man sich einerseits Meinungsstreits besser merken, andererseits versteht man auch den Konflikt, den das Gesetz zu lösen versucht bzw. wird auch für Problemschwerpunkte in der Arbeit sensibiliisert.
"Wer Du bist? Sicher nicht der Rap-Messias. Für mich bist auch Du nur irgendein Tobias."

~ Harry Quintana
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Re: Einstieg in das Jura Studium

Beitrag von Waechter »

Vielen Dank für eure TOP Beiträge!!!
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