was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

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TobiasG
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Re: was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

Beitrag von TobiasG »

Kroate hat geschrieben: Freitag 19. Juli 2019, 09:02
Liz hat geschrieben:...(z. B. Verzicht auf eine hochkomplizierte nebensächliche Forderung, wenn es dafür sofort eine Entscheidung über viel wichtigere Forderungen gibt.) und kann dies auch dem Mandanten klarmachen.
Das Beispiel finde ich erklärungsbedürftig...

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Ich verstehe das so, dass wenn es bspw. um eine Forderung von EUR 1.000.000 geht, die eigentlich entscheidungsreif ist, im selben Prozess aber noch über die Anwaltskosten oder einen kleinen zusätzlichen Mangel gestritten wird, für den etliche Zeugen-/SV-Beweisangebote vorliegen, man ggf. in Erwägung ziehen sollte, die Klage insoweit zurückzunehmen/anzuerkennen, damit im Übrigen schnell eine Entscheidung ergeht und sich der Rechtsstreit nicht noch weiter in die Länge zieht. Gerade bei langwierigen Prozessen und verfeindeten Parteien verliert man bei so was schnell den Blick fürs Wesentliche.
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Tibor
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Re: was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

Beitrag von Tibor »

Lieber die Taube in der Hand sichern, als noch den Spatz vom Dach dazu fangen zu wollen und ggf. der Taube verlustig gehen.
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immer locker bleiben
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Re: was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

Beitrag von immer locker bleiben »

Tikka hat geschrieben: Donnerstag 18. Juli 2019, 17:58 Manchmal könnte man meinen es heißt "der Unfertige" und bezieht sich auf den Schriftsatz.

Mein wertvoller Beitrag:

Richtig gute Prozessanwälte wenden sich an den Richter natürlich nur mit der Anrede "Euer Ehren". Damit hat man den Fall schon halb gewonnen.
So was hatte ich im Referendariat in einer Kammer für Handelssachen. Einer der Anwälte hat in den zwanzig Minuten mündlicher Verhandlung meinen Ausbilder mindestens 63 mal mit "Herr Vorsitzender" angesprochen ... in der Beratungspause sagt der zu mir: "Können Sie sich das vorstellen, Herr I.L.B., der war als Referendar auch schon so. Der war in meiner AG und hat da schon genervt ..." :D
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Kroate
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Re: was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

Beitrag von Kroate »

TobiasG hat geschrieben:
Kroate hat geschrieben: Freitag 19. Juli 2019, 09:02
Liz hat geschrieben:...(z. B. Verzicht auf eine hochkomplizierte nebensächliche Forderung, wenn es dafür sofort eine Entscheidung über viel wichtigere Forderungen gibt.) und kann dies auch dem Mandanten klarmachen.
Das Beispiel finde ich erklärungsbedürftig...

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Ich verstehe das so, dass wenn es bspw. um eine Forderung von EUR 1.000.000 geht, die eigentlich entscheidungsreif ist, im selben Prozess aber noch über die Anwaltskosten oder einen kleinen zusätzlichen Mangel gestritten wird, für den etliche Zeugen-/SV-Beweisangebote vorliegen, man ggf. in Erwägung ziehen sollte, die Klage insoweit zurückzunehmen/anzuerkennen, damit im Übrigen schnell eine Entscheidung ergeht und sich der Rechtsstreit nicht noch weiter in die Länge zieht. Gerade bei langwierigen Prozessen und verfeindeten Parteien verliert man bei so was schnell den Blick fürs Wesentliche.
Wenn ein Anspruch von mehreren geltend gemachten entscheidungsreif ist, hat ein Teilurteil zu ergehen.

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Re: was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

Beitrag von Shlomo »

Tibor hat geschrieben: Freitag 19. Juli 2019, 09:33 p.s. - als RVG Abrechner nicht das Prozessverhalten nach der Abrechnungsmöglichkeit orientieren; bspw. bei Anfrage auf Verzicht auf mündliche Verhandlung nicht verzichten, dann im Termin aber nichts beitragen und nur den Antrag stellen.
Im Zivilprozess führt doch ohnehin jegliche Möglichkeit des Verzichts auf mündliche Verhandlung bei streitiger Entscheidung zum Anfall der terminsgebühr (495a, 128 II)?
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Tibor
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Re: was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

Beitrag von Tibor »

Ich rede nicht zwingend vom Zivilprozess.
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Re: was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

Beitrag von Mietspantrakt »

Tikka hat geschrieben: Freitag 19. Juli 2019, 09:24
Mietspantrakt hat geschrieben: Donnerstag 18. Juli 2019, 20:23 die frage war eigentlich durchaus ernst gemeint.
Und wärst Du neu hier würde ich Dir Deine Entrüstung sogar fast abnehmen. :)
haha, habe ich so einen schlechten ruf hier im forum? :)

das mit der sachaufklaerung habe ich in meinen stationen auch so erlebt. dass die ermittlung in die details und die einarbeitung in technische materien haeufig schwieriger war als das rechtliche selbst.
Was für den Anfang übrigens nicht schlecht ist, ist Oberheim: Erfolgreiche Taktik im Zivilprozess.
vielen dank, so etwas habe ich gesucht!

was mir auch noch einfaellt: taktieren beim vergleichsschluss in der muendlichen verhandlung. da habe ich auch sehr unterschiedlich gute pokerfaces in den terminen erlebt. ist aber wahrscheinlich auch viel erfahrung und geschulte rhetorik. besucht ihr da eigentlich auch kurse fuer?
der 1983 geborene klaeger studiert seit dem wintersemester 2003/2004 biologie (diplom) an der beklagten (vg goettingen, urteil vom 2.3.2010 - 4 a 39/07)
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batman
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Re: was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

Beitrag von batman »

Kroate hat geschrieben: Freitag 19. Juli 2019, 10:51Wenn ein Anspruch von mehreren geltend gemachten entscheidungsreif ist, hat ein Teilurteil zu ergehen.
Ein solcher Fall war wohl nicht gemeint. Nebenkriegsschauplätze können der Entscheidung durch Teilurteil durchaus entgegenstehen.

Weiteres Negativbeispiel: Im Laufe eines Bauprozesses werden immer mehr Mängel (ggf. mit unterschiedlichen daraus abgeleiteten Rechtsfolgen) klageerweiternd vorgetragen, so dass eine sinnvolle Beweisaufnahme nicht mehr möglich ist. Hier mögen zwar Verjährungsfragen eine Rolle spielen. Aber um irgendwann mal zum Ziel zu kommen, dürfe es häufig sinnvoller sein, sich auf 4-5 Hauptmängel zu konzentrieren.
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immer locker bleiben
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Re: was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

Beitrag von immer locker bleiben »

batman hat geschrieben: Freitag 19. Juli 2019, 11:20 Hier mögen zwar Verjährungsfragen eine Rolle spielen. Aber um irgendwann mal zum Ziel zu kommen, dürfe es häufig sinnvoller sein, sich auf 4-5 Hauptmängel zu konzentrieren.
Da sind wir dann bei einer der Kernqualifikationen jedenfalls eines "guten Klägeranwaltes": nämlich den Streitstoff möglichst schlank zu halten und dem Gericht die Verurteilung so leicht wie möglich zu machen. Manchmal muss man da sauber abwägen, zwischen der Durchsetzung aller Rechte und einer 100% sauberen bis ins Detail ausgeklügelt materiellrechtlichen Lösungen einerseits und prozesstaktischen Überlegungen inkl. eines Teilverzicht auf ggf. unbedeutende Rechte andererseits ... 100 Seiten Schriftsatz - womöglich noch mit Inhaltsverzeichnis - mit ausgefeilter juristischer Argumentation führen nicht automatisch zum Ziel, nur weil materiellrechtlich alles tippitoppi zu sein scheint ... das ist dann auch ein Spagat zwischen Erfolg in der Sache und Haftungsrisiken, die man ggf. sogar bewusst eingehen muss ...
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Liz
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Re: was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

Beitrag von Liz »

Kroate hat geschrieben: Freitag 19. Juli 2019, 10:51
TobiasG hat geschrieben:
Kroate hat geschrieben: Freitag 19. Juli 2019, 09:02
Liz hat geschrieben:...(z. B. Verzicht auf eine hochkomplizierte nebensächliche Forderung, wenn es dafür sofort eine Entscheidung über viel wichtigere Forderungen gibt.) und kann dies auch dem Mandanten klarmachen.
Das Beispiel finde ich erklärungsbedürftig...
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Wenn ein Anspruch von mehreren geltend gemachten entscheidungsreif ist, hat ein Teilurteil zu ergehen.
Ein Teil- oder Vorbehaltsurteil ist natürlich ggf. eine Option, aber es muss tatsächlich möglich sein, das Gericht muss dies erkennen und es für angemessen halten, tatsächlich durch Teilurteil zu entscheiden. Wenn gefühlt "alles" strittig ist, mag schon mal der Blick fürs Wesentliche verloren gehen; da hilft es wenig, wenn der Kläger das Verfahren möglichst kompliziert macht. Wenn 4 von 5 Punkten "klar" sind, dann besteht für das Gericht die Versuchung, zu überlegen, wie man ggf. auch den letzten Punkt schnell erledigt bekommt; wenn hingegen 3 von 5 Punkten völlig wirr sind, ist eine schnelle Entscheidung (sei es durch Teilurteil oder nicht) nicht so wirklich attraktiv, weil: kommt Zeit, kommt Rat (oder der Dezernatswechsel). Im Übrigen bringt es wohl eher wenig, wenn die Akte mit dem Teilurteil erstmal für min. ein Jahr beim Berufungsgericht verschwindet und dann ggf. beim Dezernatsnach(nach)folger in nicht unbedingt besserem Zustand wieder aufploppt.
batman hat geschrieben: Freitag 19. Juli 2019, 11:20Weiteres Negativbeispiel: Im Laufe eines Bauprozesses werden immer mehr Mängel (ggf. mit unterschiedlichen daraus abgeleiteten Rechtsfolgen) klageerweiternd vorgetragen, so dass eine sinnvolle Beweisaufnahme nicht mehr möglich ist. Hier mögen zwar Verjährungsfragen eine Rolle spielen. Aber um irgendwann mal zum Ziel zu kommen, dürfe es häufig sinnvoller sein, sich auf 4-5 Hauptmängel zu konzentrieren.
In der Tat, es ist hervorragend, wenn am Ende eigentlich niemand mehr weiß, was eigentlich mangelhaft sein soll und was man bestreitet oder auch nicht und was man eigentlich genau möchte.


Einen guten Prozessanwalt zeichnet m. E. auch eine gute zeitliche Organisation aus: Ich habe letztens etwa in einem Verfahren, in dem beide Parteien an einer schnellen Lösung ihres Streits interessiert waren (die Beklagtenseite eigentlich mehr als die Klägerseite), eine Stunde vorm Termin die Widerklage vorgefunden, die man eigentlich schon vor Monaten und nicht erst am Vortag um 18 Uhr hätte einreichen können. Entweder sie vergleichen sich jetzt oder der erste Termin war mehr oder weniger für die Katz.
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Ara
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Re: was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

Beitrag von Ara »

Das scheint mir hier doch die Antworten sehr aus der Sicht des Richters geprägt zu sein... Die Aufgabe eines guten Anwalts ist es nicht primär dem Richter seine Arbeit zur erleichtern... Das Problem und das sieht man imo zB gut bei der Aufzählung von Tibor ist, dass man als Richter offensichtlich meint, der Anwalt könnte Gedankenlesen.

Beispiel "Nur sinnvolle Beweisanträge wenn man auch die Beweislast hat"... Ich weiß als Anwalt regelmäßig nicht was sinnvoll für den Richter ist und wer nach Ansicht des Gerichts die Beweislast hat. Zur Beweislast gibt es teilweise zwischen unterschiedlichen Gerichten unterschiedliche Ansichten. Und zur Sinnhaftigkeit von Beweisangeboten: Da muss im Zweifel der Richter entscheiden, ob der Beweis erhoben werden muss oder nicht. Ich höre regelmäßig vom Gericht "Da muss ich mir mal in Ruhe noch Gedanken drüber machen"... Wenn das Gericht schon nicht weiß, auf was es am Ende ankommt, woher soll ich das dann wissen?

Zur anwaltlichen Vorsicht gehört, dass ich alles vorbringe was relevant werden kann und alles was die Gegenseite bestreitet unter Beweis stelle. Alles andere wäre fahrlässig.

Ansonsten: Häufig erschließt sich die Prozesstaktik für Außenstehende erst am Ende oder gar nicht. Ich hab auch gerade eine Zivilakte, die wir (also beide Seiten) dick schreiben. Eigentlich ein übersichtlicher Sachverhalt. Das Gericht tendiert aber momentan dazu tatsächlich den gesamten Sachverhalt aufzuklären, inklusive im Ausland zu hörenden Zeugen. Das will weder die Klägerin noch der Beklagte. Es gibt aber weit vorher zwei rechtliche Stellschrauben, wenn das Gericht an denen drehen würde, wäre die Sache entscheidungsreif ohne weitere Beweisaufnahme. Da die Beweisaufnahme für beide Parteien völlig unsicher ist, zugleich aber ein Vergleich nicht gewollt ist, wird das anstehende Beweisprogramm nun so dick gemacht, dass man hofft das Gericht folgt doch einer der Rechtsansichten der Parteien und beendet das Verfahren anders. Offensichtlich erkennt das Gericht aber nicht, was die Parteien da versuchen (ich vermute auch nur, dass die Gegenseite aus der gleichen Motivation wie ich das macht).

Im Strafrecht ist es natürlich noch häufiger, dass das Gericht im absoluten Blindflug unterwegs ist, was die Taktik der Verteidigung betrifft, weil schlicht Informationen fehlen. Ich erinnere mich da immer an eine junge Beisitzende einer großen Strafkammer, die nach der Verurteilung zu mir kam und in Hörweite der Mandantin meinte mir mitteilen zu müssen, dass ihr nicht verständlich sei, warum wir Dokument X nicht eingereicht hätten, das hätte doch strafmildernd gewirkt und "hätte man vorbringen müssen als Verteidigung"... In 10 Jahren erkläre ich ihr vielleicht mal, dass ihre Kammer eine Mitteilungspflicht nach MiStra fälschlicherweise verneint hat und die Kammer durch einen Hinweis im Dokument quasi mit der Nase drauf gestoßen wäre, dass hier eine MiStra Nachricht notwendig gewesen wäre... So hat die Mandantin bis heute noch ihren Job, weil die Mitteilung unterlassen wurde. Die Beisitzende hält das noch immer für nen Fehler der Verteidigung.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Tibor
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Re: was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

Beitrag von Tibor »

Die gute alte anwaltliche Vorsicht... dein Blick ist ggf durch die Tätigkeit als Strafverteidiger geprägt, kann es sein? Natürlich hat jede Rolle ihren Blick auf den Prozess, deswegen ist es die große Kunst sich in die Rolle des anderen hereinversetzen zu können. Wenn ich von unsinnigen Anträgen spreche, dann meine ich Anträge zur Beweiserhebung über unstreitige Dinge bzw sogar Sachverhaltsangaben, die schädlich für die eigene Seite sind. Großartig sind im Anfechtungsprozess immer die Zivilisten, die dann die Bekanntgabe des VA beim Mandanten unter Beweis stellen oder für jeden Pups eine Partei(!)Vernehmung begehren. Unsinnige Beweisanträge sind bspw auf negative Tatsachen, auf Würdigungen oder gar Rechtsansichten bezogen oder sie sind absolut unsubstantiiert (Ausforschung). Auch das sehe ich ständig. Dagegen verstehen viele Anwälte nicht, was dann zwingend ins Protokoll muss; wenn das Gericht Beweisanträge scheinbar übergehen will, dann muss man idR nicht nur rummaulen oder sagen „das Gericht weiß schon, was es tut“, nein, dann gehört ggf ne Rüge ins Protokoll.
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Re: was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

Beitrag von Liz »

Es kommt natürlich immer darauf an, was man vom Gericht möchte, aber wenn man eine schnelle Entscheidung haben möchte, dann ist es sicherlich sinnvoll, dem Gericht eher Steine aus dem Weg zu räumen, als noch zig Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen. Und ich weiß jetzt nicht, ob die Taktik, das Beweisprogramm immer komplizierter zu machen, wirklich zielführend ist, wenn das Gericht eben die Rechtsauffassungen der Parteien nicht teilt, sondern die Beweisaufnahme für erforderlich hält - im Worst Case schafft man für das Gericht einen mehr oder weniger unlösbaren Fall, bei dem die Akte auch so dick ist, dass das Gericht schon gar keine Lust hat, sie zu bearbeiten. Das Erpressungspotential scheint mir außerhalb des Strafprozesses denkbar gering zu sein: klar, das Verfahren wird irgendwann überjährig, aber in die Liste für die Verwaltung kann man dann problemlos „hochkompliziert; langwierige Beweisaufnahme erforderlich“ schreiben, ohne dass der Erledigungsdruck in irgendeiner Form wächst.

Und: ich denke nicht, dass Tibor erwartet, dass Anwälte Gedanken lesen können. Aber gerade im Zivilprozess kann man den Streitstoff mehr oder weniger geschickt aufbereiten und mit sinnvollen Beweisangeboten (sicherlich lieber zu viele als zu wenige) untermauern.
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Re: was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

Beitrag von immer locker bleiben »

Tibor hat geschrieben: Freitag 19. Juli 2019, 10:59 Ich rede nicht zwingend vom Zivilprozess.
Es gibt einen anderen Prozess? :D
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Re: was zeichnet einen richtig guten prozessanwalt aus? wie wird man ein solcher?

Beitrag von Strich »

Liz hat geschrieben: Samstag 20. Juli 2019, 12:04 ...

Und: ich denke nicht, dass Tibor erwartet, dass Anwälte Gedanken lesen können. Aber gerade im Zivilprozess kann man den Streitstoff mehr oder weniger geschickt aufbereiten und mit sinnvollen Beweisangeboten (sicherlich lieber zu viele als zu wenige) untermauern.
Ich möchte das einmal hervorheben und unterstreichen. Ich hatte vor kurzem eine Akte auf dem Tisch, in der es um beschädigte Transportbehälter ging. Ansprüche machte die Spedition gegen den Versender geltend, Anwendung internationaler Übereinkommen inklusive (CMR). Der Vortrag war so dermaßen gut strukturiert, dass die 127 Seiten Replik sich quasi von selbst gelesen haben!

Diese Akte zeigte mir, was für ein unglaubliches Qualitätsgefälle vorherrscht, wobei mir klar ist, dass man nicht für den xten VKU Zeit hat, die Hochkultur der anwaltlichen Schriftsatzerstellung bemühen kann. Aber es geht.
Stehe zu deinen Überzeugungen soweit und solange Logik oder Erfahrung dich nicht widerlegen. Denk daran: Wenn der Kaiser nackt aussieht ist der Kaiser auch nackt ... .
- Daria -

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