Weiterbildung oder Neuanfang?

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Studentin 12345
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Weiterbildung oder Neuanfang?

Beitrag von Studentin 12345 »

Hallo,

Ich schreibe hier um Eure Meinung zu hören. Ich habe Angst dass ich eine falsche Wahl getroffen habe.

Ich hab das Jurastudium abgeschlossen (nicht besonders gut: 6,2 im staatlichen Teil, insgesamt 8.58). Ich jobbe jetzt in einer Kanzlei und warte auf einen referendariatsplatz.

Ich dachte ich möchte Rechtsanwältin werden. Jedoch jetzt merke ich, dass es mir doch zu... Trocken ist. Die Arbeit ist so langweilig, weit weg von Menschen und irgendwie hat nichts damit zu tun, was ich für wichtig halte - den anderen zu helfen, für Gerechtigkeit zu sorgen und den anderen besser zu verstehen.

ich komme aus Polen und ich habe als 19 jährige die Entscheidung getroffen jura zu studieren. Psychologie fand ich immer toll jedoch die Psychologe verdienen in Polen zu wenig um zu überleben und ich habe pragmatisch und irgendwie vernünftige (aus damaliger Sicht) entschieden. Ich habe jura in Polen abgeschlossen. Während dieser Zeit hab ich auch ein deutsch polnisches LLM gemacht und irgendwie aus persönlichen Gründen entschieden dass es in Deutschland ziemlich cool ist und.. Ja, hier war mein polnisches Studium nicht viel wert und dann habe ich deutsches jura mit staatsexamen abgeschlossen.

Nun zum ersten Mal im Leben nach fast 9 Jahren studieren arbeite ich wirklich und habe Angst bekommen dass ich wirklich falsch liege.
Alle sagen, dass ich es eventuell früher merken konnte, dass es Quatsch ist und ich Blödsinn erzähle.
Letzte 9 Jahre habe ich einfach ohne Ende gelernt. Ich habe mich nicht mehr gefragt, ob es richtig ist oder nicht sondern einfach hart gearbeitet. Ich bin 28 und zum ersten Mal um ehrlich zu sein frage ich mich wieder ob es das ist was ich wollte.

Rechtsanwaltarbeit sieht nicht so aus dass der Mandat mit seinen Sorgen kommt und wir zusammen versuchen eine vernünftige rechtliche Lösung zu finden... Das was ich jetzt sehe ist wie die Arbeit in einer Fabrik :(
Dieses Leben macht mir wirklich Angst. Keine Probleme oder Fälle werden so richtig gelöst.. Um keine Menschen kann man sich kümmern oder dessen leben verbessern. .. arbeiten bei den Kollegen sieht wie copy /paste aus...und so soll es sein? Bis Ende des Lebens 9h täglich??!

In welcher Richtung soll ich gehen? Vielleicht kling die Frage kindisch aber... Tja das ist die Frage.
Ref anfangen oder solange ich noch nicht sehr alt bin wirklich was neues anfangen?
Seit Jahren lese ich nur für mich Psychologie Zeitungen, während des Studiums habe ich Psychologie und Kriminologie als zusatz Qualifikation auch gewählt und fand es sehr interessant...
Vielleicht bin ich so geschockt, weil das was in meiner Arbeit gemacht wird, einfach mega langweilig ist (Diesel Skandal)...

Kennt jemand auch dieses Gefühl?
Tobias__21
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Re: Weiterbildung oder Neuanfang?

Beitrag von Tobias__21 »

Vielleicht bist Du einfach nur in der falschen Kanzlei?? Es gibt durchaus Rechtsanwälte die sehr nah am Mandanten arbeiten. Und da wirst Du auch sicher Erfüllung finden können und es dürfte Deiner Vorstellung sicher näher kommen. Vielleicht solltest Du dich nach einer kleineren Kanzlei umsehen, die Mandantenkontakt pflegen. Die Flinte ins Korn werfen würde ich nicht. Du bist einfach gerade am falschen Platz
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Ara
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Re: Weiterbildung oder Neuanfang?

Beitrag von Ara »

Ich glaube eine Diesel-Kanzlei ist wirklich das falsche, um am Menschen zu arbeiten.

Als Referendarin/WisMit ist man natürlich nie so nah am Mandanten wie der Rechtsanwalt, das ändert sich aber mit der Zulassung. Insoweit würde ich da wirklich die Hoffnung nicht aufgeben.

Hellhörig bin ich aber geworden als du schreibst "dessen Leben zu verbessern". Das klappt wirklich nur im ganz ganz Kleinem. Da du dich ja anscheinend für Kriminologie interessiert, ist das im Strafrecht wohl noch am ehesten möglich, weil man da häufig doch mal als eine Art Sozialarbeiter fungiert. Aber auch da betreibst du meist nur Schadensminimierung. Entweder versuchst und ungerechtfertigte staatliche Repressalien abzuwenden oder du betreibst lediglich - häufig dann auch bei völlig unbelehrbaren Mandaten - Strafmaßverteidigung. Als Jurist bist du halt meist eher die Feuerwehr und kannst nur helfen den Brand zu löschen, aber die meisten deiner Kunden wäre froh, wenn gar kein Feuer ausgebrochen wäre.

Von daher sollte man diese Einstellung vielleicht etwas der Realität anpassen. Es gibt aber natürlich immer Mandate, bei denen man mehr drin steckt und wo es am Ende dann auch sehr schön ist zu sehen, dass die Leute einem Ihr Leben in die Hand gegeben haben und dir wirklich ewigen Dank schwören. Das sind Erlebnisse, die du nur als Rechtsanwalt hast. Diese sind aber wirklich selten.

Von daher: Ich würde den Kopf nicht hängenlassen und aus ner Dieselskandal-Kanzlei auf den ganzen Beruf schließen. Das richtige Rechtsgebiet mit der richtigen Kanzlei bietet dir soviel Abwechslung wie in keinem anderen juristischen Beruf.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
Theopa
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Re: Weiterbildung oder Neuanfang?

Beitrag von Theopa »

Tobias__21 hat geschrieben: Sonntag 18. August 2019, 18:15 Vielleicht bist Du einfach nur in der falschen Kanzlei?? Es gibt durchaus Rechtsanwälte die sehr nah am Mandanten arbeiten. Und da wirst Du auch sicher Erfüllung finden können und es dürfte Deiner Vorstellung sicher näher kommen. Vielleicht solltest Du dich nach einer kleineren Kanzlei umsehen, die Mandantenkontakt pflegen. Die Flinte ins Korn werfen würde ich nicht. Du bist einfach gerade am falschen Platz
+1

Es gibt einige Gebiete, in welchen man derart viel Mandantenkontakt haben kann, dass man sich dann doch vielleicht gelegentlich nach dem ruhigen Tag am Schreibtisch zurück sehnt, wenn mehrere Mandanten aus Nervosität alle zwei Tage anrufen ;)

Arbeitsrecht auf Arbeitnehmerseite kann z.B. zu einem beachtlichen Anteil aus Zuhören + "psychologischer Betreuung" bestehen, ebenso natürlich Familienrecht. Dazu kommt, dass die Arbeit mit Mandanten oft eher Chefsache ist, davon bekommt mal als normaler Angestellter bzw. Berufsanfänger zum Teil auch noch wenig mit.

Ich würde also sagen, dass deine Ziele sehr gut erreichbar sind, wobei du damit zwar eher nicht reich werden, aber nach ein paar Jahren bzw. dem eventuellen Wechsel in die Selbständigkeit auch wirklich gut zurecht kommen kannst.
Studentin 12345
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Re: Weiterbildung oder Neuanfang?

Beitrag von Studentin 12345 »

Danke für die Antwort.

Ich muss es wirklich gut überlegen. Es müsste doch was spannendes noch geben... Ich könnte mir vorstellen eine Familienrichterin zu werden (hier könnten Noten problematisch sein aber mal sehen) oder ganz anders beim Bundeskriminalamt zu arbeiten.. Mir ist generell das Geld nicht so wichtig sondern das Gefühl zu haben dass ich dafür was ich mache wirklich brennen kann... Einfach derartige Büroarbeit, die einfach stupide und irgendwie sinnlos ist... Das kann ich nicht.
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Tibor
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Re: Weiterbildung oder Neuanfang?

Beitrag von Tibor »

Studentin 12345 hat geschrieben:... Das was ich jetzt sehe ist wie die Arbeit in einer Fabrik :(
... arbeiten bei den Kollegen sieht wie copy /paste aus..., einfach mega langweilig ist (Diesel Skandal)...
Gansel?
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Re: Weiterbildung oder Neuanfang?

Beitrag von Studentin 12345 »

Tibor hat geschrieben: Sonntag 18. August 2019, 20:13
Studentin 12345 hat geschrieben:... Das was ich jetzt sehe ist wie die Arbeit in einer Fabrik :(
... arbeiten bei den Kollegen sieht wie copy /paste aus..., einfach mega langweilig ist (Diesel Skandal)...
Gansel?
Nein aber ähnlich
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Re: Weiterbildung oder Neuanfang?

Beitrag von Dike »

Studentin 12345 hat geschrieben: Sonntag 18. August 2019, 19:58 Danke für die Antwort.

Ich muss es wirklich gut überlegen. Es müsste doch was spannendes noch geben... Ich könnte mir vorstellen eine Familienrichterin zu werden (hier könnten Noten problematisch sein aber mal sehen) oder ganz anders beim Bundeskriminalamt zu arbeiten.. Mir ist generell das Geld nicht so wichtig sondern das Gefühl zu haben dass ich dafür was ich mache wirklich brennen kann... Einfach derartige Büroarbeit, die einfach stupide und irgendwie sinnlos ist... Das kann ich nicht.
Familienrichterin? Na, da ist es schwierig mit der Gerechtigkeitsfindung oder dem, was die Leute als gerecht empfinden. Da wirst du es letztendlich immer mit unzufriedenen Leuten zu tun haben.
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Re: Weiterbildung oder Neuanfang?

Beitrag von Liz »

Studentin 12345 hat geschrieben: Sonntag 18. August 2019, 19:58 Einfach derartige Büroarbeit, die einfach stupide und irgendwie sinnlos ist...
Ich glaube, es gibt nur sehr wenige Personen, die in der Lage sind, eine nennenswerte Begeisterung für Dieselverfahren aufzubringen (in den Masseverfahren geht es ja wohl vorrangig darum, so lange weiterzumachen, bis der Hersteller endlich vergleichsbereit ist).

Davon abgesehen kann man aber mit Jura jede Menge spannende Dinge tun und auch - je nach Tätigkeitsgebiet - seine soziale Ader ausleben oder für "Gerechtigkeit" kämpfen (wobei man m. E. aufpassen sollte, die professionelle Distanz nicht zu verlieren). Ggf. wäre auch eine Tätigkeit im Bereich Mediation etwas für Dich.
Studentin 12345
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Re: Weiterbildung oder Neuanfang?

Beitrag von Studentin 12345 »

Liz hat geschrieben: Sonntag 18. August 2019, 21:11 Ggf. wäre auch eine Tätigkeit im Bereich Mediation etwas für Dich.
Dazu werde ich noch lesen, vielen Dank für deinen Vorschlag!

Auf jeden Fall besser als wirklich wieder mehrere Jahre was ganz anderes zu studieren!
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