Fyrion hat geschrieben: ↑Mittwoch 22. Januar 2020, 16:40
Insoweit muss man sich entscheiden, ob man vorzugsweise Rechercheskills (beck-online, juris, google) oder juristisches Denken und Arbeiten (dann eben nur zwei Standardkommentare) abprüfen möchte.
Warum nicht beides? Nur weil man beck-online und juris hat, heißt es doch nicht, dass man jeden Fall problemlos runterlösen kann. Wenn dem so wäre, bräuchte man schlicht keine Juristen. Das würde nur ein bisschen mehr Mühe bei der Klausurerstellung machen und wenn sich bei einer Sache wirklich keinerlei Mühe gegeben werden darf und kein Geld in die Hand genommen, dann im Ausbildungssystem (scheint mir in Deutschland das Motto zu sein).
Das, was man in 5 Stunden (oder einer sonstigen zumutbaren Prüfungszeit) abprüfen kann, ist denklogisch begrenzt. Je mehr "Skills" man abprüft, desto weniger tief kann man die einzelnen Teilbereiche abprüfen (ich erinnere mich an eine ganz furchtbare Anwaltsklausur, in der erst ein Gutachten plus Klageschrift und anschließend noch zu einer ähnlichen Fallgestaltung ein vollständiger (!) Vertragsentwurf mit Begründung verlangt war; das war der absolute Overkill), dh man sollte sinnvolle Prioritäten setzen. Und für mich wäre es immer wichtiger, dass jemand anhand des Gesetzes unter Zuhilfenahme eines Standardkommentars eine praktisch verwertbare Leistung erbringen kann, als dass er mit nur genügend Rechercheaufwand die passenden Fundstellen findet, um darum dann seine Klausurlösung zu basteln; das sind dann in der Praxis die Kollegen, die mit der Erörterung jeglicher Rechtsfragen in der mündlichen Verhandlung gänzlich überfordert sind und erstmal eine Erklärungsfrist brauchen. M. E. täte man auch den Examenskandidaten keinen großen Gefallen, wenn man ihnen neben dem Palandt auch noch den MüKo, den Staudinger usw. an die Hand gäbe, was schlichtweg zu einem Overkill an Recherchemöglichkeiten führte (es ist schon schwer genug, sich in den 5 Stunden so zu organisieren, dass man tatsächlich fertig wird).
Auch hat es m. E. nichts mit "keine Mühe geben" zu tun - wenn ich eine Klausur erstelle, kann ich heute ohne weiteres antizipieren, welche Hinweise die Examenskandidaten in den ihnen zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln finden werden und damit den Schwierigkeitsgrad der Klausur eingrenzen bzw. gezielt Fragestellungen heraussuchen, die sich nicht allein aus dem Kommentar beantworten lassen. Bei 1.000+ Treffern bei beck-online kannst Du das schlichtweg vergessen. Dann kannst Du eigentlich nur gänzlich absurde Fragestellungen aussuchen, bei denen man stundenlanger Recherche enttäuscht feststellt, dass es dazu wirklich noch nichts gibt.
Theopa hat geschrieben: ↑Mittwoch 22. Januar 2020, 17:39
Naja, es wäre ein Schritt in die Richtung der Praxisnähe, die oft gepredigt aber - gerade in einigen Bundesländern - in AG und Examen überhaupt nicht gelebt wird. Wieso soll man sich aktuell ernsthaft damit beschäftigen wie echte Schriftsätze und Mandantenschreiben aussehen, wenn man mit solchen im Examen dann kaum Punkte bekommt und die Stationsnoten sowieso für die Tonne sind?
Da ist m. E. zunächst der Stationsausbilder gefragt, den Referendaren zu vermitteln, warum sie das jetzt richtig lernen wollen. Ich hatte bislang noch keine Probleme, meinen Referendaren zu erklären, weshalb sie lernen sollten, wie sie ein richtiges Urteil schreiben oder sie dazu zu motivieren, einmal eine mündliche Verhandlung zu leiten. Ich wüsste jetzt ehrlich gesagt auch nicht, weshalb man kein Interesse daran haben sollte, zu lernen, wie man formvollende Schriftsätze an das Gericht oder an Mandanten schreibt - und zwar unabhängig davon, ob man dafür in nennenswertem Umfang Punkte im Examen erwarten kann.