Die Praxis der richterlichen Freiheit

Für alle Fragen, die sich speziell für Richter, Staatsanwälte oder Verwaltungsbeamte ergeben, z.B. Bewerbung, Arbeitszeit, Laufbahnentwicklung, Wechsel des Bundeslandes oder der Gerichtsbarkeit usw.

Moderator: Verwaltung

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Solar
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Re: Die Praxis der richterlichen Freiheit

Beitrag von Solar »

Ich glaube du wärst in einem Zivilreferat am LG besser aufgehoben. Nach meiner Erfahrung (habe dir ne PN geschrieben) ist die von dir ersehnte Freiheit am LG leichter zu leben als am AG, denn man hat so gut wie nichts Eiliges und viel weniger Postumlauf. Allerdings hat man deutlich mehr zu tun - was man ja aber auch zuhause erledigen kann. Wenn man nciht gerade in einer Beschwerdekammer mit Unterbringungssachen oder einer Arzthaftungskammer landet, dürfte die Dauer-Anwesenheit kaum jemanden interessieren.
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Ara
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Re: Die Praxis der richterlichen Freiheit

Beitrag von Ara »

Liz hat geschrieben: Freitag 15. November 2019, 09:37 @Kasimir: Die Erreichbarkeit des Richters für die Parteien scheinst Du mir überzubewerten. Mir fällt in den letzten Monaten eigentlich kein Telefonat mit einem Anwalt ein, das so dringend gewesen wäre, dass es nicht schriftlich oder am nächsten oder übernächsten Tag durch einen Rückruf zu erledigen gewesen wäre oder dies nicht sogar zweckmäßiger gewesen wäre, als unvorbereitet ohne Akte (und ohne den Gegner) irgendwelche Fragen zu erörtern.
Rückrufe durch den Richter? Ich glaube da bist du eine absolute Ausnahme... Wenn ich vereinzelt mal gewagt habe nach einem Rückruf zu fragen, weil die Halbtagsrichterin laut Geschäftsstelle völlig unregelmäßig im Gericht sei, erhielt ich in der Regel "Rückrufe macht sie grundsätzlich nicht". Ich hatte auch schon "Richter X telefoniert grundsätzlich nicht mit Anwälten".

Zum Inhalt: Es gibt, zumindest im Strafrecht, ja viele Gespräche, die man nicht schriftlich in der Akte haben möchte. Insbesondere wenn man beabsichtigt sich mit dem Gericht gegen die StA zu "verschwören". Wenn ich schriftlich anrege das Gericht soll doch mal bei der StA § 153a StPO anregen, dann geht das mit der Akte zur StA und die sieht, dass ich das angeregt habe und es wird aus Prinzip abgelehnt. Wenn dagegen der rüstige Amtsrichter beim jungen Dezernenten anruft und sagt es sei alles Quatsch und wenn es nicht nach § 153a StPO eingestellt wird, wird das eh ne Verwarnung mit Strafvorbehalt, dann hat das meist mehr Erfolg.

Im Zivilrecht ist es natürlich aufgrund der Naturalparteien in der Sache etwas anders. Aber zumindest im Strafrecht können solche informellen Gespräche sinnvoll sein und insbesondere dem Amtsrichter ne Menge Arbeit sparen.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Die Praxis der richterlichen Freiheit

Beitrag von servius »

Im Strafrecht bin ich bei Dir - meine Aussage sollte sich insoweit lediglich auf das Zivildezernat beziehen.
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Re: Die Praxis der richterlichen Freiheit

Beitrag von Liz »

Ara hat geschrieben: Samstag 16. November 2019, 12:07
Liz hat geschrieben: Freitag 15. November 2019, 09:37 @Kasimir: Die Erreichbarkeit des Richters für die Parteien scheinst Du mir überzubewerten. Mir fällt in den letzten Monaten eigentlich kein Telefonat mit einem Anwalt ein, das so dringend gewesen wäre, dass es nicht schriftlich oder am nächsten oder übernächsten Tag durch einen Rückruf zu erledigen gewesen wäre oder dies nicht sogar zweckmäßiger gewesen wäre, als unvorbereitet ohne Akte (und ohne den Gegner) irgendwelche Fragen zu erörtern.
Rückrufe durch den Richter? Ich glaube da bist du eine absolute Ausnahme... Wenn ich vereinzelt mal gewagt habe nach einem Rückruf zu fragen, weil die Halbtagsrichterin laut Geschäftsstelle völlig unregelmäßig im Gericht sei, erhielt ich in der Regel "Rückrufe macht sie grundsätzlich nicht". Ich hatte auch schon "Richter X telefoniert grundsätzlich nicht mit Anwälten".
Warum denn nicht? Wenn ich ungefähr weiß (oder es mir jedenfalls denken kann), worum es geht, kann ich mir ja auch überlegen, ob und wann ich Zeit und Lust habe, zurückzurufen oder ob ich etwa die Frage "muss der Geschäftsführer wirklich persönlich erscheinen?" kurz schriftlich beantworte, bevor ich dann umgekehrt anfange, dem Anwalt hinterherzutelefonieren. Aber Fakt ist sicherlich: Wenn ich mit einem Anwalt telefoniere, ist es für mich mehr Aufwand, weil ich dann sein Anliegen kurz schriftlich zu Papier bringen muss, was der Anwalt genauso gut selbst hätte machen können. Ich habe allerdings auch kein Problem damit, mehr oder weniger unverschämte Gesprächsansinnen relativ kurz und bündig auf den Schriftweg zu verbannen (insbesondere solche nach dem Motto "wenn ich dem Richter jetzt die ganze Story in 10 Minuten am Telefon erzähle, muss ich ja nichts mehr schreiben und der Richter sagt mir, was ich tun soll und ob sich das überhaupt lohnt").
Zum Inhalt: Es gibt, zumindest im Strafrecht, ja viele Gespräche, die man nicht schriftlich in der Akte haben möchte. Insbesondere wenn man beabsichtigt sich mit dem Gericht gegen die StA zu "verschwören". Wenn ich schriftlich anrege das Gericht soll doch mal bei der StA § 153a StPO anregen, dann geht das mit der Akte zur StA und die sieht, dass ich das angeregt habe und es wird aus Prinzip abgelehnt. Wenn dagegen der rüstige Amtsrichter beim jungen Dezernenten anruft und sagt es sei alles Quatsch und wenn es nicht nach § 153a StPO eingestellt wird, wird das eh ne Verwarnung mit Strafvorbehalt, dann hat das meist mehr Erfolg.
Das ist eben die Frage, ob man sich beständig am Telefon von irgendwem bequatschen lassen möchte, ohne wirklich die Akte zu kennen und ohne der Gegenseite (im Strafrecht eben der StA) die Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Ich fand es in meiner Zeit bei der StA durchaus befremdlich, wenn mir dann unisono erklärt wurde, was man sich da schon mal so überlegt hat, weil es doch für den Angeklagten und das Gericht irgendwie eine WinWin-Situation wäre, wenn man das jetzt so macht, und ich dann erwartungsfroh angeschaut wurde...
Im Zivilrecht ist es natürlich aufgrund der Naturalparteien in der Sache etwas anders. Aber zumindest im Strafrecht können solche informellen Gespräche sinnvoll sein und insbesondere dem Amtsrichter ne Menge Arbeit sparen.
Sinnvoll ist vieles, aber primäres Ziel der richterlichen Tätigkeit sollte eben nicht die Arbeitsersparnis, sondern eine möglichst gerechte Entscheidung in der Sache sein. Und da mag man im Strafprozess für die Verhandlungsplanung wechselseitig aufdecken, ob ein Geständnis zu erwarten ist und ob z. B. eine Bewährungsstrafe grds. im Bereich des Vorstellbaren liegt oder eher nicht, aber im Übrigen denke ich, sind Deals inzwischen völlig zu recht relativ streng geregelt. Und im Zivilprozess bringt man sich ggf. ziemlich schnell in eine sehr komische Position, wenn man schon mal mit einer Seite am Telefon was bespricht und die Gegenseite davon nur durch Übersendung des Telefonvermerks in Kenntnis setzt.
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Ara
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Re: Die Praxis der richterlichen Freiheit

Beitrag von Ara »

Liz hat geschrieben: Samstag 16. November 2019, 13:27 Das ist eben die Frage, ob man sich beständig am Telefon von irgendwem bequatschen lassen möchte, ohne wirklich die Akte zu kennen und ohne der Gegenseite (im Strafrecht eben der StA) die Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Ich fand es in meiner Zeit bei der StA durchaus befremdlich, wenn mir dann unisono erklärt wurde, was man sich da schon mal so überlegt hat, weil es doch für den Angeklagten und das Gericht irgendwie eine WinWin-Situation wäre, wenn man das jetzt so macht, und ich dann erwartungsfroh angeschaut wurde...
Tja das ist ja generell das Problem der Verständigung und der Verfahrensabkürzung. Es kennt ja sicherlich auch jeder im Zivilverfahren Richter die alles wegverständigen und fast offen im mündlichen Termin damit drohen, dass der der sich nicht verständigt das Ding verliert. Wenn man eine hohe Arbeitsbelastung hat und die rettende Verfahrensabkürzung wegschwimmen sieht, sind manche halt ungehalten.

Und es gibt ja auch Bezirke wo Staatsanwaltschaft und Gericht sich aus Prinzip bis aufs Blut bekämpfen. Kollegen aus Süddeutschland mit denen man hier in Hamburg verteidigt und die sonst nur im Süden rumgurken, muss man häufig erklären, dass es normal ist, was sie da gerade zwischen StA und Gericht erleben. Die kennen nur den Schulterschluss von Gericht und StA, dem sich im Optimalfall die Verteidigung anschließt. Ne nette ältere Amtsrichterin aus BW hat mir ja auch mal erklärt, sie hat ihre StA im Griff, wenn sie § 153a StPO anregt, dann läuft das... Die Frau hat übrigens Recht behalten (ich hätte es nicht gedacht).

Um da wieder den Bogen zum Thema zu kriegen: Auch eine entsprechende Vernetzung kann (zumindest im Strafrecht) kann da natürlich Vorteile haben. Ich will gar nicht wissen, wie viel ein erfahrener Strafrichter so unter der Hand mit der StA wegdealt, wenn er mit den Leuten gut kann. Daher schadet eine gewisse Erreichbarkeit und das gemeinsame Speisen sicherlich nicht.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Die Praxis der richterlichen Freiheit

Beitrag von Liz »

Ara hat geschrieben: Samstag 16. November 2019, 14:43 Tja das ist ja generell das Problem der Verständigung und der Verfahrensabkürzung. Es kennt ja sicherlich auch jeder im Zivilverfahren Richter die alles wegverständigen und fast offen im mündlichen Termin damit drohen, dass der der sich nicht verständigt das Ding verliert.
Das scheint mir nur bedingt eine taugliche "Drohung" zu sein, weil dann die andere Partei eigentlich keinen Grund mehr hat, sich zu vergleichen. Im Übrigen scheint es mir zwar ein Gebot der Fairness zu sein, einer Partei, für die es streitig nicht besser, sondern allenfalls schlechter (und in aller Regel auch teurer und / oder langwieriger) werden kann, das ggf. nochmals klar vor Augen zu führen (insbesondere wenn die andere Seite grds. vergleichsbereit wäre), aber man sollte den Parteien auch die Gelegenheit bieten, von selbst zu erkennen, dass man ihnen eigentlich nur was Gutes tun wollte, als man ihnen einen Vergleich vorgeschlagen hat.
Wenn man eine hohe Arbeitsbelastung hat und die rettende Verfahrensabkürzung wegschwimmen sieht, sind manche halt ungehalten.
Das halte ich ehrlich gesagt für keine Entschuldigung, aber es mag die ein oder andere Verhaltensweise rein tatsächlich erklären.
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Solar
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Re: Die Praxis der richterlichen Freiheit

Beitrag von Solar »

Ich kann Liz nur auf ganzer Linie zustimmen. Wirklich dringende Telefonate mit der Richterin/dem Richter gibt es nicht. Kurzfristige Terminänderungen kann man der Geschäftsstelle mitteilen. Alles andere ist nicht dringend und im Hinblick auf den Öffentlichkeitsgrundsatz und die Neutralität des Gerichts häufig auch äußerst bedenklich.

Ich hatte noch kein einziges sinnvolles Telefonat mit Prozessbevollmächtigten, es sei denn es ging um eine Terminabstimmungen. Terminabstimmungen sind aber nicht so eilig, dass man als Anwalt nicht auf einen Rückruf warten könnte. Alles andere musste entweder von mir oder dem/der Prozessbevollmächtigten im Nachgang verschriftlicht werden. Nutzen = 0 und Zusatzaufwand für das Gericht. Darüber hinaus sind die meisten Telefonate für Richter außerordentlich kritisch und unangenehm: Die Rechtsanwälte versuchen häufig am Telefon schon irgendwelche vorläufigen Ansichten zu entlocken oder Stimmung gegen die Gegenseite zu machen (siehe Aras Beispiel, was im Hinblick auf die Verfahrensöffentlichkeit sehr bedenklich ist). Deshalb sollte man am Telefon inhaltlich überhaupt nichts sagen und sämtliche Ansinnen abbügeln (was das Telefonat überflüssig macht und die Stimmung vergiftet), um sich nachher nicht irgendwelchen Ablehnungsgesuchen ausgesetzt zu sehen.

Über die "Drohung", dass eine Partei die Instanz verliert, kann man als erstinstanzlicher Richter im Zivilrecht in der Tat nur müde lächeln. Das ist den Parteien und Prozessbevollmächtigten herzlich egal (zum Teil auch gut nachvollziehbar, wenn es um Auslegungsfragen geht). Ein Urteil erster Instanz zählt heute fast nichts mehr. Deshalb sinken erstinstanzliche Vergleichsquoten (jdf. am LG) und steigen Berufungsquoten in den vergangenen Jahren ganz erheblich, was auch an der massiven Zunahme von Massenverfahren liegt, wo es ohnehin nur darum geht, möglichst hohe Rechtsanwaltsgebühren zu generieren.

Zum Schluss noch ein Ratschlag an die Anwälte unter uns: Wenn man einen möglichst raschen Weg sucht, sich ins Herzen des Gerichts zu telefonieren, empfehlen sich folgende Telefon-Strategien:
  • Sekretärin anrufen lassen, dem Richter mitteilen, dass Herr RA Prof. Dr. Zuwichtigumselbstanzurufen ihn sprechen wolle und dann in die Warteschleife legen.
  • Um Rückruf bitten aber nur die Nummer des Sekretariats hinterlassen und sodann bei Rückruf von diesem in die Warteschleife legen lassen.
  • Junior Associate anrufen lassen, um irgendwelche Fragen zu stellen oder den Richter zu vorläufigen Auffassungen drängen, wobei der Associate selbst keine verbindlichen Aussagen treffen kann, da er gar keine Entscheidungskompetenz in der Sache hat.
  • Um Rückruf bitten und bei Rückruf sagen, dass man jetzt aus dem Stehgreif gar nicht wisse, um welches Verfahren es konkret gehe und ob der Richter einem das kurz schildern könne.
Kommt alles extrem gut an. =D>
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Tibor
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Re: Die Praxis der richterlichen Freiheit

Beitrag von Tibor »

Ich ergänze:

- am Telefon zum streitigen Sachverhalt eine Hintergrunderklärung „zum Verständnis des Streits“ abgeben, auf die Übersendung der Telefonnotiz an alle Beteiligte dann einen Befangenheitsantrag anbringen, weil die Hintergrundinformation nur für den Richter bestimmt gewesen sei!
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Re: Die Praxis der richterlichen Freiheit

Beitrag von thh »

Solar hat geschrieben: Sonntag 17. November 2019, 10:52 Zum Schluss noch ein Ratschlag an die Anwälte unter uns: Wenn man einen möglichst raschen Weg sucht, sich ins Herzen des Gerichts zu telefonieren, empfehlen sich folgende Telefon-Strategien:
  • Sekretärin anrufen lassen, dem Richter mitteilen, dass Herr RA Prof. Dr. Zuwichtigumselbstanzurufen ihn sprechen wolle und dann in die Warteschleife legen.
  • Um Rückruf bitten aber nur die Nummer des Sekretariats hinterlassen und sodann bei Rückruf von diesem in die Warteschleife legen lassen.
Ja, das sind wirklich die Klassiker. ::roll:
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Re: Die Praxis der richterlichen Freiheit

Beitrag von OJ1988 »

Ara hat geschrieben: Samstag 16. November 2019, 14:43
Liz hat geschrieben: Samstag 16. November 2019, 13:27 Das ist eben die Frage, ob man sich beständig am Telefon von irgendwem bequatschen lassen möchte, ohne wirklich die Akte zu kennen und ohne der Gegenseite (im Strafrecht eben der StA) die Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Ich fand es in meiner Zeit bei der StA durchaus befremdlich, wenn mir dann unisono erklärt wurde, was man sich da schon mal so überlegt hat, weil es doch für den Angeklagten und das Gericht irgendwie eine WinWin-Situation wäre, wenn man das jetzt so macht, und ich dann erwartungsfroh angeschaut wurde...
Tja das ist ja generell das Problem der Verständigung und der Verfahrensabkürzung. Es kennt ja sicherlich auch jeder im Zivilverfahren Richter die alles wegverständigen und fast offen im mündlichen Termin damit drohen, dass der der sich nicht verständigt das Ding verliert. Wenn man eine hohe Arbeitsbelastung hat und die rettende Verfahrensabkürzung wegschwimmen sieht, sind manche halt ungehalten.

Und es gibt ja auch Bezirke wo Staatsanwaltschaft und Gericht sich aus Prinzip bis aufs Blut bekämpfen. Kollegen aus Süddeutschland mit denen man hier in Hamburg verteidigt und die sonst nur im Süden rumgurken, muss man häufig erklären, dass es normal ist, was sie da gerade zwischen StA und Gericht erleben. Die kennen nur den Schulterschluss von Gericht und StA, dem sich im Optimalfall die Verteidigung anschließt. Ne nette ältere Amtsrichterin aus BW hat mir ja auch mal erklärt, sie hat ihre StA im Griff, wenn sie § 153a StPO anregt, dann läuft das... Die Frau hat übrigens Recht behalten (ich hätte es nicht gedacht).

Um da wieder den Bogen zum Thema zu kriegen: Auch eine entsprechende Vernetzung kann (zumindest im Strafrecht) kann da natürlich Vorteile haben. Ich will gar nicht wissen, wie viel ein erfahrener Strafrichter so unter der Hand mit der StA wegdealt, wenn er mit den Leuten gut kann. Daher schadet eine gewisse Erreichbarkeit und das gemeinsame Speisen sicherlich nicht.
Ein nicht ganz unerwünschter Nebeneffekt des Umstands, dass im Süden jeder, der Richter werden will, idR erstmal zwei Jahre zur StA muss \:D/
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Re: Die Praxis der richterlichen Freiheit

Beitrag von Kasimir »

Solar hat geschrieben: Sonntag 17. November 2019, 10:52 Ich kann Liz nur auf ganzer Linie zustimmen. Wirklich dringende Telefonate mit der Richterin/dem Richter gibt es nicht. Kurzfristige Terminänderungen kann man der Geschäftsstelle mitteilen. Alles andere ist nicht dringend und im Hinblick auf den Öffentlichkeitsgrundsatz und die Neutralität des Gerichts häufig auch äußerst bedenklich.

Ich hatte noch kein einziges sinnvolles Telefonat mit Prozessbevollmächtigten, es sei denn es ging um eine Terminabstimmungen. Terminabstimmungen sind aber nicht so eilig, dass man als Anwalt nicht auf einen Rückruf warten könnte. Alles andere musste entweder von mir oder dem/der Prozessbevollmächtigten im Nachgang verschriftlicht werden. Nutzen = 0 und Zusatzaufwand für das Gericht. Darüber hinaus sind die meisten Telefonate für Richter außerordentlich kritisch und unangenehm: Die Rechtsanwälte versuchen häufig am Telefon schon irgendwelche vorläufigen Ansichten zu entlocken oder Stimmung gegen die Gegenseite zu machen (siehe Aras Beispiel, was im Hinblick auf die Verfahrensöffentlichkeit sehr bedenklich ist). Deshalb sollte man am Telefon inhaltlich überhaupt nichts sagen und sämtliche Ansinnen abbügeln (was das Telefonat überflüssig macht und die Stimmung vergiftet), um sich nachher nicht irgendwelchen Ablehnungsgesuchen ausgesetzt zu sehen.

Über die "Drohung", dass eine Partei die Instanz verliert, kann man als erstinstanzlicher Richter im Zivilrecht in der Tat nur müde lächeln. Das ist den Parteien und Prozessbevollmächtigten herzlich egal (zum Teil auch gut nachvollziehbar, wenn es um Auslegungsfragen geht). Ein Urteil erster Instanz zählt heute fast nichts mehr. Deshalb sinken erstinstanzliche Vergleichsquoten (jdf. am LG) und steigen Berufungsquoten in den vergangenen Jahren ganz erheblich, was auch an der massiven Zunahme von Massenverfahren liegt, wo es ohnehin nur darum geht, möglichst hohe Rechtsanwaltsgebühren zu generieren.

Zum Schluss noch ein Ratschlag an die Anwälte unter uns: Wenn man einen möglichst raschen Weg sucht, sich ins Herzen des Gerichts zu telefonieren, empfehlen sich folgende Telefon-Strategien:
  • Sekretärin anrufen lassen, dem Richter mitteilen, dass Herr RA Prof. Dr. Zuwichtigumselbstanzurufen ihn sprechen wolle und dann in die Warteschleife legen.
  • Um Rückruf bitten aber nur die Nummer des Sekretariats hinterlassen und sodann bei Rückruf von diesem in die Warteschleife legen lassen.
  • Junior Associate anrufen lassen, um irgendwelche Fragen zu stellen oder den Richter zu vorläufigen Auffassungen drängen, wobei der Associate selbst keine verbindlichen Aussagen treffen kann, da er gar keine Entscheidungskompetenz in der Sache hat.
  • Um Rückruf bitten und bei Rückruf sagen, dass man jetzt aus dem Stehgreif gar nicht wisse, um welches Verfahren es konkret gehe und ob der Richter einem das kurz schildern könne.
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Ich halte es generell für problematisch, wenn eine an der Kommunikation entscheidet, dass die Kommunikation auch der anderen Seite nichts bringt. Wer meint, er müsse arrogant noch einen Ratschlag an "alle Anwälte unter uns geben", vermeidet Kommunikation vermutlich vor allem aus eigener Unsicherheit.

Der Einwurf, Massenverfahren, dienten dazu, möglichst hohe Rechtsanwaltsgebühren zu produzieren, erscheint mir überdies recht realitätsfremd. Selbst in Massenverfahren wird nicht auf RVG-Basis gearbeitet, da es für den Anwalt gar nicht wirtschaftlich wäre.
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Re: Die Praxis der richterlichen Freiheit

Beitrag von David »

Nun, ich habe es im Süden auch schon oft genug erlebt, dass Gericht und Staatsanwaltschaft aneinander hoch gegangen sind.
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Re: Die Praxis der richterlichen Freiheit

Beitrag von Tibor »

@Kasimir: Das Problem ist doch, das Telefonate völlig unterschiedlichen Zwecken dienen.

Soweit man organisatorische Fragen besprechen will, ist zunächst zu hinterfragen, ob eine einseitige Diskussion/Abstimmung überhaupt möglich/gewollt ist. Ist die Sache geladen, hat das Gericht nun mal das Heft in der Hand und Terminsverlegung bedarf Glaubhaftmachung. Das geht ohnehin nicht telefonisch und ist also auch über einen raschen BeA-Schriftsatz erledigt. Warum dann zunächst anrufen? Das gleiche gilt bei Terminsanfragen vor Ladung. Wie hoch wird wohl die Chance sein, dass der Richter (insb bei Spruchkörpern) adhoc berichten kann, wann die Sache geplant ist?

Dazu gehören dann auch die Semi-Organisationsfragen; bspw die benannte, warum persönliches Erscheinen angeordnet wurde. Im Zweifel wird ohnehin keine adhoc Beantwortung möglich sein, weil man erst mal in die Akte schauen muss. Man hat eben mehr als nur das eine Verfahren und wenn die Ladung heute beim Anwalt einging, ist die Verfügung ggf schon fast eine Woche alt.


Und dann sind die nicht-organisatorischen Fragen. Diese Gespräche ersetzen entweder einen Schriftsatz (Mitteilung) oder sollen eine Diskussion/Rechtsgespräch aus der mdl Verhandlung vorwegnehmen. Für die erste Variante gibt es die Möglichkeit einen kurzen BeA-Schriftsatz zu diktieren. Insb unter Berücksichtigung der „Verschriftlichungslast“ wird hier das Gericht mit Arbeit einer Partei belastet, denn das Gericht muss dann eine Telefonnotiz erstellen und der anderen Seite zK übersenden.

Für die zweite Fallgestaltung gibt es aus Sicht des Gerichts erst Recht keinen Anlass zur Mitwirkung. Rechtsauffassungen können gern eingebracht werden, aber man kann doch keine adhoc Diskussion erwarten, insb wenn der Gegner nicht anwesend ist.
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Re: Die Praxis der richterlichen Freiheit

Beitrag von Liz »

@Kasimir: Ich glaube, Du vermagst Dich nicht so ganz in die Rolle des Richters hineinzudenken: Wenn ich mit einer Partei telefoniere, muss ich das grds. aktenkundig machen, d. h. mich kostet das Telefonat nicht nur die 1-10 Minuten Gesprächszeit, sondern ich muss das Anliegen des Anwalts und meine Antwort in einem Vermerk festhalten, der Gegenseite zur Kenntnis bringen und ggf. die weiteren Schritte einleiten, wozu ich mir ggf. vorher erst noch die Akte holen (bzw. vorlegen lassen) muss, d. h. das ist ein erheblich (!) größerer Aufwand, als wenn mir die Akte mit dem schriftlich formulierten Anliegen des Anwalts vorgelegt wird und ich gleich die entsprechende Verfügung treffen kann.
Gleichzeitig machst Du Dir, glaube ich, auch keine rechte Vorstellung, welche Fragestellungen Anwälte z. T. mal eben mit dem Richter am Telefon erörtern wollen. Und da ist es natürlich für den Anwalt äußerst hilfreich, wenn ihm der Richter schon mal vorab erklärt, wie er die Sache sieht, welcher Antrag richtigerweise wohl zu stellen wäre usw. oder sich einfach schon mal anhört, wie gemein und fies die Gegenseite ist, aber für den Richter ist ein derartiger Anruf schlichtweg hochproblematisch, weil er zu all diesen Dingen vernünftigerweise nichts sagen und das Telefonat umgehend beenden sollte - und dann wiederum den Dokumentationsaufwand hat, wobei er dann aufpassen muss, nicht von der Gegenseite einen Befangenheitsantrag zu kassieren.
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Re: Die Praxis der richterlichen Freiheit

Beitrag von Tibor »

Freilich muss man differenzieren, bspw zwischen Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Bei erstem ist der Parteienbeibringungsgrundsatz hochzuhalten. Zugleich ist die Justiz auch nur eine „Dienstleistung“ des Rechtsstaats um seiner selbst Willen. Soweit Rechtsschutz gegen den Staat gesucht wird und von Amts wegen ermittelt wird, gehen die Pflichten des Gerichts weiter, aber zugleich besteht hier nicht nur der Justizgewährleistungsanspruch.
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