Anfänger-Fragen

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Moderator: Verwaltung

Riven
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Anfänger-Fragen

Beitrag von Riven »

Hallo,
ich hätte mal als frischer Berufsanfänger ein paar Fragen und wäre dankbar, wenn erfahrene Kollegen mir da weiterhelfen könnten. Zur Einordnung: Ich bin angestellter RA in einer kleinen, aber wirtschaftlich recht erfolgreichen Kanzlei und mache das, wofür die Partner keine Zeit oder keine Lust haben.

1. (fast) chancenlose Klagen

Einer der Partner macht u.a. Sozialrecht. Aufgrund der Eigenarten des Rechtsgebiets neigen viele Mandanten immer zur Klage, unabhängig von den Erfolgsaussichten. Was ist das sinnvollste Vorgehen, wenn ich weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung eine Stütze für meine Ansprüche finde? Versuchen, irgendwie über unbestimmte Rechtsbegriffe (zB Angemessenheit im SGB II) zum Erfolg zu kommen? Oder - wie es einer meiner Ausbilder mal formuliert hat: Zweistellige Seitenzahlen produzieren und versuchen mit Nebelkerzen zu werfen? Oder einfach nur 1-2 Seiten Sachverhalt schreiben, dazu die am ehesten passende AGL benennen und hoffen?

2. "gute" untergerichtliche, "schlechte" obergerichtliche Rechtsprechung

Unsere lokalen Verwaltungs- und Sozialgerichte entscheiden gerne mal entgegen der Bundesgerichte. Da die Behörden nicht regelmäßig Rechtsmittel einlegen, hat man trotz entgegenstehender hM ab und zu Erfolg. Ist es in der Klagebegründung empfehlenswert, die Gerichte auf die entgegenstehende (unzutreffende) bundesgerichtliche Rechtsprechung hinzuweisen oder sollte man einfach nur die für einen selbst nützliche Rechtsprechung erwähnen?

3. Aufbau der Klageschrift und Umfang

Der o.g. Ausbilder vertrat die Auffassung, dass das Trennen von Tatbestand und Rechtsausführungen anfängerhaft wäre und in der Praxis keiner mache. Man solle "Geschichten" erzählen und die Richter emotional mitnehmen. Andere jüngere Kollegen nehmen wie ich die Trennung vor. Und was den Umfang angeht: Die allermeisten Sachverhalte bei mir sind recht einfach gelagert, sodass ich selten auf mehr als 3-4 Seiten Klageschrift komme. Ist natürlich schwer, das allgemein einzuschätzen, aber ist das zu wenig für Kleinkram wie Hartz-IV-Sanktionen, unbestrittene Forderungen und dergleichen?

Schon mal danke an alle.
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Muirne
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Re: Anfänger-Fragen

Beitrag von Muirne »

Nur eben: Glückwunsch zum Berufsstart und viel Erfolg!
»Natürlich ist das herablassend. Torquemada ist mir gegenüber herablassend, ich bin esprit gegenüber herablassend. So ist die Nahrungskette in diesem Forum nunmal.« - Swann
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Tibor
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Re: Anfänger-Fragen

Beitrag von Tibor »

@1: Aussichtslose Sachen nur nach Aufklärung über Erfolgs-Nicht-Aussichten in den Prozess geben. Kosten-Nutzen-Faktor berücksichtigen. Ggf droht am Ende viel zu viel Arbeit, als nach RVG sinnvoll abgerechnet wird. Insbesondere wenn man von der Gegenseite dann ständig Repliken erhält oder Hinweise vom Gericht. Muss man alles immer mit Mdt besprechen und erklären. Im Zweifel nach Abrechnung Erstberatung mit kurzer Email abblasen.

@2: Immer sichersten Weg gehen. Man kann nie sicher sein, dass die anderen Beteiligten (Gegner/Gericht) nicht dem Obergericht folgen.

@3: Sachverhalts, Gründe und Anträge trennen. Nur Trottel denken, dass man mit Gefühlsduselei den Richter aufs Kreuz legt. Klarer prägnanter Sachverhalt. Ggf klarstellen, was alles unstreitig ist (aus eigener Sicht). Dann Rechtsausführungen zur Begründung. Entweder positiv formulieren wie Gutachten (schön) oder negativ durch Darstellung wo Gegner irrt (finden die Mdt manchmal hübscher iSv den haben wir es aber gezeigt).
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Theopa
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Re: Anfänger-Fragen

Beitrag von Theopa »

zu 1.
In Sachen ohne Erfolgsausicht würde ich auch keine Klage erheben. Der Mandant bekommt die Mitteilung, dass und warum keine Erfolgsaussichten bestehen. Dann geht er, findet jemanden der es macht und verliert. Wenn er dann immer noch nicht einsiehst, dass du Recht hattest willst du ihn wahrscheinlich sowieso nicht längerfristig als Mandanten haben, wenn er versteht dass du Recht hattest wirst du evtl. einen treuen Mandanten gewinnen. Klar, wenn man bei solchen Fällen mit wenig Aufwand viel Umsatz machen kann oder als Selbständiger neu startet und um jeden Euro Umsatz froh ist wird man es vielleicht anders sehen, im Sozialrecht dürften die Einbußen aber wohl eher überschaubar sein.

zu 2.
Natürlich nur die Rechtsprechung nennen, die die eigene - vertretbare - Ansicht stützt. Das Gericht kennt das Recht, die Gegenseite soll selbst suchen ;)

zu 3.
In der Klageschrift würde ich weiter streng aufteilen, alles andere kann gerade bei umfassenderem Vortrag für alle Beteiligten (letzlich auch dich selbst wenn du in einigen Monaten nochmal drüber lesen musst) unübersichtlich und nervig werden. In weiteren Schriftsätzen, würde ich die Rechtsfragen eher nur dort einbauen wo sie relevant werden, sofern nicht wirklich essentielle Fragen offen sind und breite Ausführungen notwendig werden.
TedRemptation
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Re: Anfänger-Fragen

Beitrag von TedRemptation »

Ich würde bei der strikten Trennung von Sachverhalt und Rechtsauffassung einen gewisses "aber" hinzufügen.

Gerade bei komplexeren Sachverhalten, die sich auch mal über zweistellige Seitenzahlen ziehen können, kann es aus meiner Sicht der Leserlichkeit durch das Gericht dienen, Sachverhalt und Rechtsfragen ein Stück weit miteinander zu verweben. Ich finde es gibt kaum etwas schlimmeres als seitenweise Ausführungen über die beteiligten Gesellschaften A bis Z, bei denen sich der Leser nur fragt: "Wofür sind die jetzt relevant?".

Bei einfach gelagerten Sachverhalten aber Zustimmung zu Tibor, insbesondere zum Thema Gefühlsduseligkeit. Wenn ich einen Schriftsatz des Gegners bekomme und dieser nullkommanull rechtlich relevant ist, aber auf 10 Seiten ausgeführt wird, warum der Gegner ein armer Kerl ist, ist das schon ein Stück weit Fremdscham.

Mein Favorit aus den bisherigen Schriftsätzen übrigens: "Der Kläger verstößt damit zumindest gegen die zehn Gebote" \:D/
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Kroate
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Re: Anfänger-Fragen

Beitrag von Kroate »


TedRemptation hat geschrieben:
Gerade bei komplexeren Sachverhalten, die sich auch mal über zweistellige Seitenzahlen ziehen können, kann es aus meiner Sicht der Leserlichkeit durch das Gericht dienen, Sachverhalt und Rechtsfragen ein Stück weit miteinander zu verweben.
Sehe ich anders. Auch dann sind Sachverhalt und rechtliche Würdigung strikt zu trennen. Die Kunst ist es, den Sachverhalt so aufzubereiten, dass der Leser schon bei der Lektüre des Sachverhalts gedanklich subsumiert. Damit das Gericht nicht völlig im Luftleeren Raum den Sachverhalt liest, bietet sich eine kurze Vorbemerkung an, in der man die wesentlichen Punkte des Falls kurz (!) zusammenfasst.
Liz
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Re: Anfänger-Fragen

Beitrag von Liz »

TedRemptation hat geschrieben: Dienstag 28. Januar 2020, 08:55 Ich würde bei der strikten Trennung von Sachverhalt und Rechtsauffassung einen gewisses "aber" hinzufügen.

Gerade bei komplexeren Sachverhalten, die sich auch mal über zweistellige Seitenzahlen ziehen können, kann es aus meiner Sicht der Leserlichkeit durch das Gericht dienen, Sachverhalt und Rechtsfragen ein Stück weit miteinander zu verweben. Ich finde es gibt kaum etwas schlimmeres als seitenweise Ausführungen über die beteiligten Gesellschaften A bis Z, bei denen sich der Leser nur fragt: "Wofür sind die jetzt relevant?".
Jein. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man sich aus zig Seiten Schriftsatz den relevanten Sachvortrag raussuchen muss, um den Fall selbst zu durchdenken. Wenn eine Seite (idealerweise der Kläger) eine gut strukturierte Sachverhaltsdarstellung liefert, die man nur noch um den strittigen Sachverhalt ergänzen muss, erleichtert das die Arbeit ungemein. Wenn der Sachverhalt andernfalls gänzlich unverständlich und sperrig ist, scheint mir eine kurze Einleitung, wie von Kroate vorgeschlagen, deutlich leserfreundlich zu sein.


zu den (fast) chancenlosen Klagen:
Wenn man in derartigen Fällen überhaupt Klage erhebt, sollte man m. E. nicht auch noch dem Gericht, dem Gegner und sich selbst mit ellenlangen Schriftsätzen voller Unsinn das Leben schwer machen (wenn man beständig nur seitenweise relativen Unsinn schreibt, könnte das über kurz oder lang den eigenen Ruf prägen). Lieber 1-3 einigermaßen rechtlich fundierte Gesichtspunkte zugunsten des Mandaten anführen, die das Gericht dazu einladen, möglicherweise doch Ideen zugunsten des Mandanten zu entwickeln, und ansonsten die erwartete Niederlage mit Fassung tragen.
Liz
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Re: Anfänger-Fragen

Beitrag von Liz »

P. S.: Emotionale Geschichten ohne rechtliches Fundament beeindrucken mich auch recht wenig, insbesondere wenn sich später herausstellt, dass doch etwas sehr dick aufgetragen worden ist.
Riven
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Re: Anfänger-Fragen

Beitrag von Riven »

Danke euch allen für die hilfreichen Antworten auf meine Fragen und schicke gleich die nächste hinterher:

Wenn mir das Gericht 1 Monat Frist zur evtl. Stellungnahme setzt, der Beklagte aber davor auf die Klageschrift nur mit "Wir beantragen Klageabweisung und verweisen vollumfänglich auf unsere Widerspruchsbegründung" antwortet, kann ich mir ja eine Stellungnahme sparen, oder? Ich hab mich ja schon in der Klagebegründung damit auseinandergesetzt. Warum also nochmal?
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Re: Anfänger-Fragen

Beitrag von stilzchenrumpel »

Es handelt sich ja offensichtlich um ein SG oder VG Verfahren. Da gibst so etwas wie Replikfrist oder Präklusion / durch Nichtstellungnahme zugestandenes Vorbringen ohnehin nicht. Es kann sein, dass der Richter es einfach blind verfügt hat. Ich würde freundlich zurückschreiben, dass der Schriftsatz keinen einlassungsfähigen Inhalt hat und auf die Klagebegründung verweisen. Der Rest kommt früher oder später dann vom Gericht.

PS: du meinst mit evtl. eine freigestellte Stn? Dann wird eine Antwort sowieso nicht unbedingt erwartet und du musst nichts schreiben sondern kannst entspannt warten, was das Gericht als nächstes macht ;) vll alle paar Monate nach dem Sachstand fragen :D
Hier gibt es nichts zu sehen, ich trolle nur.
Liz
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Re: Anfänger-Fragen

Beitrag von Liz »

Nur weil das Gericht (ggf. auch ohne nähere inhaltliche Prüfung) eine Stellungnahmefrist setzt, heißt es nicht, dass es auch zwingend etwas zu schreiben gibt oder das Gericht von Dir noch etwas erwartet (deshalb ggf. auch explizit mit dem Zusatz "evtl."). Eine Frist setzt das Gericht in derartigen Fällen vor allem um zu vermeiden, dass irgendwann völlig überraschend eine Replik kommt.
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Ara
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Re: Anfänger-Fragen

Beitrag von Ara »

Kroate hat geschrieben: Dienstag 28. Januar 2020, 11:51
TedRemptation hat geschrieben:
Gerade bei komplexeren Sachverhalten, die sich auch mal über zweistellige Seitenzahlen ziehen können, kann es aus meiner Sicht der Leserlichkeit durch das Gericht dienen, Sachverhalt und Rechtsfragen ein Stück weit miteinander zu verweben.
Sehe ich anders. Auch dann sind Sachverhalt und rechtliche Würdigung strikt zu trennen. Die Kunst ist es, den Sachverhalt so aufzubereiten, dass der Leser schon bei der Lektüre des Sachverhalts gedanklich subsumiert. Damit das Gericht nicht völlig im Luftleeren Raum den Sachverhalt liest, bietet sich eine kurze Vorbemerkung an, in der man die wesentlichen Punkte des Falls kurz (!) zusammenfasst.
Das Problem sind aber gerade stellen, wo man mittig 3-4 Seiten Sachverhalt vortragen muss, wo sich ohne Rechtsausführungen die Relevanz für den Fall nicht ergibt, da nochmal 10 Seiten anderer Sachverhalt kommt und erst dann das Rechtliche.

In den Fällen mache ich dann auch die Ausnahme und führe da 2-3 rechtliche Ausführungen ein (die ich unten aber nochmal wiederhole im rechtlichen Teil), weil ich sonst Angst habe, dass der Richter auf Zinne ist, weil er denkt ich trage irrelevanten Sachverhalt vor.
Die von der Klägerin vertretene Auffassung, die Beeinträchtigung des Wohngebrauchs sei durch das Zumauern der Fenster nur unwesentlich beeinträchtigt, ist so unverständlich, dass es nicht weiter kommentiert werden soll. - AG Tiergarten 606 C 598/11
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Re: Anfänger-Fragen

Beitrag von Liz »

Es scheint mir dann vor allem eine Frage des Geschmacks und der Praktikabilität im Einzelfall zu sein, ob man im Rahmen einer kurzen Vormerkung darauf hinweist, dass es auf Sachvortrag X insbesondere im Zusammenhang mit Rechtsfrage Y ankommen wird, oder ob man ausnahmsweise im Sachvortrag einen kurzen, klar erkennbaren rechtlichen Einschub macht.
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Tibor
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Re: Anfänger-Fragen

Beitrag von Tibor »

Üblicher dürfte dann die Einleitung des Sachverhalts mit der Rechtsfrage sein:

„Die Parteien streiten um einen ...anspruch aus § ... nach der Rechtsprechung des BGH zum ... Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: ...“
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Re: Anfänger-Fragen

Beitrag von Liz »

Wenn es so einfach ist, ja. Aber es gibt ja durchaus komplexere Sachverhalte, bei denen man unterschiedliche Ideen haben kann, wie sie richtigerweise zu lösen sind.
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