Mit dem Inhalt der Entscheidung des Gerichts bin ich sehr zufrieden. Dennoch frage ich mich: Ist es gut, dass ein ziemlich kleines (Richter-)Gremium mit hauchdünner Mehrheit den Willen des Gesetzgebers beiseiteschieben kann?
Ähnliche Fragen habe ich mir schon bei anderen Anlässen gestellt:
Beispiel 1:
siehe oben; hier nur um der Nummerierung Willen erneut aufgeführt
Beispiel 2:
Das Bundesverfassungsgericht kippt das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung. Mehrere hundert Bundestagsabgeordnete – von denen ja sicher die meisten auf dem Boden der Werteordnung des Grundgesetztes stehen – haben sich über § 217 StGB monatelang Gedanken gemacht; und dann genügen acht Richter, um das zu kippen.
Beispiel 3:
Eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts kippt einen BGH-Beschluss. Leider kann ich mich an die Thematik nicht mehr erinnern und habe auch keinen Nachweis. Aber ist es wirklich so, dass drei BVerfG-Richter mehr wissen und mehr können als fünf BGH-Richter? Wahrscheinlich haben sie einfach nur mehr Macht...
Beispiel 4:
Seit 1993 sind für Berufungen gegen Urteile des Schöffengerichts die kleinen Strafkammern zuständig. Dazu Meyer-Goßner, § 76 GVG, Rn. 1: „Das ist ein Systembruch…“
Beispiel 5:
Hier sind nicht die einzelnen Beschlüsse interessant, sondern die Entwicklung:
- OLG Celle, 24.08.2010 (Verwaister Link http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=KORE200592011&st=ent&doctyp=juris-r&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint automatisch entfernt) (im Leitsatz ein Schreibversehen – eigentlich § 56f Abs. 1)
- anderer Ansicht: OLG Hamm, 18.09.2014
- OLG Stuttgart, 12.12.2018: gleiches Ergebnis wie das OLG Hamm, aber das OLG Stuttgart setzt sich noch detaillierter mit dem Willen des Gesetzgebers auseinander (früher erwogener, aber nicht umgesetzter Fassungsentwurf)
Ganz nebenbei:
Kann mir jemand erklären, wieso das OLG Hamm die Sache nicht dem BGH vorgelegt hat? Zwar machen die Richter aus Hamm gleich im Leitsatz deutlich, dass sie anderer Meinung sind als das OLG Celle; aber dann begründen sie nicht einmal, weshalb sie nicht vorlegen…
Fazit:
Mir ist nicht immer wohl bei dem Gedanken, dass ziemlich kleine Spruchkörper punktuell ziemlich viel Macht entfalten können, sei es gegenüber anderen Gerichten, sei es gegenüber dem Gesetzgeber.
Was meint ihr dazu?
Auch die Judikative bedarf der demokratischen Legitimation, und diese ist ja in Deutschland auch gegeben, wenn auch eher indirekt. Aber wenn ein Gericht schon nicht unbedingt das „Spektrum des Volkswillens“ widerspiegeln kann, sollte es dann nicht wenigstens in höherem Maße das Spektrum der unter Juristen vertretenen Positionen / Ideen / Erfahrungen widerspiegeln?
Ich bin selbst Mitglied in diversen Gremien verschiedener Größe, und ich habe immer wieder den Eindruck, dass in den größeren Gremien mehr verschiedene Argumente auf den Tisch kommen und auch länger diskutiert wird. Ich neige auch zu der These, dass in größeren Gremien die Konstanz und Konsistenz von Entscheidungen eher gegeben ist.
Auch interessant:
Bis 1924 haben die Senate des Reichgerichts in der Besetzung mit je sieben, die Senate der Oberlandesgerichte in der Besetzung mit je fünf Mitgliedern entschieden. Das ist mir nicht unsympathisch!