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Apokalyptische Richterliteratur

Verfasst: Sonntag 22. November 2020, 17:06
von Joshua
S. hier:

https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/r ... rezension/

Ich bin ähnlich kritisch wie der Autor bei "LTO".

Es gehört sich einfach nicht, wenn Richter derart undifferenzierte (i.e. reißerische) Titel und z.T. auch Inhalte wählen.

Man sollte zu einer sachbezogenen Diskussion über einzelne Schwachpunkte im Rechtssystem zurückkehren, statt im Stakkato derartig schrille Kassandrarufe herauszuposaunen.

Re: Apokalyptische Richterliteratur

Verfasst: Sonntag 22. November 2020, 17:15
von Ara
Das Problem ist, dass ein Richter schon per se nicht überdurchschnittlich geeignet ist über das gesamte Rechtssystem (meist ist sowieso nur das Strafrecht gemeint) zu urteilen. Ein Amtsrichter der nach Schema F jede Woche den Ladendiebstahl und Sozialbetrug aburteilt und dabei die StPO eher zufällig trifft, kann zumindest aus seinem beruflichen Alltag nichts dazu beitragen.

Komischerweise glauben Richter aber, dass sie die Arbeit ihrer Kollegen immer beurteilen können. Entweder führt es zum Korpsgeist und grundsätzlich machen Richter ihren Job durchweg gut oder man landet bei sowas wie beim Autoren, dass alle anderen Richter Idioten sind und man nur selbst die Weisheit mit Löffeln gefressen hat.

Ein Staatsanwalt oder Strafverteidiger wäre da vermutlich der bessere Autor. Lustigerweise würden die beiden Berufsgruppen das Problem an ganz anderer Stelle sehen, als es wohl die meisten Richter tun.

Re: Apokalyptische Richterliteratur

Verfasst: Sonntag 22. November 2020, 17:21
von Tibor
Es ist doch zudem ein multikausales Problem. Es besteht doch schon keine Einigkeit bei all diesen Einzelmeinungen, was denn nun das Hauptziel der richterlichen Tätigkeit sei bzw. welche Funktion die Justiz in toto haben soll. Natürlich muss man dann immer das Ende der Gerechtigkeit herbeischwadronieren oder gleich das Ende des Abendlandes.

Re: Apokalyptische Richterliteratur

Verfasst: Sonntag 22. November 2020, 17:29
von batman
Dahinter steckt simples Verkaufsinteresse.

Re: Apokalyptische Richterliteratur

Verfasst: Sonntag 22. November 2020, 17:32
von Joshua
Ara hat geschrieben: Sonntag 22. November 2020, 17:15 Ein Amtsrichter der nach Schema F jede Woche den Ladendiebstahl und Sozialbetrug aburteilt und dabei die StPO eher zufällig trifft, kann zumindest aus seinem beruflichen Alltag nichts dazu beitragen.

Ein Staatsanwalt oder Strafverteidiger wäre da vermutlich der bessere Autor. Lustigerweise würden die beiden Berufsgruppen das Problem an ganz anderer Stelle sehen, als es wohl die meisten Richter tun.
Wobei es aber natürlich auch sehr wissenschaftlich und strukturiert arbeitende Amtsrichter gibt. Ich nenne nur mal den Betreiber des bewundernswerten ZPO-Blogs, der auch lange Zeit Amtsrichter war (mittlerweile ist er m.E. RiLG).

Auch denke ich nicht, dass andere Berufsgruppen per se besser geeignet sind, solche Bücher zu schreiben.

Entscheidend ist doch, welche Grundlagen für eine Kritik an der Richterschaft und ihren Entscheidungsmechanismen gewählt werden. Richterliches Selbstverständnis (Korpsgeist? Unterwürfigkeit ggü. Gerichtsverwaltung und Ministerien? Oder maximale Entscheidungsfreiheit?) zu eruieren, ist eine Aufgabe der Rechtssoziologie und setzt m.E. gefestigte empirische Datengrundlagen voraus. Ich muss diese Daten möglichst aktuell erheben, da nicht auszuschließen ist, dass derartige Selbstverstädnisse auch sehr von der politischen "Großwetterlage" abhängig sein können.

Wenn ich mich demgegenüber darauf beschränke, nur das auszuwerten, was ich (ggf. sehr selektiv, nämlich durch meine eigene "bias" in der Vorauswahl gesteuert) in meinem Umfeld von Kollegen wahrnehme, wird es unwissenschaftlich und geschwätzig.

Re: Apokalyptische Richterliteratur

Verfasst: Sonntag 22. November 2020, 17:35
von Joshua
batman hat geschrieben: Sonntag 22. November 2020, 17:29 Dahinter steckt simples Verkaufsinteresse.
Man wird auch das Gefühl nicht los, dass finanzielle Interessen hier eine Rolle spielen. Das soll nicht zynisch klingen, aber von einem Bruttoeinstiegsgehalt von etwas über 4.000 € kann man in mancher Großstadt nicht wirklich gut leben, geschweige denn etwas zurücklegen.

Re: Apokalyptische Richterliteratur

Verfasst: Sonntag 22. November 2020, 18:04
von famulus
Joshua hat geschrieben: Sonntag 22. November 2020, 17:35 Das soll nicht zynisch klingen, aber von einem Bruttoeinstiegsgehalt von etwas über 4.000 € kann man in mancher Großstadt nicht wirklich gut leben, geschweige denn etwas zurücklegen.
:munch:

Re: Apokalyptische Richterliteratur

Verfasst: Sonntag 22. November 2020, 18:27
von Ara
Joshua hat geschrieben: Sonntag 22. November 2020, 17:32
Ara hat geschrieben: Sonntag 22. November 2020, 17:15 Ein Amtsrichter der nach Schema F jede Woche den Ladendiebstahl und Sozialbetrug aburteilt und dabei die StPO eher zufällig trifft, kann zumindest aus seinem beruflichen Alltag nichts dazu beitragen.

Ein Staatsanwalt oder Strafverteidiger wäre da vermutlich der bessere Autor. Lustigerweise würden die beiden Berufsgruppen das Problem an ganz anderer Stelle sehen, als es wohl die meisten Richter tun.
Wobei es aber natürlich auch sehr wissenschaftlich und strukturiert arbeitende Amtsrichter gibt. Ich nenne nur mal den Betreiber des bewundernswerten ZPO-Blogs, der auch lange Zeit Amtsrichter war (mittlerweile ist er m.E. RiLG).
Bei den Richtern dieser Art hat es aber vermutlich auch nen Grund warum sie sich auf wissenschaftliche Rechtsfragen konzentrieren und keine Trivialliteratur schreiben.

Die Gründe hast du ja dann genannt, denen ich nur zustimmen kann.

Re: Apokalyptische Richterliteratur

Verfasst: Sonntag 22. November 2020, 18:50
von Liz
Ara hat geschrieben: Sonntag 22. November 2020, 17:15Ein Staatsanwalt oder Strafverteidiger wäre da vermutlich der bessere Autor. Lustigerweise würden die beiden Berufsgruppen das Problem an ganz anderer Stelle sehen, als es wohl die meisten Richter tun.
Das würde aber nichts daran ändern, dass der Blickwinkel jeweils durch die eigene Tätigkeit und Nahbereichsempirie beschränkt ist. Ein Strafverteidiger oder Staatsanwalt würde wahrscheinlich andere Dinge als Quell des Übels ausmachen, aber das Ergebnis würde sich wahrscheinlich nicht weniger apokalyptisch und selbstgerecht lesen.

Re: Apokalyptische Richterliteratur

Verfasst: Sonntag 22. November 2020, 20:01
von Tibor
Joshua hat geschrieben: Das soll nicht zynisch klingen, aber von einem Bruttoeinstiegsgehalt von etwas über 4.000 € kann man in mancher Großstadt nicht wirklich gut leben, geschweige denn etwas zurücklegen.
4.000 €? Brutto? Einstiegsgehalt?

Herr Schleif dürfte bei R1 Stufe 4-6 eher so um die 4.000 € netto (vor PKV) haben. Mein Mitleid hält sich in Grenzen.

Abgesehen davon beginnt R1 bei ca 4.500€ Brutto.

Re: Apokalyptische Richterliteratur

Verfasst: Sonntag 22. November 2020, 21:26
von surcam
Naja, in einigen Ländern ist man mindestens noch 100, eher 200 bis 300 € von den 4.500 € entfernt (z. B. MV, SL, SN, ST, TH).

Re: Apokalyptische Richterliteratur

Verfasst: Sonntag 22. November 2020, 21:31
von famulus
Da kostet ja aber auch das Wohnen nix. :)

Re: Apokalyptische Richterliteratur

Verfasst: Sonntag 22. November 2020, 21:45
von Ara
Und meist sind die Armenküchen in den Ländern gut ausgebaut!

Re: Apokalyptische Richterliteratur

Verfasst: Sonntag 22. November 2020, 21:50
von Urs Blank
Reich wird man aber doch mit dem Geschreibsel nicht. Es geht um Aufmerksamkeit, Wichtigtun, Befriedigung narzisstischer Bedürfnisse m. E.

Re: Apokalyptische Richterliteratur

Verfasst: Sonntag 22. November 2020, 21:52
von famulus
Ja, der R1-Blues, der sich bei einigen nach gewisser Zeit wohl einstellt.