Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel, "open book exam"?

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OJ1988
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Re: Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel, "open book exam"?

Beitrag von OJ1988 »

Liz hat geschrieben: Samstag 12. Dezember 2020, 12:06
OJ1988 hat geschrieben: Samstag 12. Dezember 2020, 11:53
Bei der Sehnenscheidengeschichte sehe ich es wie Seeker - dürfte großteils auch psychisch bedingt sein (verkrampfte Schreibhaltung durch zu große Angst).
Das ist doch Küchenpsychologie. Richtig ist allenfalls, dass sich eine problematische Schreibhaltung bei Stress und / oder beginnenden Schmerzen wegen Überlastung nicht verbessert.
Naja, in der Schule, wo man ständig und andauernd alles mit Hand geschrieben hatte (inkl. 5stündige Klausuren in der Oberstufe), gab es meiner Erinnerung sowas wie Sehnenscheidenentzündung nicht.
Liz
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Re: Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel, "open book exam"?

Beitrag von Liz »

@OJ1988: Ja, in der Schule wird viel mit der Hand geschrieben, aber der Anteil an "Schreibzeit" pro Schulstunde dürfte wohl bei (deutlich) unter 50 % liegen - und der Anteil der Schreibzeit unter "Zeitdruck" dürfte nochmals deutlich geringer sein. Und dann ist die Anzahl der fünfstündigen Klausuren in der Oberstufe doch auch eher überschaubar; wenn mich nicht alles täuscht, waren doch die regulären Kursklausuren max. dreistündig und erst die Klausuren im Probeabi fünfstündig. In der Examensvorbereitung werden hingegen häufig 1-3 fünfstündige Probeklausuren pro Woche geschrieben und im Examen selbst werden z. T. zwei fünfstündige Klausuren an zwei aufeinanderfolgenden Tagen geschrieben.

Ich muss mir nur meine eigene "entspannte" Schreibhaltung anschauen, um zu wissen, dass es kein Wunder ist, wenn mir spätestens nach 2-3 Stunden langsam die Finger wehtun und eine fünfstündige Klausur eher ein K(r)ampf ist. Ich habe nur einfach nie so viele Probeklausuren geschrieben, dass es sich ernsthaft zu einem Problem hätte entwickeln können.
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Re: Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel,

Beitrag von Sprrvsnsnstnz »

Tibor hat geschrieben: Samstag 12. Dezember 2020, 11:09
Sprrvsnsnstnz hat geschrieben:Bei uns im Rep (ca. 100 Leute) saßen damals locker 20-30% mit geschienten Schreibhänden.
Das lag aber vor allem an völlig falscher Examensvorbereitung und Schwerpunktsetzung.
Kann ich nicht beurteilen, aber wenn der Repetitor (und diverse Profs) zu Beginn der Vorbereitung erzählen, dass man mind. 50 Klausuren ausschreiben muss, um überhaupt bestehen zu können und wenn man irgendetwas erreichen wolle, ja wohl schon die 100 anpeilen sollte, dann ziehen die meisten das halt durch.
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Tibor
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Re: Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel, "open book exam"?

Beitrag von Tibor »

Schlafschafe. Ehrlich.

Natürlich will dir ein Repetitor Klausurenkorrekturen verkaufen. Klausurlösung ist aber nur in begrenztem Maße auch „das Runterschreiben“. Es muss doch jeder vernunftbegabte Mensch in der Lage sein, seine Gedanken in vollständige Sätze zu formen. Wer meint, dass er das bis zur Sehnscheidentzündung wiederholen muss, der hat dann eben Pech. Survival of the fittest. Klausurlösungen beruhen vielmehr auf Sachverhaltsverständnis, Lösungsskizze, Gutachtenstil und Argumentation. Das kann man zur Not in kleinen Arbeitsgruppen auch mündlich oder mit Stichpunkten machen.

Nachdem man vielleicht aus jedem Fachbereich (Z, S, Ö) 10-15 Klausuren wirklich runtergeschrieben hat, ist es doch eine große Zeitverschwendung, seine 90-minütigen Gedanken aus der echten Klausurlösung dann jeweils noch 3,5h lang aufzuschreiben. Die ehrliche Lösungsskizze genügt, wenn man diese danach mit der Musterlösung vergleicht.
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Re: Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel, "open book exam"?

Beitrag von Seeker »

Es gibt natürlich, wie bei allem, keine Patentlösung. Und sich selbst körperlich kaputt zu machen, ist der falsche Weg.

Jedenfalls mir hat das Ausformulieren vieler Klausuren (fürs erste Examen etwa 85 Stück) aber sehr viel gebracht. Es ist eben doch etwas anderes, sich in begrenzter Zeit stets aufs Neue zu zwingen, für unbekannte Probleme gute Argumente zu finden und sie prägnant auszuformulieren. Selbst wenn man den Gutachtenstil bereits beherrscht und ordentlich argumentieren kann, kann einem das Schreiben einer großer Zahl an Klausuren zu einer absoluten Unerschütterlichkeit und Souveränität verhelfen. Außerdem arbeitet man so automatisch an seinen Formulierungen, was man nicht unterschätzen sollte.

Das sind aber nur meine persönlichen Erfahrungen. Sicherlich kann man auch mit wenigen Übungsklausuren ein ordentliches oder gutes Examen schreiben. Wobei ich sagen muss, dass ich einige Leute im oberen Notenbereich kenne, und jeder Einzelne davon eine sehr ordentliche Anzahl an Klausuren von etwa 50-60+ (wenn auch nicht 100+, das halte ich für übertrieben) geschrieben hat (auch wenn (1) das natürlich nur Nahbereichsempirie ist, (2) eine Korrelation nichts bedeuten muss und (3) umgekehrt viele Klausuren kein gutes Ergebnis garantieren).
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Re: Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel, "open book exam"?

Beitrag von Liz »

Sicherlich führen viele Wege nach Rom.

Ein „Problem“ gerade bei schwächeren Kandidaten dürfte auch sein, dass sie nach 20-30 Klausuren insgesamt noch nicht das Gefühl haben, dass es eigentlich ganz gut läuft und sie jetzt „nur noch“ ihre Rechtskenntnisse vertiefen und ihre Argumentationsfähigkeit schärfen müssen, sondern unbedingt den Punkt erreichen wollen, an dem sie die Klausuren sicher mit genügend Punkten bestehen, und deshalb fieberhaft zwei bis drei Klausuren pro Woche schreiben. Gute Kandidaten, die nach ein paar Klausuren in jedem Rechtsgebiet das Gefühl haben, dass das Ausformulieren eigentlich nicht das Problem ist, dürften da weniger „Druck“ haben, extensiv Klausuren zu schreiben, solange ihnen niemand erfolgreich eingeredet hat, dass man mindestens 100 Klausuren vollständig ausformuliert haben muss.
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Re: Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel, "open book exam"?

Beitrag von Seeker »

Ja, das ist, wie so oft, das Problem. Man kann eben nicht einfach irgendeine Lernstrategie kopieren ohne nachzudenken.

M.E. ist das größte Problem vieler (ganz) schwacher Kandidaten, sich nicht aktiv, engagiert und eigenständig mit dem Stoff auseinanderzusetzen. Stattdessen wird einfach stumpf "irgendwas" gemacht, etwa Tausende Karteikarten und ewige Rep-Unterlagen auswendig gelernt oder Dutzende Klausuren runtergeschrieben, ohne sich wirklich mit der Materie auseinanderzusetzen.

Entscheidend (gerade für den unteren Notenbereich) ist nicht, ob man mit Karteikarten, Lehrbüchern oder durch das Verfassen vieler Übungsklausuren lernt. Sondern ob man sich aktiv mit dem Wissen beschäftigt, es einordnen und anwenden kann: was steht genau im Gesetz? Welcher Gedanke steckt dahinter? Was ist, in ganz einfachen Worten, überhaupt das Problem? Welche Rolle spielt das in einem Fall? Wie kann das in einer Klausur drankommen? Welche Wertungen treffen aufeinander? Und eben nicht stur: "inserthemmerSchema, insertAlpmannÜbersicht, tvA: so, Arg. 1, 2, 3, hM: anders, Arg. 1, 2, 3".

Aber jetzt bin ich doch etwas off-topic geraten.
Liz
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Re: Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel, "open book exam"?

Beitrag von Liz »

Ich fürchte fast, das eine bedingt das andere. Wenn man so souverän im Umgang mit dem Lernstoff ist, dass man ihn eigenständig durchdenken und systematisieren kann, dann wird man wahrscheinlich auch deutlich mehr als 6 Punkte schreiben. Wenn man das hingegen nicht kann, dann ist es einfach nur eine unglaubliche Menge an Stoff, die man in der Hoffnung, in der Klausur die richtigen Textbausteine abspulen zu können oder irgendwann doch das System zu verstehen, stur auswendig lernen muss.
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Re: Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel, "open book exam"?

Beitrag von Windscheid »

In Anbetracht der Klausuren, die man so zu sehen bekommt während der Corona-Zeit und die als Kurz-Hausarbeiten mit Recherche-Möglichkeit konzipiert sind, würde ich davon abraten. Die Leute professionalisieren lediglich das Kopieren und sind bei allem, was mal nicht im Internet zu finden ist, sofort aufgeschmissen.
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Re: Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel, "open book exam"?

Beitrag von Theopa »

Wurde hier wirklich aus meinem "E-Examen ja, aber nicht morgen" die Diskussion ob handschriftliche Klausuren besser/schlechter sind? ;)

Natürlich werden die Klausuren zukünftig getippt werden. Mir ging es einzig darum, dass jemand der bisher alles per Hand geschrieben hat nicht nach sechs Semestern umlernen muss. Wenn wir ohnehin Jahrzehnte für jede relevante Änderung der Examina brauchen spricht ja nichts gegen getippte Klausuren z.B. erst ab 1.1.2025.
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Re: Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel, "open book exam"?

Beitrag von gola20 »

Was gibt es da umzulernen? Ich hoffe Leute lernen schon vor dem ersten Semester wie man per Hand schreibt oder tippt.
OJ1988
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Re: Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel, "open book exam"?

Beitrag von OJ1988 »

Gemeint ist vermutlich die konkrete "Klausurschreibsituation".

Wenn mir vor dem 1. Examen jemand gesagt hätte, das Examen werden nun plötzlich am Laptop geschrieben, wäre ich nach 5 Jahren händischem Klausurenschreiben auch leicht irritiert gewesen.
Liz
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Re: Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel, "open book exam"?

Beitrag von Liz »

Ja, ganz ohne Vorlauffrist wird das nicht gehen, selbst wenn man erwartet, dass jeder Examenskandidat schnell genug tippen kann bzw. diese Fähigkeit innerhalb von ein paar Monaten erwerben kann: Einerseits wird man Anpassungen beim Klausurumfang vornehmen müssen, weil die Kandidaten sonst ggf nach 3 Stunden fertig sind. Andererseits wird man den Kandidaten auch Gelegenheit geben müssen, für sich herauszufinden, wie man eine Klausur am PC am besten schreibt. Und rein praktisch wird man wohl auch in technischer Hinsicht ein paar Testdurchgänge brauchen, bevor man in den "Echtbetrieb" übergehen kann.
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Re: Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel, "open book exam"?

Beitrag von Atropos »

Windscheid hat geschrieben: Samstag 12. Dezember 2020, 21:29 In Anbetracht der Klausuren, die man so zu sehen bekommt während der Corona-Zeit und die als Kurz-Hausarbeiten mit Recherche-Möglichkeit konzipiert sind, würde ich davon abraten. Die Leute professionalisieren lediglich das Kopieren und sind bei allem, was mal nicht im Internet zu finden ist, sofort aufgeschmissen.
Würde das nicht gerade bedeuten, dass man das Ausbildungssystem dringend umstellen muss? Finde das sehr bedrückend, wenn allein das Bereitstellen zusätzlicher Quellen die Studenten total überfordern würde...

Stimme den anderen aber zu, dass diese Umstellung langfristig laufen muss. Nicht aus Studentensicht, sondern damit die ganzen ,,Bugs" bei der Einführung eines neuen Systems erstmal an den unwichtigen Uni- und Schwerpunktklausuren erforscht werden können.

In den USA gibt es schon seit ca. 1970 Klausuren mit Schreibmaschine, Open-Book Exams sind in US/UK durchaus weit verbreitet. Auch die Schweizer Anwaltsprüfung findet in einem Zimmer mit Computer statt und ähnelt wohl eher einer 10-stündigen Kurz-Hausarbeit.

Sorry, das deutsche System, dass man noch im 2. Examen in fünf Stunden par Hand Klausuren löst und dabei in 6 mitgebrachten Kommentaren und regelmäßig nachzusortierenden Gesetzestexten blättert ist einfach lächerlich anachronistisch. Hier muss man etwas ändern, die Frage ist natürlich, wie man inhaltlich auf die neuen Prüfungsbedingungen reagiert.

Meine Hoffnung wäre ja, dass man dann gerade nicht nur umfangreichere Klausuren stellt oder immer verrücktere Einzelprobleme prüft, sondern einfach den Stoffkatalog massiv erweitert. Wenn man nicht alles auswendig lernen muss, kann man ruhig noch Insolvenzrecht, Steuerrecht, Geistiges Eigentum, Datenschutzrecht (im Öffentlichen Recht), vertieftes Europarecht, Vertragsgestaltung (am besten auf Englisch), Internationales Privatrecht + einen Arbitration-Fall dazu nehmen und eine tatsächlich vertiefte Prüfung in Nebengebieten wie Arbeitsrecht, Europarecht, Gesellschaftsrecht durchführen :) Fände ich super und ich finde es erschreckend, wie wenig Rechtsgebiete man nach 7+ Jahren Studium und Referendariat beherrscht.
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Re: Reform der Examina - Zusätzliche Hilfsmittel, "open book exam"?

Beitrag von Seeker »

Zum letzten Punkt: das kann nicht dein Ernst sein. Du weißt schon, dass dadurch das Wettrüsten zwischen JPAs und Kandidaten sowie Repetitoren nur schlimmer würde?

Mehr Stoff hätte keineswegs zur Folge, dass sich Kandidaten nur noch auf die Grundlagen konzentrieren würden. Stattdessen würden die meisten versuchen, sich überall zumindest gewisse Kenntnisse zu verschaffen. Das würde mutmaßlich zu einer noch längeren Examensvorbereitung, einer noch zunehmenden Vernachlässigung der Grundlagen (die Kandidaten lernen von allem irgendwas, aber nichts richtig, insbesondere nicht die Grundlagen) und einem größeren Auseinanderklaffen der Leistungsschere führen (gute, schnelle und fleißige Kandidaten hätten überall gewisse Kenntnisse, schwächere Kandidaten würden noch mehr auf Lücke lernen oder wären mit der Stoffmenge noch überfordeter).

Es ist eben nun einmal so, dass Vorkenntnisse in einem Rechtsgebiet im Schnitt (nicht in jedem Einzelfall) enorm helfen.
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