Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

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Seeker
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Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

Beitrag von Seeker »

In diesem Jahr ist anscheinend in Zivilsachen (evtl. nur in NRW?) eine Revisionsklausur gelaufen, samt Revisionsbegründung aus Anwaltssicht. Zum Glück betrifft mich das alles inzwischen nicht mehr, trotzdem frage ich mich ernsthaft, in welche Richtung die LJPAs teilweise gehen.

Natürlich kann man alles versuchen zu rechtfertigen: die Revision sei aus dem Strafrecht bekannt, man habe einen ZPO-Kommentar, es würden ja nur Grundlagen verlangt, bei der Bewertung werde alles berücksichtigt, auch sonst müsse man unbekannte Probleme in Klausuren lösen, das sei ja nichts Neues etc. pp.

Das wird der Wirklichkeit aber nicht gerecht. Es macht einen großen Unterschied, ob in einer Klausur ein oder mehrere schwierige Probleme im Rahmen einer grundsätzlich bekannten Aufgabenstellung auftauchen oder ob schon die Aufgabenstellung bzw. der (höchste) Obersatz überhaupt erst spontan erarbeitet werden muss. Natürlich "kann" man auch das irgendwie schaffen und bei einem wohlwollenden Korrektor eine ordentliche Note erzielen. Dennoch werden hierdurch die Kandidaten in besonderem Maße bewusst verunsichert und zugleich ein erhebliches Zufallselement eingebaut (wer findet die passenden Kommentarstellen zeitnah, wer versteht sie richtig usw. - das gilt zwar teilweise auch für sonstige Probleme, aber hier geht es ja um die Struktur, das Grundgerüst der gesamten Klausur).
Es bedarf fast keiner Erwähnung, dass der Themenkomplex "Revision in Zivilsachen" in keinem (auch großen) Lehrbuch oder Skript zum zweiten Examen wirklich behandelt wird. Und dass es (bislang) auch keine Übungsklausuren dazu gibt.

Abgesehen davon verstehe ich auch nicht wirklich den Sinn einer solchen Aufgabenstellung. Zum einen sind nur die allerwenigsten Juristen mit zivilrechtlichen Revisionssachen befasst (BGH-Anwälte, anyone?). Zum anderen würde jeder Jurist, der sich ausnahmsweise hiermit beschäftigt, sich zunächst vertieft dazu einlesen. Es ist völlig realitätsfremd, dass ein Praktiker ohne diesbezügliche Erfahrung in wenigen Stunden einen BGH-Revisionsschriftsatz nur mit dem Putzo verfassen würde.

Das ist nur ein Beispiel, dennoch frage ich manchmal wirklich, was die LPJAs machen. Sind das noch sinnvolle Klausuren? Warum stellt man keine schönen klassischen Klausuren mit einer einigermaßen normalen Aufgabenstellung, welche auch die echte Praxis widerspiegelt (Anwaltsschriftsatz, von mir aus Antrag auf Erlass einer eV usw.), mit einfachen, mittleren und schwierigen Problemen für eine Notendifferenzierung?
Theopa
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Re: Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

Beitrag von Theopa »

Das mag zwar wenig realitätsnah sein, am Ende wird aber mE in genau solchen Klausuren die man nicht üben konnte das juristische Handwerkszeug am Besten abgeprüft.

Die 500. Kaufrechts-Urteilsklausur, die sich von den zwölf Übungsklausuren die jeder Referendar dazu geschrieben hat in vier Details unterscheidet ist keinesfalls besser, nur weil sich da alle schön wohl und geborgen fühlen, ihr auswendig gerlerntes Geschwafel abladen und sich über den "Volltreffer!" aus dem hemmer-Rep freuen können. Zudem kommt diese Art von Klausuren natürlich weiter am häufigsten vor. Aus meiner Sicht muss eine gute Examensklausur erstmal fünf Minuten zu sehr großen Fragezeichen bei durchschnittlichen Kandidaten führen, welche dann aber durch ganz grundlegendes Wissen, das Gesetz und eine logischen Prüfung schnell aufgelöst werden können.

Natürlich wird eine Korrektur bei solchen Exoten berücksichtigen müssen, dass die Formalia unbekannt und damit einerseits wenig wert sind wenn man sie zufällig richtig hat, andererseits unwichtige Fehler die keine elementaren Verstöße gegen Grundwissen darstellen praktisch keinen Punktabzug begründen können. Und ja, dabei wird es in Einzelfällen zu Problemen mit faulen oder an falscher Stelle überkritischen Korrektoren kommen. Das Risiko gibt es aber bei wohl jeder Klausur, im Kaufrecht hat man dann eben gelegentlich die "Das muss doch jeder wissen..." Korrektoren bei welchen man die Musterlösung perfekt treffen soll um über 6 zu kommen.
Seeker
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Re: Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

Beitrag von Seeker »

Wie gesagt: was mich an der Klausur stört, ist nicht, dass sie Unbekanntes und damit das juristische Handwerkszeug abprüft. Sondern dass das Unbekannte hier die Grundstruktur der Klausur darstellt.

Ich würde behaupten, eine gute Klausur zeichnet sich dadurch aus, dass sie primär das juristische Handwerkszeug abprüft, gleichzeitig eine sinnvolle Notendifferenzierung erlaubt und schließlich möglichst wenig Raum für Zufall und Prüferwillkür lässt. M.E. erreicht man das durch eine Klausur, die sich steigert und "für jeden Kandidaten etwas dabei hat". Etwa mit einer klaren Aufgabenstellung und Grundstruktur (Urteil-/Beschluss-/regulärer Schriftsatz usw.), einigen normalen Problemen und ein paar schwierigen Aspekten für die besseren Kandidaten.

Dabei muss es sich inhaltlich auch keinesfalls um einen Kaufrechtsstandardfall handeln. Das materielle Recht und die verfügbaren Praxisurteile bieten ja genügend Raum für allerlei Spielereien.

Diese Art von Klausur ist dagegen in mehrfacher Hinsicht problematisch: sie prüft maßgeblich nicht juristische Fähigkeiten ab, sondern zunächst die Stressresistenz. Diese ist zwar auch wichtig, aber doch nicht der einzig entscheidende Faktor, zumal das Examen ja ohnehin sehr stressig ist. Der Haupt"clou" der Klausur ist dann: hö hö, wer wird durch den krassen Einstieg so abgefuckt, dass er nicht mehr klar denken kann, sich verzettelt und dann hintenraus materiell keine Punkte mehr sammeln kann?" Viel sinnvoller ist es doch, dem Kandidaten die Möglichkeit zu geben, erstmal in die Klausur "reinzukommen", selbst wenn er das schwierige Sachproblem später nicht löst.

Andere negative Auswirkungen dieser Art von Klausur sind: der Prüferwillkür wird noch größere Bedeutung eingeräumt (wenn schon der Prüfungsmaßstab nicht ganz richtig getroffen wird, kann ein wenig wohlwollender Prüfer sehr ungnädig sein, egal was das LJPA angeblich intern mitteilt). Außerdem wird ein Anreiz dafür gesetzt, dass die Kandidaten noch mehr sinnlosen Quatsch lernen (müssen), wie die Formalia der Revision, weil es ja sein könnte, dass das nochmal drankommt.

Ist der Staatsexamensstoff nicht groß genug? Genügt es nicht, materiell Unbekanntes oder Neues und unzählige Formalia abzuprüfen? Ist es wirklich erforderlich, jetzt auch zunehmend Berufungs- und Revisionsklausuren in Zivilsachen abzuprüfen? Weshalb war es jahrzehntelang unproblematisch, die Kandidaten nur mit "normalen" Aufgabenstellungen zu konfrontieren (man studiere ältere Übungsklausuren), jetzt aber muss der Stoff noch umfangreicher, noch schwieriger werden? Was kommt als Nächstes? Antrag auf Erlass eines Strafbefehls? Was, zu dessen Formalien steht in keinem Lehrbuch etwas? Egal, wenn es nicht "praxistauglich" aus dem Stand formuliert wird, ist es natürlich trotzdem grob fehlerhaft, laut Korrektor. Teilungserklärungsentwurf? Satzungsentwurf im ÖR? Gesetzesentwurf? Vorlage an das BVerfG? Alles no problemo?
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Re: Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

Beitrag von Sektnase »

Halte es auch für Quatsch. Das Hauptproblem ist aus meiner Sicht die von dir angesprochene Prüferwillkür. Den Notenschnitt kann man hier ja getrost außen vor lassen, weil der doch letztlich sowieso relativ (zumindest zum Schwierigkeitsgrad der Klausur) ist. Dass man nicht den belohnt, der die 35 Probleme aus dem Verbrauchsgüterkaufrecht möglichst exakt aus dem Lehrbuch (und nicht nur aus dem Palandt) zitieren kann, ist ja durchaus richtig. Man müsste also etwas dazwischen finden. Das Problem an so total abgefahrenen Klausuren ist aber, dass die Korrektoren auch keine Ahnung davon haben. Wenn dann sowieso alle Bearbeiter irgendwas unterschiedliches gemacht haben, dann führt das dazu, dass die "einfachen" Sachen aus der Lösungsskizze für die Bewertung zentral werden, weil man da als Korrektor weniger drüber nachdenken muss. Damit ist man dann bei Formalia angekommen. Belohnt wird also der, der etwas, das bislang nie geprüft wurde auswendig gelernt hat - das ist schon ziemlich dumm.

Hab immer wieder den Eindruck, dass die LJPAs einfach alle Klausuren nehmen, die sie kriegen können. Es scheint wohl keine große Auswahl zu geben.
In einem Umfeld, in dem mittelschwere Hurensöhnigkeit häufig zum Stellenprofil gehört, muss einen nicht wundern, wenn man Scheiße behandelt wird. -Blaumann
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Re: Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

Beitrag von arlovski »

afaik wurde auch letztes jahr (zum ersten mal) eine revisionsklausur gestellt. jetzt ist es also kein einzelfall mehr :x

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Seeker
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Re: Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

Beitrag von Seeker »

arlovski hat geschrieben: Donnerstag 7. Januar 2021, 14:15 afaik wurde auch letztes jahr (zum ersten mal) eine revisionsklausur gestellt. jetzt ist es also kein einzelfall mehr :x

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Ah, ich meinte 2020. Blöder Jahreswechsel.
arlovski
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Re: Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

Beitrag von arlovski »

du hast schon recht, anscheinend lief diese woche revision in nrw, und letztes jahr (juli?) auch schon. finde das auch absurd und führt nur dazu, dass in ein paar monaten die lehrbuecher/skripten/repetitorien/ags auch noch das revisionsrecht behandeln werden und in 1-2 jahren dieses wissen dann als bekannt vorausgesetzt wird, die revisionsklausuren also dann einfach mit mehr problemen vollgeladen werden.

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Re: Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

Beitrag von Limonadenbaum »

Und jetzt im Januar lief in NRW auch eine Revisionsklausur. Das wird dazu führen, das Kaiser nun Skripte und Seminare entsprechend anpasst und in Zukunft für zivilrechtliche Revisionsklausuren härtere Maßstäbe angelegt werden, denn ab jetzt werden sich die meisten auch darauf vorbereiten. Also noch ein Klausurtyp mehr, zu dem man Formalia auswendig lernen muss, und der noch nicht einmal besonders große praktische Relevanz hat (wie viele BGH-Anwälte gibt es in Deutschland??) ::roll: ::roll:. Nicht zu erwarten ist dagegen, dass dann auch dementsprechend die zivilrechtliche Revision in der Ausbildung und insbesondere in den AGs behandelt wird. Ich stimme daher der Kritik in allen Punkten zu, auch wenn es mich zum Glück nicht mehr betrifft.

edit: Was arlovski sagt (hat sich überschnitten).
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Re: Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

Beitrag von OJ1988 »

Seeker hat geschrieben: Donnerstag 7. Januar 2021, 13:36 Wie gesagt: was mich an der Klausur stört, ist nicht, dass sie Unbekanntes und damit das juristische Handwerkszeug abprüft. Sondern dass das Unbekannte hier die Grundstruktur der Klausur darstellt.
Verstehe deine Differenzierung nicht. Wenn Unbekanntes grds. abgeprüft werden kann, dann kann Unbekanntes auch die "Struktur" (was immer damit gemeint sein soll) der Klausur darstellen.

Ich kenne mich im zivilrechtlichen Revisionsrecht nicht gut genug aus, um das beurteilen zu können, aber wenn dieses Rechtsmittel dem handelsüblichen Grobaufbau (ZUlässigkeit/SachentscheidungsVss. + Begründetheit) folgt und die einschlägigen §§ a) für den guten Juristen auch bei erstmaligem Lesen verständlich sind und b) keine durch jahrzehntelange Rechtsprechung entwickelten Feinheiten (wie die strafrechtliche Revision) enthalten, dann kann man das natürlich abprüfen.

Meine erste Klausur im 1. Examen ging um Klauselrechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung. Davon hatte natürlich niemand vorher ernsthaft gehört. War gefühlt kein netter Zug, am Ende war aber schlicht Gesetzeslektüre und -verständnis gefragt.
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Re: Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

Beitrag von Seeker »

OJ1988 hat geschrieben: Donnerstag 7. Januar 2021, 18:24
Seeker hat geschrieben: Donnerstag 7. Januar 2021, 13:36 Wie gesagt: was mich an der Klausur stört, ist nicht, dass sie Unbekanntes und damit das juristische Handwerkszeug abprüft. Sondern dass das Unbekannte hier die Grundstruktur der Klausur darstellt.
Verstehe deine Differenzierung nicht. Wenn Unbekanntes grds. abgeprüft werden kann, dann kann Unbekanntes auch die "Struktur" (was immer damit gemeint sein soll) der Klausur darstellen.
Damit meine ich die Aufgabenstellung, den zentralen Obersatz, das grundsätzliche Prüfungsschema, welches die gesamte Arbeit vorgibt. Also eben, ob die zentrale Aufgabe ist: schreiben Sie ein Urteil! Begutachten Sie die materielle Lage aus anwaltlicher Sicht und verfassen Sie einen (erstinstanzlichen) Schriftsatz! Oder eben: begutachten Sie die Erfolgsaussichten einer Revision, schreiben Sie einen Antrag auf Erlass eines Strafbefehls, verfassen Sie einen Vorlagebeschluss an das BVerfG usw.

Der Unterschied zu sonstigen unbekannten Problem aus Bearbeitersicht: gleich zu Beginn der Klausur stellt sich eine entscheidende Hürde und Weiche. Überwindet man diese nicht, ist die ganze Klausur schnell unbrauchbar. Das bedeutet zugleich einen erheblich zusätzlichen Druck. Wenn ich schon überhaupt erstmal das grundsätzliche Prüfprogramm (oder in anderen der genannten Beispielsfälle zumindest die Formalien) aus dem Nichts entwickeln muss (und zwar für die ganze Klausur, nicht für ein unbekanntes materielles Problem), fehlen mir mglw. die Kraft und Konzentration für die wirklichen materiellen Schwerpunkte. Sicherlich kann man zu allem sagen, tough luck, man up, wir hatten es auch nicht leicht, aber ob es eine sinnvolle und faire Klausur ist, kann man m.E. durchaus bezweifeln.
Ich kenne mich im zivilrechtlichen Revisionsrecht nicht gut genug aus, um das beurteilen zu können, aber wenn dieses Rechtsmittel dem handelsüblichen Grobaufbau (ZUlässigkeit/SachentscheidungsVss. + Begründetheit) folgt und die einschlägigen §§ a) für den guten Juristen auch bei erstmaligem Lesen verständlich sind und b) keine durch jahrzehntelange Rechtsprechung entwickelten Feinheiten (wie die strafrechtliche Revision) enthalten, dann kann man das natürlich abprüfen.
Ein "guter Jurist" kann natürlich fast jede Klausur einigermaßen ordentlich lösen. Aber eine gut gestellte Klausur sollte m.E. eben gerade eine Notendifferenzierung ermöglichen (auch zwischen mittelmäßigen und schwächeren Kandidaten) und das Willkürlement minimieren.

Zur Komplexität des Revisionsrechts: Experte bin ich nicht, aber eine kursorische Lektüre des BeckOK-ZPO zu § 546 ZPO zeigt mir, dass es durchaus nicht einfach zu durchdringen ist: So ist nämlich u.a. das tatrichterliche Ermessen in vielerlei Hinsicht zu berücksichtigen, etwa bei der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Willenserklärungen. Wie weit dies nun genau reicht, was das genau für verschiedene Fälle bedeutet usw., ist sicherlich durch eine lange Kasuistik entwickelt worden.

Vor allem aber kann man sich durchaus fragen, warum es jahrzehntelang kein Problem war, dass Kandidaten lediglich einfache Schriftsätze beherrschen können mussten und selbst ein eV-Antrag als exotisch galt, inzwischen aber anscheinend selbst im Zivilrecht das Revisionsrecht abgeprüft werden muss.
Liz
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Re: Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

Beitrag von Liz »

Seeker hat geschrieben: Donnerstag 7. Januar 2021, 18:50
OJ1988 hat geschrieben: Donnerstag 7. Januar 2021, 18:24
Seeker hat geschrieben: Donnerstag 7. Januar 2021, 13:36 Wie gesagt: was mich an der Klausur stört, ist nicht, dass sie Unbekanntes und damit das juristische Handwerkszeug abprüft. Sondern dass das Unbekannte hier die Grundstruktur der Klausur darstellt.
Verstehe deine Differenzierung nicht. Wenn Unbekanntes grds. abgeprüft werden kann, dann kann Unbekanntes auch die "Struktur" (was immer damit gemeint sein soll) der Klausur darstellen.
Damit meine ich die Aufgabenstellung, den zentralen Obersatz, das grundsätzliche Prüfungsschema, welches die gesamte Arbeit vorgibt. Also eben, ob die zentrale Aufgabe ist: schreiben Sie ein Urteil! Begutachten Sie die materielle Lage aus anwaltlicher Sicht und verfassen Sie einen (erstinstanzlichen) Schriftsatz! Oder eben: begutachten Sie die Erfolgsaussichten einer Revision, schreiben Sie einen Antrag auf Erlass eines Strafbefehls, verfassen Sie einen Vorlagebeschluss an das BVerfG usw.
Das Drama verstehe ich jetzt so ganz: §§ 545, 546 ZPO sind im Wesentlichen identisch mit § 337 StPO. D. h. man "kennt" das grundsätzliche Prüfprogramm und kann sich dann für das Gutachten zunächst am Aufbau einer strafrechtlichen Revisionsklausur orientieren. Dafür muss man also kein neues Schema lernen, sondern nur ein bekanntes Schema anwenden. Wenn anschließend tatsächlich nicht nur der Revisionsantrag zu formulieren ist, sondern eine ganze Revisionsschrift gefordert wird, sehe ich auch keine übermäßigen Schwierigkeiten: Es ist einfach wie eine ganz normale Klageschrift bzw. Einspruchsbegründung aufzubauen; beim Sachverhalt kann man auf das angegriffene Urteil verweisen bzw. schreibt, weshalb man meint, warum noch neuer Sachvortrag zu berücksichtigen ist und bei den Rechtsausführungen schreibt man, warum das Berufungsurteil falsch ist (das ist eine dankbare Aufgabenstellung! An einem fertigen Urteil rumnörgeln ist einfach. Schwierig wird es erst, wenn man prüfen muss, ob die Revisionsangriffe Erfolg haben).
Hier scheint mir vor allem das Problem zu sein, dass zu viele Examenskandidaten zuviel Zeit damit verbringen, sich viel zu viele Gedanken über Formalia zu machen und zum Aufbau eines Urteils mit Widerklage zehn verschiedene Aufbauvarianten lernen, anstatt sich auf einige simple Strukturierungsgrundsätze zu konzentrieren, die einfach immer funktionieren.
Zur Komplexität des Revisionsrechts: Experte bin ich nicht, aber eine kursorische Lektüre des BeckOK-ZPO zu § 546 ZPO zeigt mir, dass es durchaus nicht einfach zu durchdringen ist: So ist nämlich u.a. das tatrichterliche Ermessen in vielerlei Hinsicht zu berücksichtigen, etwa bei der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Willenserklärungen. Wie weit dies nun genau reicht, was das genau für verschiedene Fälle bedeutet usw., ist sicherlich durch eine lange Kasuistik entwickelt worden.
Das tatrichterliche Ermessen reicht im Zweifelsfall immer genau so weit, wie das Obergericht die Entscheidung nicht korrigieren möchte. Im Übrigen ist die Überprüfung von Ermessensentscheidungen grds. aus dem Öffentlichen Recht bekannt. Aus Anwaltssicht kann man sich wahrscheinlich im Wesentlichen begnügen, dass man erkennt, dass es ein nur eingeschränkt überprüfbares tatrichterliches Ermessen gibt, und dann nachfolgend begründet, weshalb das hier aber auf jeden Fall überschritten ist.
Vor allem aber kann man sich durchaus fragen, warum es jahrzehntelang kein Problem war, dass Kandidaten lediglich einfache Schriftsätze beherrschen können mussten und selbst ein eV-Antrag als exotisch galt, inzwischen aber anscheinend selbst im Zivilrecht das Revisionsrecht abgeprüft werden muss.
Natürlich kann man sich das fragen. Und natürlich ist es misslich, wenn dadurch durch die Hintertür wieder der Lernstoff steigt, weil künftige Examenskandidaten selbstverständlich damit rechnen müssen, dass ausgerechnet bei ihnen wieder eine Revisionsklausur drankommt und dann die Deppen, die einfach das Kaiserskript auswendig gelernt haben, einen Vorteil haben, weshalb man sich jetzt damit auch nochmals vertieft beschäftigen muss. Umgekehrt bietet das Revisionsrecht die Möglichkeit, ganz andere prozessuale Probleme abzuprüfen. Und solange man nicht anfängt, mittelfristig immer exotischere revisionsrechtliche Sonderprobleme abzufragen, dürfte diese Ausdehnung des Prüfungsstoffes gar nicht so dramatisch sein wie andere (z. B. diese unsinnigen Kautelarklausuren).
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Re: Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

Beitrag von Seeker »

Ich sage ja nicht, dass es komplett unmöglich ist, das zu lernen oder es notdürftig irgendwie spontan zu entwickeln.

Aber die Sinnfrage stellt sich hier durchaus, zumal der Stoff ja auch in anderer Hinsicht stetig wächst. Und dein Beispiel spricht ja für sich: es ist nicht Revision oder Kautelar, sondern beides. Allerdings nur sehr selten, sodass man sich irgendwann entscheiden muss, was man eher oberflächlich lernt. Und dann dominiert das Zufallselement noch mehr als sonst.

Auch in der Sache muss man sich fragen, was es bringen soll, wenn Refendare, von denen die meisten noch nicht einmal überhaupt Berufungsrecht (was übrigens bis vor ca 2-3 Jahren auch so gut wie nie drankam) gelernt haben (ich weiß, es bestehen erhebliche Überschneidungen) im zivilrechtlichen Revisionsrecht herumstümpern zu lassen. Ist nur ein Beispiel, mir ist aber bekannt, dass es teilweise an OLGen interne Skripten für Richter gibt, welche zur Erprobung dorthin kommen. Das sind Richter mit mehrjähriger Berufserfahrung, denen man das Berufungsrecht erklärt. Und zwar die absoluten Grundlagen, Basics wie eben die Frage des Beurteilungsspielraums der ersten Instanz. Und dann soll ein - am besten noch durchschnittlicher - Referendar das aus dem Nichts aus dem Ärmel schütteln? Das ist doch absurd.

Mich ärgert einfach der Umgang. Und ich verstehe bis heute nicht, warum es offensichtlich bis ca 2010 völlig unproblematisch war, wenn Referendare 10-12 Seiten Sachverhalt mit normalen Praxisaufgaben (Urteil, Antrag, Klage usw) lösen mussten. Inzwischen ist es aber wohl nötig (?), dass man teilweise 20 Seiten Sachverhalt hat und Immobilienkaufverträge sowie Revisionsschriftsätze in Zivilsachen verfassen kann. Warum? Das kann niemand erklären.

Das ist auch alles nicht persönlich für mich, ich bin gut durchs Ref gekommen und kenne niemanden, den die Revisionsklausuren betroffen haben. Mich stört nur einfach die Herangehensweise.
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Re: Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

Beitrag von Liz »

Dass es an den OLGs, wo ja praktisch ausschließlich Berufungsrecht gemacht wird, ggf. Einführungsskripte für die Erprobungsrichter gibt, heißt jetzt nicht zwingend, dass die Materie auch in der Klausur kompliziert sein muss. Vieles wird in der gerichtlichen Praxis nur deshalb kompliziert, weil in dem Zusammenspiel der Parteien und des erstinstanzlichen Gerichts unendlich viel "schief" gehen kann - und das wird nicht besser, wenn man sich dann mit einer (ggf. wirren, wenig kenntnisreichen) Berufungsschrift auseinandersetzen darf, mit der der Anwalt seine erstinstanzlichen Fehler korrigieren will und z. B. nachträglich neuen Tatsachenvortrag einführen möchte (ein Anwalt, der schon erstinstanzlich nicht ordentlich vortragen kann, wird es garantiert auch nicht in der Berufungsinstanz können). Die Grundlagen des Berufungsrechts, wie sie mit einer Anwaltsklausur regelmäßig abgefragt werden, sind hingegen "einfach" (Ist das Urteil richtig/angreifbar? Kann noch neuer Tatsachenvortrag eingeführt werden?).
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Re: Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

Beitrag von thh »


Seeker hat geschrieben: Was kommt als Nächstes? Antrag auf Erlass eines Strafbefehls? Was, zu dessen Formalien steht in keinem Lehrbuch etwas? Egal, wenn es nicht "praxistauglich" aus dem Stand formuliert wird, ist es natürlich trotzdem grob fehlerhaft, laut Korrektor.
Es müssen keine Formalien im Lehrbuch stehen, wenn man sie im Rahmen der praktischen Ausbildung kennenlernt. U.a. dafür gibt es die ja. Ein Strafbefehlsantrag wäre daher - im Ggs. zu einer zivilrechtlichen Revision - weitgehend unproblematisch.
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Re: Revisionsklausur in Zivilsachen - was machen die LJPAs?

Beitrag von Seeker »

Im GPA kommt man nicht verpflichtend zur StA (und hat auch keine Wahl, es geht nur nach Bewerbungseingang Ref) und lernt es deshalb nicht. Darauf habe ich mich bezogen.
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