Absolute Verjährung

Straf-, Strafprozeß- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowie Kriminologie

Moderator: Verwaltung

Carina1405
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Absolute Verjährung

Beitrag von Carina1405 »

Ich hätte da mal eine Frage zu folgendem Sachverhalt. Bin ganz neu in der Abteilung und habe jetzt eine Akte vorgelegt bekommen in der am 30.03. 2021 die absolute Verjährung Eintritt. Eine Anklage ist nicht geschrieben worden, befinden uns noch im Ermittlungsverfahren. Man wird es ja in diesem Fall nicht mehr schaffen ein Urteil zu Erlangen vor Verjährung. Was bleiben mir denn noch für Möglichkeiten? Einstellung unter Zahlung einer Auflage beantragen? Oder soll ich die Frist abwarten und dann Einstellung beantragen aufgrund absoluter Verjährung? Hatte so einen Fall noch nicht und wollte mal die Staatsanwälte fragen die vielleicht da schon mehr Erfahrung haben. Hattet ihr schon mal einen Fall wo die Beschuldigten kurz vor Absoluter Verjährung die Auflage gezahlt haben?
Liz
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Re: Absolute Verjährung

Beitrag von Liz »

Ganz neu dabei? Schaue Dir die Akte genau an, was überhaupt dran ist, und bespreche das dann umgehend (!) mit Deinem Gegenzeichner / Abteilungsleiter. Einfach so verjähren lassen würde ich das auf keinen Fall.
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scndbesthand
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Re: Absolute Verjährung

Beitrag von scndbesthand »

Ich bin kein Staatsanwalt und weiß nicht, ob das Risiko der Strafvereitelung im Amt in solchen Situationen praktisches Gewicht hat.

Als vorsichtiger Mensch frage ich mich nur:

Will man sich wirklich darauf verlassen, dass niemand in Zukunft die Auffassung vertritt, das Amtsgericht hätte bei Eingang einer Anklage am 3.2.2021 doch noch ein Urteil bis Ende März 2021 hinbekommen?
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Re: Absolute Verjährung

Beitrag von Liz »

scndbesthand hat geschrieben:Ich bin kein Staatsanwalt und weiß nicht, ob das Risiko der Strafvereitelung im Amt in solchen Situationen praktisches Gewicht hat.

Als vorsichtiger Mensch frage ich mich nur:

Will man sich wirklich darauf verlassen, dass niemand in Zukunft die Auffassung vertritt, das Amtsgericht hätte bei Eingang einer Anklage am 3.2.2021 doch noch ein Urteil bis Ende März 2021 hinbekommen?
Deshalb eben nicht einfach bis zum 01.04 auf der Fensterbank liegen lassen und dann nach § 170 II StPO wegen absoluter Verjährung einstellen, sondern die Verantwortung für die Entscheidung, was jetzt noch getan werden kann, nach oben reichen. Theoretisch kann man natürlich noch einen Strafbefehl beantragen und dann dem Gericht den schwarzen Peter zuschieben. Kann aber auch sein, dass bei der gebotenen Würdigung sowieso so kurz vor der absoluten Verjährung nur noch eine Einstellung nach § 153 StPO in Betracht kommt.

Carina1405
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Re: Absolute Verjährung

Beitrag von Carina1405 »

Strafbefehl hatte ich auch schon gedacht. Aber würde das nicht das Verfahren nochmal verlängern wenn dann Einspruch erhoben wird?
Liz
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Re: Absolute Verjährung

Beitrag von Liz »

Beim Strafbefehl hat man aber immerhin die Chance, dass er vor Ende März rechtskräftig wird. Aber wie bereits geschrieben: bespreche umgehend mit Deinem Gegenzeichner / Abteilungsleiter, was im hiesigen Fall die beste Lösung ist. Das wird Dir hier ohne Aktenkenntnis niemand sagen können.
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Re: Absolute Verjährung

Beitrag von doohan »

Carina1405 hat geschrieben: Dienstag 2. Februar 2021, 18:00 Ich hätte da mal eine Frage zu folgendem Sachverhalt. Bin ganz neu in der Abteilung und habe jetzt eine Akte vorgelegt bekommen in der am 30.03. 2021 die absolute Verjährung Eintritt. Eine Anklage ist nicht geschrieben worden, befinden uns noch im Ermittlungsverfahren. Man wird es ja in diesem Fall nicht mehr schaffen ein Urteil zu Erlangen vor Verjährung. Was bleiben mir denn noch für Möglichkeiten? Einstellung unter Zahlung einer Auflage beantragen? Oder soll ich die Frist abwarten und dann Einstellung beantragen aufgrund absoluter Verjährung? Hatte so einen Fall noch nicht und wollte mal die Staatsanwälte fragen die vielleicht da schon mehr Erfahrung haben. Hattet ihr schon mal einen Fall wo die Beschuldigten kurz vor Absoluter Verjährung die Auflage gezahlt haben?
Nur weil ich grad ein deja vu habe - du kennst BGH 4 StR 274/16? Ich schließ mich hier Liz' Meinung an... zum Vorgesetzten damit.

Interessant wäre die Konstellation aber schon: StA läßt Fall liegen, weil der realistisch betrachtet nicht mehr abgeschlossen werden kann bzw. nichts mehr dabei rauskommen wird (drohende absolute Verjährung). Rechtsbeugung oder nicht (da der Wille ja hier klar erkennbar ist)?
Liz
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Re: Absolute Verjährung

Beitrag von Liz »

Es dürfte ja auf den genauen Zeitablauf ankommen und wie eng es tatsächlich war. Zwei Monate sind noch ziemlich lang. Da würde ich jetzt nicht in die Akte schreiben "hat ohnehin keinen Sinn mehr; WV:2 Monate 1 Woche" und mir damit die Verteidigung mit "Ups, habe ich leider erst gesehen, als es schon zu spät war" abzuschneiden.
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Re: Absolute Verjährung

Beitrag von doohan »

Na ja, wenn sich derjenige dahingehend schon geäußert hat... dann ist es auch schon zu spät.
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Re: Absolute Verjährung

Beitrag von T0bi »

Hatte mal einen ähnlichen Fall (Wv. einen Tag vor relativer Verjährung verfügt, da hätte man noch BV erstmals anordnen können, leider Akte einen Tag später gezogen), den konnte man mit einem „Upgrade“ des Tatvorwurfs retten. Geht bei dir vielleicht auch?
"die Bezeichnung Penner hat nicht...stets beleidigenden...Charakter. So werden etwa im Einzelhandel umgangssprachlich schlecht verkäufliche Artikel...im Gegensatz zum Renner auch als Penner bezeichnet (wikipedia.de)" (BayVGH NZA-RR 2012, 302)
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Re: Absolute Verjährung

Beitrag von doohan »

Liz hat geschrieben: Donnerstag 4. Februar 2021, 10:27 Es dürfte ja auf den genauen Zeitablauf ankommen und wie eng es tatsächlich war. Zwei Monate sind noch ziemlich lang. Da würde ich jetzt nicht in die Akte schreiben "hat ohnehin keinen Sinn mehr; WV:2 Monate 1 Woche" und mir damit die Verteidigung mit "Ups, habe ich leider erst gesehen, als es schon zu spät war" abzuschneiden.
Weil es mir gerade noch kommt: Gesetzten Fall man ist in der Situation - wie kommt der Profi da aus der Nummer noch raus? Oder folgt die Entfernung aus dem Richter-/Beamtendienst wegen erwiesener Dummheit?
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Re: Absolute Verjährung

Beitrag von Liz »


doohan hat geschrieben:
Liz hat geschrieben: Donnerstag 4. Februar 2021, 10:27 Es dürfte ja auf den genauen Zeitablauf ankommen und wie eng es tatsächlich war. Zwei Monate sind noch ziemlich lang. Da würde ich jetzt nicht in die Akte schreiben "hat ohnehin keinen Sinn mehr; WV:2 Monate 1 Woche" und mir damit die Verteidigung mit "Ups, habe ich leider erst gesehen, als es schon zu spät war" abzuschneiden.
Weil es mir gerade noch kommt: Gesetzten Fall man ist in der Situation - wie kommt der Profi da aus der Nummer noch raus? Oder folgt die Entfernung aus dem Richter-/Beamtendienst wegen erwiesener Dummheit?
Der Profi vermeidet es, überhaupt erst in eine solche Situation zu gelangen. Wer in eine solche Situation geraten ist und ein Ermittlungsverfahren wegen § 258a StGB am Hals hat und sich die Verteidigung mit "Ups, sorry, nicht gesehen" abgeschnitten hat, der kann wohl nur noch versuchen, den Tatvorwurf kleinzureden, und hoffen, dass auf Rechtsfolgenseite nichts allzu Schlimmes rauskommt. Der Karriereknick/Rauswurf dürfte aber wohlverdient sein.
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Re: Absolute Verjährung

Beitrag von doohan »

Liz hat geschrieben: Sonntag 7. Februar 2021, 16:23 Der Profi vermeidet es, überhaupt erst in eine solche Situation zu gelangen. Wer in eine solche Situation geraten ist und ein Ermittlungsverfahren wegen § 258a StGB am Hals hat und sich die Verteidigung mit "Ups, sorry, nicht gesehen" abgeschnitten hat, der kann wohl nur noch versuchen, den Tatvorwurf kleinzureden, und hoffen, dass auf Rechtsfolgenseite nichts allzu Schlimmes rauskommt. Der Karriereknick/Rauswurf dürfte aber wohlverdient sein.
Ich hab mir das jetzt ein paar Tage durch den Kopf gehen lassen... ist es dann überhaupt noch § 258a StGB oder geht das nicht schon Richtung Rechtsbeugung durch Unterlassen (§ 339, 13 StGB)? Immerhin entzieht er den Angeklagten ja nicht nur der Strafverfolgung; durch das absichtliche Verjähren-Lassen stellt er sich bewußt gegen das Recht.

Ganz passen tut das für mich aber noch nicht. Gegenbeispiel: Richter (oder Staatsanwalt) X hat eine Akte vor sich. Der Angeklagte A tut - wider jeder strafrechtlichen Empfehlung ;-) - immer wieder anfragen, was mit seinem Verfahren sei, ohne dass X darauf reagieren würde. Nach drei Jahren kommt X zum Schluß, dass der Sachverhalt nicht mehr aufklärbar ist (Zeugen erinnern sich nicht mehr im Detail oder whatever) und stellt deswegen das Verfahren ein (keine Verjährung). "Ups, sorry, nicht gesehen" zieht aufgrund der Anfragen von A nicht; die lange Bearbeitungsdauer hat die Strafverfolgung erschwert bis unmöglich gemacht.

Nach obigem Gedankengang blüht also X mindestens 258a StGB, wenn nicht sogar 339 StGB. Vor einiger Zeit hat mich thh aber darauf hingewiesen, dass Akten schon per se teilweise in Abständen von mehreren Monaten vorgelegt werden. Ergo lieg ich hier mit meiner Rechtsinterpretation falsch; ich seh nur nicht, wo.

Mag mich ein Praktiker aufklären?
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Re: Absolute Verjährung

Beitrag von Omnimodofacturus »

doohan hat geschrieben: Freitag 12. Februar 2021, 01:29
Liz hat geschrieben: Sonntag 7. Februar 2021, 16:23 Der Profi vermeidet es, überhaupt erst in eine solche Situation zu gelangen. Wer in eine solche Situation geraten ist und ein Ermittlungsverfahren wegen § 258a StGB am Hals hat und sich die Verteidigung mit "Ups, sorry, nicht gesehen" abgeschnitten hat, der kann wohl nur noch versuchen, den Tatvorwurf kleinzureden, und hoffen, dass auf Rechtsfolgenseite nichts allzu Schlimmes rauskommt. Der Karriereknick/Rauswurf dürfte aber wohlverdient sein.
Ich hab mir das jetzt ein paar Tage durch den Kopf gehen lassen... ist es dann überhaupt noch § 258a StGB oder geht das nicht schon Richtung Rechtsbeugung durch Unterlassen (§ 339, 13 StGB)? Immerhin entzieht er den Angeklagten ja nicht nur der Strafverfolgung; durch das absichtliche Verjähren-Lassen stellt er sich bewußt gegen das Recht.

Ganz passen tut das für mich aber noch nicht. Gegenbeispiel: Richter (oder Staatsanwalt) X hat eine Akte vor sich. Der Angeklagte A tut - wider jeder strafrechtlichen Empfehlung ;-) - immer wieder anfragen, was mit seinem Verfahren sei, ohne dass X darauf reagieren würde. Nach drei Jahren kommt X zum Schluß, dass der Sachverhalt nicht mehr aufklärbar ist (Zeugen erinnern sich nicht mehr im Detail oder whatever) und stellt deswegen das Verfahren ein (keine Verjährung). "Ups, sorry, nicht gesehen" zieht aufgrund der Anfragen von A nicht; die lange Bearbeitungsdauer hat die Strafverfolgung erschwert bis unmöglich gemacht.

Nach obigem Gedankengang blüht also X mindestens 258a StGB, wenn nicht sogar 339 StGB. Vor einiger Zeit hat mich thh aber darauf hingewiesen, dass Akten schon per se teilweise in Abständen von mehreren Monaten vorgelegt werden. Ergo lieg ich hier mit meiner Rechtsinterpretation falsch; ich seh nur nicht, wo.

Mag mich ein Praktiker aufklären?
Wo siehst du denn die (vorsätzlich) falsche Anwendung einer Rechtsnorm? Wenn die gesetzlich vorgesehene Verjährungsfrist seit der Tat abgelaufen ist, ist es doch nicht rechtsbeugerisch, sondern völlig richtig, dass das Verfahren eingestellt wird?!

Eine Rechtsbeugung würde doch in der Konstellation nur umgekehrt eintreten können, wenn etwa der Staatsanwalt bewusst den Beschuldigten weiter verfolgen würde, obwohl er weiß, dass die Tat verjährt ist.
doohan
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Re: Absolute Verjährung

Beitrag von doohan »

Omnimodofacturus hat geschrieben: Freitag 12. Februar 2021, 09:39 Wo siehst du denn die (vorsätzlich) falsche Anwendung einer Rechtsnorm? Wenn die gesetzlich vorgesehene Verjährungsfrist seit der Tat abgelaufen ist, ist es doch nicht rechtsbeugerisch, sondern völlig richtig, dass das Verfahren eingestellt wird?!

Eine Rechtsbeugung würde doch in der Konstellation nur umgekehrt eintreten können, wenn etwa der Staatsanwalt bewusst den Beschuldigten weiter verfolgen würde, obwohl er weiß, dass die Tat verjährt ist.
Das Einstellen des Verfahrens ist im Falle der Verjährung ansich nicht zu beanstanden. Die Frage ist aber, was zur Verjährung geführt hat.

Ist es die bloße Untätigkeit seitens des Amträgers (obwohl der Amtsträger dazu mehrfach nachweislich aufgefordert wurde), ergibt sich für mich zunächst einmal eine Verletzung einer Amtspflicht (zur Ermittlung bzw. zur Anklage oder auch Verfahrensförderung im Falle eines Richters). Ob man das dann als aktive Strafvereitelung oder Rechtsbeugung werten kann, ist eben die Frage.
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