Tibor hat geschrieben: ↑Samstag 13. März 2021, 11:04
Rechtsphilosoph Strich zur Hilfe: legalisiertes Unrecht?
Unser Rechtssystem arbeitet sich tatsächlich am "illegalen Unrecht" ab: Ladendiebe werden mit viel Verfolgungseifer verfolgt, kleine Steuervergehen im ohnehin überregulierten Mittelstand werden mit allen Mitteln des Strafprozessrechts bzw. der AO bis auf's Blut verfolgt usw. Das klassische Unterschichten-Strafrecht, Mittelschichten-Steuerrecht etc. eben. Die subalternen und mittleren Schichten werden kontrolliert und reglementiert.
Dem steht das "legalisierte Unrecht" gegenüber: Ausbeutung von osteuropäischen Arbeitnehmern unter den menschenunwürdigen Bedingungen der großen Schlachtbetriebe ist legal; Steuervermeidung (nicht: - hinterziehung) der multinationalen Konzerne, die - wie "Apple" - so gut wie keine Steuern zahlen, ist eben kein Fall des § 370 AO.
Im Streit um eine Rekord-Steuernachzahlung von 13 Milliarden Euro für Apple in Irland hat die EU-Kommission eine Schlappe vor Gericht erlitten. Das EU-Gericht in Luxemburg annullierte die Nachforderung der Kommission aus dem Jahr 2016, wie die Richter am Mittwoch mitteilten.
Quelle:
https://www.merkur.de/politik/apple-ste ... 30894.html
Oder etwas weiter gefasst:
Die erste Säule dieses Transformationsprozesses besteht darin, dass die Organisationsformen von Macht immer abstrakter und mit gezielter Diffusion gesellschaftlicher Verantwortlichkeit gestaltet werden, so dass Unbehagen, Empörung oder Wut der Machtunterworfenen keine konkreten, also politisch wirksamen Ziele mehr finden und ein Veränderungswille der Bevölkerung keine Adressaten mehr unter den tatsächlichen Entscheidungsträgern hat. Dieser Transformationsprozess besteht in einer schleichenden und für die Bevölkerung möglichst unsichtbaren Schaffung geeigneter institutioneller und konstitutioneller Strukturen, durch die sich Machtverhältnisse stabilisieren und Umverteilungsprozesse dauerhaft einem demokratischen Zugriff entziehen und damit weitgehend irreversibel machen lassen. Dazu müssen die historisch mühsam gewonnenen demokratischen Strukturen beseitigt oder so ausgehöhlt werden, dass sie in ihrer Wirksamkeit neutralisiert sind. Zudem muss die innerstaatliche und die zwischenstaatliche Rechtsentwicklung so »weiterentwickelt« werden, dass die Zentren ökonomischer und politischer Macht ihre Interessen in dem so geschaffenen Rechtsrahmen legal in autoritärer Weise durchsetzen können. Ein solcher Rechtsrahmen muss insbesondere so beschaffen sein, dass er eine Umwandlung ökonomischer Macht in politische Macht ermöglicht und dass er den angestrebten oder bereits etablierten Umverteilungsmechanismen einen rechtlichen Rahmen gibt, der unter den verbliebenen minimalen Möglichkeiten demokratisch nicht mehr aufgehoben werden kann. Die organisierte Kriminalität der besitzenden Klasse wird durch eine solche Verrechtlichung nicht nur legalisiert, sondern auch zeitlich verfestigt und gegen mögliche demokratische Eingriffe abgedichtet.
Quelle: Mauseld, R., Warum schweigen die Lämmer?: Wie Elitendemokratie und Neoliberalismus unsere Gesellschaft und unsere Lebensgrundlagen zerstören, Einleitung (S. 13).